TE Vwgh Erkenntnis 1995/11/8 94/03/0245

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Veröffentlicht am 08.11.1995
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Index

L92059 Altenheime Pflegeheime Sozialhilfe Wien;
001 Verwaltungsrecht allgemein;
10/04 Wahlen;
22/01 Jurisdiktionsnorm;
40/01 Verwaltungsverfahren;
90/01 Straßenverkehrsordnung;
90/02 Kraftfahrgesetz;

Norm

AVG §3 Z3;
AVG §45 Abs2;
JN §66 Abs1;
KFG 1967 §41 Abs2 lita;
SHG Wr 1973 §38;
StVO 1960 §45 Abs4;
StVONov 19te;
VwRallg;
WählerevidenzG 1973 §2 Abs1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Baumgartner und die Hofräte Dr. Sauberer, Dr. Gruber, Dr. Gall und Dr. Zorn als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Gruber, über die Beschwerde des Dr. W, Rechtsanwalt in Innsbruck, gegen den Bescheid des Stadtsenates der Landeshauptstadt Innsbruck vom 12. Juli 1994, Zl. MD/Präs.Abt. II-4760/1994, betreffend Ausnahmebewilligung gemäß § 45 Abs. 4 StVO 1960, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Die Landeshauptstadt Innsbruck hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 11.480,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer beantragte gemäß § 45 Abs. 4 StVO 1960 die Erteilung einer Ausnahmebewilligung für die Benutzung eines bestimmten Kurzparkzonengebietes in Innsbruck mit einem dem Kennzeichen nach bestimmten PKW. Mit Bescheid des Stadtmagistrate Innsbruck (Straßen- und Verkehrsamt) vom 3. Mai 1994 wurde der Antrag abgewiesen. Zur Begründung wurde im wesentlichen ausgeführt, der Beschwerdeführer sei (seit 19. September 1991) in der Meldedatei mit der Adresse Innsbruck, L-Straße 5, eingetragen. In der Wählerevidenz (gemeint für Innsbruck) scheine er nicht auf, er sei vielmehr in W wahlberechtigt. Der Zulassungsschein für den PKW des Beschwerdeführers weise als Adresse W, A-Straße 6, auf. Aus einer Stellungnahme der Bundespolizeidirektion Innsbruck ergebe sich, daß der Beschwerdeführer den ordentlichen Wohnsitz in W habe und in Innsbruck (L-Straße 5) mit einem Zweitwohnsitz gemeldet sei. Nach Ansicht der Behörde stelle die Eintragung in der Wählerevidenz ein wichtiges Indiz bei Ermittlung des Mittelpunktes der Lebensinteressen dar. Es sei auch davon auszugehen, daß die Zulassungsadresse des Kraftfahrzeuges mit der Wohnadresse des Beschwerdeführers übereinstimme, zumal nach § 42 Abs. 1 KFG der Zulassungsbesitzer binnen einer Woche jede Änderung von Umständen, durch die Eintragungen im Zulassungsschein berührt werden, der Zulassungsbehörde anzuzeigen habe. Die Behörde komme daher zu dem Ergebnis, daß der Beschwerdeführer nicht in der betreffenden Anwohnerparkzone wohnhaft sei.

In der Berufung brachte der Beschwerdeführer vor, er sei zwar in W gemeldet, der Mittelpunkt seines Lebens, seiner wirtschaftlichen Existenz und seiner sozialen Beziehungen befinde sich aber schon seit Jahren in Innsbruck. Die Wohnung in Innsbruck, L-Straße 5, habe er im Jahre 1987 angemietet, seither wohne er auch dort. Seit Jänner 1990 lebe er dort zusammen mit seiner Lebensgefährtin, seit Februar 1993 wohne dort auch ihr gemeinsames Kind. Der Beschwerdeführer habe in den letzten Jahren nicht ein einziges Mal in W genächtigt. Zum Nachweis dafür, daß sich der Mittelpunkt der Lebensbeziehungen des Beschwerdeführers in Innsbruck befinde, habe er eine Reihe von Zeugen angeboten. Der Umstand, daß der PKW noch nicht "umgemeldet" worden sei und somit allenfalls eine Verwaltungsübertretung vorliege, und die Tatsache, daß der Beschwerdeführer noch immer in der Wählerevidenz von W aufscheine, sei u.a. durch Trägheit und das Bemühen um Einsparung von Ummeldekosten erklärbar.

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung als unbegründet ab. Tatbestandsmerkmal des § 45 Abs. 4 StVO 1960 sei, daß der Antragsteller in dem betreffenden Gebiet wohnhaft sei. Hiefür sei die mangelnde Eintragung in die Wählerevidenz der Stadtgemeinde Innsbruck und die "Nichtübereinstimmung von Zulassungsadresse des Kfz mit der Wohnadresse" von maßgeblicher rechtlicher Relevanz. Der Beschwerdeführer habe zwar die Wohnung in Innsbruck, L-Straße 5, tatsächlich zum Wohnen bezogen, es mangle dem Beschwerdeführer jedoch an dem für die Annahme eines Wohnsitzes zusätzlich geforderten psychischen Moments, nämlich an der Absicht, an dem Orte der Niederlassung bleibenden Aufenthalt zu nehmen. Diese Feststellung leitete die belangte Behörde daraus ab, daß der Beschwerdeführer es ablehne, zum jetzigen Zeitpunkt die Zulassungsadresse seines Kfz auf seine Adresse in Innsbruck zu ändern und in die Wählerevidenz der Stadtgemeinde Innsbruck aufgenommen zu werden. Die beantragte Genehmigung sei somit zu versagen, weil nicht sämtliche Tatbestandsmerkmale des § 45 Abs. 4 StVO 1960 verwirklicht seien.

Gegen diesen Bescheid wendet sich die vorliegende Beschwerde.

Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor und beantragte in ihrer Gegenschrift die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Der angefochtene Bescheid ist vor Inkrafttreten der 19. StVO-Novelle, BGBl. Nr. 518/1994, erlassen worden.

§ 43 Abs. 2a StVO 1960 lautete:

"Um Erschwernisse für die Wohnbevölkerung auszugleichen, die durch Verkehrsbeschränkungen hervorgerufen werden, kann die Behörde durch Verordnung Gebiete bestimmen, deren Bewohner die Erteilung einer Ausnahmebewilligung für die Benützung von - in der Verordnung zu bezeichnenden - nahegelegenen Kurzparkzonen mit Personen- oder Kombinationskraftwagen gemäß § 45 Abs. 4 beantragen können."

§ 45 Abs. 4 StVO 1960 lautete:

"Eine Bewilligung kann für die in der Verordnung gemäß § 43 Abs. 2a angegebenen Kurzparkzonen auf die Dauer von höchstens einem Jahr erteilt werden. Der Antragsteller muß in dem gemäß dieser Verordnung umschriebenen Gebiet wohnhaft und Zulassungsbesitzer eines Personen- oder Kombinationskraftwagens sein und muß ein erhebliches persönliches Interesse nachweisen, in der Nähe seines Wohnortes zu parken."

