Index
40/01 Verwaltungsverfahren;Norm
AVG §71 Abs1 lita;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. W. Pesendorfer und die Hofräte Dr. Zeizinger und Dr. Graf als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Klebel, über die Beschwerde des J in W, vertreten durch Dr. L, Rechtsanwalt in I, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Tirol vom 18. Jänner 1993, Zl. Vd-16.624/6, betreffend Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist in einer Verwaltungsstrafsache wegen Übertretung des Arbeitsruhegesetzes, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 11.510,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
I.
1. Mit Straferkenntnis des Bürgermeisters der Stadt Innsbruck vom 15. Juni 1990 wurden gegen den Beschwerdeführer wegen Übertretungen des Arbeitsruhegesetzes Geldstrafen (Ersatzfreiheitsstrafen) verhängt. Dieses Straferkenntnis wurde nach den am 20. und 21. Juni 1990 an der Anschrift des Beschwerdeführers in W, B-64, unternommenen erfolglosen Zustellversuchen am 21. Juni 1990 beim Postamt W hinterlegt. An diesem Tag begann die Abholfrist.
Nach Ablauf der Abholfrist sandte das Postamt die Sendung am 13. Juli 1990 an die Behörde zurück.
2. Nach einer Zahlungsaufforderung vom 11. September 1990 beantragte der (numehr anwaltlich vertretene) Beschwerdeführer mit Schriftsatz vom 4. Oktober 1990 die Zustellung von Schriftstücken, die an ihn nicht hätten zugestellt werden können, an seinen Vertreter.
Nach einem Vermerk des städtischen Erhebungsamtes vom 16. November 1990 hat eine Zustellüberprüfung ergeben, daß sich der Beschwerdeführer am Tage der Hinterlegung nicht an der Abgabestelle aufgehalten habe, jedoch am 23. Juni 1990 an die Abgabestelle zurückgekehrt sei.
3. Mit Schreiben vom 13. Februar 1992 übersandte der Bürgermeister der Stadt Innsbruck dem Vertreter des Beschwerdeführers das Straferkenntnis vom 15. Juni 1990. Dagegen erhob der Beschwerdeführer mit Schriftsatz vom 27. Februar 1992 Berufung.
4. Mit Schreiben vom 27. April 1992 wies der Landeshauptmann von Tirol den Beschwerdeführer darauf hin, daß das Straferkenntnis vom 15. Juni 1990 ordnungsgemäß an ihn zugestellt worden sei und gab ihm Gelegenheit, binnen drei Wochen Akteneinsicht zu nehmen und eine Stellungnahme abzugeben.
5. Am 13. Mai 1992 nahm der Vertreter des Beschwerdeführers Akteneinsicht und gab am selben Tag gegenüber der belangten Behörde eine Stellungnahme ab, in der er ausführte, daß ihm am 14. Februar 1992 der Originalbescheid zugestellt worden sei. Aus diesem Grunde erscheine die Zustellungsüberprüfung nicht richtig und werde daher vorerst bestritten.
6. Mit Schriftsatz vom selben Tage stellte der Beschwerdeführer an den Bürgermeister der Stadt Innsbruck den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist. Darin machte er unter anderem geltend, selbst wenn er am 23. Juni 1990 nach W gekommen sein sollte, habe er jedenfalls keine Kenntnis von der Zustellung des Straferkenntnisses erlangt, weil ihm die vom Postboten zurückgelassene Benachrichtigung nicht übergeben worden oder zugekommen sei. Eine Benachrichtigung sei nicht vorhanden gewesen, weshalb der Beschwerdeführer die Sendung nicht habe beheben können. Damit habe er ohne sein Verschulden von der Zustellung des Straferkenntnisses keine Kenntnis erlangt. Er sei daher durch ein unvorhergesehenes und unabwendbares Ereignis an der Einhaltung der Berufungsfrist gehindert worden. Von der Zustellung des Straferkenntnisses habe er erst durch das am 29. April 1992 zugestellte Schreiben des Landeshauptmannes von Tirol vom 27. April 1992 Kenntnis erlangt.
7. Mit Bescheid vom 2. Juni 1992 wies die belangte Behörde die Berufung als verspätet zurück. Die dagegen erhobene Beschwerde wurde mit hg. Erkenntnis vom 25. Februar 1993, Zl. 92/18/0339, als unbegründet abgewiesen.
8. Mit Bescheid vom 26. November 1992 gab der Bürgermeister der Stadt Innsbruck dem (oben unter Punkt 6 genannten) Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist nicht statt und führte begründend aus, an der ordnungsgemäßen Zustellung könne gemäß § 17 Abs. 4 Zustellgesetz auch der vom Beschwerdeführer behauptete Umstand, daß die damalige Hinterlegungsanzeige entfernt oder abgerissen worden sei, nichts ändern, weshalb dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht stattzugeben gewesen sei.
9. Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer Berufung, in der er unter anderem ausführte, daß das Entfernen oder Abreißen der Hinterlegungsanzeige einen Wiedereinsetzungsgrund darstelle.
10. Mit Bescheid des Landeshauptmannes von Tirol (der belangten Behörde) vom 18. Jänner 1993 wurde die Berufung als unbegründet abgewiesen. In der Begründung dieses Bescheides wurde ausgeführt, der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand sei nicht innerhalb der gesetzlich vorgesehenen Frist von zwei Wochen, sondern fast drei Monate nach der zweiten Zustellung des Straferkenntnisses (am 14. Februar 1992) gestellt worden, weshalb spruchgemäß zu entscheiden sei.
