TE Vwgh Erkenntnis 1994/6/30 93/09/0159

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 30.06.1994
beobachten
merken

Index

24/01 Strafgesetzbuch;
43/01 Wehrrecht allgemein;
63/01 Beamten-Dienstrechtsgesetz;

Norm

BDG 1979 §91;
HDG 1985 §2 Abs1;
HDG 1985 §2 Abs4;
HDG 1985 §58 Abs3;
HDG 1985 §71 Abs1;
StGB §11;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Hoffmann und die Hofräte Dr. Fürnsinn, Dr. Germ, Dr. Höß und Dr. Fuchs als Richter, im Beisein des Schriftführers Kommissär Mag. Fritz, über die Beschwerde des S in N, vertreten durch Dr. F, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid der Disziplinaroberkommission für Unteroffiziere und Chargen beim Korpskommando III vom 11. März 1993, Zl. 5-DOKUOCH/93, betreffend Aufhebung eines Einstellungsbeschlusses in einem Disziplinarverfahren, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.890,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Das Mehrbegehren (Stempelgebühren) wird abgewiesen.

Begründung

Mit Beschluß vom 4. Dezember 1991 hatte die Disziplinarkommission für Unteroffiziere und Chargen beim Militärkommando Niederösterreich gegen den Beschwerdeführer gemäß § 68 Abs. 1 HDG, BGBl. Nr. 294/1985, das Disziplinarverfahren eingeleitet und zugleich gemäß § 5 Abs. 3 HDG beschlossen, dieses bis zum rechtskräftigen Abschluß des gerichtlichen Strafverfahrens zu unterbrechen. Der damals als Vizeleutnant beim Bundesheer Dienst versehende Beschwerdeführer wurde beschuldigt, am 21. August 1991 im Beisein von vier Zeugen einen anderen Vizeleutnant beschimpft und tätlich angegriffen zu haben. Der Angegriffene habe eine leichte Verletzung am linken Schlüsselbein und Schulter (klinisch unauffällig) erlitten. Der Beschwerdeführer sei verdächtig, gegen die Bestimmungen des § 3 Abs. 2, 6 und 7 der ADV verstoßen und damit im Sinne des § 2 Abs. 1 HDG eine Pflichtverletzung begangen zu haben.

Zu diesem Vorfall befragt, hatte der Beschwerdeführer am 26. August 1991 niederschriftlich erklärt, der Angegriffene habe ihn laufend provoziert, wie es zu diesem Angriff gekommen sei, wisse er nicht, dieser Angriff sei ihm nicht bewußt gewesen.

Mit Schriftsatz vom 27. Februar 1992 erstattete der Beschwerdeführer ein ergänzendes Vorbringen in der Disziplinarsache. Er wies darauf hin, daß das gegen ihn wegen § 83 StGB anhängig gewesene gerichtliche Strafverfahren mittlerweile gemäß § 90 StPO eingestellt worden sei. Zum Vorfall vom 21. August 1991 bekenne er sich insofern schuldig, als er aufgrund vorangegangener massiver Beschimpfungen und Provokationen durch den Angegriffenen die Nerven verloren habe und auf diesen "losgegangen" sei. Weiters schilderte der Beschwerdeführer das provozierende Verhalten des Angegriffenen, insbesondere Verspottungen wegen gesundheitlicher Beeinträchtigungen des Beschwerdeführers und stellte auch verschiedene persönliche Schicksalsschläge der letzten Jahre dar, die verbunden mit den dauernden Schmähungen und Verspottungen dazu beigetragen hätten, daß er offenbar in einem Augenblick der Unbeherrschtheit die Nerven verloren habe. Im Hinblick auf seine schwere psychische Situation sei ihm das Verhalten auf der inneren Tatseite jedoch nicht schuldhaft zuzurechnen. Der Vorfall selbst habe nur drei bis vier Sekunden gedauert, sei vom Angegriffenen selbst provoziert worden und es seien auch keine Schäden entstanden. Gleich dem gerichtlichen Strafverfahren sei auch das disziplinarrechtliche Verfahren wegen mangelnder Strafwürdigkeit der Tat einzustellen. Zum Beweise seines Vorbringens und auch der Nichtzurechenbarkeit von Schuld auf der inneren Tatseite beantrage er u.a. die Einholung eines Gutachtens aus dem Gebiet der "Psychologie und Psychiatrie".

