TE Vwgh Erkenntnis 2023/3/10 Ra 2022/04/0146

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Veröffentlicht am 10.03.2023
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Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Handstanger und die Hofräte Dr. Mayr sowie Mag. Brandl als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Vonier, über die Revision des Magistrats der Stadt Wien, gegen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichts Wien vom 20. September 2022, Zl. VGW-021/035/7819/2022-2, betreffend Übertretung der Wiener Marktordnung 2018 (mitbeteiligte Partei: T I in W), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.

Begründung

1        Der Amtsrevisionswerber hat am 14. Februar 2022 unter Verwendung eines handschriftlich ergänzten Formulars gegenüber der Mitbeteiligten nachfolgende schriftliche „Verwarnung“ ausgesprochen:

„MA 59-

VERWARNUNG

Sehr geehrte Marktpartei!

Die örtlich zuständige Marktservicestelle hat festgestellt, dass auf dem Ihnen zugewiesenen Marktplatz am heutigen Tag gegen das Verbot des Feilhaltens von Eiern aus Käfighaltung verstoßen wurde, da Käfigeier aus POLEN zum Verkauf angeboten wurden.

Dies stellt eine Übertretung der Marktordnung 2018 dar.

Ab der nächsten Wahrnehmung werden Anzeigen erstattet.

Hochachtungsvoll

Ihre Marktverwaltung“

Das handschriftlich ergänzte Formular wurde weder von einem Organ des Amtsrevisionswerbers unterfertigt noch enthält es eine Beglaubigung. Die Mitbeteiligte bestätigte mit ihrer Unterschrift auf dem Schriftstück dessen Entgegennahme am 14. Februar 2022. Abschließend enthielt das Schriftstück nachstehenden handschriftlichen Vermerk:

„Irrtum bei Auslieferung durch ‚A...‘. Käfigeier wären für Supermärkte bestimmt gewesen, wurden jedoch am B...markt angeliefert. ACHTUNG: Zum Zeitpunkt der Kontrolle waren die ggst. Eier bereits außer Verkehr gesetzt.“

2        Mit Straferkenntnis vom 27. Mai 2022 legte der Magistrat der Stadt Wien (Amtsrevisionswerber) der Mitbeteiligten zur Last, sie habe am 11. Februar 2022 als Marktpartei des näher genannten Marktes gegen § 5 Abs. 1 iVm § 40 der Wiener Marktordnung 2018, wonach auf allen Märkten das Feilhalten und der Verkauf von Eiern aus Käfighaltung untersagt sei, verstoßen, indem sie auf dem Markt Eier aus Käfighaltung zum Verkauf angeboten habe, und verhängte gegen die Mitbeteiligte eine Geldstrafe in der Höhe von € 400,-- samt Ersatzfreiheitsstrafe und schrieb ihr einen Kostenbeitrag in der Höhe von € 40,-- vor.

3        Begründend hielt der Amtsrevisionswerber - soweit im Revisionsverfahren wesentlich - dem Vorbringen der Mitbeteiligten in ihrer Rechtfertigung, keine Eier aus Käfighaltung zum Verkauf angeboten zu haben, entgegen, die Mitbeteiligte habe die Verwarnung vom 14. Februar 2022, worin festgehalten worden sei, dass die Mitbeteiligte Eier aus Käfighaltung zum Verkauf angeboten habe, persönlich unterschrieben. Dies komme einem Schuldeingeständnis gleich. Es sei bereits das Feilhalten solcher Eier verboten. Auf einen Verkauf komme es nicht an.

4        Dagegen erhob die Mitbeteiligte Beschwerde, worin sie vorbrachte, die (irrtümlich gelieferten) Eier aus Käfighaltung in ihrem Stand gelagert gehabt zu haben, nicht jedoch in der Vitrine zum Verkauf, weil sie vom Lieferanten wieder abgeholt worden seien und die Mitbeteiligte die Eier nicht habe wegschmeißen können. Lediglich dies habe sie mit ihrer Unterschrift gegenüber dem Marktaufsichtsorgan bestätigt.

