TE Lvwg Erkenntnis 2022/9/29 LVwG 30.17-2658/2022

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Veröffentlicht am 29.09.2022
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Entscheidungsdatum

29.09.2022

Index

90/01 Straßenverkehrsordnung

Norm

StVO 1960 §88 Abs2
  1. StVO 1960 § 88b heute
  2. StVO 1960 § 88b gültig ab 01.06.2019 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 37/2019

Text

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Landesverwaltungsgericht Steiermark hat durch die Richterin Mag. Jöbstl-Findeis über die Beschwerde des Herrn A B, geb. am ****, vertreten durch C D GmbH, Hgasse, G, gegen das Straferkenntnis der Bürgermeisterin der Stadt Graz vom 14.01.2022, GZ: GRAZ/601210011574/2021, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung

z u R e c h t e r k a n n t:

I.   Gemäß § 50 Abs 1 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (im Folgenden VwGVG) wird der Beschwerde stattgegeben, das angefochtene Straferkenntnis behoben und das Verwaltungsstrafverfahren gemäß § 45 Abs 1 Z 1 VStG iVm § 38 VwGVG

eingestellt.

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e

1.   Zur Ausfertigung des Erkenntnisses in gekürzter Form:

1.1.    Das Landesverwaltungsgericht Steiermark hat am 17.08.2022 eine öffentliche, mündliche Verhandlung durchgeführt und im Anschluss das Erkenntnis mit den wesentlichen Entscheidungsgründen verkündet.

1.2.    Die Niederschrift über die durchgeführte mündliche Verhandlung wurde dem Vertreter des Beschwerdeführers am 22.08.2022 zugestellt. Der belangten Behörde wurde die Niederschrift am 17.08.2022 ausgefolgt. Dem Bundesministerium für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie wurde die Niederschrift am 07.09.2022 zugestellt.

1.3.    Die Rechtsmittelbelehrung des Erkenntnisses enthält gemäß § 30 Z 4 VwGVG einen Hinweis auf die Möglichkeit und die Folgen des Verzichts auf die Revision, die Niederschrift enthält gemäß § 29 Abs 2a VwGVG eine Belehrung über das Recht, binnen zwei Wochen nach Ausfolgung bzw. Zustellung der Niederschrift eine schriftliche Ausfertigung des Erkenntnisses gemäß § 29 Abs 4 VwGVG zu verlangen (Z 1) und darüber, dass ein Antrag auf schriftliche Ausfertigung des Erkenntnisses eine Voraussetzung für die Zulässigkeit der Revision beim Verwaltungsgerichtshof und der Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof darstellt (Z 2).

1.4.    Von den Parteien des Verfahrens hat keine zur Erhebung einer Revision beim Verwaltungsgerichtshof und einer Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof legitimierte Partei binnen der in § 29 Abs 5 VwGVG normierten Frist von zwei Wochen nach Ausfolgung / Zustellung der Niederschrift, die längstens mit 21.09.2022 abgelaufen ist, den Antrag auf schriftliche Ausfertigung gemäß § 29 Abs 4 VwGVG gestellt.

1.5.    Das Erkenntnis wird daher gemäß § 29 Abs 5 VwGVG in gekürzter Form ausgefertigt.

2.   Zu den für die Einstellung maßgebenden Gründen:

1.       Mit dem angefochtenen Straferkenntnis vom 14.01.2022 wurde dem Beschwerdeführer vorgeworfen, er habe am 06.08.2021, 21:15 Uhr, in G, K-J-Platz bei den Marktständen einen Gehsteig mit einem fahrzeugähnlichen Kinderspielzeug, nämlich einem Skateboard, befahren und dabei die dortigen Fußgänger gefährdet, obwohl Spiele und das Befahren von Gehsteigen oder Gehwegen mit fahrzeugähnlichem Spielzeug und ähnlichen Bewegungsmitteln in Schrittgeschwindigkeit nur gestattet ist, wenn hierdurch der Verkehr auf der Fahrbahn oder Fußgänger nicht gefährdet oder behindert werden. Es sei festgestellt worden, dass der Beschwerdeführer auf dem K-J-Platz, welcher als Fußgängerzone einem Gehsteig gleichgestellt ist, mit dem Skateboard über eine auf dem Boden gelegte Bierbank gesprungen sei und dabei eine Gefährdung der Fußgänger gegeben war. Er habe dabei gegen § 88 Abs 2 StVO verstoßen und wurde über ihn gemäß § 99 Abs 4 lit e StVO eine Strafe in Höhe von € 40,00 verhängt.

