TE Vwgh Erkenntnis 1995/3/15 94/01/0350

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Veröffentlicht am 15.03.1995
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Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);
10/07 Verwaltungsgerichtshof;
40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;
49/01 Flüchtlinge;

Norm

AsylG 1991 §16 Abs1;
AsylG 1991 §2 Abs2 Z3;
AVG §37;
AVG §45 Abs3;
AVG §8;
B-VG Art18 Abs1;
B-VG Art50 Abs1;
B-VG Art50 Abs3;
FlKonv;
VwGG §41 Abs1;

Beachte

Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden):94/01/0359

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Hofrat Dr. Degischer und die Hofräte Dr. Dorner, Dr. Händschke, Dr. Bernegger und Dr. Beck als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Klebel, über die Beschwerden 1. der N in S, vertreten durch Dr. R, Rechtsanwalt in O, und 2. des I in S, vertreten durch Dr. W, Rechtsanwalt in O, gegen die Bescheide des Bundesministers für Inneres vom 12. November 1993, Zl. 4.336.917/1-III/13/92 (hinsichtlich der Erstbeschwerdeführerin hg. Zl. 94/01/0350 und hinsichtlich des Zweitbeschwerdeführers hg. Zl. 94/01/0359), beide betreffend Asylgewährung, zu Recht erkannt:

Spruch

Die angefochtenen Bescheide werden wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat den Beschwerdeführern Aufwendungen in der Höhe von je S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit den im Instanzenzug gemäß § 66 Abs. 4 AVG ergangenen Bescheiden des Bundesministers für Inneres vom 12. November 1993 wurden die Berufungen der miteinander verheirateten Beschwerdeführer - Staatsangehörigen "der früheren SFRJ", die am 12. März 1992 in das Bundesgebiet eingereist sind und am 16. März 1992 Asylanträge gestellt haben - gegen die Bescheide der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Burgenland jeweils vom 22. April 1992, betreffend Feststellung ihrer Flüchtlingseigenschaft, abgewiesen.

Gegen diese Bescheide richten sich die vorliegenden, vom jeweiligen Beschwerdeführer in Ansehung des ihn betreffenden Bescheides erhobenen Beschwerden, über die der Verwaltungsgerichtshof - nach Verbindung zur gemeinsamen Beratung und Entscheidung wegen ihres sachlichen und persönlichen Zusammenhanges - erwogen hat:

Die belangte Behörde hat den Beschwerdeführern, ohne ihre Flüchtlingseigenschaft gemäß § 1 Z. 1 Asylgesetz 1991 zu prüfen, deshalb kein Asyl gemäß § 3 leg. cit. gewährt, weil sie der Ansicht war, daß bei ihnen der Ausschließungsgrund des § 2 Abs. 2 Z. 3 leg. cit. gegeben sei, wonach einem Flüchtling kein Asyl gewährt wird, wenn er bereits in einem anderen Staat vor Verfolgung sicher war. Sie ging von den Angaben der Beschwerdeführer bei ihrer niederschriftlichen Vernehmung am 18. März 1992, wonach sie sich vor ihrer Einreise in das Bundesgebiet in Slowenien aufgehalten haben, aus und befaßte sich in rechtlicher Hinsicht näher mit dem Begriff der "Verfolgungssicherheit" im Sinne der genannten Gesetzesstelle, wobei sie im wesentlichen die Rechtslage richtig erkannt hat (vgl. dazu insbesondere die grundlegenden Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes vom 27. Mai 1993, Zl. 93/01/0256, und vom 24. November 1993, Zl. 93/01/0357, auf die gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen wird).