Es entspricht der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, daß "Wohnsitz", wenn nicht ausdrücklich anderes bestimmt wird, in dem Sinne zu verstehen ist, den § 66 Abs. 1 JN hiefür gesetzt hat. Demnach ist der Wohnsitz einer Person an dem Orte begründet, an welchem sie sich in der erweislichen oder aus den Umständen hervorgehenden Absicht niedergelassen hat, daselbst ihren bleibenden Aufenthalt zu nehmen. Der Begriff des Wohnsitzes schließt demnach ein Zweifaches in sich, nämlich ein tatsächliches Moment - die Niederlassung in einem Orte - und ein psychisches, und zwar die Absicht, in dem Orte der Niederlassung bleibenden Aufenthalt zu nehmen. Die Begründung eines Wohnsitzes setzt einen tatsächlichen ununterbrochenen Aufenthalt an diesem Ort nicht voraus, vielmehr kann auch ein aus einem bestimmten Anlaß zeitlich beschränkter Aufenthalt einen Wohnsitz begründen, wobei der polizeilichen Anmeldung kein entscheidendes Gewicht beizumessen ist. Eine Person kann auch mehrere Wohnsitze haben, wobei die Begründung eines neuen Wohnsitzes noch nicht bedeutet, daß der alte Wohnsitz aufgegeben wurde (vgl. u.a. das hg. Erkenntnis vom 2. Dezember 1987, Zl. 87/03/0189).

Das Tatbestandsmerkmal "wohnhaft" knüpft nach Ansicht des Verwaltungsgerichtshofes an den Begriff des Wohnsitzes an. Ein Antragsteller ist in einem Gebiet "wohnhaft" - strittig ist im gegenständlichen Fall ausschließlich, ob dieses Tatbestandsmerkmal des § 45 Abs. 4 StVO 1960 erfüllt ist -, wenn die Voraussetzungen eines Wohnsitzes erfüllt sind. Entscheidend ist somit lediglich, ob sich ein Antragsteller in dem betreffenden Gebiet niedergelassen hat, und zwar mit der Absicht, dort bleibenden Aufenthalt zu nehmen. Gemäß § 2 Abs. 1 des Wählerevidenzgesetzes 1973, BGBl. Nr. 601, idF vor dem Hauptwohnsitzgesetz, BGBl. Nr. 505/1994, ist in die Wählerevidenz der Name von Personen mit "ordentlichem Wohnsitz" in der Gemeinde und gemäß § 41 Abs. 2 lit. a KFG, ebenfalls idF vor dem Hauptwohnsitzgesetz, im Zulassungsschein der ordentliche Wohnsitz des Zulassungsbesitzers einzutragen. Auf diese Eintragungen kommt es aber - entgegen der Ansicht der belangten Behörde - bei der Beurteilung der Frage, ob eine Person im Sinn des § 45 Abs. 4 StVO 1960 "wohnhaft" ist, in rechtlicher Hinsicht nicht an. Insofern hat die belangte Behörde die Rechtslage verkannt. Diesen Eintragungen kann lediglich bei Ermittlung des Vorliegens der Voraussetzungen für einen Wohnsitz im Rahmen der Beweiswürdigung eine (beschränkte) Bedeutung zukommen. Wenn aber im angefochtenen Bescheid als weitere Begründung angeführt wird, aufgrund dieser Eintragungen (bzw. wegen des Fehlens von entsprechenden Eintragungen) könne angenommen werden, der Beschwerdeführer habe nicht die Absicht, in seiner Wohnung in Innsbruck den bleibenden Aufenthalt zu nehmen, so hält diese Beweiswürdigung der verwaltungsgerichtlichen Kontrolle nicht stand. Die belangte Behörde hat sich nämlich mit dem in diesem Zusammenhang relevanten Vorbringen des Beschwerdeführers, in der Wohnung in Innsbruck wohne er seit langem mit seiner Lebensgefährtin und einem gemeinsamen Kind, in W habe er hingegen in den letzten Jahren nicht ein einziges Mal genächtigt, nicht auseinandergesetzt. Überdies ist darauf zu verweisen, daß § 45 Abs. 4 StVO 1960 idF vor der 19. StVO-Novelle es nicht ausschließt, daß ein Antragsteller in mehreren Gebieten "wohnhaft" ist.

Der angefochtene Bescheid ist somit wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG aufzuheben.

Die Kostenentscheidung gründet sich im Rahmen des gestellten Antrages auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Schlagworte

freie Beweiswürdigung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1995:1994030245.X00

Im RIS seit

13.07.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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