TE Vfgh Erkenntnis 1992/6/13 G348/91, G349/91

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 13.06.1992
beobachten
merken

Index

66 Sozialversicherung
66/02 Andere Sozialversicherungsgesetze

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Gesetz
GSPVG §43
GSVG §61

Leitsatz

Feststellung der Verfassungswidrigkeit der Ruhensbestimmungen des §43 GSPVG idF der 18. GSPVG-Novelle, BGBl. 447/1969, und des §61 GSVG in der Stammfassung und idF der 3. GSVG-Novelle, BGBl. 586/1980, wegen Verstoß gegen den Gleichheitssatz; Hinweis auf E v 15.12.90, G33,34/89, und E v 14.06.91, G252,253/89

Spruch

I. §43 des Gewerblichen

Selbständigen-Pensionsversicherungsgesetzes - GSPVG, BGBl. Nr. 292/1957, idF der 18. GSPVG-Novelle, BGBl. Nr. 447/1969, war verfassungswidrig.

II. §61 des Gewerblichen Sozialversicherungsgesetzes - GSVG, BGBl. Nr. 560/1978, war in dieser und idF der 3. GSVG-Novelle, BGBl. Nr. 586/1980, verfassungswidrig.

III. Der Bundeskanzler ist verpflichtet, diese Aussprüche unverzüglich im Bundesgesetzblatt kundzumachen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. Das Oberlandesgericht Graz beantragt nach Art140 B-VG die Feststellung, daß §43 GSPVG idF der 18. GSPVG-Novelle und §61 GSVG in der Stammfassung und idF der 3. GSVG-Novelle verfassungswidrig waren.

II. 1. In seinem Antrag macht das Oberlandesgericht Graz die Verfassungswidrigkeit dieser Bestimmungen wegen Verstoßes gegen das Gleichheitsgebot geltend.

Zur Antragslegitimation führt es aus, daß dem gerichtlichen Verfahren eine Klage gegen einen Bescheid des Sozialversicherungsträgers über das gänzliche Ruhen und die Rückforderung und Aufrechnung eines Überbezuges des Klägers an Alterspension für die Zeit vom 1. Jänner 1971 bis 9. Juli 1982 zugrunde liege. Bei der Entscheidung habe es §43 GSPVG idF der 18. GSPVG-Novelle sowie §61 GSVG in der Stammfassung und idF der 3. GSVG-Novelle anzuwenden.

2. Seine Bedenken legt das antragstellende Gericht folgendermaßen dar:

"Vom Verfassungsgerichtshof wurden die Ruhensbestimmungen des §94 ASVG und des §60 GSVG in den Fassungen der 3., 4., 5., 8., 9., 10., 15. und 17. GSVG-Novelle und §61 GSVG in der Fassung der 10. GSVG-Novelle als verfassungswidrig aufgehoben (Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 15.12.1990 G33,34/89-30, und vom 14.6.1991, G252,253/89-17).

Der Verfassungsgerichtshof hat bisher über die Verfassungsmäßigkeit der Bestimmungen des §43 GSPVG in der Fassung der 18.GSPVG-Novelle und des §61 GSVG in der Fassung vor der 10. GSVG-Novelle noch nicht entschieden, obwohl auch hier ein Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz gegeben erscheint. Die vom Verfassungsgerichtshof in den oben zitierten Erkenntnissen anerkannten verfassungsrechtlichen Bedenken liegen nach Ansicht des Oberlandesgerichtes Graz auch für §43 GSPVG in der Fassung der 18. GSPVG-Novelle und für §61 GSVG in der Fassung vor der 10. GSVG-Novelle vor."

III. Die Bundesregierung hat bekanntgegeben, daß sie im Hinblick auf die im Antrag des Oberlandesgerichtes Graz zitierten Erkenntnisse des Verfassungsgerichtshofes von der Erstattung einer meritorischen Äußerung Abstand nehme.

IV. Mit §43 GSPVG idF der 18. GSPVG-Novelle und §61 GSVG in der Stammfassung und idF der 3. GSVG-Novelle - es handelt sich um Vorläuferbestimmungen der im Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 14. Juni 1991, G252,253/89 ua., aufgehobenen Bestimmungen des GSVG - wurden Bestimmungen über das Ruhen von Pensionsansprüchen bei deren Zusammentreffen mit Einkommen aus einer die Pflichtversicherung in der Pensionsversicherung nach dem GSPVG bzw. dem GSVG begründenden selbständigen Erwerbstätigkeiten getroffen.