5        Mit dem angefochtenen Erkenntnis gab das Verwaltungsgericht Wien (Verwaltungsgericht) ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung der Beschwerde der Mitbeteiligten Folge, behob das Straferkenntnis, stellte das Verfahren gemäß § 45 Abs. 1 Z 2 VStG ein, sprach aus, dass die Mitbeteiligte keinen Beitrag zu den Kosten des Beschwerdeverfahrens zu leisten habe und erklärte die Revision für nicht zulässig.

6        Das Verwaltungsgericht legte seiner Entscheidung zusammengefasst nachstehende wesentliche Sachverhaltsfeststellungen zugrunde:

Nach Anzeigeerstattung eines näher genannten Vereins wegen Verstoßes gegen die Wiener Marktordnung 2018 bezüglich des Verkaufs von Käfigeiern am näher genannten Markt am 11. Februar 2022 seien von einem Kontrollorgan des Marktamtes am 14. Februar 2022 umfangreiche Erhebungen durchgeführt worden. Bei insgesamt vier Unternehmen, nicht jedoch beim von der Mitbeteiligten betriebenen Stand sei das Feilhalten von Käfigeiern aus Polen zum Verkauf festgestellt worden. Diese ursprünglich für türkische Geschäfte und Supermärkte vorgesehenen Eier seien bei der Auslieferung irrtümlich vertauscht und zum näher genannten Markt geliefert worden. Da die Aufmachung der Eier gleich wie bei allen vorigen Lieferungen gewesen sei, hätten die Marktstandbetreiber*innen dies übersehen. Die Käfigeier seien außer Verkehr gesetzt und innerhalb kurzer Zeit von der Lieferantin abgeholt worden. Da bei zahlreichen Kontrollen am betreffenden Markt keine Käfigeier vorgefunden worden seien, sei davon ausgegangen worden, dass es sich um eine einzige Falschlieferung gehandelt habe.

Anlässlich der Marktamtskontrolle am 14. Februar 2022 sei der Mitbeteiligten vom Marktaufsichtsorgan wegen des Verstoßes gegen das Verbot des Feilhaltens von Eiern aus Käfighaltung an ihrem Marktstand schriftlich eine Verwarnung erteilt worden.

7        Rechtlich führte das Verwaltungsgericht zusammengefasst aus, aufgrund der Gleichartigkeit der Begehungsform und der äußeren Begleitumstände sowie des zeitlichen Zusammenhangs der der Mitbeteiligten sowohl mit dem Straferkenntnis in Bezug auf den 11. Februar 2022 als auch mit der „Verwarnung iSd § 45 Abs. 1 letzter Satz VStG“ vom 14. Februar 2022 in Bezug auf diesen Tag angelasteten Verkaufshandlungen, sei vorliegend von einem fortgesetzten Delikt auszugehen.

Die von einem Marktaufsichtsorgan gegen die Mitbeteiligte am 14. Februar 2022, somit zu einem Zeitpunkt bevor der Amtsrevisionswerber ein Verwaltungsstrafverfahren gegen die Mitbeteiligte wegen des Verstoßes gegen § 5 Abs. 1 Marktordnung 2018 eingeleitet habe, „erlassene Verwarnung (= Verwaltungsstrafe) gemäß § 45 Abs 1 letzter Satz VStG“ stelle eine die Verwaltungsstrafsache abschließende Erledigung dar, die selbst für den Amtsrevisionswerber Bindungswirkung entfalte. Der Grundsatz „ne bis in idem“ schließe als Rechtswirkung einer derartigen Erledigung eine weitere Strafverfolgung des Täters wegen derselben Tat aus.

Weil „mit der am 14. Februar 2022 verfügten Ermahnung (Verwarnung) gemäß § 45 Abs. 1 letzter Satz VStG“ alle bis dahin erfolgten Einzelakte abgegolten worden seien, sohin auch die im angefochtenen Straferkenntnis für den 11. Februar 2022 angelastete Verkaufstätigkeit, liege ein Verstoß gegen das Verbot der Doppelbestrafung vor, weshalb das Straferkenntnis zu beheben und das Strafverfahren einzustellen sei.

