TE Vwgh Erkenntnis 1994/5/19 94/18/0016

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Veröffentlicht am 19.05.1994
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Index

001 Verwaltungsrecht allgemein;
10/07 Verwaltungsgerichtshof;
24/01 Strafgesetzbuch;
40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AVG §37;
FrG 1993 §20 Abs1;
StGB §105;
StGB §125;
StGB §269;
StGB §83;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwRallg;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. W. Pesendorfer und die Hofräte Dr. Zeizinger, Dr. Sauberer, Dr. Graf und Dr. Sulyok als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Wildmann, über die Beschwerde des M in W, vertreten durch Dr. S, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 29. November 1993, Zl. SD 622/93, betreffend Erlassung eines Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 11.630,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren an Stempelgebührenersatz wird abgewiesen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien (der belangten Behörde) vom 29. November 1993 wurde gegen den Beschwerdeführer, einen ägyptischen Staatsangehörigen, gemäß § 18 Abs. 1 und 2 Z. 1 des Fremdengesetzes (FrG) ein unbefristetes Aufenthaltsverbot erlassen.

In sachverhaltsmäßiger Hinsicht ging die belangte Behörde davon aus, daß sich der Beschwerdeführer seit Februar 1984 im Bundesgebiet aufhalte. Er sei am 2. Februar 1985 vom Landesgericht für Strafsachen Wien wegen Widerstandes gegen die Staatsgewalt zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von zweieinhalb Monaten verurteilt worden. Am 17. Juni 1987, am 27. April 1989 und am 25. September 1990 sei der Beschwerdeführer vom Bezirksgericht Donaustadt jeweils wegen vorsätzlicher Körperverletzung zu Freiheitsstrafen zwischen drei und sechs Wochen verurteilt worden. Mit Urteil des Strafbezirksgerichtes Wien vom 8. Juli 1992 sei über den Beschwerdeführer wegen vorsätzlicher Sachbeschädigung eine Geldstrafe verhängt worden. Mit Urteil des Landesgerichtes Korneuburg vom 14. Juni 1993 sei der Beschwerdeführer wegen vorsätzlicher Körperverletzung und Nötigung zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von sieben Monaten und zu einer Geldstrafe verurteilt worden. Der Tatbestand des § 18 Abs. 2 Z. 1 FrG sei in zweifacher Hinsicht erfüllt, weil das in dieser Gesetzesstelle genannte Strafmaß überschritten und der Beschwerdeführer außerdem mehrmals wegen auf der gleichen schädlichen Neigung beruhender strafbarer Handlungen verurteilt worden sei. Die im § 18 Abs. 1 leg. cit. umschriebene Annahme sei gerechtfertigt.

Die Erlassung des Aufenthaltsverbotes stelle einen bedeutsamen Eingriff in das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers dar, da er sich seit 1984 in Österreich aufhalte und ihm das Sorgerecht für seine beiden Kinder übertragen worden sei. Die Erlassung des Aufenthaltsverbotes sei jedoch zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele - hier zur Aufrechterhaltung der Ordnung, zum Schutz der Rechte und Freiheiten Dritter sowie zur Verhinderung strafbarer Handlungen - dringend geboten und daher zulässig.

Der Beschwerdeführer sei wiederholt wegen der von ihm begangenen Gewaltdelikte verurteilt worden. Selbst rechtskräftige Verurteilungen hätten ihn nicht davon abgehalten, neuerlich gegen das Strafgesetz zu verstoßen. Der Versuch, seine Verurteilungen wegen Körperverletzung mit der Begründung zu bagatellisieren, daß es sich jeweils um Verletzungen seiner Ehefrau, von der er seit 1991 geschieden sei, handle, müsse fehlschlagen, weil seine letzte Verurteilung aus dem Jahr 1993 stamme. Auch die Verurteilung wegen versuchten Widerstandes gegen die Staatsgewalt aus dem Jahr 1985 lasse sich nicht damit erklären, daß der Beschwerdeführer - wie er es formuliere - aus einem Staat stamme, in dem handgreifliche eheliche Auseinandersetzungen nicht so hart beurteilt würden wie in Österreich. Dem Beschwerdeführer fehle trotz seines langjährigen Aufenthaltes in Österreich die Einsicht, "sich an die gesetzlichen Bestimmungen und die moralischen Grundsätze des mitteleuropäischen Kulturkreises zu halten". Seine allfällige Integration in Österreich könne daher keineswegs jenen Grad erreicht haben, um bei der gemäß § 20 FrG vorzunehmenden Abwägung zu seinen Gunsten ins Kalkül gezogen zu werden. Im Hinblick auf die große Zahl der vom Beschwerdeführer begangenen Straftaten sei eine positive Zukunftsprognose nicht möglich. Den öffentlichen Interessen an der Erlassung des Aufenthaltsverbotes müsse daher der Vorrang gegenüber den - wenn auch beträchtlichen - Auswirkungen des Aufenthaltsverbotes auf die Lebenssituation des Beschwerdeführers und seiner Kinder eingeräumt werden.

Da nicht abgesehen werden könne, wann der Beschwerdeführer seine Einstellung ändern werde, sei das Aufenthaltsverbot auf unbestimmte Zeit zu erlassen gewesen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

1. Der Beschwerdeführer wendet sich nicht gegen die - zutreffende - Auffassung der belangten Behörde, im Hinblick auf die rechtskräftigen Verurteilungen sei der Tatbestand des § 18 Abs. 2 Z. 1 FrG in zweifacher Hinsicht erfüllt, die im § 18 Abs. 1 leg. cit. umschriebene Annahme sei gerechtfertigt und die Erlassung des Aufenthaltsverbotes sei im Grunde des § 19 FrG zulässig.

