TE Vwgh Erkenntnis 1993/3/30 92/08/0216

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Veröffentlicht am 30.03.1993
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Index

001 Verwaltungsrecht allgemein;
62 Arbeitsmarktverwaltung;
66/02 Andere Sozialversicherungsgesetze;
68/02 Sonstiges Sozialrecht;

Norm

AlVG 1977 §10 Abs1;
AlVG 1977 §8 Abs1;
AlVG 1977 §8;
AlVG 1977 §9 Abs1;
AlVG 1977 §9;
AMFG §19 Abs1 litb;
VwRallg;

Beachte

Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden): 92/08/0267 93/08/0005

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Liska und die Hofräte Dr. Knell, Dr. Müller, Dr. Novak und Dr. Händschke als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Schwächter, über die Beschwerden des G in L,

a) vertreten durch Dr. R, Rechtsanwalt in L, gegen den aufgrund des Beschlusses des Unterausschusses des zuständigen Verwaltungsausschusses für das Landesarbeitsamt Oberösterreich ausgefertigten Bescheid vom 13. Juni 1992, Zl. IVa-AlV-7022-O-B/VNR.3387 240757/Linz, betreffend Verlust der Notstandshilfe gemäß § 10 AlVG für den Zeitraum vom 2. April bis 27. Mai 1992,

b) vertreten durch Dr. G, Rechtsanwalt in L, gegen den aufgrund des Beschlusses des Unterausschusses des zuständigen Verwaltungsausschusses für das Landesarbeitsamt Oberösterreich ausgefertigten Bescheid vom 20. Oktober 1992, Zl. IVa-AlV-7022-O-B/3387/240757/Linz, betreffend Verlust der Notstandshilfe gemäß § 10 AlVG für die Zeit vom 27. Juli 1992 bis 20. September 1992, sowie

c) vertreten durch Dr. H, Rechtsanwalt in L, gegen den aufgrund des Beschlusses des Unterausschusses des zuständigen Verwaltungsausschusses für das Landesarbeitsamt Oberösterreich ausgefertigten Bescheid vom 17. September 1992, Zl. IVa-AlV-7022-O-B 3387 240757/Linz, betreffend Verlust der Notstandshilfe für die Zeit vom 29. Mai bis 23. Juli 1992, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Bescheide werden wegen Rechtswidrigkeit ihres Inhaltes aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für Arbeit und Soziales) hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen von je S 11.120,-- (insgesamt somit S 33.360,--), zu Handen des jeweiligen Beschwerdevertreters, binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Das in den zu Zlen. 92/08/0216 und 0267 protokollierten Beschwerden gestellte Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

1. Nach der (insoweit vom Beschwerdeführer nicht bestrittenen) Aktenlage ist der Beschwerdeführer mit kurzen Unterbrechungen seit 1982 arbeitslos.

Mit Schreiben des Arbeitsamtes vom 1. April 1992 wurde dem Beschwerdeführer folgendes mitgeteilt:

"Betrifft: Arbeitsmarktausbildung gemäß § 19 (1) b, § 20 (2)

AMFG; Renovierungsprojekt Linz

von 01.01.92 bis 31.12.92 (SDG-Nr: 14356)

Durchführung: BFI Erwachsenenbildung

Sehr geehrter (Beschwerdeführer)

Wir haben für Sie einen Platz in diesem Renovierungsprojekt

reserviert und laden Sie zur Teilnahme an diesem Arbeitstraining ab 2.4.92, 9 Uhr, ein.

Kursort: Caritas Heim ...

Das Arbeitstraining ist Ihren individuellen Fähigkeiten und Möglichkeiten angepaßt; die Teilnahme ist verbindlich. Das Arbeitsamt gewährt Ihnen Beihilfen gemäß dem § 19 Abs. 1 lit. b und 20 Abs. 2 AMFG. Die Begehrensstellung erfolgt am ersten Kurstag im Projekt.

Ohne diesem Begehren ist eine Auszahlung von Leistungen nach dem AMFG nicht möglich.

