TE Vwgh Erkenntnis 1993/3/11 92/18/0441

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Veröffentlicht am 11.03.1993
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Index

001 Verwaltungsrecht allgemein;
40/01 Verwaltungsverfahren;
60/02 Arbeitnehmerschutz;

Norm

AAV §61 Abs3;
AAV §61 Abs4;
BArbSchV §16 Abs2;
VStG §44a Z1;
VStG §44a Z2;
VwRallg;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. Jabloner und die Hofräte Dr. Zeizinger und Dr. Graf als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Wildmann, über die Beschwerde des N in X, vertreten durch Dr. P, Rechtsanwalt in I, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Tirol vom 16. September 1992, Zl. Vd-16.606/13, betreffend Bestrafung wegen Übertretung von Arbeitnehmerschutzvorschriften, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 11.570,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

I.

1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid des Landeshauptmannes von Tirol (der belangten Behörde) vom 16. September 1992 wurde der Beschwerdeführer als handelsrechtlicher Geschäftsführer einer bestimmt bezeichneten Gesellschaft m.b.H. schuldig erkannt, nicht ausreichend dafür Sorge getragen zu haben, daß die arbeitnehmerschutzrechtlichen Bestimmungen eingehalten werden,

"da bei der am 21.6.1990 auf der Baustelle "Mehrfamilienhaus H" in S durch einen Vertreter des Arbeitsinspektorates Innsbruck durchgeführten Kontrolle festgestellt wurde, daß entgegen § 16 Abs. 2 der Bauarbeiterschutzverordnung, BGBl. Nr. 267/54 in Verbindung mit § 61 Abs. 3 und 4 der Allgemeinen Arbeitnehmerschutzverordnung, BGBl. Nr. 218/1983, der zulässige Böschungswinkel der 8,00 m tiefen Baugrube der südöstlichen Kellermauer sowie Teile der östlichen und westlichen Baugrubenwände überschritten wurde, obwohl der Boden extrem naß und daher weich war. Die Baugrubenwände hatten im südlichen Bereich eine Neigung von mehr als 80 Grad, obwohl bei steifen oder halbfest bindigen Böden der Böschungswinkel höchstens 60 Grad betragen darf. Zur Sicherung der Baugrube wurden auch keine anderen Schutzmaßnahmen, wie z.B. Pölzungen, getroffen".

Der Beschwerdeführer habe dadurch eine Übertretung nach § 31 Abs. 2 lit. p iVm § 33 Abs. 7 und 1 lit. a Z. 12 des Arbeitnehmerschutzgesetzes, BGBl. Nr. 234/1972, begangen. Gemäß § 31 Abs. 2 leg. cit. wurde über ihn eine Geldstrafe (Ersatzfreiheitsstrafe) verhängt.

2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften erhobene Beschwerde, mit dem Begehren, den angefochtenen Bescheid aus diesen Gründen kostenpflichtig aufzuheben.

3. Die belangte Behörde erstattete unter gleichzeitiger Vorlage der Akten des Verwaltungsstrafverfahrens eine Gegenschrift, in der sie die Abweisung der Beschwerde als unbegründet beantragt.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. Die von der belangten Behörde als Übertretungsnormen i. S. des § 44a Z. 2 VStG herangezogenen Bestimmungen des § 16 Abs. 2 der Bauarbeiterschutzverordnung (BSchV) und des § 61 Abs. 3 und 4 der Allgemeinen Arbeitnehmerschutzverordnung-AAV lauten wie folgt:

"§ 16 (2) Die Wände von Baugruben und Gräben müssen eine der örtlichen Standfestigkeit des Materials entsprechende Abböschung haben oder sachgemäß gepölzt werden.

(3) Beim Ausheben von Gruben, Gräben oder Künetten von mehr als 1,25 m Tiefe, sind deren Wände unter Berücksichtigung der örtlichen Standfestigkeit des Bodens, der Wasserverhältnisse, der Auflasten sowie auftretender Erschütterungen mit dem Aushub fortschreitend so abzuböschen oder zu verbauen, daß Arbeitnehmer durch abrutschendes Material nicht gefährdet werden können; wenn schlechte Bodenverhältnisse oder besondere Einflüsse, wie Erschütterungen durch den Straßenverkehr, vorliegen, müssen auch schon bei einer geringeren Tiefe entsprechende Sicherungsmaßnahmen getroffen sein. Untergraben ist unzulässig, Überhänge sind unverzüglich zu beseitigen.

(4) Der Böschungswinkel darf im allgemeinen bei nichtbindigen oder weichen bindigen Böden höchstens 45 Grad, bei steifen oder halbfesten bindigen Böden höchstens 60 Grad, bei leichtem Fels höchstens 80 Grad und bei schwerem Fels höchstens 90 Grad betragen. Sofern damit zu rechnen ist, daß sich der Zusammenhalt des Bodens durch Austrocknen, Eindringen von Wasser, Frost oder durch Bildung von Rutschflächen verschlechtern kann, müssen flachere Böschungen hergestellt oder die Böschungsflächen gegen diese Einflüsse geschützt sein."

2.1. Der Tatbestand des § 16 Abs. 2 BSchV ist seinem Wortlaut folgend dahin zu verstehen, daß Wände von Baugruben und Gräben nach ihrer Fertigstellung und unabhängig von einer konkreten Gefährdung der Arbeitnehmer eine entsprechende Abböschung aufweisen oder sachgemäß gepölzt sein müssen. Nicht hingegen wird durch diese Bestimmung angeordnet, daß die Wände während des Aushubes der Baugruben und Gräben durch entsprechende Abböschung oder sachgemäße Pölzung zu sichern sind.

2.2. Demgegenüber normiert § 61 Abs. 3 AAV die Verpflichtung des Arbeitgebers, während des Aushubes (arg.:

"Beim Ausheben von Gruben, Gräben ... mit dem Aushub fortschreitend so abzuböschen ...") für eine entsprechende - nach Maßgabe des Abs. 4 - Abböschung der Wände zu sorgen, um eine konkrete Gefährdung der Arbeitnehmer zu verhindern.

3. Die von der belangten Behörde aus dem Spruch des Straferkenntnisses unverändert übernommene Tatumschreibung ist nicht ausreichend konkret, um den Anforderungen des § 44a Z. 1 VStG zu genügen. Es bleibt nämlich zweifelhaft, wofür der Beschwerdeführer bestraft worden ist. Dem Spruch des Straferkenntnisses ist nicht zu entnehmen, ob es sich bei der vom Arbeitsinspektor am 21. Juni 1990 kontrollierten Baugrube um eine bereits fertiggestellte oder eine noch im Stadium des (fortschreitenden) Aushubes befindliche Baugrube handelte. Dieses Sachverhaltselement ist wesentlich, weil erst dadurch eine eindeutige rechtliche Beurteilung (Subsumtion) des dem Beschwerdeführer angelasteten Verhaltens möglich wird. Dies hat die belangte Behörde nicht erkannt, weshalb sie es auch (insoweit konsequenterweise) unterlassen hat, dieses für den maßgeblichen Sachverhalt bedeutsame Merkmal zu ermitteln und festzustellen, somit gar nicht in der Lage war, die von ihr als erwiesen angenommene Tat in der bezeichneten Weise spruchmäßig zu konkretisieren. Diesen inhaltlichen Mangel vermochte die belangte Behörde auch nicht dadurch zu beseitigen, daß sie § 16 Abs. 2 BSchV "in Verbindung mit" § 61 Abs. 3 und 4 AAV als übertreten erachtete; vielmehr unterstreicht dieser Umstand das Verkennen der Rechtslage. Der, wie dargetan, in rechtserheblicher Weise voneinander abweichende Inhalt des § 16 Abs. 2 BSchV einerseits und des § 61 Abs. 3 und 4 AAV anderseits läßt keine Subsumtion in Form des "Sowohl-als-Auch", sondern nur in Form des "Entweder-Oder" zu.

4. Nach dem Gesagten war der angefochtene Bescheid - ohne daß es eines Eingehens auf das Beschwerdevorbringen bedurfte - gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

5. Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 und 48 Abs. 1 Z. 1 und 2 VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991.

Schlagworte

"Die als erwiesen angenommene Tat" Begriff Tatbild Beschreibung (siehe auch Umfang der Konkretisierung) Verwaltungsvorschrift Mängel im Spruch falsche Subsumtion der Tat

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1993:1992180441.X00

Im RIS seit

11.07.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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