In Entsprechung dieses Antrages holte die Disziplinarbehörde erster Instanz ein Amtssachverständigengutachten ein, wobei Beweisthema die Aussagen des Beschwerdeführers waren.

Im Gutachten vom 15. Juli 1992 attestierte der Amtssachverständige dem Beschwerdeführer eine schwere psychische Erkrankung. Beim geringsten Verdacht eines Widerspruches werde der Beschwerdeführer zunehmend gespannt und es bestehe die Neigung zur Agressivität und "zorneswütiger Entladung". Seit einem Vorbefund aus dem Jahr 1985, wo ein schweres organisches Psychosyndrom mit einem deutlichen Defektsyndrom im Sinne einer paranoiden Reaktionsbereitschaft beschrieben worden sei, habe sich der Zustand insoferne verschlechtert, als der Beschwerdeführer in einem normalen psychiatrischen Gespräch - ohne Anlaß - plötzlich gespannt werde und nur mit Mühe an sich halten könne. Ursache für dieses Verhalten seien die schon seit Jahren bestehenden paranoiden Beziehungsideen gegenüber Mitarbeitern, aber auch Vorgesetzten. Auf diese paranoiden Verhaltensweisen sei bereits 1985 hingewiesen und aufgrund eben dieser Verhaltensweisen die volle Dienstfähigkeit als Unteroffizier für nicht mehr gegeben erachtet worden. Andererseits sei darauf hingewiesen worden, daß der Beschwerdeführer diese ihn und die Umgebung gefährdenden Verhaltensweisen hervorragend zu dissimulieren verstehe. Die inkriminierten Handlungen seien zweifellos durch die paranoiden Beziehungsideen zu erklären und seien dadurch im verstärkten Maße ausgefallen, weil Mitarbeiter des Beschwerdeführers offensichtlich erkannt hätten, daß dieser durch Gesten und bestimmte Reizworte leicht zu ärgern sei. Die Aggressionsbereitschaft könne besonders verstärkt auftreten, wenn der Beschwerdeführer sich verspottet, gehänselt oder nicht für "voll" genommen fühle.

Am 8. Oktober 1992 faßte die Disziplinarkommission für Unteroffiziere und Chargen beim Militärkommando Niederösterreich den Beschluß, das eingeleitete und unterbrochene Disziplinarverfahren gemäß § 71 Abs. 1 HDG i.V.m.

§ 58 Abs. 3 HDG einzustellen. Bei dem tätlichen Angriff durch den Beschwerdeführer habe der Angegriffene eine leichte, klinisch unauffällige Verletzung am linken Schlüsselbein und an der Schulter erlitten. Den tätlichen Angriff bestreite der Beschwerdeführer nicht, er habe jedoch angeführt, daß er sich durch den Angegriffenen ständig, so auch im konkreten Fall, provoziert gefühlt habe und ihm sein Verhalten leid tue. Diese laufenden Provokationen, aber auch die Provokation im gegenständlichen Fall, die teilweise auf körperliche bzw. auch psychische Gebrechen des Beschwerdeführers zurückzuführen seien, seien dem Personal bekannt und für den konkreten Wortwechsel seien Zeugenaussagen vorhanden. Das Bezirksgericht habe gemäß § 90 StPO das Verfahren eingestellt. Aufgrund der aus dem Disziplinarakt ersichtlichen Gebrechen sei um die Erstellung eines Amtssachverständigengutachtens ersucht worden. Durch das vorliegende Gutachten (schwere psychische Erkrankung) sei der Senat zur Ansicht gekommen, "daß sowohl Umstände vorliegen, die die Strafbarkeit und Verfolgung ausschließen, als auch die Schuld des Beschuldigten gering ist und die Tat nur unbedeutende Folgen nach sich gezogen hat und überdies eine Bestrafung nicht geboten ist, um den Beschuldigten von weiteren Pflichtverletzungen abzuhalten oder der Begehung von Pflichtverletzungen durch andere Soldaten entgegenzuwirken".

Gegen den Einstellungsbeschluß berief der Disziplinaranwalt. Das Amtssachverständigengutachten bestätige zwar eine schwere psychische Erkrankung des Beschwerdeführers, lasse aber keine Dienstunfähigkeit erkennen. Es sei daher zu erwarten, daß der Beschwerdeführer seinen Kameraden mit Achtung begegne, und anzunehmen, daß er sich der Tragweite seiner Handlung stets bewußt gewesen sei.

