TE Vwgh Erkenntnis 1995/9/7 95/09/0176

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Veröffentlicht am 07.09.1995
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Index

001 Verwaltungsrecht allgemein;
19/05 Menschenrechte;
40/01 Verwaltungsverfahren;

Norm

AVG §37;
AVG §45 Abs2;
AVG §45 Abs3;
AVG §51;
AVG §71 Abs1 Z1;
MRK Art6 Abs1;
VStG §24;
VStG §33 Abs1;
VStG §33 Abs2;
VStG §40 Abs2;
VStG §40;
VStG §43 Abs2;
VStG §51;
VStG §51e Abs1;
VStG §51e;
VStG §51i;
VwRallg;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Fürnsinn und die Hofräte Dr. Germ, Dr. Höß, Dr. Fuchs und Dr. Blaschek als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Simetzberger, über die Beschwerde der H in W, vertreten durch Dr. G, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien vom 21. März 1995, Zl. UVS-07/01/1039/94-E, betreffend Zurückweisung eines Antrages auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand in einer Verwaltungsstrafsache nach dem Ausländerbeschäftigungsgesetz, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Begründung

Aufgrund des durch Ausfertigungen des erstinstanzlichen Bescheides und des angefochtenen Bescheides belegten Beschwerdevorbringens ist von folgendem Sachverhalt auszugehen:

Die Beschwerdeführerin wurde (zufolge ihrer am 8. Jänner 1993 erfolgten Rückkehr an die Abgabestelle danach am 10. Jänner 1993 als wirksam zugestellt geltender) Aufforderung zur Rechtfertigung des Magistrats der Stadt Wien vom 23. Dezember 1992 Gelegenheit geboten, sich entweder am 19. Jänner 1993 um 11.00 Uhr bei dieser Behörde mündlich oder bis zu diesem Zeitpunkt schriftlich zum (auf Übertretung des AuslBG gestützten) Tatvorwurf zu rechtfertigen. Diese Frist bzw. diesen anberaumten Termin zur Rechtfertigung hat die Beschwerdeführerin versäumt. Gegen das daraufhin von der Strafbehörde erster Instanz erlassene Straferkenntnis vom 20. Jänner 1993 hat die Beschwerdeführerin Berufung (an den Unabhängigen Verwaltungssenat) erhoben.

Mit Bescheid des Magistrats der Stadt Wien (Magistratisches Bezirksamt für den 6./7. Bezirk) vom 19. Februar 1993 wurde über den Wiedereinsetzungsantrag der Beschwerdeführerin wie folgt abgesprochen:

"Der Antrag der Frau H vom 17. Februar 1993 auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung einer Frist bei der Aufforderung zur Rechtfertigung des Magistratischen Bezirksamtes für den 6./7. Bezirk vom 23. Dezember 1992, MBA 6/7-S/6/13808/92, wird gemäß § 71 Abs. 2 AVG 1991 zurückgewiesen."

Dagegen erhob die Beschwerdeführerin Berufung.

Mit Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien vom 21. März 1995 wurde der Berufung der Beschwerdeführerin keine Folge gegeben und der erstinstanzliche Zurückweisungsbescheid mit folgender Maßgabe bestätigt:

"Der Antrag der Frau H vom 11.2.1993 auf Bewilligung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Rechtfertigung im erstinstanzlichen Verfahren wird gemäß § 71 Abs. 1 AVG im Zusammenhalt mit § 24 VStG als unzulässig zurückgewiesen."

