TE Vwgh Erkenntnis 1992/12/15 92/11/0154

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Veröffentlicht am 15.12.1992
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
40/01 Verwaltungsverfahren;
90/02 Kraftfahrgesetz;

Norm

AVG §52;
KDV 1967 §34 Abs1 litb;
KDV 1967 §34 Abs3;
KFG 1967 §75 Abs1;
VwGG §34 Abs1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Baumgartner und die Hofräte Dr. Waldner, Dr. Bernard, Dr. Graf und Dr. Gall als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Lenhart, über die Beschwerde des A in P, vertreten durch Dr. C, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Burgenland vom 29. April 1992, Zl. VI/2-425/1-1992, betreffend Aufforderung gemäß § 75 Abs. 2 KFG 1967, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 3.035,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Auf Grund des näher umschriebenen verkehrsauffälligen Verhaltens des Beschwerdeführers vom 5. März 1991 regte das Landesgendarmeriekommando Niederösterreich, Verkehrsabteilung, bei der Bezirkshauptmannschaft eine Überprüfung der "erforderlichen Verläßlichkeit" des Beschwerdeführers an. In dem gemäß § 75 Abs. 1 KFG 1967 eingeleiteten Ermittlungsverfahren ersuchte die Bezirkshauptmannschaft unter anderem ihren Amtsarzt um Erstellung eines Gutachtens über die geistige und körperliche Eignung des Beschwerdeführers zum Lenken von Kraftfahrzeugen. Mit Schreiben vom 17. September 1991 äußerte sich der Amtsarzt dahingehend, daß sich bei einer Untersuchung des Beschwerdeführers am 24. Mai 1991 deutliche Hinweise auf ein organisches Psychosyndrom ergeben hätten, sodaß zur Abklärung eine Untersuchung des Beschwerdeführers an der Psychiatrischen Universitätsklinik Wien erforderlich sei, der Beschwerdeführer einer Zuweisung dorthin aber keine Folge geleistet habe.

Daraufhin forderte die Bezirkshauptmannschaft den Beschwerdeführer mit Mandatsbescheid vom 19. September 1991 auf, sich bis spätestens 30. November 1991 einer amtsärztlichen Überprüfung seiner Eignung zum Lenken von Kraftfahrzeugen zu unterziehen und die für die Erstattung des ärztlichen Gutachtens erforderlichen Befunde zu erbringen.

Der Beschwerdeführer erhob Vorstellung und legte gleichzeitig den nervenärztlichen Befundbericht des Dr. V, Facharzt für Neurologie und Psychiatrie, vom 27. September 1991 vor. Dieser lautet:

"Anamnese:

1987 cerebraler Insult mit isolierter motorischer Aphasie,

wobei keine Paresen bestanden. Die Aphasie besserte sich in der Folge durch häusliches Training wesentlich.

Neurol.Status:

Caput Hirnnerven keine Auffälligkeiten.

OE geringe Pronationstendenz rechts, sonst keine Paresen, keine Pyramidenzeichen, keine cerebellären Zeichen, FNV seitengleich unauffällig.

UE keine faßbaren Paresen, BSRA seitengleich, mittellebhaft, keine Pyramidenzeichen.

Psyche: Bewußtseinsklar, allseits orientiert, keine wesentlich faßbare Beeinträchtigung der noonpsychischen Items, Stimmungslage ausgeglichen, affektiv korrespondierend, derzeit keine produktive Symptomatik.

Neuropsychologie: mäßiggradig ausgeprägte, motorische Aphasie bei völlig erhaltenem Sprachverständnis.

Zusammenfassung: Zustand nach Insult im Stromgebiet der linken A.cerebri media mit geringstgradigen rechts Halbseitenzeichen und mäßiggradig ausgeprägter motorischer Aphasie.

Derzeit finde ich im klinischen Bild KEINEN Hinweis auf ein organisches Psychosyndrom".