8        Den Ausspruch über die Zulässigkeit der Revision begründete das Verwaltungsgericht mit dem Nichtvorliegen der Voraussetzungen für eine grundsätzliche Rechtsfrage nach Art. 133 Abs. 4 B-VG.

9        Dagegen richtet sich die vorliegende außerordentliche Amtsrevision. Die Mitbeteiligte erstattete in dem vom Verwaltungsgerichtshof eingeleiteten Vorverfahren keine Revisionsbeantwortung.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

10       Die Amtsrevision ist zu der in ihrem Zulässigkeitsvorbringen dargelegten Rechtsfrage der rechtlichen Qualifikation einer schriftlichen „Verwarnung“ als eine mit Bescheid zu erteilende Ermahnung iSd § 45 Abs. 1 VStG zulässig und berechtigt.

11       Der Amtsrevisionswerber bringt zusammengefasst vor, die vom Marktaufsichtsorgan am 14. Februar 2022 gegenüber der Mitbeteiligten ausgesprochene schriftliche „Verwarnung“ enthalte keinen konkreten Spruch. Zudem seien darin weder die übertretene Rechtsvorschrift noch die angewendete Gesetzesbestimmung noch eine Rechtsmittelbelehrung wiedergegeben. Überdies enthalte das entsprechende Schreiben keinen Tatvorwurf, sondern erschöpfe sich in der Wiedergabe des festgestellten Sachverhalts.

Unabhängig davon, dass dieses Schreiben auch nicht ausdrücklich als Bescheid bezeichnet worden sei, handle es sich um keinen eine Ermahnung iSd § 45 Abs. 1 VStG erteilenden Bescheid, weshalb das Straferkenntnis des Amtsrevisionswerbers nicht gegen das Doppelbestrafungsverbot verstoße.

12       § 45 Abs. 1 Verwaltungsstrafgesetz 1991 (VStG), BGBl. Nr. 52 in der Fassung BGBl. I Nr. 33/2013, lautet auszugsweise wie folgt:

„§ 45. (1) Die Behörde hat von der Einleitung oder Fortführung eines Strafverfahrens abzusehen und die Einstellung zu verfügen, wenn

...

4.   die Bedeutung des strafrechtlich geschützten Rechtsgutes und die Intensität seiner Beeinträchtigung durch die Tat und das Verschulden des Beschuldigten gering sind;

...

Anstatt die Einstellung zu verfügen, kann die Behörde dem Beschuldigten im Fall der Z 4 unter Hinweis auf die Rechtswidrigkeit seines Verhaltens mit Bescheid eine Ermahnung erteilen, wenn dies geboten erscheint, um ihn von der Begehung strafbarer Handlungen gleicher Art abzuhalten.“

13       Vorweg ist festzuhalten, dass soweit das Verwaltungsgericht der Mitbeteiligten unterstellte, sowohl am 11. Februar 2022 als auch am 14. Februar 2022 auf ihrem Marktstand Eier aus Käfighaltung feilgeboten und dadurch gegen § 5 Abs. 1 Wiener Marktordnung 2018 verstoßen zu haben, die Beurteilung dieser einzelnen Tathandlungen als fortgesetztes Delikt entsprechend der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. etwa für viele VwGH 14.9.2020, Ra 2020/02/0103, Rn. 35, mwN) nicht zu beanstanden ist.

14       Im Falle eines fortgesetzten Delikts sind durch die Bescheiderlassung alle bis dahin erfolgten Einzelakte abgegolten, mögen sie auch zu diesem Zeitpunkt noch nicht bekannt gewesen sein. Maßgebend ist der Zeitpunkt der Erlassung des Straferkenntnisses durch die Behörde erster Instanz (vgl. VwGH 16.2.2012, 2010/01/0009, mwN). Mit der nicht formlos, sondern gemäß § 45 Abs. 1 VStG mit Bescheid zu erteilenden Ermahnung werden ebenso alle bis zur Bescheiderlassung erfolgten Einzelakte eines fortgesetzten Delikts abgegolten. Der Erlassung eines Straferkenntnisses in Bezug auf eine bereits von einer gemäß § 45 Abs. 1 VStG mit Bescheid erteilten Ermahnung erfasste Einzelhandlung steht somit der Grundsatz „ne bis in idem“ entgegen.