Wir danken für Ihr Interesse und wünschen Ihnen einen guten Ausbildungserfolg

Mit freundlichen Grüßen"

Nach einer mit dem Beschwerdeführer am 3. April 1992 beim Arbeitsamt aufgenommenen Niederschrift erklärte dieser "trotz Belehrung über die Rechtsfolgen nach § 10 AlVG 1977 (Verlust des Anspruches auf AIG/NH für die Dauer der Weigerung, mindestens aber für die Dauer von vier Wochen)", daß er nicht bereit sei sich "der Nach-(Um)schulung zu unterziehen". Einen Kommentar dazu verweigerte der Beschwerdeführer ebenso wie seine Unterschrift. Die Niederschrift wurde daher nur von einer Beamtin des Arbeitsamtes als "Leiter der Amtshandlung" und einer weiteren, namentlich genannten Person "als Zeugin" unterfertigt.

Die "Leiterin der Amtshandlung" erstattete dazu folgende Stellungnahme:

"Am 1. April 1992 wurde (der Beschwerdeführer) darüber informiert, daß beim Renovierungsprojekt (§ 26 Kurs) ein Platz für ihn frei geworden wäre, und daß er ab 2. April 1992, 9.00 Uhr, an dieser Kursmaßnahme teilnehmen könne. (Der Beschwerdeführer) wurde ausdrücklich darauf aufmerksam gemacht, daß die Teilnahme an diesem Kurs verpflichtend ist, andernfalls müsse er mit einer Sperrfrist gemäß § 10 AlVG rechnen ... Beim Renovierungsprojekt handelt es sich um ein sogenanntes Sozialprojekt für Langzeitarbeitslose ohne oder mit nicht verwertbarer Ausbildung, denen auf diesem Weg der Wiedereinstieg ins Erwerbsleben erleichtert werden soll. Auf die sozialen und gesundheitlichen Probleme der Kursteilnehmer wird von ausgebildeten Trainern besonders Rücksicht genommen.

(Der Beschwerdeführer) entschloß sich jedoch bereits nach nicht

einmal einer Stunde - ohne die ihm zugewiesene Arbeit auch nur

begonnen zu haben - den Kursort zu verlassen. (Der

Beschwerdeführer) erschien zum heutigen Kontrolltermin, wollte

sich aber nicht darüber äußern, ob er gedenke, sich wieder beim

Renovierungsprojekt einzufinden oder nicht. ... Aufgrund des

bisherigen Verhaltens (des Beschwerdeführers) kann von der

Beraterin angenommen werden, daß (der Beschwerdeführer) kein

Interesse daran hat, diese Hilfestellung zur Reintegration am

Arbeitsmarkt, die ihm vom Arbeitsamt ... angeboten wurde,

auszunützen. Die Verhängung einer Sperrfrist gemäß § 10 AlVG erscheint daher angebracht."

Aus einer Stellungnahme des "BFI Renovierungsprojekt" vom 7. April 1992 geht hervor, daß sich der Beschwerdeführer am 2. April 1992 um 9.00 Uhr im Renovierungsprojekt vorgestellt habe. Nach Bekanntgabe seiner körperlichen Einschränkungen sei man übereingekommen, daß er ab sofort im Projekt mitarbeiten könne. Die "Kursregeln" seien mit dem Beschwerdeführer besprochen worden, er habe Schutzhandschuhe und einen Arbeitsmantel bekommen. Ab diesem Zeitpunkt habe er jede Zusammenarbeit verweigert, ebenso, seinen Arbeitsplatz aufzusuchen bzw. ihn zu besichtigen. Weiters habe er es abgelehnt, sein Werkzeug anzunehmen bzw. den Werkzeugraum zu besichtigen. Da sich kein Kompromiß finden ließ, sei ihm ein unentschuldigter Tag eingetragen worden.

Mit Bescheid vom 15. April 1992 sprach das Arbeitsamt aus, daß der Beschwerdeführer gemäß § 38 in Verbindung mit § 10 AlVG 1977 den Anspruch auf Notstandshilfe für den Zeitraum vom 2. April 1992 bis 27. Mai 1992 verloren habe, weil er sich ohne wichtigen Grund geweigert habe, an der Arbeitsmarktausbildung "Renovierungsprojekt" teilzunehmen. Gründe für eine Nachsicht lägen nicht vor. Der Beschwerdeführer erhob Berufung.