Zur Stellungnahme aufgefordert, äußerte sich der Amtsarzt der Bezirkshauptmannschaft am 10. Oktober 1991 dahingehend, daß auf Grund der Hinweise auf ein organisches Psychosyndrom eine Untersuchung durch die Psychiatrische Universitätsklinik Wien, bei der mittels Testgeräten auch die kraftfahrspezifische Leistungsfähigkeit überprüft werde, erforderlich sei. In der Folge wurde der Beschwerdeführer mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft vom 25. November 1991 gemäß § 75 Abs. 2 KFG 1967 aufgefordert, sich bis spätestens 17. Jänner 1992 einer amtsärztlichen Überprüfung seiner Eignung zum Lenken von Kraftfahrzeugen zu unterziehen und den für die Erstattung des ärztlichen Gutachtens erforderlichen Befund der Psychiatrischen Universitätsklinik Wien zu erbringen.

Der Beschwerdeführer bestritt in seiner Berufung die Notwendigkeit dieses Gutachtens insbesondere mit dem Argument, daß in dem vorgelegten nervenärztlichen Befundbericht das vom Amtsarzt vermutete organische Psychosyndrom ausdrücklich verneint werde, der Amtsarzt sich damit aber nicht auseinandergesetzt habe.

Die Berufungsbehörde holte zur Frage der Notwendigkeit eines Befundes der Psychiatrischen Universitätsklinik Wien ein Gutachten eines medizinischen Amtssachverständigen ein. Dieses lautet wie folgt:

"Am 5. März 1991 zog Herr A durch verkehrsauffälliges Verhalten die Aufmerksamkeit einer Zivilstreife der Gendarmerie auf sich. Laut Angaben der Gendarmeriebeamten mißachtete er ein Vorangzeichen, fuhr in eine Kreuzung ein, obwohl ersichtlich war, daß er den Kreuzungsbereich nicht verlassen konnte, und behinderte so den Querverkehr, ohne sich alldessen nach Befragung bewußt gewesen zu sein.

Im Rahmen der daraufhin am 24.5.1991 erfolgten a.ä. Untersuchung fanden sich laut Aktenlage deutliche GEDÄCHTNISSTÖRUNGEN, vor allem des Langzeitgedächtnisses, sowie auffällige AUFFASSUNGSSCHWIERIGKEITEN sowie ein CEREBRALER INSULT 1987 in der Vorgeschichte. Es bestand somit der Verdacht auf eine Erkrankung des Zentralnervensystems, die das sichere Beherrschen des KFZ und das Einhalten der für das Lenken des KFZ geltenden Vorschriften beeinträchtigen kann.

Der betreffende Amtsarzt äußerte aufgrund des Befundes und der Vorgeschichte den Verdacht auf ein organisches Psychosyndrom. Von Herrn A wurde ein nervenärztlicher Befundbericht des Herrn Dr. V, Facharzt für Neurologie und Psychiatrie, beigebracht. In diesem befand sich zwar kein Hinweis auf ein organisches Psychosyndrom, aber geringstgradige HALBSEITENZEICHEN rechts und eine mäßiggradig ausgeprägte motorische Aphasie bei völlig erhaltenem Sprachverständnis nach einem Schlaganfall 1987. Im Sinne von § 34 (1) lit. b und § 34 (3) KDV genügt der vorliegende neurologische Befund nicht, da er keine Prüfung der kraftfahrspezifischen Leistungsfähigkeit beinhaltet und nur durch eine solche die Verkehrstauglichkeit des Herrn A durch den Amtsarzt beurteilt werden kann.

Es ist somit aus a.ä. Sicht eine nervenfachärztliche Untersuchung mit Prüfung der kraftfahrspezifischen Leistungsfähigkeit erforderlich, da aufgrund des Befundes und der Vorgeschichte der begründete Verdacht auf eine organische Erkrankung des Zentralnervensystems besteht, die die Verkehrstauglichkeit beeinträchtigen könnte, und daher nur nach Vorlage dieses nervenfachärztlichen Gutachtens der Psychiatrischen Universitätsklinik Wien eine amtsärztliche Begutachtung der Führerscheintauglichkeit möglich ist."