Mit dem angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde der Berufung des Disziplinaranwaltes Folge, hob den Einstellungsbeschluß auf und verfügte, daß das eingestellte Verfahren gemäß § 74 Abs. 2 Z. 3 HDG durch die erste Instanz fortzusetzen ist. Das Amtssachverständigengutachten - so die Begründung des angefochtenen Bescheides - bestätige zwar eine schwere psychische Erkrankung des Beschwerdeführers, lasse aber keine Dienstunfähigkeit erkennen. Es sei daher schlüssig anzunehmen, daß dieser sich der Tragweite seiner Handlungen stets bewußt gewesen sei. Der Beschwerdeführer habe sich auch insoferne schuldig bekannt, als er angegeben habe, er habe aufgrund vorangegangener massiver Beschimpfungen und Provokationen durch den Angegriffenen die Nerven verloren und sei daher auf diesen losgegangen. Die im einzelnen angeführten Äußerungen des Angegriffenen seien nicht als Beschimpfungen, sondern lediglich als "Hänseleien" zu werten, die keine Anwendung von Brachialgewalt rechtfertigen könnten. Auch im Falle von kleinen Provokationen und Sticheleien müsse vom Beschwerdeführer erwartet werden, daß er seinen Kameraden mit Achtung begegne. Im einzelnen bestehe der Verdacht des Verstoßes gegen die §§ 2 Abs. 1, 3 Abs. 2, 6 und 7 ADV sowie § 44 Abs. 1 WehrG. Die Pflichtverletzungen würden vom Senat als nicht gering erachtet. Da der Sachverhalt durch die aufliegenden Unterlagen (Niederschriften) genügend geklärt erscheine, sei der Berufung Folge zu geben gewesen.

In der vorliegenden Beschwerde wird die Aufhebung des angefochtenen Bescheides wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes beantragt und u.a. unter Hinweis auf ein weiteres klinisches Gutachten vom 9. September 1992 bemängelt, die belangte Behörde habe nicht festgestellt, daß der Beschwerdeführer wegen seines Krankheitsbildes mittlerweile wegen Dienstunfähigkeit in den Ruhestand versetzt worden sei.

Die belangte Behörde hat die Akten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie die Abweisung der Beschwerde als unbegründet beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Nach § 2 Abs. 1 Heeresdisziplinargesetz 1985 (HDG) sind Soldaten u.a. wegen Verletzung der ihnen im Präsenzstand auferlegten Pflichten disziplinär zur Verantwortung zu ziehen. Gemäß § 2 Abs. 4 leg. cit. ist disziplinär strafbar nur, wer schuldhaft handelt. Die §§ 5 und 6 sowie die §§ 8 bis 11 des Strafgesetzbuches (StGB) sind sinngemäß anzuwenden.

Wer zur Zeit der Tat wegen einer Geisteskrankheit, wegen Schwachsinns, wegen einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung oder wegen einer anderen schweren, einem dieser Zustände gleichwertigen seelischen Störung unfähig ist, das Unrecht seiner Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, handelt gemäß § 11 StBG nicht schuldhaft.

Gemäß § 71 Abs. 1 erster Satz HDG hat der Disziplinarsenat, wenn nach Durchführung der notwendigen Ermittlungen der Sachverhalt ausreichend geklärt ist, den Verhandlungsbeschluß zu fassen oder, wenn die im § 58 Abs. 3 Z. 1 bis 4 genannten Gründe vorliegen, das Verfahren mit Beschluß einzustellen.

§ 58 Abs. 3 Z. 1 bis 4 HDG nennt folgende Einstellungsgründe:

1. Der Beschuldigte hat die ihm zur Last gelegte Pflichtverletzung nicht begangen oder es liegen Umstände vor, die die Strafbarkeit ausschließen,

2. die dem Beschuldigten zur Last gelegte Tat kann nicht erwiesen werden oder stellt keine Pflichtverletzung dar,

3.

es liegen Umstände vor, die die Verfolgung ausschließen,

4.

die Schuld des Täters ist gering, die Tat hat keine oder nur unbedeutende Folgen nach sich gezogen und überdies ist eine Bestrafung nicht geboten, um den Beschuldigten von weiteren Pflichtverletzungen abzuhalten oder der Begehung von Pflichtverletzungen durch andere Soldaten entgegenzuwirken.