Zur Begründung ihrer Entscheidung führte die belangte Behörde im wesentlichen aus, der Beschwerdeführerin sei von der Erstbehörde (mit einer schriftlichen Aufforderung vom 23. Dezember 1992) Gelegenheit geboten worden, sich entweder am 19. Jänner 1993, um 11.00 Uhr mündlich oder bis zu diesem Zeitpunkt schriftlich zum Tatvorwurf zu rechtfertigen. Diese schriftliche Aufforderung sei nach den erfolglosen Zustellversuchen vom 29. Dezember 1992 und 30. Dezember 1992 danach in der Zeit vom 31. Dezember 1992 bis 18. Jänner 1993 beim Postamt 1062 Wien für die Beschwerdeführerin hinterlegt gewesen. In der Zeit vom 25. Dezember 1992 bis 8. Jänner 1993 habe sich die Beschwerdeführerin jedoch in Mexiko aufgehalten. Da die Beschwerdeführerin erst am 9. Jänner 1993 in ihre Wohnung in Wien, W-Gasse 12/18a zurückgekehrt sei, habe die Aufforderung zur Rechtfertigung erst am 10. Jänner 1993 als rechtswirksam zugestellt zu gelten. Hinsichtlich eines (unabhängig von der Ortsabwesenheit geltend gemachten) Zustellmangels, die Beschwerdeführerin habe in ihrem Hausbrieffach keine Verständigung bzw. Hinterlegungsanzeige vorgefunden, ging die belangte Behörde von den am Zustellnachweis beurkundeten Vorgängen und damit von einer am 10. Jänner 1993 nachträglich eingetretenen Rechtswirksamkeit des Zustellvorganges aus. In rechtlicher Hinsicht führte die belangte Behörde aus, die Erstbehörde habe den Wiedereinsetzungsantrag (trotz Verkennung des Wiedereinsetzungsgrundes) im Ergebnis deshalb zutreffend zurückgewiesen, weil die Beschwerdeführerin keinen Rechtsnachteil erlitten habe. Das erstinstanzliche Strafverfahren sei nämlich - nachdem die Beschwerdeführerin die eingeräumte Rechtfertigungsfrist bzw. den für 19. Jänner 1993 anberaumt gewesenen Termin versäumt hatte - mit dem Straferkenntnis vom 20. Jänner 1993 abgeschlossen worden; gegen dieses Straferkenntnis habe die Beschwerdeführerin fristgerecht Berufung erhoben. Da die Beschwerdeführerin in diesem Berufungsverfahren ihren Standpunkt uneingeschränkt vorbringen und an der Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes mitwirken habe können, sei ihre Rechtsstellung demnach nicht ungünstiger als bei Einräumung des Parteiengehörs durch die Erstbehörde.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof in einem gemäß § 12 Abs. 3 VwGG (idF BGBl. Nr. 470/1995) gebildeten Senat erwogen hat:

Die Beschwerdeführerin erachtet sich in dem von ihr angenommenen Recht auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand verletzt. In Ausführung dieses Beschwerdepunktes trägt sie unter dem Gesichtspunkt einer inhaltlichen Rechtswidrigkeit vor, sie habe durch den "Verlust einer ganzen Instanz" einen erheblichen Rechtsnachteil erlitten. Durch das Rechtsmittelverfahren könne dieser Nachteil nicht aufgewogen werden. Gegen die Entscheidung der zweiten Instanz stehe nämlich ein Rechtsmittel nicht mehr zur Verfügung, sodaß die Beweiswürdigung und die Tatsachenfeststellungen (der Rechtsmittelinstanz) nicht mehr bekämpft werden könnten. Die - von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweichende - Rechtsansicht der belangten Behörde führe dazu, daß (mit Ausnahme des Falles einer Versäumung der Berufungsfrist) ein Rechtsnachteil niemals auftrete und im Rahmen des erstinstanzlichen Verfahrens die Wiedereinsetzung denkunmöglich sei. Ob (der Beschwerdeführerin) das rechtliche Gehör entzogen worden sei oder nicht, könne nicht entscheidend sein, weil "jeder Rechtsnachteil ausreicht". Die belangte Behörde hätte das Vorliegen eines Rechtsnachteiles und somit sämtliche Bewilligungsvoraussetzungen für die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bejahen müssen.

Dieses Vorbringen ist nicht geeignet, die Beschwerde zum Erfolg zu führen.

Gemäß § 71 Abs. 1 Z. 1 AVG (§ 24 VStG) ist gegen die Versäumung einer Frist oder einer mündlichen Verhandlung auf Antrag einer Partei, die durch die Versäumung einen Rechtsnachteil erleidet, die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn die Partei glaubhaft macht, daß sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis verhindert war, die Frist einzuhalten oder zur Verhandlung zu erscheinen und sie kein Verschulden oder nur ein minderer Grad des Versehens trifft.

