TE Vwgh Erkenntnis 1994/2/8 93/08/0219

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Veröffentlicht am 08.02.1994
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Index

60/01 Arbeitsvertragsrecht;
60/03 Kollektives Arbeitsrecht;
66/01 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz;

Norm

AngG §16;
AngG §8 Abs1;
AngG §8;
ASVG §49 Abs1;
ASVG §49 Abs2;
KollV Angestellte Rechtsanwaltskanzleien Art12;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Liska und die Hofräte Dr. Knell, Dr. Müller, Dr. Novak und Dr. Sulyok als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Knecht, über die Beschwerde des Dr. A, Rechtsanwalt, Wien, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 10. August 1993, Zl. MA 15-II-ST 6/93, betreffend Beitragsvorschreibung (mitbeteiligte Partei: Wiener Gebietskrankenkasse, Wien 10, Wienerbergstraße 15-19), zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund (Bundesminister für Arbeit und Soziales) Aufwendungen in der Höhe von S 505,-- und der mitbeteiligten Gebietskrankenkasse von S 11.120,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

H war seit 1. Juni 1987 in der Rechtsanwaltskanzlei des Beschwerdeführers als Angestellte beschäftigt. Seit 11. März 1991 befand sie sich im Krankenstand und bezog gemäß § 8 AngG bis 19. Mai 1991 Krankenentgelt. Seit

1. September 1992 bezieht sie von der Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten eine Berufsunfähigkeitspension. Art. XII des auf das Angestelltendienstverhältnis des Beschwerdeführers mit H. in den Jahren 1991 und 1992 anzuwendenden Kollektivvertrages für Angestellte in Rechtsanwaltskanzleien in Wien lautet:

"XII. Urlaubs- und Weihnachtsremuneration (13. und 14. Gehalt)

1. Am 30. November eines jeden Jahres gebührt den Angestellten eine Weihnachtsremuneration und bei Antritt des Urlaubes, spätestens jedoch am 1. Juli eines jeden Jahres eine Urlaubsremuneration in der Höhe eines vollen Monatsgehaltes. Den während des Jahres ein- oder austretenden Angestellten wird der aliquote Teil dieser Remuneration bezahlt.

2. Wenn ein Angestellter nach Erhalt der für das laufende Kalenderjahr gebührenden Urlaubsremuneration sein Dienstverhältnis selbst aufkündigt, aus seinem Dienstverhältnis ohne wichtigen Grund vorzeitig austritt oder infolge Vorliegens eines wichtigen Grundes vorzeitig entlassen wird, muß er sich die im laufenden Kalenderjahr anteilsmäßig zu viel bezogene Urlaubsremuneration von seinen ihm aus dem Dienstverhältnis zustehenden Ansprüchen (insbesondere Restgehalt und Weihnachtsremuneration) in Anrechnung bringen lassen."

Mit Bescheid vom 10. Mai 1993 sprach die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse aus, daß der Beschwerdeführer als Dienstgeber im Sinne des § 35 Abs. 1 ASVG gemäß § 58 Abs. 2 und 3 leg. cit. in Verbindung mit den §§ 49 und 54 leg. cit. sowie § 62 Abs. 2 AlVG verpflichtet sei, (für die der H. in den Jahren 1991 und 1992 gebührenden Sonderzahlungen) Sonderbeiträge in der Gesamthöhe von S 21.642,03 an die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse zu entrichten. Begründet wurde diese Entscheidung - unter Hinweis auf das Urteil des OGH vom 30. August 1989, 9 Ob A 221/89, Infas A 29/90 (= RdA 1990, 141, und RdW 1990, 55) - damit, daß bei der Berechnung des verhältnismäßigen Anteils an Remuneration, der dem vor Fälligkeit des Anspruches aus dem Arbeitsverhältnis ausgeschiedenen Angestellten gebühre, die gesamte zurückgelegte Dienstzeit unter Einschluß auch solcher Zeiträume zu berücksichtigen sei, für die, z.B. wegen Krankheit, kein Anspruch auf Gehalt mehr bestanden habe.

Den vom Beschwerdeführer dagegen erhobenen Einspruch wies die belangte Behörde mit dem angefochtenen Bescheid gemäß § 66 Abs. 4 AVG als unbegründet ab.

