TE Vwgh Erkenntnis 1995/7/21 94/17/0286

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Veröffentlicht am 21.07.1995
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Index

001 Verwaltungsrecht allgemein;
10/07 Verwaltungsgerichtshof;
40/01 Verwaltungsverfahren;
55 Wirtschaftslenkung;

Norm

AVG §37;
AVG §45 Abs3;
AVG §66 Abs1;
ViehWG §13 Abs3;
ViehWG §27 Abs4;
VStG §19;
VStG §24;
VStG §40 Abs1;
VStG §43 Abs2;
VStG §44a Z1;
VwGG §42 Abs2 Z3 lita;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
VwRallg;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Hnatek und die Hofräte Dr. Puck und Dr. Köhler als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Fegerl, über die Beschwerde des A in N, vertreten durch Dr. B, Rechtsanwalt in L, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Oberösterreich vom 19. Jänner 1993, Zl. Agrar-730063-IV/T-1993, betreffend Übertretung des Viehwirtschaftsgesetzes, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.830,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1.1. Am 1. Februar 1990 wurde eine Betriebsprüfung gemäß § 13 Viehwirtschaftsgesetz durch einen Amtstierarzt und ein Kontrollorgan des Amtes der Oberösterreichischen Landesregierung im Betrieb des Beschwerdeführers durchgeführt. Dabei wurden insgesamt 2.060 Schweine gezählt. Der Amtstierarzt schätzte dabei, daß 87 Tiere unter 30 kg, das Kontrollorgan der Oberösterreichischen Landesregierung hingegen, daß 95 Tiere unter 30 kg wogen. Da der Beschwerdeführer lediglich eine Bewilligung für das Halten von 1.700 Mastschweinen besaß, erstattete das Kontrollorgan Verwaltungsstrafanzeige an die Bezirkshauptmannschaft, die den Beschwerdeführer noch im Frühjahr 1990 als Beschuldigten in dieser Sache vorlud; nach Durchführung des Ermittlungsverfahrens erging gemäß § 27 Abs. 4 in Verbindung mit § 13 Abs. 3 Viehwirtschaftsgesetz 1983 i. d.g.F. unter Zugrundelegung der Sachverhaltsannahme des Kontrollorganes des Amtes der Landesregierung ein Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Braunau am Inn vom 1. Juni 1992 wegen Überschreitung des zulässigen Tierhöchstbestandes um 265 Tiere.

1.2. Über Berufung des Beschwerdeführers erging der nunmehr angefochtene Bescheid, mit welchem die belangte Behörde den Spruch des bekämpften Straferkenntnisses abänderte, sodaß er im ersten Teil wörtlich wie folgt lautet:

"Sie haben am 1.2.1990 in ihrem Betrieb ...

1.863 Mastschweine (Schweine über 30 kg, die weder Zuchtsauen noch Zuchteber sind) gehalten, obwohl Ihnen mit Bescheid des Bundesministers für Land- und Forstwirtschaft vom 26. Jänner 1979, Zl. 13.365/11-I 3/79, lediglich eine Haltungsbewilligung für 1.700 Mastschweine erteilt worden war. Da Sie somit 163 Mastschweine ohne die gemäß § 13 Viehwirtschaftsgesetz 1983 erforderliche Bewilligung gehalten haben, haben sie folgende Rechtsvorschriften verletzt:

§ 27 Abs. 4 in Verbindung mit § 13 Abs. 3 Viehwirtschaftsgesetz 1983."

Es wurde gemäß § 27 Abs. 4 Viehwirtschaftsgesetz 1983 eine Geldstrafe von S 12.000,--, im Uneinbringlichkeitsfalle eine Ersatzfreiheitsstrafe von 6 Tagen verhängt.