Demnach setzt die Bewilligung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand im Sinne der vorerwähnten Gesetzesstelle aber unter anderem voraus, daß der Wiedereinsetzungswerber durch die Versäumung einen Rechtsnachteil erlitten hat. Die auch im vorliegenden Beschwerdefall hinsichtlich der Zulässigkeit des Wiedereinsetzungsantrages somit entscheidende Rechtsfrage, ob die Beschwerdeführerin durch Versäumung der Rechtfertigungsfrist bzw. des dafür im erstbehördlichen Verfahren festgesetzten Termines einen (durch den Rechtsbehelf der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand abzuhelfenden) Rechtsnachteil erlitten hat, wurde von der belangten Behörde - entgegen den insoweit anderslautenden Beschwerdeausführungen - im Ergebnis zutreffend gelöst:

Im Verwaltungsstrafgesetz (VStG) ist keine Bestimmung enthalten, die hinsichtlich des erstbehördlichen Verfahrens die persönliche Einvernahme eines Beschuldigten zwingend vorschreibt. Der Grundsatz der Mündlichkeit ist im erstbehördlichen Verfahren nur insoweit verwirklicht, als die Erstbehörde gemäß §§ 40 ff VStG im ordentlichen Verfahren gehalten ist, den Beschuldigten entweder zur Vernehmung zu laden oder an ihn die Aufforderung mit einem sich aus § 42 leg. cit. ergebenden Inhalt zu richten, wodurch dem Beschuldigten das Recht eingeräumt ist, sich auch mündlich vor der Erstbehörde zu rechtfertigen (vgl. dazu für viele beispielsweise die hg. Erkenntnisse vom 11. Juni 1986, Zl. 86/03/0076, und vom 5. November 1986, Zl.86/03/0153). Abgesehen davon, daß dem erstbehördlichen Verwaltungsstrafverfahren auch der Grundsatz der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme fremd ist (vgl. zum AVG VwSlg. NF 589/A; sowie hinsichtlich der Zulässigkeit einer (mittelbaren) Rechtshilfevernehmung die Bestimmung des § 40 Abs. 3 VStG) hätte auch die Gewinnung eines persönlichen Eindruckes von der Beschwerdeführerin kein Beweisthema des erstbehördlichen Verfahrens sein können (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom 11. Dezember 1986, Zl. 86/02/0129).

Hingegen ist nach dem ersten Satz des § 51e Abs. 1 VStG vor dem (als Berufungsinstanz zuständigen) unabhängigen Verwaltungssenat eine mündliche öffentliche Verhandlung anzuberaumen, wenn die Berufung nicht zurückzuweisen ist oder nicht bereits aus der Aktenlage ersichtlich ist, daß der angefochtene Bescheid aufzuheben ist.

Gemäß § 51e Abs. 2 VStG ist, wenn in der Berufung ausdrücklich nur eine unrichtige rechtliche Beurteilung behauptet wird oder sich die Berufung nur gegen die Höhe der Strafe richtet, eine Verhandlung nur dann anzuberaumen, wenn dies in der Berufung ausdrücklich verlangt wird.

§ 51e Abs. 3 VStG regelt die Möglichkeit eines ausdrücklichen Verzichtes auf Abhaltung der Verhandlung vor dem Unabhängigen Verwaltungssenat.

Wurde eine Verhandlung (vor dem Unabhängigen Verwaltungssenat) durchgeführt, dann ist gemäß § 51i VStG nur auf das Rücksicht zu nehmen, was in dieser Verhandlung vorgekommen ist; auf Aktenstücke ist nur insoweit Rücksicht zu nehmen, als sie bei der Verhandlung verlesen wurde, es sei denn, der Beschuldigte hätte darauf verzichtet.