2. Einem nicht datierten Aktenvermerk der Betreuerin des Beschwerdeführers beim Arbeitsamt zufolge sei dem Beschwerdeführer am 12. Mai 1992 "mittels RSA" neuerlich ein Einladungsschreiben zum Renovierungsprojekt zugesandt worden, wobei als erster Tag der Teilnahme der 29. Mai 1992 genannt worden sei. Der Beschwerdeführer sei diesmal nicht einmal beim Renovierungsprojekt erschienen. Eine Stellungnahme, warum er am Projekt nicht teilnehmen möchte, habe er verweigert. Aus einer am 29. Mai 1992 aufgenommenen Niederschrift mit dem Beschwerdeführer ergibt sich, daß dieser neuerlich erklärt habe nicht bereit zu sein, sich der "Nach-(Um)schulung" zu unterziehen, und daß er dazu keinen Kommentar abgebe. Der Beschwerdeführer verweigerte neuerlich die Unterschrift.

Mit Bescheid vom 22. Juni 1992 stellte das Arbeitsamt fest, daß der Beschwerdeführer den Anspruch auf Notstandshilfe gemäß § 38 in Verbindung mit § 10 AlVG 1977 für den Zeitraum vom 29. Mai 1992 bis 23. Juni 1992 aus den gleichen Gründen, wie sie bereits im Bescheid vom 15. April 1992 genannt wurden, verloren habe. Der Beschwerdeführer erhob Berufung.

3. Einer vom Arbeitsamt mit dem Beschwerdeführer aufgenommenen Niederschrift vom 27. Juli 1992 zufolge sei dem Beschwerdeführer vom Arbeitsamt am 15. Juli 1992 mit Arbeitsantritt 27. Juli 1992 der Auftrag erteilt worden, sich einer Nach-(Um)schulung als Bauhilfsarbeiter im bereits wiederholt genannten Renovierungsprojekt zu unterziehen. Dazu erklärte der Beschwerdeführer neuerlich, nicht bereit zu sein und keinen weiteren Kommentar abzugeben. Auch diesmal verweigerte der Beschwerdeführer die Unterschrift.

Mit Bescheid vom 12. August 1992 sprach das Arbeitsamt aus, daß der Beschwerdeführer gemäß § 38 in Verbindung mit § 10 AlVG 1977 den Anspruch auf Notstandshilfe für den Zeitraum vom 27. Juli 1992 bis 20. September 1992 verloren habe und Nachsicht nicht erteilt worden sei.

Der Beschwerdeführer erhob auch gegen diesen Bescheid Berufung.

4. In seiner Berufung gegen den Bescheid des Arbeitsamtes vom 15. April 1992 führte der Beschwerdeführer folgendes aus:

"Nachdem dieses Renovierungsprojekt eine einzige Baustelle darstellt und Bauarbeit bekanntlich als sehr schwere Arbeit anzusehen ist, konnte oder wollte man dort nicht auf meinen gesundheitlichen Zustand eingehen. Herr B.P. und Herr H.K. erklärten, sollte ich diese Bauarbeiten nicht machen, bekomme ich kein Geld. Da keine andere Arbeit für mich da war, mußte ich wieder gehen. Wie weit dieses "Renovierungsprojekt" als Nach- oder Umschulung im Sinne des Gesetzes (AlVG) anzusehen ist, könnte man dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung überlassen."

In seiner Berufung gegen den Bescheid des Arbeitsamtes vom 22. Juni 1992 brachte der Beschwerdeführer vor, daß "der im Bescheid enthaltene Vorwurf ... nicht richtig" sei und er daher ersuche, seine Bezüge auszuzahlen.

Die Berufung des Beschwerdeführers gegen den Bescheid vom 12. August 1992 ist gleichlautend wie jene gegen den Bescheid vom 22. Juni 1992.