11. Dagegen richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:
II.
1. Zunächst ist festzuhalten, daß die belangte Behörde in der Begründung ihres Bescheides von der Verspätung des Wiedereinsetzungsantrages ausgeht, dies aber nicht zum Anlaß genommen hat, den Wiedereinsetzungsantrag spruchmäßig zurückzuweisen. Eine Prüfung der Frage, ob die darin gelegene Rechtswidrigkeit allein schon subjektive Rechte des Beschwerdeführers verletzen würde, kann unterbleiben, weil die Rechtsansicht der belangten Behörde, der Wiedereinsetzungsantrag sei verspätet eingebracht worden, - wie im folgenden noch gezeigt wird - unrichtig ist und daher ihr Bescheid schon deshalb wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben ist.
2. Nach § 24 VStG gelten im Verwaltungsstrafverfahren unter anderem die Bestimmungen des AVG betreffend die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand.
Gemäß § 71 Abs. 2 AVG muß der Antrag auf Wiedereinsetzung binnen zwei Wochen nach dem Wegfall des Hindernisses oder nach dem Zeitpunkt, in dem die Partei von der Zulässigkeit der Berufung Kenntnis erlangt hat, gestellt werden.
3. Der Beschwerdeführer hat seinen Wiedereinsetzungsantrag darauf gestützt, daß er ohne sein Verschulden keine Kenntnis von der im Juni 1990 bewirkten Zustellung gehabt und von dieser erst am 29. April 1992 erfahren habe. Nach dem Vorbringen des Beschwerdeführers hat er erst mit diesem Zeitpunkt Kenntnis von der Verspätung der von ihm mit Schriftsatz vom 27. Februar 1992 eingebrachten Berufung erlangt.
Ausgehend vom Vorbringen des Beschwerdeführers im Verwaltungsstrafverfahren ist das Hindernis mit der Kenntnis von der Verspätung der erhobenen Berufung weggefallen (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom 30. Juni 1983, Zl. 82/06/0056). Die Auffassung der belangten Behörde, die Frist zur Einbringung des Wiedereinsetzungsantrages habe mit der am 14. Februar 1992 erfolgten (neuerlichen) Zustellung des Straferkenntnisses an den Vertreter des Beschwerdeführers begonnen, wird im angefochtenen Bescheid nicht näher begründet.
4. In der Gegenschrift führt die belangte Behörde ins Treffen, daß in der Zahlungsaufforderung der Bezirkshauptmannschaft Kitzbühel vom 11. September 1990 auf die Vollstreckbarkeit des Bescheides Zl. I-15.072/1989 hingewiesen worden sei und daß mit Schreiben vom 13. Februar 1992 das "Straferkenntnis vom 15.6.1990, Zl. 15.072/1989, übermittelt" worden sei. Dies habe keinen Zweifel aufkommen lassen, daß eine "rechtskräftige" Zustellung des Straferkenntnisses vom 15. Juni 1990 habe erfolgt sein müssen. Dem Beschwerdeführer hätte auffallen müssen, daß ein Straferkenntnis nicht zwei Jahre nach dem Ausstellungsdatum erstmals zugestellt werde, daß in der Zahlungsaufforderung auf einen "vollstreckbaren Bescheid hingewiesen" werde und es sich bei der "Übermittlung" eines Straferkenntnisses mit einem Begleitschreiben nicht um die erstmalige Zustellung eines Straferkenntnisses handeln könne.
Mit diesen Ausführungen vermag die belangte Behörde nicht aufzuzeigen, daß der Beschwerdeführer bereits mit der Zustellung des Straferkenntnisses am 14. Februar 1992 Kenntnis, das heißt positives Wissen, von der im Juni 1990 erfolgten Zustellung und die Gründe ihrer Wirksamkeit (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom 25. Februar 1993, Zl. 92/18/0339) hatte. Daß er im Hinblick auf die von der belangten Behörde vorgebrachten Umstände die Möglichkeit eines seinerzeit erfolgten Zustellversuches in seine Überlegungen hätte miteinbeziehen können, bedeutet nicht, daß er Kenntnis von der im Juni 1990 erfolgten Zustellung hatte und damit das Hindernis im Sinne des § 71 Abs. 2 AVG am 14. Februar 1992 weggefallen ist. Das Schreiben des Bürgermeisters der Stadt Innsbruck vom 13. Februar 1992 enthält keinerlei Hinweis auf eine vorangegangene Zustellung des Straferkenntnisses an den Beschwerdeführer. Erst das dem Vertreter des Beschwerdeführers am 29. April 1992 zugestellte Schreiben der belangten Behörde vom 27. April 1992 enthält die Behauptung, daß das Straferkenntnis des Bürgermeisters der Stadt Innsbruck vom 15. Juni 1990 ordnungsgemäß dem Beschwerdeführer direkt zugestellt worden sei.
5. Nach dem Gesagten hat die belangte Behörde zu Unrecht die Frist von zwei Wochen für die Einbringung des Antrages auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ab der (neuerlichen) Zustellung des Straferkenntnisses am 14. Februar 1993 berechnet und damit ihren Bescheid mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes belastet. Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991.
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1993:1993180082.X00Im RIS seit
20.11.2000Zuletzt aktualisiert am
01.06.2010