Die Verpflichtung zur Durchführung einer öffentlichen Verhandlung war das Kernstück der Neuregelung der Verwaltungsvorschriften bei Einführung der unabhängigen Verwaltungssenate. Gerade durch diese Regelung sollte der Anforderung des Art. 6 Abs. 1 EMRK entsprochen werden, daß über die Stichhaltigkeit einer strafrechtlichen Anklage in einem öffentlichen Verfahren entschieden werden muß. Diese Anforderung sollte durch § 51e VStG erfüllt werden (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom 21. März 1995,

Zlen. 95/09/0020, 0021, 0022 mwN).

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes belastet die objektiv rechtswidrige Durchführung eines erstbehördlichen Strafverfahrens (der mündlichen Verhandlung in erster Instanz) in Abwesenheit des Beschuldigten bzw. der Entzug der ihm zustehenden Gelegenheit, sich zu rechtfertigen, und die dadurch gegebene Verletzung des Parteiengehörs das nachfolgend erlassene erstbehördliche Straferkenntnis mit Rechtswidrigkeit, die vom Beschuldigten daher zum Anlaß genommen werden müßte, in der Berufung eine eigene Darstellung des der Bestrafung zugrundeliegenden Sachverhaltes vorzubringen und allenfalls Beweismittel für die Richtigkeit seiner Behauptungen anzubieten (vgl. das hg. Erkenntnis vom 18. Februar 1992, Zl. 92/07/0016). Nichts anderes hat auch für den (im Beschwerdefall maßgeblichen) Fall zu gelten, daß das erstbehördliche Strafverfahren zufolge eines dem Beschuldigten widerfahrenen Wiedereinsetzungsgrundes mit dem Mangel der Einräumung des Parteiengehörs belastet wurde (ebenso das hg. Erkenntnis vom 14. Dezember 1988, Zl. 88/02/0188). Die der Beschwerdeführerin demnach offengestandene Möglichkeit, den im erstbehördlichen Verfahren aufgetretenen Mangel der Verletzung des Parteiengehörs durch ein entsprechendes Vorbringen in ihrer Berufung im Rechtsmittelverfahren uneingeschränkt geltend zu machen, hätte - sofern die Beschwerdeführerin davon auch Gebrauch gemacht hat - zufolge der bereits erörterten Bestimmung des § 51e VStG die Verpflichtung des Unabhängigen Verwaltungssenates zur Durchführung einer mündlichen Verhandlung mit unmittelbarer Beweisaufnahme (§ 51i VStG) jedenfalls ausgelöst. Der belangten Behörde kann daher darin gefolgt werden, daß die Beschwerdeführerin (bei der vorliegenden Fallkonstellation) dadurch, daß die im erstbehördlichen Verfahren wegen Fristversäumnis unterbliebene Prozeßhandlung (hier: der Gelegenheit sich zu rechtfertigen) vor dem Unabhängigen Verwaltungssenat im gerichtsförmigen Berufungsverfahren gesetzt werden konnte (vgl. Walter/Mayer, Verwaltungsverfahrensrecht5, Rz 616), keinen die Abhilfe durch Wiedereinsetzung in den vorigen Stand erforderlich machenden Rechtsnachteil im Sinne des § 71 Abs. 1 Z. 1 AVG erlitten hat.

Damit sind die Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand aber nicht vorgelegen, sodaß die belangte Behörde den Wiedereinsetzungsantrag zu Recht als unzulässig zurückgewiesen hat.

Da sohin schon der Inhalt der Beschwerde erkennen läßt, daß die behauptete Rechtsverletzung nicht vorliegt, war die sich im Rahmen des gestellten Beschwerdepunktes als unbegründet erweisende Beschwerde gemäß § 35 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung abzuweisen.

Schlagworte

Verfahrensgrundsätze außerhalb des Anwendungsbereiches des AVG VwRallg10/2BeweiseParteiengehör Erhebungen ErmittlungsverfahrenBeweismittel Zeugenbeweis GegenüberstellungParteiengehör Verletzung des Parteiengehörs VerfahrensmangelParteiengehörBeweismittel BeschuldigtenverantwortungVerwaltungsstrafverfahren

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1995:1995090176.X00

Im RIS seit

11.07.2001

Zuletzt aktualisiert am

14.02.2010
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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