In der gegen diesen Bescheid wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes, in eventu wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften, erhobenen Beschwerde wendet sich der Beschwerdeführer - so wie schon im Verwaltungsverfahren - ausschließlich gegen die Rechtsauffassung der mitbeteiligten Gebietskrankenkasse und der belangten Behörde, daß H. in den Jahren 1991 und 1992 noch Ansprüche auf Sonderzahlungen gehabt habe. § 16 AngG sehe zwar keine generelle Sonderzahlungspflicht vor, ordne jedoch an, daß, falls der Angestellte Anspruch auf eine periodische Remuneration oder eine andere besondere Entlohnung habe, ihm diese gebühre, wenngleich das Dienstverhältnis vor Fälligkeit des Anspruchs gelöst werde, und zwar verhältnismäßig. Von dem im Arbeitsrecht geltenden Grundsatz "ohne Arbeit kein Lohn" sehe § 8 AngG zugunsten des Angestellten eine befristete Ausnahmeregelung des Inhaltes vor, daß der Angestellte seinen Anspruch oder seinen teilweisen Anspruch auf Entgelt (noch während einer gewissen Zeit) behalte, auch wenn er krank sei und deswegen keine adäquate Gegenleistung erbringen könne. Wegen des nach herrschender Meinung und Judikatur im gesamten Angestelltengesetz, insbesondere auch im § 8, geltenden weiten Entgeltbegriffes, der alles umfasse, was dem Dienstnehmer aus dem Dienstverhältnis zukomme, seien unter "Entgelt" im § 8 AngG auch Sonderzahlungen und sonstige Zahlungen zu verstehen. Stehe daher dem wegen Krankheit dienstverhinderten Angestellten kein Entgeltanspruch mehr zu, so gebührten ihm auch nicht mehr jene Sonderzahlungen, die in der Zeit fällig geworden seien, in der er keinen Entgeltanspruch mehr nach § 8 AngG gehabt habe. Das treffe auf H. zu, weil sie an den Jahren 1991 und 1992 keinen Urlaub angetreten habe und an den nach Art. XII des anzuwendenden Kollektivvertrages vorgesehenen Fälligkeitstagen bis zum Ausscheiden aus dem Dienstverhältnis keinen Anspruch auf Entgelt nach § 8 AngG gehabt habe. Die von der mitbeteiligten Gebietskrankenkasse zitierte Entscheidung des OGH beschäftige sich nicht mit dem gegenständlichen Kollektivvertrag und beziehe sich, soweit ersichtlich, auch nicht auf die Regelung des § 8 AngG. Eine analoge Heranziehung dieser Entscheidung komme nicht in Betracht, weil der OGH die Sach- und Rechtslage gar nicht im Hinblick auf § 8 AngG erörtert habe. Zu bedenken sei schließlich, daß nach § 125 Abs. 3 ASVG aliquote Sonderzahlungen in die Zeiten des Krankengeldbezuges einbezogen würden. Es bestehe daher kein vernünftiger Grund dafür, warum ein Arbeitnehmer "angesichts der Bestimmung des § 8 Abs. 1 AngG" (gemeint wohl: in der Auslegung der mitbeteiligten Gebietskrankenkasse und der belangten Behörde) Sonderzahlungen mehrfach kassieren können solle, nämlich einerseits vom Sozialversicherungsträger, andererseits vom Arbeitgeber.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor, erstattete aber keine Gegenschrift. Die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse beantragte in ihrer Gegenschrift die Abweisung der Beschwerde.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 49 Abs. 1 ASVG sind unter Entgelt die Geld- und Sachbezüge zu verstehen, auf die der pflichtversicherte Dienstnehmer (Lehrling) aus dem Dienst(Lehr)verhältnis Anspruch hat oder die er darüber hinaus auf Grund des Dienst(Lehr)verhältnisses vom Dienstgeber oder von einem Dritten erhält.

Gemäß § 49 Abs. 2 ASVG sind Sonderzahlungen Bezüge im Sinne des Abs. 1, die in größeren Zeiträumen als den Beitragszeiträumen gewährt werden, wie z.B. ein 13. oder 14. Monatsbezug, Weihnachts- oder Urlaubsgeld, Gewinnanteile oder Bilanzgeld. Sie sind als Entgelt nur nach Maßgabe der Bestimmungen des § 54 und sonstigen Bestimmungen dieses Bundesgesetzes, in denen die Sonderzahlungen ausdrücklich erfaßt werden, zu berücksichtigen.