Diese Judikatur ist den Beschwerdeführern, die für sich ins Treffen führen, daß sie sich in Slowenien bloß auf der Durchreise befunden hätten, entgegenzuhalten. Daran, daß sie sich in Slowenien "aufgehalten" hat, vermochte - entgegen der Ansicht der Erstbeschwerdeführerin - der Umstand, daß sie den von ihr benützten Bus während der Reise durch Slowenien nicht verlassen habe, nichts zu ändern (vgl. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 22. Juni 1994, Zl. 94/01/0402). Wenn die Erstbeschwerdeführerin geltend macht, daß es sich um einen Flüchtlingstransport gehandelt habe, "der einen Aufenthalt in Slowenien nicht vorsah", sowie daß der Bus "nirgends Station" gemacht und sie daher keine Möglichkeit gehabt habe, schon in Slowenien einen Asylantrag zu stellen, so hat sie damit keinen Grund dargetan, der sie gehindert hätte, um das Anhalten des Busses zu ersuchen, um in Slowenien allenfalls länger zu bleiben und bereits dort um Asyl anzusuchen. Daß es ihr selbst auf Grund besonderer Umstände unmöglich oder unzumutbar gewesen wäre, das Anhalten des Busses auf Grund eigener Initiative zu erreichen, behauptet sie nicht (vgl. die Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes vom 26. Jänner 1994, Zl. 93/01/1083, und vom 27. April 1994, Zl. 94/01/0230). Die Auffassung des Zweitbeschwerdeführers, die einfachgesetzliche Bestimmung des § 2 Abs. 2 Z. 3 Asylgesetz 1991 widerspreche "der im Verfassungsrang stehenden Genfer Flüchtlingskonvention", weil diese den betreffenden Ausschließungsgrund nicht kenne, weshalb ein Gesetzesprüfungsverfahren beim Verfassungsgerichtshof angeregt werde, trifft schon deshalb nicht zu, weil die Genfer Flüchtlingskonvention nicht im Verfassungsrang steht. Dazu kommt, daß ein derartiger Widerspruch, bei dessen Vorliegen im übrigen den Bestimmungen des Asylgesetzes 1991 der Vorrang zukäme, nicht besteht (vgl. das bereits zitierte Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 22. Juni 1994, Zl. 94/01/0402, und die dort diesbezüglich angeführte Vorjudikatur).

Der Zweitbeschwerdeführer bringt aber in tatsächlicher Hinsicht vor, daß sich Slowenien "zum damaligen Zeitpunkt selbst im Kriegszustand mit den jeweiligen ex-jugoslawischen Nachbarstaaten befunden hat und daher, weil ich aus dem Kriegsgebiet Bosnien, aus Travnik, stamme, für mich dieses Land keineswegs sicher im Sinne des Asylgesetzes ist". Wie die belangte Behörde zu der Annahme komme, Slowenien wäre ein sicheres Drittland, sei nicht nachvollziehbar und stütze sich diese Annahme "auf reine Vermutungen". Die belangte Behörde übersehe, daß alle sich in Slowenien befindlichen Flüchtlinge gezwungen worden seien, "entweder auszureisen oder nach Bosnien bzw. Restjugoslawien auszuwandern"; dies sei in den Medien berichtet worden. Es sei daher für ihn nicht möglich gewesen, in Slowenien zu bleiben.