A) §43 GSPVG idF der 18. Novelle lautete:

"Übt der Pensionsberechtigte eine die Pflichtversicherung in der Pensionsversicherung nach diesem Bundesgesetz begründende selbständige Erwerbstätigkeit aus, so ruht der Pensionsanspruch mit Ausnahme eines Anspruches auf Waisenpension für die Dauer dieser Erwerbstätigkeit. Das Ruhen erfaßt auch die Zuschüsse und Zuschläge, jedoch nicht die besonderen Steigerungsbeträge für Höherversicherung (§81)."

B) §61 GSVG in der Stammfassung und idF der 3. Novelle zum GSVG lauteten wie folgt:

1. §61 GSVG in der Stammfassung:

"§61. Übt der Pensionsberechtigte eine die Pflichtversicherung in der Pensionsversicherung nach diesem Bundesgesetz begründende selbständige Erwerbstätigkeit aus, so ruht der Pensionsanspruch mit Ausnahme eines Anspruches auf Waisenpension für die Dauer dieser Erwerbstätigkeit. Das Ruhen erfaßt auch die Zuschüsse und Zuschläge, jedoch nicht die besonderen Steigerungsbeträge für Höherversicherung (§141)."

2. §61 GSVG idF der 3. GSVG-Novelle:

"§61. Übt der Pensionsberechtigte eine die Pflichtversicherung in der Pensionsversicherung nach diesem Bundesgesetz begründende selbständige Erwerbstätigkeit aus, so ruht der Pensionsanspruch mit Ausnahme eines Anspruches auf Waisenpension für die Dauer dieser Erwerbstätigkeit."

V. Der Verfassungsgerichtshof hat erwogen:

1. Der Verfassungsgerichtshof hält sich nach seiner ständigen Rechtsprechung nicht für berechtigt, durch seine Präjudizialitätsentscheidung das antragstellende Gericht an eine bestimmte Rechtsauslegung zu binden, weil er damit indirekt der Entscheidung dieses Gerichtes in der Hauptsache vorgreifen würde. Ein Antrag auf Gesetzesprüfung im Sinne des Art140 B-VG darf daher nur dann wegen mangelnder Präjudizialität zurückgewiesen werden, wenn es offenkundig unrichtig ist, daß das antragstellende Gericht das angefochtene Gesetz (die angefochtene Gesetzesstelle) anzuwenden hätte (vgl. zB VfSlg. 10296/1984). Davon kann in den vorliegenden Fällen aber nicht die Rede sein.

Da auch die sonstigen Prozeßvoraussetzungen vorliegen, ist das Gesetzesprüfungsverfahren zulässig.

2. Die Gesetzesprüfungsanträge sind auch gerechtfertigt.

Der Verfassungsgerichtshof hat mit Erkenntnis vom 15. Dezember 1990, G33,34/89 ua., die mit §94 getroffene Ruhensregelung des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes - ASVG, BGBl. Nr. 189/1955, idF der 49. Novelle, BGBl. Nr. 294/1990, wegen Verstoßes gegen das auch den Gesetzgeber bindende Gleichheitsgebot als verfassungswidrig aufgehoben und ausgesprochen, daß diese Bestimmung auch in den Fassungen von der 31. Novelle bis zur 48. Novelle zum ASVG aus dem gleichen Grunde verfassungswidrig war. Mit Erkenntnis vom 14. Juni 1991, G252,253/89 ua., hat der Verfassungsgerichtshof des weiteren ausgesprochen, daß §60 des Gewerblichen Sozialversicherungsgesetzes - GSVG, BGBl. Nr. 560/1978, in den Fassungen der 3. bis 5., 8. bis 10., 15. und 17. Novelle sowie §61 idF der 10. Novelle, verfassungswidrig waren. In diesem Erkenntnis hat der Verfassungsgerichtshof auch darauf verwiesen, daß der Gesetzgeber über den gesamten Zeitraum der Entwicklung des Sozialversicherungsrechtes hinweg in den Bereichen des ASVG und des GSVG jeweils identische Ziele verfolgt hat und daß sich auch für den tatsächlichen Bereich keine signifikanten Unterschiede ergeben.

Daß gleiches auch für jene Zeiträume (1. Jänner 1970 bis 31. Dezember 1986) gilt, in denen die angefochtenen Bestimmungen in Geltung gestanden sind, zeigt der Vergleich der vom Ruhen erfaßten Witwen(Witwer)pensionen mit den sonstigen vom Ruhen betroffenen Pensionen; diesbezüglich wird auf die schon im Erkenntnis G 252,253/89 ua. wiedergegebene statistische Übersicht verwiesen. Aus dieser geht hervor, daß in der Zeit von 1986 bis 1990 die Witwen(Witwer)pensionen 86,26 % und in der Zeit von 1979 bis 1985 90,39 %, sohin - wie auch im Bereich des ASVG (vgl. G33,34/89 ua., S 23) - 3/4 der Ruhensfälle ausmachten.