5. Im Berufungsverfahren gegen den Bescheid des Arbeitsamtes vom 15. April 1992 holte die belangte Behörde eine Stellungnahme der für den Beschwerdeführer zuständigen Beamtin des Arbeitsamtes ein, die darin folgendes ausführte:

"(Der Beschwerdeführer) ist mit kurzen Unterbrechungen seit 1982 arbeitslos. Von seiten der Arbeitsmarktverwaltung wurden, als die normalen Vermittlungsbemühungen nichts fruchteten, bereits vor Jahren Schritte zur Höherqualifizierung gesetzt. So wurde (dem Beschwerdeführer) unter anderem der Hauptschulabschluß und ein Schweißkurs finanziert. Nach zehn Jahren Arbeitslosigkeit ist die Arbeitsmotivation (des Beschwerdeführers) gering und die Möglichkeit, wieder am freien Arbeitsmarkt unterzukommen, kaum mehr vorhanden, weil eine gewisse Arbeitsentwöhnung eingetreten ist und die Bereitschaft der Firmen, Langzeitarbeitslose einzustellen, bekanntermaßen auch kaum gegeben ist. Um diesen Kreislauf zu unterbrechen, wurden von der Arbeitsmarktverwaltung Projekte gestartet, die eine Hilfestellung zur Reintegration am Arbeitsmarkt bieten sollen. Zu diesen sog. "Sozialprojekten" zählt auch das Renovierungsprojekt. Die Betreuer des Renovierungsprojektes sind angehalten, auf die gesundheitliche, soziale und psychische Situation der Kursteilnehmer einzugehen und bei der Problemlösung während der einjährigen Kursdauer behilflich zu sein, ebenso, wie sie auch dafür sorgen, daß sich die Teilnehmer beruflich verwertbare Kenntnisse aneignen. Um (den Beschwerdeführer) nicht zu überfordern, wurde er vor Kursanweisung zum Amtsarzt geschickt, um sich ein genaues Bild über seinen derzeitigen gesundheitlichen Zustand machen zu können. Aufgrund dieses Gutachtens ... vom 6.3.1992 ergeben sich zwar gesundheitliche Einschränkungen, doch sind diese nicht so gravierend, daß dadurch eine Kursteilnahme ausgeschlossen wäre. Die Kursbetreuer wurden aber gebeten, die gesundheitlichen Beschwerden mit (dem Beschwerdeführer) abzuklären und bei der Vergabe der Arbeiten darauf Rücksicht zu nehmen. Laut Kursbetreuer wurde (der Beschwerdeführer) gebeten, aus einem Brett Nägel herauszuziehen, die geeignete Arbeitskleidung (Handschuhe) wurde ihm zur Verfügung gestellt. Daraufhin verließ (der Beschwerdeführer) den Kursort. Aus seiner Berufung entnehme ich nun, daß er diese Arbeit aus gesundheitlichen Gründen nicht ausüben könne. Der Verwaltungsausschuß wird gebeten, das amtsärztliche Gutachten und die bisherige "Karriere" (des Beschwerdeführers) zu beachten und sich selbst ein Urteil zu bilden."

Diese Stellungnahme wurde dem Beschwerdeführer in den wesentlichen Passagen von der belangten Behörde zur Kenntnis gebracht und ihm eine Frist zur Stellungnahme eingeräumt.

In seiner Stellungnahme vom 25. Mai 1992 führte der Beschwerdeführer aus, es sei aus der Stellungnahme eindeutig zu entnehmen, daß es sich nicht um eine Nach- oder Umschulung "im Sinne der Gesetze, sondern um ein "Sozialprojekt" (Renovierungsprojekt)" handle. Es bestehe also kein Grund, ihm seine Bezüge nicht auszubezahlen. Ferner beharrte der Beschwerdeführer darauf, daß er entgegen seinem gesundheitlichen Zustand zu schwerer Bauarbeit gezwungen worden sei. Durch diese Vorgangsweise (der Leiter des Sozialprojektes) und seiner Begegnung mit ihnen sei eine persönliche Feindschaft entstanden, die es ihm unzumutbar mache bei diesem "Arbeitgeber" zu arbeiten. Der Beschwerdeführer habe weiters erkennen müssen, daß in diesem Renovierungsprojekt Vorbestrafte, Obdachlose und Asoziale anwesend seien. Dies bedeute für ihn ein "völlig anders geartetes Milieu". Das Projekt sei daher nicht nur aus gesundheitlichen, sondern auch aus seelischen Gründen nicht zumutbar. Seine Arbeitsmotivation sei alles andere als gering. Das Arbeitsamt habe es nur seit Jahren versäumt "auf (seine) Probleme diesbezüglich einzugehen". Der Beschwerdeführer sei jederzeit bereit, sich nach- oder umschulen zu lassen.

In seinen Stellungnahmen in den beiden anderen Berufungsverfahren brachte der Beschwerdeführer lediglich vor, daß seine Einwände "dieselben geblieben" seien und er ersuche, "die Verwaltungsgerichtshofbeschwerde" abzuwarten.

6. Mit den angefochtenen Bescheiden wurde den Berufungen des Beschwerdeführers nicht stattgegeben und die angefochtenen Bescheide des Arbeitsamtes bestätigt.

Im erstangefochtenen Bescheid führt die belangte Behörde - nach einer Wiedergabe des Verwaltungsgeschehens und der von ihr angewendeten Rechtsvorschriften - aus, daß Maßnahmen der Nachschulung den Zweck hätten, die Kenntnisse im erlernten Beruf aufzufrischen bzw. zu ergänzen und eine Hebung der beruflichen Leistungsfähigkeit durch Vervollkommnung der Fachkenntnisse und Anpassung des Schulungswerbers an die veränderten (gestiegenen) beruflichen Anforderungen zu bewirken. In diesem Sinne sei auch ein Arbeitstraining zu verstehen. Unter diesem seien systematische Arbeitsübungen zur Verbesserung der Arbeitshaltung und zur Steigerung der Arbeitsbelastbarkeit von Personen im Hinblick auf deren Berufseingliederung zu verstehen. Aufgrund dieser Ausführungen stehe fest, daß der Beschwerdeführer dem Auftrag des Arbeitsamtes, sich einer Nachschulung im Renovierungsprojekt zu unterziehen, nicht nachgekommen sei. In Auseinandersetzung mit dem Vorbringen des Beschwerdeführers komme der "Berufungsausschuß" in "freier Würdigung der Beweis- und Sachlage" zur Ansicht, daß der Beschwerdeführer einem Auftrag des Arbeitsamtes, sich einer Nachschulung zu unterziehen, nicht nachgekommen sei. Die sonstigen Einwendungen hinsichtlich der persönlichen Feindschaft mit den Betreuern im Projekt und die Einschränkung der Zumutbarkeit aus seelischen Gründen seien als reine Schutzbehauptungen zu werten.

Die Begründung des zweit- und des drittangefochtenen Bescheides deckt sich im wesentlichen mit jener des erstangefochtenen Bescheides.

7. Gegen diese Bescheide richten sich die zu hg. Zl. 92/08/0216 (erstangefochtener Bescheid), Zl. 92/08/0267 (zweitangefochtener Bescheid) und Zl. 93/08/0005 (drittangefochtener Bescheid) protokollierten Beschwerden, in denen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht und die kostenpflichtige Aufhebung der Bescheide beantragt wird.

Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und Gegenschriften erstattet, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerden beantragt.

8. Der Verwaltungsgerichtshof hat diese Beschwerden aufgrund ihres sachlichen und persönlichen Zusammenhanges miteinander verbunden und darüber (im Beschwerdefall Zl. 92/08/0216 unter Abstandnahme von der beantragten mündlichen Verhandlung aus dem Grunde des § 39 Abs. 2 Z. 6 VwGG) erwogen:

Gemäß 9 AlVG 1977 ist arbeitswillig, wer bereit ist, eine durch das Arbeitsamt vermittelte zumutbare Beschäftigung anzunehmen oder "sich zum Zwecke beruflicher Ausbildung nach- und umschulen zu lassen" oder von einer sonst sich bietenden Arbeitsmöglichkeit Gebrauch zu machen.

Gemäß § 10 Abs. 1 AlVG verliert der Arbeitslose für die Dauer der Weigerung, jedenfalls aber für die Dauer der auf die Weigerung folgenden vier Wochen den Anspruch auf Arbeitslosengeld, wenn er sich weigert, eine ihm vom Arbeitsamt zugewiesene zumutbare Beschäftigung anzunehmen oder die Annahme einer solchen Beschäftigung vereitelt. Liegt im Zeitraum eines Jahres vor dem Beginn eines Anspruchsverlustes bereits ein früherer Anspruchsverlust, so beträgt der im ersten Satz genannte Zeitraum sechs Wochen, im Falle von zwei oder mehr Anspruchsverlusten acht Wochen. Das gleiche gilt, wenn der Arbeitslose sich ohne wichtigen Grund weigert, einem Auftrag zur Nach-(Um)schulung zu entsprechen oder durch sein Verschulden den Erfolg der Nach-(Um)schulung vereitelt.

Zwischen dem Beschwerdeführer und der belangten Behörde ist strittig, ob es sich bei dem "Renovierungsprojekt", dem der Beschwerdeführer zur Arbeitsleistung zugewiesen wurde, um eine "Nach- oder Umschulung" im Sinne der genannten gesetzlichen Bestimmungen handelt.

Nach der von der belangten Behörde im Berufungsverfahren eingeholten Stellungnahme des Arbeitsamtes handelt es sich bei diesem Projekt um eine Maßnahme im Sinne des § 19 Abs. 1 lit. b in Verbindung mit § 26 AMFG.

Gemäß § 19 Abs. 1 lit. b AMFG können zur Erlangung eines Arbeits- oder Ausbildungsplatzes oder zur Sicherung einer Beschäftigung oder Ausbildung Beihilfen gewährt werden, um eine Ein-, Um- oder Nachschulung oder eine unter lit. a (Ausbildung in einem Lehrberuf) nicht erfaßte berufliche Ausbildung zu erleichtern, eine Arbeitserprobung, eine Berufsvorbereitung oder ein Arbeitstraining zu ermöglichen und eine Weiterentwicklung im Beruf zu fördern.

Gemäß § 26 AMFG kann die Durchführung solcher Maßnahmen von den Dienststellen der Arbeitsmarktverwaltung geeigneten Betrieben und Einrichtungen (Ausbildungs- und Schulungseinrichtungen) mit deren Zustimmung übertragen werden, sofern durch diese der mit den Maßnahmen angestrebte Erfolg gewährleistet erscheint.

Nach der Begründung der angefochtenen Bescheide handelte es sich bei dem "Sozialprojekt" um "Arbeitstraining", das heißt (wieder nach der Begründung der angefochtenen Bescheide) um systematische Arbeitsübungen zur Verbesserung der Arbeitshaltung und zur Steigerung der Arbeitsbelastbarkeit von Personen im Hinblick auf deren Berufseingliederung (so auch die Gesetzesmaterialien zum Begriff des Arbeitstrainings im § 19 Abs. 1 lit. b AMFG: vgl. Daniman-Potmesil-Steinbach, Arbeitsmarktförderungsgesetz2, Schriftenreihe des ÖGB Nr. 105, Anmerkung 19 zu § 19 AMFG, Seite 179).

Nach der Systematik des § 19 Abs. 1 lit. b AMFG ist ein Arbeitstraining aber offenbar etwas von Ein-, Um- oder Nachschulung Verschiedenes. Während unter EINSCHULUNG eher die Anpassung des Dienstnehmers an eine andere Verwendung oder die Unterweisung von bisher nicht Beschäftigten verstanden wird, wird unter UMSCHULUNG die Überleitung in einen anderen als den erlernten oder den bisher ausgeübten Beruf bzw. die Umstellung auf eine andere berufliche oder fachliche Tätigkeit verstanden, während Maßnahmen der NACHSCHULUNG den Zweck haben, Kenntnisse im erlernten Beruf aufzufrischen bzw. zu ergänzen (vgl. dazu Daniman-Potmesil-Steinbach, aaO, Anm. 12 ff und die dort angeführten Beispiele).