Damit macht der Zweitbeschwerdeführer zutreffend geltend, daß keine ausreichenden Ermittlungen gepflogen wurden, die die Annahme der belangten Behörde rechtfertigen könnten, Slowenien habe von seiner effektiv geltenden Rechtsordnung her einen dem Standard der Genfer Flüchtlingskonvention (siehe die in diesem Zusammenhang abgegebene Erklärung Sloweniens laut BGBl. Nr. 806/1993) entsprechenden Schutz geboten. Der Zweitbeschwerdeführer hat auf diese Weise nach Maßgabe der ihn im Verwaltungsverfahren treffenden Mitwirkungspflicht, ohne daß es demnach noch einer weiteren Konkretisierung seines Vorbringens bedurft hätte, auch die Wesentlichkeit der der belangten Behörde unterlaufenen Verfahrensmängel aufgezeigt (vgl. dazu des näheren das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 26. Jänner 1995, Zl. 94/19/0413). Im Hinblick darauf, daß dem Zweitbeschwerdeführer im Berufungsverfahren kein Parteiengehör gewährt wurde und die belangte Behörde, anders als die Erstbehörde, nunmehr auf Grund des gemäß dessen § 25 Abs. 2 anzuwendenden Asylgesetzes 1991 von diesem Ausschließungsgrund Gebrauch gemacht hat, verstößt sein (erstmals in der Beschwerde erstattetes) Vorbringen diesbezüglich auch nicht gegen das im verwaltungsgerichtlichen Verfahren geltende Neuerungsverbot des § 41 Abs. 1 VwGG. Mit Rücksicht auf einen entsprechenden Einwand des Zweitbeschwerdeführers wird im fortgesetzten Verfahren allerdings vorerst zu klären sein, ob Slowenien bereits im Zeitpunkt seiner Einreise nach Österreich als "anderer Staat" im Sinne des § 2 Abs. 2 Z. 3 Asylgesetz 1991 oder noch als Teil seines "Heimatlandes" im Sinne des § 1 Z. 1 leg. cit. anzusehen war (vgl. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 16. November 1994, Zl. 94/01/0264).

Die Erstbeschwerdeführerin hat zwar in ihrer Beschwerde, indem sie sich zur Frage ihrer "Verfolgungssicherheit" in Slowenien lediglich gegen die von der belangten Behörde vorgenommene Auslegung dieses Begriffes wendet, die Wesentlichkeit der der belangten Behörde in ihrem Beschwerdefall gleichermaßen unterlaufenen Verfahrensmängel nicht aufgezeigt. Hätte aber der Zweitbeschwerdeführer auf Grund des ihm gewährten Parteiengehörs im Verwaltungsverfahren ein Vorbringen erstattet, wie dies nunmehr in seiner Beschwerde geschehen ist, so hätte die belangte Behörde auch in dem die Erstbeschwerdeführerin betreffenden, mit dem Verfahren des Zweitbeschwerdeführers gleichzeitig geführten Verfahren - wenn es sich auch formell um ein anderes Verfahren als das des Zweitbeschwerdeführers handelte und die Erstbeschwerdeführerin auf Grund des ihr gewährten Parteiengehörs in tatsächlicher Hinsicht nichts Entscheidendes vorgebracht hätte - im Rahmen eines ordnungsgemäßen Verfahrens, zu dessen Durchführung sie von Amts wegen verpflichtet war (vgl. dazu ebenso das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 26. Jänner 1995, Zl. 94/19/0413), darauf Bedacht nehmen müssen, weil kein Anhaltspunkt dafür gegeben ist, daß sich die Beschwerdeführer als Ehepaar nicht in ein und derselben Situation befunden haben, als sie in Slowenien waren, und es demnach nicht denkbar wäre, daß der eine von ihnen dort vor Verfolgung sicher war, der andere hingegen nicht. Dies wirkt sich daher auch zugunsten der Erstbeschwerdeführerin bei Erledigung ihrer Beschwerde aus.

Da somit Verfahrensvorschriften außer acht gelassen wurden, bei deren Einhaltung die belangte Behörde jeweils zu einem anderen Bescheid hätte kommen können, waren die angefochtenen Bescheide gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Schlagworte

Sachverhalt Neuerungsverbot Besondere RechtsgebieteParteiengehör RechtsmittelverfahrenParteiengehör Erhebungen ErmittlungsverfahrenBesondere Rechtsgebiete DiversesSachverhalt Sachverhaltsfeststellung Materielle WahrheitParteibegriff Tätigkeit der BehördeParteiengehör Allgemein

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1995:1994010350.X00

Im RIS seit

03.04.2001

Zuletzt aktualisiert am

16.04.2010
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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