Mit Bescheid vom 29. April 1992 gab der Landeshauptmann von Burgenland der Berufung dahingehend Folge, "daß die Frist für die amtsärztliche Überprüfung der körperlichen und geistigen Eignung zum Lenken eines Kraftfahrzeuges und die Erbringung des für die Erstattung des ärztlichen Gutachtens erforderlichen Befundes von seiten der Psychiatrischen Universitätsklinik Wien, die eine Überprüfung der kraftfahrspezifischen Leistungsfähigkeit zu beinhalten hat, auf 8 Wochen ab Zustellung dieses Bescheides erstreckt wird". Im übrigen wurde die Berufung abgewiesen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende

Beschwerde.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Nach der Begründung des angefochtenen Bescheides schloß sich die belangte Behörde der Auffassung ihres ärztlichen Amtssachverständigen an, daß auf Grund des Befundes und der Vorgeschichte beim Beschwerdeführer der begründete Verdacht auf eine organische Erkrankung des zentralen Nervensystems bestehe, die seine Verkehrstauglichkeit beeinträchtigen könnte. Von der offensichtlichen Entbehrlichkeit "der Erbringung der erforderlichen Untersuchung" könne nicht ausgegangen werden. Der Beschwerdeführer habe lediglich einen nervenärztlichen Befundbericht beigebracht, der keine Prüfung der kraftfahrspezifischen Leistungsfähigkeit umfasse.

Der Beschwerdeführer bestreitet, daß bei ihm die Voraussetzungen für die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens nach § 75 Abs. 1 KFG 1967 bestanden haben und hält weiters im Hinblick auf den von ihm beigebrachten nervenärztlichen Befundbericht das Verlangen nach Beibringung eines Befundes der Psychiatrischen Universitätsklinik Wien für nicht berechtigt.

Anlaß für das Verlangen nach Beibringung eines solchen Befundes war der vom Amtsarzt der Erstbehörde auf Grund seiner Untersuchung des Beschwerdeführers und der Vorgeschichte geschöpfte Verdacht auf das Vorliegen eines organischen Psychosyndroms. Die "Vorgeschichte" bestand darin, daß der Beschwerdeführer laut Anzeige des Landesgendarmeriekommandos für Niederösterreich am 5. März 1991, nachdem er bei einem Linkseinbiegemanöver den Querverkehr erheblich behindert und in der Folge "eine Vielzahl" eindeutiger Aufforderungen zum Anhalten nicht befolgt hatte, den einschreitenden Gendarmerieorganen gegenüber glaubhaft erklärt habe, er habe sein Fehlverhalten überhaupt nicht wahrgenommen. Bei der Untersuchung vom 24. Mai 1991 stellte der Amtsarzt der Erstbehörde beim Beschwerdeführer Gedächtnisstörungen, vor allem des Langzeitgedächtnisses, sowie auffällige Auffassungsschwierigkeiten fest. Der Amtsarzt erblickte darin deutliche Hinweise auf ein "organisches Psychosyndrom" (laut Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch, 255. Auflage, S. 1384: Bei einer Hirnschädigung auftretendes Syndrom). Damit bestanden im Sinne des § 75 Abs. 1 KFG 1967 begründete Bedenken dahin, daß beim Beschwerdeführer die erforderliche geistige und körperliche Eignung zum Lenken von Kraftfahrzeugen (§ 64 Abs. 2 KFG 1967) nicht mehr gegeben sein könnte. Daran vermögen die vom Beschwerdeführer genannten Umstände (Geringfügigkeit der von ihm begangenen Verwaltungsübertretung, Fehlen nachteiliger Folgen, mehr als 30jährige unfallfreie Lenkpraxis) nichts zu ändern. Im Hinblick auf das Bestehen begründeter Bedenken in der aufgezeigten Richtung lagen entgegen der Meinung des Beschwerdeführers die Voraussetzungen für die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens gemäß § 75 Abs. 1 KFG 1967 vor.

Der entstandene Verdacht ging in Richtung des Vorliegens einer organischen Erkrankung des zentralen Nervensystems des Beschwerdeführers im Sinne des § 34 Abs. 1 lit. b KDV 1967. Nach dem 3. Absatz dieser Verordnungstelle ist dann, wenn sich aus der Vorgeschichte oder bei der Untersuchung zur Feststellung der Gesundheit ein solcher krankhafter Zustand ergibt, der die Eignung des Betreffenden zum Lenken von Kraftfahrzeugen einschränken oder ausschließen würde, eine Untersuchung durch einen entsprechenden Facharzt, die eine Prüfung der kraftfahrspezifischen Leistungsfähigkeit einzubeziehen hat, anzuordnen. Demnach hat der vom Facharzt zu erstellende Befund jedenfalls auch eine Beurteilung der kraftfahrspezifischen Leistungsfähigkeit des Betreffenden zu umfassen. Diesem Erfordernis wird ein Befund, der eine solche Beurteilung nicht enthält, sondern sich auf eine Beurteilung unter dem Blickwinkel des in Betracht kommenden medizinischen Fachgebietes beschränkt, nicht gerecht.

Ein solcher Fall liegt hier vor. Die Erstbehörde verlangte vom Beschwerdeführer die Beibringung eines Befundes der Psychiatrischen Universitätsklinik Wien. Dem lag (wie sich aus der Gegenschrift der belangten Behörde ergibt) die Erfahrung zugrunde, daß die von Fachärzten dieser Klinik erstellten Befunde den Anforderungen der in Rede stehenden Verordnungsstelle in Ansehung der Beurteilung der kraftfahrspezifischen Leistungsfähigkeit entsprechen. Der Beschwerdeführer brachte von sich aus lediglich einen fachärztlichen Befund bei, der keine Beurteilung seiner kraftfahrspezifischen Leistungsfähigkeit enthielt. Dieser Befund entsprach daher, wie die belangte Behörde richtig erkannte, nicht dem Erfordernis des § 34 Abs. 3 KDV 1967. Die mit dem angefochtenen Bescheid aufrechterhaltene Aufforderung zur Beibringung eines umfassenden Befundes im Sinne dieser Verordnungsstelle steht mit der bestehenden Rechtslage im Einklang. Das Beschwerdevorbringen, mit dem der Beschwerdeführer die Entbehrlichkeit des verlangten Befundes unter Hinweis auf den von ihm vorgelegten Befund darzutun versucht, ist aus dem angeführten Grund nicht berechtigt.

Auch das Vorbringen, die belangte Behörde sei nicht berechtigt, die Beibringung des Befundes eines namentlich bestimmten Arztes zu verlangen, läßt keine Verletzung von Rechten des Beschwerdeführers erkennen. Wie dargetan, lag der Aufforderung zur Beibringung eines Befundes der Psychiatrischen Universitätsklinik Wien die Erfahrung zugrunde, daß von den dort tätigen Fachärzten im Sinne des § 34 Abs. 3 KDV 1967 vollständige Befunde erstellt werden. Es ist nicht ersichtlich, daß durch diese Vorgangsweise allein schon Rechte des Beschwerdeführers verletzt worden sein könnten. Anderes gälte gegebenenfalls dann, wenn der Beschwerdeführer einen tauglichen und im besagten Sinne vollständigen Befund eines anderen Facharztes vorgelegt und die belangte Behörde dessen ungeachtet die Entziehung der Lenkerberechtigung wegen Nichtbeibringung eines Befundes des von ihr bestimmten Arztes ausgesprochen hätte. Dies war jedoch nicht der Fall, weshalb sich nähere Ausführungen dazu erübrigen.

Aus den dargelegten Erwägungen war die Beschwerde gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Der Zuspruch von Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991.

Schlagworte

Sachverständiger Fakultätsgutachten

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1992:1992110154.X00

Im RIS seit

12.06.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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