TE Vwgh Beschluss 1993/11/24 90/13/0275

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Veröffentlicht am 24.11.1993
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
32/01 Finanzverfahren allgemeines Abgabenrecht;

Norm

BAO §92;
FinStrG §152 Abs1;
FinStrG §82 Abs3;
VwGG §33 Abs1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Weiss und die Hofräte Dr. Pokorny und Dr. Hargassner als Richter, im Beisein der Schriftführerin Oberkommissärin Dr. Büsser, über die Beschwerde der S in W, vertreten durch Dr. H, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid (Beschwerdeentscheidung) der Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland als Finanzstrafbehörde zweiter Instanz vom 28. September 1990, GA 10-818/2/89, betreffend Konkretisierung der Einleitung eines Finanzstrafverfahrens, den Beschluß gefaßt:

Spruch

Die Beschwerde wird als gegenstandslos geworden erklärt und das Verfahren eingestellt.

Begründung

Als entscheidenden Streitpunkt bezeichnet die Beschwerdeführerin, "ob einem Schreiben der Finanzstrafbehörde erster Instanz, womit bestimmte Vorwürfe eines finanzstrafrechtlich relevanten Verhaltens umschrieben werden, Bescheidcharakter zukommt oder nicht".

In dem angesprochenen Schreiben, das am 9. Mai 1988 ergangen war, hatte die Finanzstrafbehörde erster Instanz das am 17. Februar 1983 gegen die Beschwerdeführerin eingeleitete Finanzstrafverfahren "konkretisiert". Dabei wurden der Zeitraum, für den der Beschwerdeführerin Abgabenverkürzungen angelastet worden waren, von 1977 bis 1981 bzw. 1982 auf 1979 bis 1981 eingeschränkt, der ursprüngliche Verdacht auf Verkürzung von Vermögenssteuer fallengelassen und die verkürzten Abgabenbeträge (erstmals) exakt bekanntgegeben.

Die Beschwerdeführerin erblickte in diesem "Konkretisierungsschreiben" einen Bescheid, den sie mit Administrativbeschwerde gemäß § 152 Abs. 1 FinStrG bekämpfte. Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde diese Beschwerde als unzulässig zurück, weil dem "Konkretisierungsschreiben" kein Bescheidcharakter zukomme.

Während der Dauer des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens wurde das gegen die Beschwerdeführerin eingeleitete Finanzstrafverfahren mit Bescheid der Finanzstrafbehörde erster Instanz vom 20. März 1992 eingestellt. Aus diesem Grund hat der Gerichtshof der Beschwerdeführerin mit Schreiben vom 20. Oktober 1993 Gelegenheit geboten, zur Frage der Gegenstandslosigkeit der im verwaltungsgerichtlichen Verfahren strittigen Rechtsfrage Stellung zu nehmen.

Die Beschwerdeführerin gab hiezu kurzgefaßt folgende Äußerung ab:

1) Es liege kein Fall einer Klaglosstellung vor, weil keine "formelle Aufhebung" des angefochtenen Bescheides erfolgt sei.

2) Der Verwaltungsgerichtshof habe "durch mehr als zwei Jahre eine Behandlung der vorliegenden Beschwerde unterlassen" und ist damit seiner Verpflichtung nach Art. 6 Abs. 1 MRK nicht nachgekommen, "wonach über strafrechtliche Anklagen innerhalb angemessener Frist zu entscheiden ist".

3) Die Europäische Kommission für Menschenrechte habe mit ihrer Entscheidung vom 5. Mai 1993, Nr. 15.886/1989, die (auch aus diesem Grunde) erhobene Beschwerde der Beschwerdeführerin für zulässig erklärt und die Beschwerdeführerin vom Ergebnis der vorläufigen Meinungsbildung, wonach eine Verletzung des Art. 6 MRK vorliege, in Kenntnis gesetzt. Eine Einstellung des Verfahrens wegen Klaglosstellung sei nicht möglich, weil es im vorerwähnten MRK-Beschwerdeverfahren unter anderem darum gehe, ob und in welchem Umfange die belangte Republik Österreich zur Schadenersatzleistung heranzuziehen sei.

4) Die jahrelange Verfahrensverschleppung bilde den Gegenstand einer Amtshaftungsklage der Beschwerdeführerin vor dem Landesgericht für ZRS Wien.

Die von der Beschwerdeführerin vorgebrachten Gründe, die ihrer Ansicht nach gegen eine Einstellung des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens wegen Gegenstandslosigkeit sprechen, beziehen sich auf die lange Verfahrensdauer des gegen sie im Jahr 1983 eingeleiteten und im Jahr 1992 eingestellten Finanzstrafverfahrens. Die Länge eines Verfahrens bietet aber für sich allein keinen Grund, NACH seiner Beendigung Rechtsfragen zu klären, die nur während des laufenden Verfahrens von rechtlicher Relevanz waren. Im vorliegenden verwaltungsgerichtlichen Verfahren steht ausschließlich in Streit, ob einem Schreiben der Finanzstrafbehörde erster Instanz Bescheidcharakter zukommt oder nicht, und ob die Beschwerdeführerin durch die Zurückweisung eines gegen dieses Schreiben gerichteten Rechtsmittels deswegen in ihren Rechten verletzt wurde, weil über das Rechtsmittel meritorisch zu entscheiden gewesen wäre. Für den Gerichtshof ist nicht erkennbar, inwiefern die Klärung dieser Frage für das nach Art. 25 MRK anhängige Beschwerdeverfahren betreffend die Dauer des bereits eingestellten Finanzstrafverfahrens oder für die Geltendmachung allfälliger Schadenersatzansprüche von rechtlicher Relevanz sein sollte. Auch die Beschwerdeführerin bringt außer ihrer Behauptung, sie habe nach wie vor ein rechtliches Interesse an der Klärung der vor dem Gerichtshof anhängigen Rechtsfrage, nichts vor, was diese Behauptung untermauern könnte.

Zu dem Vorbringen der Beschwerdeführerin, es liege keine formelle Klaglosstellung vor, ist zu sagen, daß eine solche vom Gerichtshof nicht angenommen wurde. Ein verwaltungsgerichtliches Verfahren ist aber auch dann für gegenstandslos zu erklären und einzustellen, wenn nach Einbringung der Beschwerde das rechtliche Interesse des Beschwerdeführers, das ihn zur Beschwerdeerhebung berechtigt hat, wegfällt (vgl. Dolp, Die Verwaltungsgerichtsbarkeit3 Seiten 41 und 308 ff). Dies trifft auf den vorliegenden Beschwerdefall zu, weil die der Beschwerdeführerin ihrer Meinung nach vorenthaltene meritorische Erledigung ihres Anbringens im günstigsten Falle zu einer Einstellung des Finanzstrafverfahrens hätte führen können, dieses Verfahren aber bereits eingestellt wurde.

Die Beschwerde war daher in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluß als gegenstandslos geworden zu erklären und das Verfahren einzustellen.

Eine Kostenentscheidung hatte zu entfallen, weil keiner der in den §§ 47 bis 56 VwGG angeführten Fälle vorlag, sodaß gemäß § 58 leg. cit. jede Partei den ihr im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof erwachsenen Aufwand selbst zu tragen hatte.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1993:1990130275.X00

Im RIS seit

20.11.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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