Nach Auffassung des Verwaltungsgerichtshofes schließt es der Gesetzeswortlaut des § 9 Abs. 1 und des § 10 Abs. 1 dritter Satz AlVG aus, ein "Arbeitstraining" (im Sinne des oben erwähnten Begriffsverständnisses, von dem auch die belangte Behörde ausgeht) der "Nach- bzw. Umschulung" gleichzuhalten. Dies ergibt sich nicht nur aus der Systematik des § 19 Abs. 1 lit. b AMFG, sondern auch aus der verdeutlichenden Wendung im § 9 Abs. 1 AlVG, wonach vom Arbeitslosen nur die Bereitschaft "sich zum Zwecke beruflicher Ausbildung" nach- oder umschulen zu lassen, verlangt wird. Dadurch wird deutlich, daß Nach- und Umschulung (ähnlich wie dem § 19 Abs. 1 lit. b AMFG zugrundeliegenden Begriffsverständnis) nicht der Wiedereingliederung arbeitsentwöhnter Personen in den Arbeitsmarkt dient, sondern entweder der Umstellung auf eine andere berufliche Tätigkeit (um mit dieser Tätigkeit ein weiteres Verweisungsfeld für den Arbeitslosen herzustellen) bzw. der Auffrischung von Kenntnissen im erlernten (allenfalls auch im früheren ausgeübten) Beruf.

Das in Aussicht genommene Arbeitstraining für den Beschwerdeführer diente nach den Feststellungen der belangten Behörde weder dem Zwecke der Umschulung noch der Nachschulung, sondern (ausschließlich) der Reintegration in den Arbeitsmarkt im Sinne der "Arbeitsgewöhnung" (ausgehend von der Annahme, daß der Beschwerdeführer als Langzeitarbeitsloser - und ungeachtet seiner beruflichen Qualifikation - dem Arbeiten an sich entwöhnt ist).

Da es § 9 Abs. 1 AlVG auch bei Ausschöpfung der äußersten Grenzen der Wortinterpretation nicht zuläßt, ein solches (bloßes) Wiedereingliederungstraining als "berufliche Ausbildung" im Sinne einer Nach- oder Umschulung zu qualifizieren, ist der Arbeitslose - unter dem hier allein maßgebenden Gesichtspunkt der Arbeitswilligkeit im Sinne des § 9 Abs. 1 AlVG - nach der derzeitigen Rechtslage nicht verpflichtet, sich einem solchen Arbeitstraining zu unterziehen.

Auch die historische Entwicklung der Bestimmung des § 9 Abs. 1 AlVG (im Wortlaut übereinstimmend schon § 8 Abs. 1 AlVG 1949, BGBl. Nr. 184) stützt dieses Auslegungsergebnis:

Gemäß § 294 Abs. 1 zweiter Satz GSVG 1935 (ebenso § 294 Abs. 1 GSVG 1938) war einem Arbeitlosen die Arbeitslosenunterstützung u. a. für die Dauer von acht Wochen zu entziehen, wenn er sich weigerte, "einem Auftrag zur Nach(Um)schulung zu entsprechen" oder durch sein Verschulden deren Erfolg vereitelte.

Gemäß § 301 GSVG ("Nachschulung") konnte der Arbeitslose vom Landesarbeitsamt einer Fachschule, einem Betriebe oder einer anderen Einrichtung zur Nach(Um)schulung zugewiesen und ihm die Arbeitslosenunterstützung bis zu 30 Wochen gewährt werden, wenn

"einem zum Bezuge der Arbeitslosenunterstützung berechtigten Arbeitslosen eine entsprechende Beschäftigung deshalb nicht vermittelt werden kann, weil ihm die zur Ausübung des erlernten oder eines anderen entsprechenden Berufes erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten mangeln ..."

Gemäß § 6 der Verordnung über die Arbeitslosenhilfe, RGBl. 1939, Teil I, S. 1674, konnte die Arbeitslosenunterstützung u.a. davon abhängig gemacht werden, daß sich der Arbeitslose einer "beruflichen Umschulung oder Fortbildung unterzieht". Ähnliche Regelungen enthielt auch das bis 1946 in Kraft gestandene AVAVG, RGBl. 1929, Teil I, S. 162 ff, insbesondere in § 92: auch dort ist von Maßnahmen der Berufsumschulung oder -fortbildung die Rede.

Schließlich enthielt das Bundesgesetz über vorläufige Maßnahmen auf dem Gebiet der Arbeitslosenfürsorge, BGBl. Nr. 97/1946 in § 3 Abs. 2 und 3 folgende Bestimmungen:

"(2) Die Gewährung der Arbeitslosenunterstützung kann davon abhängig gemacht werden, daß sich der Arbeitslose einer beruflichen Fortbildung oder Umschulung unterzieht.