2.       In der dagegen durch seinen ausgewiesenen Vertreter fristgerecht und formal zulässig eingebrachten Beschwerde wurde im Wesentlichen vorgebracht, dass die belangte Behörde zu Unrecht von einem Ungehorsamsdelikt ausgegangen sei und keine Feststellungen zur subjektiven Tatseite des vorgeworfenen Erfolgsdelikts getroffen habe; darüber hinaus fehlten jegliche Feststellungen dahingehend, wo genau die vorgeworfene Verwaltungsübertretung stattgefunden habe respektive wie stark frequentiert der K-J-Platz zu dieser Zeit gewesen sei.

3.       Wie das Beweisverfahren in der öffentlichen, mündlichen Verhandlung am 17.08.2022 ergeben hat, trug sich der Vorfall im nordwestlichen Bereich des K-J-Platzes zu. Der Abstand des Sitzplatzes (Holzbank), der den Skaterbereich zur Gstraße begrenzte, zur Straße hin betrug etwa eineinhalb Wagenbreiten. Am Rande des Skaterbereichs saßen andere Skater sowie Zuseher. Der K-J-Platz ist mit seinen über 9.000 m² als weitläufiger, nahezu eben verlaufender Platz ausgestaltet. Zum Zeitpunkt des verfahrensgegenständlichen Vorfalls (21:15 Uhr) herrschte auch kein Markttreiben mehr; die Marktstände waren abgebaut und der Platz damit weitgehend frei einsehbar. Die Gastronomiestände am anderen Ende des Platzes waren gut besucht. Der Abstand vom „Skaterbereich“ zu den Lokalgästen betrug etliche Meter. Längsseitige Bodenvertiefungen, sowie die Kiesbeete der Bäume am Platz schirmen den Bereich gegenüber den Gastromiestandreihen dahingehend ab, als allenfalls „ausfahrende“ Skateboards dadurch abgebremst werden.

4.       Der zeugenschaftlich einvernommene Polizeibeamte konnte sich (ebenso wie sein zur Verhandlung entschuldigter Kollege) an den konkreten Vorfall nicht mehr erinnern und konnte lediglich auf den seinerzeitigen Anzeigentext des Meldungslegers verweisen. Der Zeuge E F schilderte hingegen glaubwürdig und schlüssig die Gegebenheiten vor Ort, woraus nach Würdigung sämtlicher Beweisergebnisse am Vorfallstag eine Gefährdung – in Kenntnis der örtlichen Beschaffenheit des Platzes – im Sinne der vorgeworfenen Übertretung nicht mit der erforderlichen Sicherheit festgestellt werden konnte.

5.       Entgegen den Ausführungen der belangten Behörde im angefochtenen Straferkenntnis zum Ausmaß des Verschuldens handelt es sich beim vorgeworfenen Tatbestand nicht um ein Ungehorsamsdelikt, weshalb die Verschuldensvermutung nach § 5 Abs 1 VStG nicht zur Anwendung kommt.

6.       Der Rechtsmeinung der belangten Behörde, wonach es sich bei § 88 Abs 2 StVO um eine abstrakte Gefährdungsnorm handle, kann aufgrund der textlichen Ausgestaltung der Übertretungsnorm dahingehend nicht gefolgt werden, da der Gesetzgeber, hätte er ein abstraktes Gefährdungsverbot festlegen wollen, festlegen müssen, dass das Verbot auch dann besteht, wenn andere Straßenbenützer gefährdet oder behindert werden können, wie er das etwa in § 16 Abs 1 StVO normiert hat. Der Umstand, dass der Gesetzgeber hier das Gefährdungsverbot explizit auf den Verkehr sowie auf Fußgänger beschränkte, verlangt ein konkretes Gefährdungspotenzial.

7.       Dass der Beschwerdeführer den Verkehr auf der Fahrbahn oder Fußgänger gefährdet oder behindert hätte, hat das Beweisverfahren mit der erforderlichen Sicherheit nicht ergeben, sodass das Verfahren gemäß § 45 Abs 1 Z 1 VStG in dubio pro reo eingestellt wird.

Schlagworte

Gehsteig, fahrzeugähnliches Kinderspielzeug, Skateboard, Fußgängerzone, Einstellung, in dubio pro reo

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:LVWGST:2022:LVwG.30.17.2658.2022

Zuletzt aktualisiert am

10.11.2022
Quelle: Landesverwaltungsgericht Steiermark LVwg Steiermark, http://www.lvwg-stmk.gv.at
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