1.3. Begründend führte die belangte Behörde aus, daß auf Grund des durchgeführten Beweisverfahrens von einer Überschreitung des bewilligten Bestandes um 163 Mastschweine auszugehen sei. Der Argumentation des Beschwerdeführers, der unter Vorlage von Rechnungen über Ferkeleinkäufe im Jänner 1990 die Auffassung vertreten hatte, daß die von ihm im Jänner gekauften 485 Tiere noch nicht 30 kg gewogen hätten, sei nicht zu folgen. Die belangte Behörde kommt zu diesem Schluß nicht nur auf Grund der Schätzung des Amtstierarztes und des Kontrollorgans der Landesregierung, sondern auch durch eine Berechnung der Differenz zwischen den insgesamt festgestellten 2.060 Tieren und den auf Grund von Aussagen eines landwirtschaftlichen Sachverständigen zum 1. Februar 1990 vermutlich noch nicht 30 kg schweren Tieren. Bei dieser Berechnung wurde von der Annahme ausgegangen, daß die Tiere zum Zeitpunkt der Lieferung etwa 25 kg gewogen hätten und pro Tag zumindest 400 g zugenommen hätten. Die belangte Behörde kam auf Grund dieser Berechnung zum Schluß, daß es nicht als erwiesen anzunehmen sei, daß die am 18. bzw. 23. Jänner gelieferten Ferkel (und auch nicht die am 31. Jänner gelieferten) zum Kontrollzeitpunkt bereits ein Gewicht von mehr als 30 kg aufgewiesen hätten. Eine weitere Beweisaufnahme hätte daher nicht zur Wahrheitsfindung beitragen können.

1.4. Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof; dieser lehnte die Behandlung der Beschwerde mit Beschluß vom 27. September 1993, Zl. B 367/93-3, ab, und trat die Beschwerde antragsgemäß dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab. In der über Verfügung des Verwaltungsgerichtshofes ergänzten Beschwerde erachtet sich der Beschwerdeführer einerseits im Recht auf Entscheidung der zuständigen Behörde (es hätte nicht der Landeshauptmann, sondern der unabhängige Verwaltungssenat Oberösterreich zu entscheiden gehabt) und im Recht, nicht entgegen den Bestimmungen des Viehwirtschaftsgesetzes 1983 bestraft zu werden, infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften verletzt.

1.5. Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.

2. Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

2.1. Zur Zuständigkeit der belangten Behörde:

Bezüglich der Zuständigkeit der belangten Behörde zur Entscheidung über die Berufung gegen das Straferkenntnis erster Instanz schließt sich der Verwaltungsgerichtshof den zutreffenden Ausführungen der belangten Behörde in der Gegenschrift an: Aus dem klaren Wortlaut der Anlage 2 zur Kundmachung des Bundeskanzlers, mit der das Verwaltungsstrafgesetz wiederverlautbart wird, BGBl. Nr. 52/1991, welche das Übergangsrecht zum VStG 1950 hinsichtlich des Inkrafttretens der Novelle zum VStG BGBl. Nr. 358/1990 enthält (und insofern den von der belangten Behörde genannten Art. II Abs. 2 der VStG-Novelle 1990 wiedergibt) sind alle am 1. Jänner 1991 anhängigen Strafverfahren nach der bis dahin geltenden Rechtslage zu Ende zu führen. Wie die belangte Behörde zutreffend aufzeigt, führen gerade gleichheitsrechtliche Überlegungen dazu, eine derartige Übergangsvorschrift zu schaffen, da andernfalls Sachverhalte, die sich zum gleichen Zeitpunkt ereignet haben, nach unterschiedlichen Regelungen (im vorliegenden Fall: nach unterschiedlichen Zuständigkeits- und Organisationsbestimmungen, die im Hinblick auf Art. 6 EMRK bedeutsam sind) zu entscheiden wären, wobei sich diese unterschiedliche Behandlung zu einem wesentlichen Teil aus der vom jeweiligen Beschuldigten nicht beeinflußbaren Gestion der Verwaltungsbehörde (da es von der Dauer des Verfahrens abhinge, welche Behörde zuständig ist) ergeben könnte. Auch den Hinweisen der belangten Behörde auf den sich aus den Materialien ergebenden Willen des Gesetzgebers, welcher diese Auslegung stützt, ist beizutreten.

Da das vorliegende Verwaltungsstrafverfahren am 1. Jänner 1991 bereits anhängig war, liegt somit keine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides vor.

2.2. Zur geltend gemachten Verletzung von Verfahrensvorschriften:

Der Verwaltungsgerichtshof teilt nicht die in der Beschwerde zum Ausdruck kommende Auffassung, daß die formelle Verweigerung einer Fristverlängerung für die Abgabe einer Stellungnahme durch die belangte Behörde für sich allein einen wesentlichen Verfahrensmangel begründen könnte. Es ist auch der belangten Behörde zu folgen, wenn sie ausführt, daß der Beschwerdeführer in der Ergänzung seiner Beschwerde nichts zur Frage ausgeführt hat, was er vorgebracht hätte, wenn diese Fristverlängerung gewährt worden wäre.

2.3. Der angefochtene Bescheid leidet aber an einem anderen, vom Verwaltungsgerichtshof im Rahmen des geltend gemachten Beschwerdepunktes von Amts wegen wahrzunehmenden Verfahrensmangel (vgl. die bei Dolp, Die Verwaltungsgerichtsbarkeit, 3. Auflage, S. 591, wiedergegebene hg. Rechtsprechung), der auch wesentlich ist:

2.4. Die belangte Behörde geht, wie in der Sachverhaltsdarstellung erwähnt, ersichtlichermaßen davon aus, daß der maßgebliche Sachverhalt durch die am 1. Februar 1990 durchgeführte Kontrolle durch den Amtstierarzt und das Kontrollorgan des Amtes der Landesregierung nicht ausreichend klargestellt ist. Sie hat daher ein Ermittlungsverfahren dahingehend durchgeführt, zu welchen Zeitpunkten im Jänner 1990 der Beschwerdeführer Ferkel geliefert erhalten hat. Ausgehend von den weiters im Ermittlungsverfahren durch Heranziehung eines Sachverständigen erhobenen anzunehmenden Werten für das Gewicht der Ferkel und die durchschnittliche Gewichtszunahme pro Tag wurde sodann mit Hilfe dieser Schlußfolgerungen aus den Aussagen des Sachverständigen eine Bestätigung der von den Kontrollorganen vorgenommenen Gewichtsschätzung vorgenommen. Nur hinsichtlich jener Tiere, bei denen auch aus den Aussagen des Sachverständigen im Zusammenhalt mit den Lieferdaten gesichert davon ausgegangen werden konnte, daß sie am 1. Februar 1990 ein Gewicht von 30 kg erreicht hatten, wurde der für die Bestrafung maßgebliche Sachverhalt (Halten eines Tieres von mehr als 30 kg) als erwiesen angenommen.

Dabei fällt jedoch auf, daß von der belangten Behörde zwar die am 18. Jänner, am 23. Jänner und am 31. Jänner 1990 angelieferten Ferkel als solche angesehen werden, die zum Kontrollzeitpunkt das Gewicht von 30 kg noch nicht aufgewiesen hätten, daß unter Zugrundelegung dieser Annahme jedoch von den festgestellten 2.060 Tieren 288 abzuziehen gewesen wären (18.1.: 95 Ferkel, 23.1.: 97 Ferkel, 31.1.: 96 Ferkel). Die Aktenlage deckt somit nur die Feststellung EINER ÜBERSCHREITUNG DES BEWILLIGTEN BESTANDES UM 72 TIERE. Es erweist sich daher als rechtswidrig, den Beschwerdeführer der Überschreitung des bewilligten Höchststandes um 163 Tiere für schuldig zu erkennen. Die belangte Behörde hat ihrem Straferkenntnis einen Sachverhalt zugrundegelegt, der mit der Aktenlage nicht übereinstimmt (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 14. September 1984, Zl. 84/02/0030). Diese Aktenwidrigkeit betrifft auch einen wesentlichen Punkt, da zwar auch bei einer Überschreitung des bewilligten Bestandes um 72 Tiere der Tatbestand des § 27 Abs. 4 iVm § 13 Abs. 3 Viehwirtschaftsgesetz 1983 verwirklicht wäre, das Ausmaß der Überschreitung aber sowohl die Richtigkeit des Tatvorwurfes im Schuldspruch berührt, als auch gemäß § 19 Abs. 1 und 2 VStG bei der Strafzumessung ausschlaggebend sein kann. Die Behörde hätte bei Vermeidung des Verfahrensmangels daher zu einem anderen Bescheid kommen können.

2.5. Der angefochtene Bescheid war daher wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. a VwGG aufzuheben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Schlagworte

"Die als erwiesen angenommene Tat" Begriff Tatbild Beschreibung (siehe auch Umfang der Konkretisierung) Parteiengehör Allgemein Parteiengehör Rechtsmittelverfahren Parteiengehör Verletzung des Parteiengehörs Verfahrensmangel Verwaltungsstrafverfahren

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1995:1994170286.X00

Im RIS seit

11.07.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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