Die Disziplinarbehörde erster Instanz ist vom Vorliegen von Einstellungsgründen nach § 58 Abs. 3 HDG ausgegangen. Diese Annahme war aufgrund der Verfahrensergebnisse durchaus berechtigt. So deutete insbesondere das Gutachten des Amtssachverständigen vom 15. Juli 1992 eindeutig auf eine fehlende oder doch zumindest verminderte Zurechnungsfähigkeit des Beschwerdeführers zum Zeitpunkt der Tat hin, die geeignet war, im Sinne des § 11 StGB die Strafbarkeit auszuschließen (§ 58 Abs. 3 Z. 1 HDG) oder die mangelnde Strafwürdigkeit der Tat (§ 58 Abs. 3 Z. 4 HDG), deren Voraussetzungen auch im übrigen gegeben erschienen, zu rechtfertigen.

Demgegenüber ist die Argumentation im angefochtenen Bescheid nicht überzeugend:

Aus einer allenfalls gegebenen Dienstfähigkeit des Beschwerdeführers - eine volle Dienstfähigkeit war nach dem Amtssachverständigengutachten aufgrund der paranoiden Verhaltensweisen des Beschwerdeführers allerdings ohnehin bereits seit 1985 nicht mehr gegeben - läßt sich noch nicht die Diskretions- oder Dispositionsfähigkeit gemäß § 11 StGB (vgl. dazu Leukauf-Steininger, Kommentar zum Strafgesetzbuch2, Rdn. 2 ff zu § 11) zum Zeitpunkt der Tat ableiten. Dies insbesondere unter Beachtung der Gutachtensausführungen, die beim Beschwerdeführer massive paranoide Reaktions- und Aggressionsbereitschaft bei Provokationen - seien dies "Beschimpfungen" oder "Hänseleien" - diagnostizierten. Das Eingeständnis der Tathandlung selbst läßt ebenfalls noch keinen Schluß auf deren Zurechenbarkeit im Sinne des § 11 StGB zu. Im übrigen hat sich der Beschwerdeführer in seiner niederschriftlichen Einvernahme vom 26. August 1991 bereits dahingehend verantwortet, daß es ihm nicht bewußt gewesen sei, wie es zu der inkriminierten Verhaltensweise habe kommen können.

Der angefochtene Bescheid widerlegt auch nicht die weiters - für den Fall, daß die Tathandlung doch zurechenbar gewesen wäre - von der Behörde erster Instanz bejahte Frage der mangelnden Strafwürdigkeit der Tat. Unter Zitierung der vom Tatverhalten des Beschwerdeführers allenfalls betroffenen Rechtsvorschriften wird im angefochtenen Bescheid lediglich festgestellt, die Pflichtverletzungen würden vom Senat als "nicht gering erachtet". Aussagen über den Grad der Schuld des Beschwerdeführers, die konkreten Auswirkungen der Tat oder die Gesichtspunkte der General- und Spezialprävention werden damit aber nicht getroffen.

Von einer nicht ausreichenden Sachverhaltsaufklärung im Sinne des § 71 Abs. 1 erster Satz HDG geht der angefochtene Bescheid nicht aus. Dieser kann daher auch nicht mit dem abschließenden Hinweis in der Gegenschrift gerechtfertigt werden, wonach das Beweisverfahren noch nicht abgeschlossen gewesen sei und deshalb die belangte Behörde noch keine endgültige Aussage über den Ausgang des Disziplinarverfahrens habe treffen können.

Damit war der angefochtene Bescheid nach § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit aufzuheben.

Der Kostenausspruch stützt sich auf die §§ 47 und 48 Abs. 1 Z. 1 und 2 VwGG i.V.m. der Pauschalierungsverordnung des Bundeskanzlers, BGBl. Nr. 416/1994, insbesondere deren Art. III Abs. 2. Das abgewiesene Mehrbegehren betrifft Stempelmarken von S 120,--, weil die Beschwerde nur in dreifacher Ausfertigung vorzulegen war.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1994:1993090159.X00

Im RIS seit

20.11.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten