TE Vwgh Erkenntnis 1992/4/7 88/08/0026

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Veröffentlicht am 07.04.1992
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
20/01 Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch (ABGB);
22/01 Jurisdiktionsnorm;
40/01 Verwaltungsverfahren;
66/01 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz;
66/02 Andere Sozialversicherungsgesetze;

Norm

ABGB §1;
ABGB §531;
ABGB §547;
ASVG §410;
ASVG §413 Abs1 Z1;
AVG §56;
AVG §66 Abs4;
AVG §8;
GSKVG 1966 §111;
GSKVG 1966 §194;
GSKVG 1966 §21 Abs1;
GSKVG 1971 §180;
GSKVG 1971 §99;
GSVG 1978 §195;
JN §1;
VwGG §13 Abs1 Z2;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Liska und die Hofräte Dr. Knell, Dr. Puck, Dr. Sauberer und Dr. Giendl als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Klebel, über die Beschwerde der Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft in Wien, vertreten durch Dr. K, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 20.11.1987, Zl. MA 14-Z 2/86, betreffend Behebung in einer Angelegenheit des Beitragsrückstandes (mitbeteiligte Partei: Verlassenschaft nach M, vertreten durch Dr. H, Rechtsanwalt in W), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für Arbeit und Soziales) hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 11.120,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Bescheid vom 13. Mai 1976 stellte die Beschwerdeführerin gemäß § 99 GSKVG 1971 im Zusammenhalt mit § 410 ASVG fest, daß M nach § 21 Abs. 1 GSKVG der Beschwerdeführerin zum 31. Dezember 1975 den Betrag von S 6.127,90 (nach der Bescheidbegründung für die Zeit vom 1. April 1968 bis 31. Dezember 1970) schulde.

Mit Bescheid vom 10. Mai 1984 wies die belangte Behörde den Einspruch der M (in dem sie die Verjährung der festgestellten Beitragsschuld behauptet hatte) gemäß § 66 Abs. 4 AVG als unbegründet ab und stellte gemäß § 194 GSKVG in Verbindung mit den §§ 413, 414 und 355 ASVG fest, daß die Feststellung eines Beitragsrückstandes zum 31. Dezember 1975 für geschuldete Beiträge auf Grund von § 21 Abs. 1 GSKVG zu Recht bestehe. Diesen Bescheid hob der Verwaltungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 13. Februar 1986, Zl. 84/08/0142, wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften auf.

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid behob die belangte Behörde den Bescheid der Beschwerdeführerin vom 13. Mai 1976 gemäß § 66 Abs. 4 AVG. Begründend wurde ausgeführt, daß nach § 27 GSVG die nach diesem Bundesgesetz Pflichtversicherten zur Beitragsentrichtung verpflichtet seien. Da die Einspruchswerberin M jedoch im Jänner 1987 verstorben sei, seien Versicherungspflicht und auch Beitragspflicht der Genannten für Vergangenheit und Zukunft weggefallen. Im weiteren treffe das GSVG keinerlei gesetzliche Vorsorge in Richtung einer Haftung eines bestimmten Personenkreises für geschuldete Beiträge im Bescheidweg noch eine Regelung einer Eintrittsberechtigung irgendwelcher Personen in ein laufendes Verwaltungsverfahren. Da sohin alle Voraussetzungen für eine Weiterführung des gegenständlichen Verwaltungsverfahrens weggefallen seien, sei mit einer formellen Behebung des Bescheides der Beschwerdeführerin vom 13. Mai 1976 vorzugehen gewesen. Dieser Bescheid wurde sowohl der Beschwerdeführerin als auch der ins Einspruchsverfahren eingetretenen Verlassenschaft nach M zugestellt.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, nach der sich die Beschwerdeführerin in ihrem Recht verletzt erachtet, den Beitragsrückstand der M zum 31. Dezember 1975 mit S 6.127,90 festzustellen. In Ausführung dieses so formulierten Beschwerdepunktes bringt die Beschwerdeführerin vor, die Begründung des angefochtenen Bescheides sei grundsätzlich verfehlt, weil der Tod des Beitragsschuldners nichts daran ändere, daß er bei Vorliegen aller Voraussetzungen versicherungspflichtig gewesen sei und entsprechende Beiträge geschuldet habe, für die nach seinem Tod bestimmte Personen auf Grund zivilrechtlicher Gesamtrechtsnachfolge oder auf Grund sonstiger Rechtsgrundlagen aufzukommen hätten (vgl. SZ 38/109). Die Beschwerdeführerin habe als einhebender Versicherungsträger die gesetzliche Verpflichtung, die nicht bezahlten Versicherungsbeiträge einzutreiben. Sei der Versicherte verstorben, habe der Versicherungsträger die Beitragsforderung gegenüber der Verlassenschaft nach dem Versicherten und in der Folge gegenüber den Erben durchzusetzen. Unter diesen Umständen könne sich die belangte Behörde ihrer Verpflichtung, das Einspruchsverfahren trotz des Ablebens der Einspruchswerberin durch eine Sachentscheidung zum Abschluß zu bringen, nicht entziehen. Seitens der im Einspruchsverfahren auch Parteistellung genießenden Beschwerdeführerin sei ein rechtliches Interesse an einer solchen Sachentscheidung insofern gegeben, als jedenfalls nicht auszuschließen sei, daß eine im Verwaltungsverfahren getroffene rechtskräftige Entscheidung über die Beitragspflicht der Einspruchswerberin der Beschwerdeführerin in einer allenfalls noch notwendigen Auseinandersetzung mit den Rechtsnachfolgern der Einspruchswerberin, welche Auseinandersetzung nicht mehr im Verwaltungsverfahren, sondern auf zivilprozessualer Ebene zu führen wäre (vgl. SZ 38/109), rechtliche Vorteile bringe. Dazu sei noch bemerkt, daß die Beschwerdeführerin als Sozialversicherungsträger im Interesse der Versichertengemeinschaft von Gesetzes wegen gehalten sei, mit allen ihr zu Gebote stehenden rechtlichen Mitteln für die Sicherstellung und Einbringlichmachung der Sozialversicherungsbeiträge zu sorgen. In diesem Zusammenhang werde besonders betont, daß es der Beschwerdeführerin nicht darum gehe, das Verfahren mit den (zivil- oder öffentlich-rechtlichen) Rechtsnachfolgern der verstorbenen Einspruchswerberin als solchen fortzusetzen, sondern daß eine sachliche Endentscheiudng in der rechtlich nach wie vor unveränderten Sache, nämlich hinsichtlich der Verstorbenen selbst, angestrebt werde. Deshalb treffe auch die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes, in der er Einwände gegen die Fortsetzung des Verwaltungsverfahrens mit Rechtsnachfolgern geäußert habe (vgl. die Erkenntnissse vom 27. Juni 1985, Zl. 83/08/0262, vom 28. November 1985, Zl. 84/08/0262, vom 18. Dezember 1986, Zl. 85/08/0122, vom 19. November 1987, Zl. 86/08/0150 und Zl. 85/08/0178), auf den vorliegenden Fall nicht zu. Die Beschwer der Beschwerdeführerin liege eben nicht darin, daß das Verfahren nicht mit den Rechtsnachfolgern fortgesetzt werde, sondern darin, daß das bisherige Verfahren über die Beitragspflicht der verstorbenen Einspruchswerberin nicht mit einer entsprechenden Sachentscheidung abgeschlossen worden sei. Diese Entscheidung könne, wenn man die gesetzliche Verpflichtung der Beschwerdeführerin zur Eintreibung der Beiträge im Auge behalte, auch nicht etwa von einer - in den gegenständlichen Belangen übrigens normativ gar nicht vorgesehenen - Fortsetzungserklärung in der Art der im § 108 ASVG (§ 194 GSVG) geregelten Eintrittberechtigung abhängig gemacht werden (vgl. Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 28. November 1985, Zl. 84/08/0262), abgesehen davon, daß unter den gegebenen Umständen eine solche Erklärng von dritter Seite sicher nicht abgegeben würde. Die Beschwerdeführerin sei daher auf den amtswegigen Abschluß des Verwaltungsverfahrens angewiesen.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor, nahm aber von der Erstattung einer Gegenschrift Abstand; die mitbeteiligte Partei erstattete eine Gegenschrift.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Mit dem Bescheid der Beschwerdeführerin vom 13. Mai 1976 wurde festgestellt, daß M zum 31. Dezember 1975 näher bezifferte Sozialversicherungsbeiträge in der Krankenversicherung der in der gewerblichen Wirtschaft selbständig Erwerbstätigen für die Zeit vom 1. April 1968 bis 31. Dezember 1970 schulde. Diese Rechtsfrage hatte die Beschwerdeführerin und in der Folge die belangte Behörde - bei Bedachtnahme auf die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur anzuwendenden Rechtslage in Verwaltungssachen (vgl. das Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 4. Mai 1977, Slg. Nr. 9315/A) - mangels diesbezüglicher Übergangsbestimmungen im GSVG, BGBl. Nr. 560/1978, sowie im GSKVG 1971, BGBl. Nr. 287, noch nach den Bestimmungen des GSKVG, BGBl. Nr. 167/1966, und zwar in verfahrensrechtlicher Hinsicht gemäß § 111 GSKVG (und nicht nach § 99 GSKVG 1971 oder § 195 GSVG, die sich auf Verfahren zur Durchführung des jeweiligen Bundesgesetzes beziehen) nach den Bestimmungen des Siebenten Teiles des ASVG, zu beurteilen; die Zuständigkeit der Beschwerdeführerin dazu ergab sich aus der am 1. Jänner 1974 in Kraft getretenen Bestimmung des § 180 GSKVG 1971.