(3) Weigert sich der Arbeitslose ... sich einer beruflichen Fortbildung oder Umschulung zu unterziehen (Abs. 2), verliert er den Anspruch auf Arbeitslosenunterstützung für die Dauer der Weigerung".

Schon allen diesen Vorläuferbestimmungen des § 8 Abs. 1 bzw. § 9 Abs. 1 AlVG 1949, BGBl. Nr. 184 (§§ 9 Abs. 1 und 10 Abs. 1 AlVG 1977) ist daher der Gedanke gemeinsam, daß die Um- oder Nachschulung wesentlich in der Vermittlung zusätzlicher beruflicher Kenntnisse und Fähigkeiten bestehen muß. Eine bloße Rehabilitation des vom Arbeitsmarkt Entwöhnten fällt daher nicht unter den Begriff der Um- bzw. Nachschulung, wie es in §§ 9 Abs. 1 und 10 Abs. 1 AlVG verwendet wird.

Soweit einem Arbeitslosen durch langdauernde Arbeitslosigkeit die PSYCHISCHE FÄHIGKEIT abhanden gekommen ist, sich auf die Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes einzustellen bzw. in einen Betrieb einzugliedern, wären allenfalls Zweifel an der Arbeitsfähigkeit im Sinne des § 8 Abs. 1 AlVG angebracht. Dafür finden sich jedoch im Beschwerdefall derzeit weder Anhaltspunkte in den Verwaltungsakten noch liegen die zur Feststellung eines solchen Sachverhaltes erforderlichen Sachverständigengutachten vor. Wäre der Arbeitslose hingegen zwar psychisch (und physisch) in der Lage sich auf die Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes (wenn auch möglicherweise nur hinsichtlich sehr einfacher Arbeiten) einzustellen, und sich dementsprechend in einen Betrieb einzugliedern, unterläßt er aber die im Vermittlungsfall erforderliche und gesetzlich gebotene Mitwirkung, so fehlt es ihm an der Arbeitswilligkeit im Sinne des § 9 Abs. 1 AlVG (mit den in § 10 Abs. 1 AlVG vorgesehenen Konsequenzen). Auch aus der rechtspolitischen Zielsetzung der §§ 8 und 9 AlVG kann somit kein Anhaltspunkt dafür gewonnen werden, aus welchem es sinnvoll erschiene, einen Langzeitarbeitslosen zu einem (keine höherqualifizierenden Kenntnisse und Fähigkeiten vermittelnden) "Arbeitstraining" der im Beschwerdefall gegebenen Art zu VERPFLICHTEN, da sowohl im Falle der mangelnden Arbeitsfähigkeit als auch im Falle der mangelnden Arbeitswilligkeit (in diesem Falle im Rahmen der Sperrfrist des § 10 Abs. 1 AlVG) kein Arbeitslosengeld (bzw. keine Notstandshilfe) gebührt. Es entspricht auch nicht den Intentionen des Gesetzgebers, über die im Gesetz vorgesehenen Sanktionen hinaus, einen wenig Arbeitswilligen allenfalls mittels wiederholter Zuweisung zum Arbeitstraining (statt entsprechender Vermittlungsversuche oder qualifizierender Um-(Nach-)Schulungen) zu (künftig) konstruktiverer Mitwirkung bei der Wiedererlangung eines Arbeitsplatzes zu veranlassen.

Da die belangte Behörde sohin zu Unrecht das Arbeitstraining im Rahmen des mehrfach genannten Sozialprojektes als Um- bzw. Nachschulung im Sinne des § 9 Abs. 1 AlVG angesehen hat, hat sie die angefochtenen Bescheide mit Rechtswidrigkeit des Inhaltes belastet. Diese waren daher schon aus diesem Grund gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben, ohne daß es einer Erörterung des weiteren Beschwerdevorbringens bedarf.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991. Das auf Zuspruch von 20 % Umsatzsteuer aus dem (pauschalierten) Aufwandersatz gerichtete Mehrbegehren in den zu

Zlen. 92/08/0216 und 0267 protokollierten Beschwerden war mangels Deckung in der genannten Verordnung abzuweisen.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1993:1992080216.X00

Im RIS seit

18.10.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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