2.1. Der Beschwerdeführer bekämpft das Ergebnis der von der belangten Behörde im Grunde des § 20 Abs. 1 FrG vorgenommenen Interessenabwägung und führt diesbezüglich ins Treffen, daß die Verurteilungen wegen § 83 StGB - gemeint sind offenbar die Verurteilungen durch das Bezirksgericht Donaustadt, nicht aber jene durch das Landesgericht Korneuburg aus dem Jahr 1993 - schon mehrere Jahre zurücklägen. Obwohl im Jahr 1990 seine Integration noch nicht soweit fortgeschritten gewesen sei wie jetzt, sei damals kein Aufenthaltsverbot gegen ihn erlassen worden. Erst die letzte Verurteilung aus dem Jahr 1993 habe die belangte Behörde zum Anlaß genommen, ein Aufenthaltsverbot zu erlassen. Die belangte Behörde habe sich nicht entsprechend mit seinen Bindungen zu Österreich und den familiären Gegebenheiten auseinandergesetzt. Er habe rund 10 Jahre in Österreich verbracht. Sein älterer Sohn sei als Baby nach Österreich gekommen, sein zweiter Sohn sei hier geboren worden. Beide Kinder seien in Österreich verwurzelt und besuchten hier die Schule. Die Erlassung eines unbefristeten Aufenthaltsverbotes gegen ihn sei rechtswidrig; eine solche Maßnahme sei nur in solchen Fällen gerechtfertigt, in denen die österreichische Rechtsordnung eklatant verletzt worden sei.

2.2. Gemäß § 20 Abs. 1 FrG darf ein Aufenthaltsverbot nicht erlassen werden, wenn seine Auswirkungen auf die Lebenssituation des Fremden und seiner Familie schwerer wiegen als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von seiner Erlassung. Bei dieser Abwägung ist auf folgende Umstände Bedacht zu nehmen:

1.

die Dauer des Aufenthaltes und das Ausmaß der Integration des Fremden oder seiner Familienangehörigen;

2.

die Intensität der familiären oder sonstigen Bindungen.

2.3. Die belangte Behörde hat erkennbar berücksichtigt, daß im Hinblick auf den langjährigen Aufenthalt der beiden Kinder des Beschwerdeführers in Österreich und das dem Beschwerdeführer übertragene Sorgerecht das Aufenthaltsverbot beträchtliche Auswirkungen auf die Lebenssituation des Beschwerdeführers und seiner Kinder hat. Der Beschwerdeführer hat nach der Aktenlage regelmäßig gearbeitet; seine beiden Kinder sind hier aufgewachsen. Nach dem Inhalt des Beschlusses des Bezirksgerichtes Donaustadt vom 14. September 1990, mit dem dem Beschwerdeführer das Sorgerecht für die Kinder übertragen wurde, lebt der Beschwerdeführer mit seinen beiden Kindern in geordneten Verhältnissen. Die Auswirkungen des Aufenthaltsverbotes auf die Lebenssituation des Beschwerdeführers und insbesondere die seiner Kinder sind nach der im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides gegebenen Aktenlage als besonders schwerwiegend anzusehen.

Um dennoch ein Aufenthaltsverbot gegen den Beschwerdeführer erlassen zu können, müßten auf Grund der im § 20 Abs. 1 FrG enthaltenen Regelung die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von der Erlassung des Aufenthaltsverbotes zumindest gleich schwer wiegen. Die belangte Behörde hat dies allein auf Grund der im angefochtenen Bescheid genannten gerichtlichen Verurteilungen angenommen. Bei der gegebenen Sachlage ist dieser Schluß jedoch rechtlich verfehlt, weil aus der Benennung der Delikte, derentwegen der Beschwerdeführer gerichtlich verurteilt wurde, sowie der Anzahl und zeitlichen Lagerung der gerichtlichen Verurteilungen zwar gefolgert werden kann, daß der Beschwerdeführer zu Agressionshandlungen neigt, das Ausmaß, in dem sein weiterer Aufenthalt die öffentliche Sicherheit gefährdet oder anderen öffentlichen Interessen zuwiderläuft, jedoch ohne konkrete Sachverhaltsfeststellungen über die vom Beschwerdeführer begangenen Straftaten nicht genau beurteilt werden kann, sodaß nicht gesagt werden kann, ob die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von der Erlassung des Aufenthaltsverbotes (zumindest) ebenso schwer wiegen wie die Auswirkungen des Aufenthaltsverbotes auf die Lebenssituation des Beschwerdeführers und seiner Kinder.

3. Aus den in Punkt 2.3. dargelegten Gründen hat die belangte Behörde ihren Bescheid mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes belastet. Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991. Als Ersatz für Eingabengebühr konnten nur S 360,-- und für Beilagengebühr S 30,-- (für eine Ausfertigung des angefochtenen Bescheides) als zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendig zuerkannt werden.

Schlagworte

Sachverhalt Sachverhaltsfeststellung Sachverhalt Sachverhaltsfeststellung Beweismittel Verhältnis Gericht Verwaltungsbehörde

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1994:1994180016.X00

Im RIS seit

11.07.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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