Da § 49 Abs. 2 ASVG auf den ersten Absatz dieser Gesetzesbestimmung verweist, sind trotz der Wendung "gewährt werden" unter Sonderzahlungen nicht nur solche Geld- und Sachbezüge zu verstehen, die dem pflichtversicherten Dienstnehmer (Lehrling) in größeren Zeiträumen als den Beitragszeiträumen tatsächlich "zukommen", sondern entweder Geld- und Sachbezüge, auf die er aus dem Dienst(Lehr)verhältnis "in größeren Zeiträumen als den Beitragszeiträumen" Anspruch hat, ohne Rücksicht darauf, ob sie ihm überhaupt oder in der gebührenden Höhe zukommen, oder die er darüber hinaus in diesen "Zeiträumen" auf Grund des Dienst(Lehr)verhältnisses vom Dienstgeber oder einem Dritten tatsächlich erhält (vgl. die Erkenntnisse vom 26. Jänner 1984, Zl. 81/08/0211, und vom 30. März 1993, Zl. 92/08/0050).

Die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides hängt demnach davon ab, ob H. in den Jahren 1991 und 1992 noch einen Anspruch auf (anteilige) Sonderzahlungen nach Art. XII des Kollektivvertrages hatte, obwohl sie im Zeitpunkt der jeweiligen Fälligkeit der Sonderzahlungen und bis zum Ausscheiden aus ihrem Dienstverhältnis wegen ihrer krankheitsbedingten Dienstverhinderung keinen Anspruch mehr auf Entgelt nach § 8 AngG hatte. Dies ist aus nachstehenden Gründen zu bejahen:

Nach § 16 AngG gebührt dem Angestellten, falls er Anspruch auf eine periodische Remuneration oder auf eine andere besondere Entlohnung hat, diese Entlohnung, wenngleich das Dienstverhältnis vor Fälligkeit des Anspruches gelöst wird, in dem Betrage, der dem Verhältnisse zwischen der Dienstperiode, für die die Entlohnung gewährt wird, und der zurückgelegten Dienstzeit entspricht. Auch der Beschwerdeführer geht von der richtigen Auffassung aus, daß § 16 AngG keinen gesetzlichen Anspruch auf eine periodische Remuneration oder eine andere besondere Entlohnung schafft, sondern (arg. "falls der Angestellte ...") einen solchen Anspruch bereits voraussetzt. Die Regelung der Frage, ob ein solcher Entgeltanspruch überhaupt besteht, unter welchen Bedingungen und Voraussetzungen und in welchem Umfang er gewährt wird und wann er fällig ist, bleibt einer Vereinbarung (Dienstvertrag oder Kollektivvertrag), allenfalls dem Ortsgebrauch überlassen (vgl. unter anderem das Erkenntnis vom 24. November 1981, Zl. 3090/80, Arb 10088, mit weiteren Judikaturhinweisen, sowie Martinek-Schwarz-Schwarz, Angestelltengesetz7, 305).

Art. XII des Kollektivvertrages knüpft den Anspruch auf die strittigen Sonderzahlungen lediglich an das Bestehen eines Angestelltendienstverhältnisses und sieht ihre Aliquotierung nur im Falle der Begründung und Beendigung dieses Dienstverhältnisses während des Kalenderjahres vor. Daß diese Sonderzahlungen nur für Zeiten der aktiven Dienstleistung, nicht jedoch für Krankenstandszeiten zu bezahlen seien oder daß zumindest im Zeitpunkt der Fälligkeit der strittigen Sonderzahlungen der wegen Krankheit dienstverhinderte Angestellte noch einen Anspruch auf Entgelt nach § 8 AngG haben müsse, läßt sich aus der oben zitierten Bestimmung des Kollektivvertrages nicht begründen. Sonderzahlungen gebühren daher, wie der OGH mit Urteil vom 11. August 1993, WBl 1993, 403, zu einer ähnlichen Kollektivvertragsbestimmung dargelegt hat, als ein auf dem Kollektivvertrag beruhender günstigerer Entgeltanspruch während des Krankenstandes auch dann, wenn kein gesetzlicher Anspruch auf Entgeltfortzahlung nach § 8 Abs. 1 AngG mehr besteht (vgl. auch das Urteil des OGH vom 29. April 1958, Arb 6867) und - aus den Erwägungen des OGH in dem von den Parteien des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens wiederholt zitierten Urteil vom 30. August 1989,

Infas A 29/90 - auch für die Zeiten, in denen ein Angestellter Krankengeld unter Mitberücksichtigung der Sonderzahlungen durch einen Zuschlag zum Krankengeld bezieht.

Die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung des Bundeskanzlers, BGBl. Nr. 104/1991.

Schlagworte

Entgelt Begriff Anspruchslohn

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1994:1993080219.X00

Im RIS seit

27.11.2000

Zuletzt aktualisiert am

09.08.2010
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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