Die belangte Behörde hatte demnach gemäß § 413 Abs. 1 Z. 1 ASVG über den bei ihr nach § 412 ASVG eingebrachten Einspruch gegen den von der Beschwerdeführerin gemäß den §§ 409, 410 Abs. 1 erster Satz ASVG erlassenen Bescheid des obgenannten Inhaltes - gemäß Art. II Abs. 2 lit. a Z. 1 EGVG nach den Bestimmungen des AVG - zu entscheiden. "Sache" im Sinne des § 66 Abs. 4 erster Satz AVG, auf die sie hiebei in ihrer Entscheidung beschränkt war (vgl. Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 28. November 1983, Slg. Nr. 11.237/A), war demnach, ob die (während des Einspruchsverfahrens verstorbene) Einspruchswerberin M am 31. Dezember 1975 der Beschwerdeführerin Sozialversicherungsbeiträge für die Zeit vom 1. April 1968 bis 31. Dezember 1970 geschuldet hat, und, wie die Beschwerdeführerin mit Recht betont, nicht, ob die in das Einspruchsverfahren eingetretene Verlassenschaft nach M der Beschwerdeführerin diese Sozialversicherungsbeiträge zu entrichten habe. Zu dieser bloß feststellenden, in nicht vollstreckungsfähiger Form zu treffenden Entscheidung über den Bestand der genannten öffentlich-rechtlichen Schuld der verstorbenen M zum 31. Dezember 1975 war die belangte Behörde (jedenfalls unter Bedachtnahme darauf, daß die Verlassenschfat nach M in das Einspruchsverfahren eingetreten ist) auf Grund der von der Beschwerdeführerin in der Beschwerde dargestellten zutreffenden öffentlichen Interessen, nämlich, daß eine im Verwaltungsverfahren getroffene rechtskräftige Entscheidung über die Beitragspflicht der verstorbenen Einspruchswerberin in einer allenfalls noch notwendigen Auseinandersetzung mit den Rechtsnachfolgern rechtliche Vorteile bringe, weiterhin zuständig (vgl. dazu in ähnlichem Zusammenhang das Erkenntnis vom 21. März 1985, Zl. 84/08/0144). Ob eine solche Zuständigkeit auch dann zu bejahen wäre, wenn die Verlassenschaft nach M nicht in das Einspruchsverfahren eingetreten wäre, braucht im Beschwerdefall nicht geprüft zu werden. Die von der Beschwerdeführerin in der Beschwerde zitierten Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes stehen, wie sie ebenfalls mit Recht ausführt, der nunmehr vertretenen Auffassung des Verwaltungsgerichtshofes nicht entgegen, weil es in den diesen Erkenntnissen zugrunde liegenden Beschwerdefällen um die Beurteilung der Verpflichtung von Gesamt- oder Einzelrechtsnachfolgern zur Entrichtung von Beitragsverbindlichkeiten ihrer Rechtsvorgänger ging.

Da die belangte Behörde somit zu Unrecht ihre Zuständigkeit zu einer Sachentscheidung über den Einspruch verneinte, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung des Bundeskanzlers BGBl. Nr. 104/1991.

Schlagworte

Anspruch auf bescheidmäßige Erledigung und auf Zustellung, Recht der Behörde zur Bescheiderlassung Feststellungsbescheide Beschränkungen der Abänderungsbefugnis Beschränkung durch die Sache Besondere Rechtsprobleme Beschränkungen der Abänderungsbefugnis Beschränkung durch die Sache Bindung an den Gegenstand des vorinstanzlichen Verfahrens Allgemein Parteibegriff Parteistellung strittige Rechtsnachfolger Zustellung Tod Ableben Beitragsschuldner

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1992:1988080026.X00

Im RIS seit

25.01.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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