15       Vorliegend ist daher wesentlich, ob es sich bei dem als „Verwarnung“ bezeichneten Schreiben des Marktaufsichtsorgans um eine gemäß § 45 Abs. 1 VStG mit Bescheid erteilte Ermahnung handelt.

16       Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes stellt die Ermahnung iSd § 45 Abs. 1 VStG zwar keine Strafe dar, sie ist aber gleichwohl nur für jene Fälle vorgesehen, in denen die Voraussetzungen für die Verhängung einer Strafe gegeben sind. Der Bescheid hat daher einen Schuldspruch und den Ausspruch der Ermahnung zu enthalten, die trennbare Absprüche darstellen (vgl. etwa VwGH 15.3.2022, Ra 2020/11/0062, 0063, Rn. 11, mwN). Die Erteilung einer Ermahnung im Bescheidspruch gemäß § 45 Abs. 1 VStG erfordert überdies die Ausführung des tatbildmäßigen Verhaltens und der übertretenen Verwaltungsnorm (vgl. VwGH 27.2.2015, Ra 2014/17/0035, mwN).

17       Wie der Verwaltungsgerichtshof in ständiger Rechtsprechung vertritt, ist für den Fall, dass eine an eine bestimmte Person gerichtete Erledigung die Bezeichnung der Behörde, den Spruch und die Unterschrift bzw. Beglaubigung enthält, das Fehlen der ausdrücklichen Bezeichnung als Bescheid für den Bescheidcharakter unerheblich. Allerdings kann auf die ausdrückliche Bezeichnung als Bescheid nur dann verzichtet werden, wenn sich aus dem Spruch eindeutig ergibt, dass die Behörde nicht nur einen individuellen Akt im Rahmen der Hoheitsverwaltung gesetzt hat, sondern auch, dass sie normativ - also entweder rechtsgestaltend oder rechtsfeststellend - eine Angelegenheit des Verwaltungsrechts entschieden hat. Die bloße Wiedergabe einer Rechtsansicht, von Tatsachen, der Hinweis auf Vorgänge des Verfahrens, Rechtsbelehrungen und dergleichen, können nicht als verbindliche Erledigung gewertet werden. Lässt der Inhalt einer Erledigung Zweifel über den Bescheidcharakter entstehen - wobei ein strenger Maßstab anzulegen ist -, so ist die ausdrückliche Bezeichnung als Bescheid für den Bescheidcharakter der Erledigung essenziell (vgl. VwGH 18.12.2020, Ra 2017/08/0096, mwN).

18       Vorliegend enthält die schriftliche „Verwarnung“ weder einen Schuldspruch noch einen hinreichenden Ausspruch der Ermahnung. Ebenso fehlt die Unterschrift bzw. Beglaubigung und die Bezeichnung als Bescheid. Ausgehend von der dargelegten Rechtsprechung ist daher die schriftliche „Verwarnung“ des Amtsrevisionswerbers vom 14. Februar 2022 nicht als mittels Bescheid zu erteilende Ermahnung iSd § 45 Abs. 1 VStG zu qualifizieren.

19       Das Verwaltungsgericht ist somit zu Unrecht von einem Verstoß des Straferkenntnisses des Amtsrevisionswerbers gegen den Grundsatz „ne bis in idem“ ausgegangen und es mangelt deshalb der damit begründeten Verfahrenseinstellung gemäß § 45 Abs. 1 Z 2 VStG an der notwendigen Voraussetzung.

20       Das Verwaltungsgericht hat daher das angefochtene Erkenntnis mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit belastet, weshalb das Erkenntnis gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben war.

Wien, am 10. März 2023

Schlagworte

Auswertung in Arbeit!

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2023:RA2022040146.L00

Im RIS seit

12.04.2023

Zuletzt aktualisiert am

12.04.2023
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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