Für die Jahre 1974 bis 1978 ergibt sich bezüglich der Ruhensfälle gemäß §61 GSVG ein ähnliches Bild, wie eine von der Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft vorgelegte Aufstellung zeigt:

                     Alters- und Erwerbs-      Witwen-/Witwer-

                    unfähigkeitspensionen         pensionen

Dezember 1974           76  (12,34 %)           540  (87,66 %)

Dezember 1975           72  (11,25 %)           568  (88,75 %)

Dezember 1976           70  ( 9,93 %)           635  (90,07 %)

Dezember 1977           78  (10,61 %)           657  (89,39 %)

Dezember 1978          116  (13,36 %)           752  (86,64 %)

Anhaltspunkte dafür, daß sich für die Zeit von 1970 bis 1973 ein anderes Bild ergäbe, sind im Verfahren nicht hervorgekommen.

Damit treffen aber die im Erkenntnis G252,253/89 ua. (S 26 und 27) angestellten Erwägungen auch auf die nun in Prüfung stehenden Bestimmungen des §43 GSPVG und §61 GSVG zu. Der einzige Unterschied im Normbereich ist darin gelegen, daß §61 Abs1 GSVG ab der 10. Novelle ein gänzliches Ruhen eines Leistungsanspruches aus der Pensionsversicherung beim Zusammentreffen mit einer die Pflichtversicherung nach dem GSVG begründenden Erwerbstätigkeit vorgesehen hat, jedoch nach Abs2 der Fall einer Betriebsfortführung nach einem verstorbenen Ehegatten ausgenommen war, der nur zu einem teilweisen Ruhen führte. Für die im vorliegenden Verfahren in Prüfung stehenden Bestimmungen des §43 GSPVG und §61 GSVG ist eine solche Unterscheidung (gänzliches bzw. bloß teilweises Ruhen im Fall eines Fortbetriebes) (noch) nicht vorgesehen, sodaß in allen Fällen des Zusammentreffens von Leistungsansprüchen aus der Pensionsversicherung mit einer die Pflichtversicherung nach dem GSPVG (GSVG) begründenden Erwerbstätigkeit ein gänzliches Ruhen eintritt. Das ändert aber nichts daran, daß in den hier maßgeblichen Fassungen des §43 GSPVG bzw. §61 GSVG die Gleichheitswidrigkeit der Regelungen, wie sie im Erkenntnis G252,253/89 ua. für §61 Abs1 GSVG (S 26) bzw. §61 Abs2 leg.cit. (S 27 des zitierten Erkenntnisses) differenziert dargelegt wurden, je nach Lage eines vergleichbaren Falles ebenfalls zutrifft; insgesamt kommen letztlich die gleichen Erwägungen zum Tragen, die schon im Erkenntnis vom 15. Dezember 1990, G33,34/89 ua., eingehend dargelegt wurden und zur Aufhebung des §94 ASVG führten. Überlegungen, ob in bestimmten Fällen der in Prüfung stehenden Bestimmungen ein Korrelat zu §130 GSVG (bzw. §72 Abs2 GSPVG) vorlag und ob der insofern innewohnende Grundgedanke, daß die Pension an die Stelle des bisher erzielten Einkommens aus jener Erwerbstätigkeit treten soll, die zur Erlangung der Pension ausgeübt wurde, sind schon vom Ansatz her nicht zielführend, weil die vom Gesetzesprüfungsantrag betroffenen Regelungen sprachlich so gefaßt sind, daß sie einer Teilung, die es erlauben würde, allenfalls unbedenkliche Fallgruppen nicht aufzuheben, nicht zugänglich sind. Im übrigen wird auf die eingehende Begründung der Erkenntnisse G33,34/89 ua. und G252,253/89 ua., die auch für das vorliegende Verfahren zutrifft, verwiesen.

3. Es war daher festzustellen, daß §43 GSPVG idF der 18. Novelle und §61 GSVG in der Stammfassung und idF der 3. Novelle verfassungswidrig waren.

Die Kundmachungsverpflichtung gründet sich auf §140 Abs5 B-VG.

Schlagworte

Sozialversicherung, Pensionsversicherung, Ruhensbestimmungen, Ausschluß (von Leistungen der Sozialversicherung)

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1992:G348.1991

Dokumentnummer

JFT_10079387_91G00348_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten