TE Vwgh Erkenntnis 2022/5/5 Ra 2021/21/0235

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Veröffentlicht am 05.05.2022
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof
40/01 Verwaltungsverfahren
41/02 Asylrecht
41/02 Passrecht Fremdenrecht

Norm

AVG §59 Abs1
BFA-VG 2014 §16 Abs4
BFA-VG 2014 §18 Abs2
FrPolG 2005 §46 Abs1
FrPolG 2005 §52 Abs1 Z2
FrPolG 2005 §76 Abs2 Z2
VwGG §42 Abs2 Z1
VwGG §47
VwGG §48
VwGG §50
VwGG §52 Abs1
VwGVG 2014 §17

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sulzbacher und den Hofrat Dr. Pfiel als Richter sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richterin, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Eraslan, über die Revision des R T, vertreten durch Dr. Gregor Klammer, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Singerstraße 6/5, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 26. Mai 2021, W154 2238499-1/6E, betreffend Festnahme, Anhaltung, Schubhaft und Abschiebung (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl),

Spruch

I. den Beschluss gefasst:

Die Revision wird, soweit sie sich gegen die Abweisung der Beschwerde im Punkt Festnahme des Revisionswerbers am 30. November 2020 und die darauf gegründete anschließende Anhaltung richtet, zurückgewiesen.

II. zu Recht erkannt:

Das angefochtene Erkenntnis wird, soweit damit die Beschwerde im Punkt Schubhaftbescheid vom 2. Dezember 2020 und Anhaltung des Revisionswerbers in Schubhaft bis 10. Dezember 2020 sowie Abschiebung des Revisionswerbers am 10. Dezember 2020 abgewiesen wurde, und im Kostenpunkt wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von € 2.452,80 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1        Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger von Bosnien und Herzegowina, verfügte über einen slowenischen Aufenthaltstitel mit Gültigkeit vom 2. Juli 2020 bis zum 8. März 2021. Er wurde am 30. November 2020 von der Finanzpolizei bei im Auftrag eines slowenischen Unternehmens durchgeführten Montagearbeiten betreten, wofür (unstrittig) keine arbeitsmarktrechtliche Bewilligung vorlag. Anschließend erließ das hiervon verständigte Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) gemäß § 34 Abs. 3 Z 1 BFA-VG einen Festnahmeauftrag, der um 12.20 Uhr vollzogen wurde.

2        Mit Bescheid vom 2. Dezember 2020 sprach das BFA aus, dass dem Revisionswerber (von Amts wegen) kein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 erteilt werde. Unter einem erließ es gemäß § 10 Abs. 2 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 1 Z 1 FPG, stellte gemäß § 52 Abs. 9 FPG fest, dass seine Abschiebung nach Bosnien und Herzegowina zulässig sei, und erließ gegen ihn gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 2 Z 7 FPG ein auf die Dauer von fünf Jahren befristetes Einreiseverbot. Gemäß § 55 Abs. 4 FPG gewährte es keine Frist für die freiwillige Ausreise und erkannte einer Beschwerde gegen die Rückkehrentscheidung gemäß § 18 Abs. 2 Z 1 BFA-VG die aufschiebende Wirkung ab.

3        Überdies ordnete das BFA mit Mandatsbescheid vom 2. Dezember 2020 über den Revisionswerber gemäß § 76 Abs. 2 Z 2 FPG iVm § 57 Abs. 1 AVG - nach dessen Einvernahme - die Schubhaft zum Zweck der Sicherung der Abschiebung an.

4        Diese Bescheide wurden dem Revisionswerber noch am selben Tag um 8.00 Uhr zugestellt und anschließend wurde mit dem Schubhaftvollzug begonnen, der bis zur Abschiebung des Revisionswerbers in seinen Heimatstaat (Bosnien und Herzegowina) am 10. Dezember 2020 dauerte.

5        Mit Erkenntnis vom 15. Jänner 2021 gab das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) einer gegen den in Rn. 2 erwähnten Bescheid am 28. Dezember 2020 erhobenen Beschwerde insoweit statt, als es die Dauer des Einreiseverbotes auf ein Jahr herabsetzte. Im Übrigen wies es die Beschwerde mit der Maßgabe als unbegründet ab, dass die Rückkehrentscheidung auf § 52 Abs. 1 Z 2 FPG gestützt werde.

6        Mit Erkenntnis VwGH 2.9.2021, Ra 2021/21/0055, hob der Verwaltungsgerichtshof dieses Erkenntnis - mit Bezug auf das einen gleichgelagerten Fall betreffende Erkenntnis VwGH 2.9.2021, Ra 2021/21/0103, - gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes auf. Dem lag die näher begründete Auffassung zugrunde, dass die - für einen nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen wie den Revisionswerber, der im Besitz eines Aufenthaltstitels eines anderen Mitgliedstaates ist, geltende - Bestimmung des § 52 Abs. 6 FPG im vorliegenden Fall der Erlassung einer Rückkehrentscheidung (und damit auch eines darauf aufbauenden Einreiseverbotes) entgegenstand. Einerseits sei der Revisionswerber nämlich nicht (erfolglos) aufgefordert worden, sich unverzüglich nach Slowenien zu begeben, und anderseits sei zu Unrecht davon ausgegangen worden, seine sofortige Ausreise aus dem Bundesgebiet (gemeint: in den Herkunftsstaat Bosnien und Herzegowina) sei aus Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit erforderlich. Demnach seien die Voraussetzungen nach der genannten Bestimmung für die Erlassung einer Rückkehrentscheidung (und eines Einreiseverbotes) nicht vorgelegen, wobei der Verwaltungsgerichtshof überdies noch ausdrücklich bemängelte, dass das BVwG auf die genannten Voraussetzungen des § 52 Abs. 6 FPG überhaupt nicht Bedacht genommen habe. Letzteres gilt im Übrigen auch für das BFA.

7        Am 11. Jänner 2021 erhob der Revisionswerber eine Maßnahmenbeschwerde, die sich nach dem dort gestellten Antrag erkennbar gegen die Festnahme am 30. November 2020 und die nachfolgende Anhaltung, gegen den Schubhaftbescheid vom 2. Dezember 2020 und gegen die Anhaltung in Schubhaft bis zum 10. Dezember 2020 sowie gegen seine Abschiebung an diesem Tag richtete.

8        Mit dem vorliegend angefochtenen Erkenntnis vom 26. Mai 2021 wies das BVwG diese Beschwerde zur Gänze ab; ebenso den Antrag des Revisionswerbers auf Kostenersatz. Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG erklärte das BVwG die Revision nach Art. 133 Abs. 4 B-VG insgesamt für nicht zulässig.

9        Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage und Durchführung des Vorverfahrens, in dessen Rahmen keine Revisionsbeantwortung erstattet wurde, erwogen hat:

10       Hat das Verwaltungsgericht so wie hier das BVwG in seinem Erkenntnis ausgesprochen, dass die Revision nach Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig ist, hat die Revision zufolge § 28 Abs. 3 VwGG auch gesondert die Gründe zu enthalten, aus denen entgegen dem Ausspruch des Verwaltungsgerichtes die Revision für zulässig erachtet wird (außerordentliche Revision). Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision nach Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof dann im Rahmen der dafür vorgebrachten Gründe zu überprüfen (§ 34 Abs. 1a zweiter Satz VwGG).

11       In Bezug auf die Entscheidung betreffend die Festnahme des Revisionswerbers am 30. November 2020 und die anschließende Anhaltung bis zum Beginn des Schubhaftvollzuges fehlt es an einem entsprechenden, nachvollziehbaren Vorbringen in der vorliegenden Revision.

12       Die Revision war daher in dem aus Spruchpunkt I. ersichtlichen Umfang gemäß § 34 Abs. 1 und 3 VwGG in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 1 lit. a VwGG gebildeten Dreiersenat mit Beschluss zurückzuweisen.

13       Im Übrigen erweist sich die Revision aus nachstehenden, in der Zulässigkeitsbegründung im Ergebnis auch zutreffend geltend gemachten Überlegungen unter dem Gesichtspunkt des Art. 133 Abs. 4 B-VG als zulässig und auch als berechtigt.

14       Im gegenständlichen Fall wurde die Schubhaft gegen den Revisionswerber auf der Grundlage des § 76 Abs. 2 Z 2 FPG zur Sicherung seiner Abschiebung (nach Bosnien und Herzegowina) angeordnet. Nach der genannten Bestimmung darf Schubhaft in einer solchen Konstellation nur dann angeordnet werden, wenn dies zur Sicherung der Abschiebung notwendig ist, Fluchtgefahr vorliegt und die Schubhaft verhältnismäßig ist.

15       Zur Frage der Notwendigkeit (der Sicherung) der Abschiebung wäre vom BFA und vom BVwG zunächst auf § 46 Abs. 1 FPG Bedacht zu nehmen gewesen. Diese mit „Abschiebung“ überschriebene Bestimmung lautet:

„§ 46. (1) Fremde, gegen die eine Rückkehrentscheidung, eine Anordnung zur Außerlandesbringung, eine Ausweisung oder ein Aufenthaltsverbot durchsetzbar ist, sind von den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes im Auftrag des Bundesamtes zur Ausreise zu verhalten (Abschiebung), wenn

1.   die Überwachung ihrer Ausreise aus Gründen der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit notwendig scheint,

2.   sie ihrer Verpflichtung zur Ausreise nicht zeitgerecht nachgekommen sind,

3.   auf Grund bestimmter Tatsachen zu befürchten ist, sie würden ihrer Ausreiseverpflichtung nicht nachkommen, oder

4.   sie einem Einreiseverbot oder Aufenthaltsverbot zuwider in das Bundesgebiet zurückgekehrt sind.“

16       Dass der Tatbestand der Z 1 im vorliegenden Fall nicht erfüllt war, ergibt sich schon aus der Begründung des oben in Rn. 6 dargestellten Erkenntnisses VwGH 2.9.2021, Ra 2021/21/0055. Fallbezogen kam daher nur der Tatbestand nach der Z 3 dieser Bestimmung in Betracht, wonach für die Zulässigkeit einer Abschiebung - neben dem Vorliegen (u.a.) einer durchsetzbaren Rückkehrentscheidung - verlangt wird, dass aufgrund bestimmter Tatsachen zu befürchten sei, der Fremde werde seiner Ausreiseverpflichtung nicht nachkommen. Nur dann, wenn diese Voraussetzung erfüllt ist, kann in einer Konstellation wie hier Schubhaft zur Sicherung einer Abschiebung notwendig sein (vgl. in diesem Sinn jüngst VwGH 31.3.2022, Ra 2021/21/0161, Rn. 19).

17       Demzufolge hätte sich das BFA vor der Schubhaftverhängung mit der Frage befassen müssen, ob der Revisionswerber (über entsprechende behördliche Aufforderung) - wie sich aus dem schon mehrfach genannten Erkenntnis VwGH 2.9.2021, Ra 2021/21/0055, ergibt - zur unverzüglichen freiwilligen Ausreise nach Slowenien bereit gewesen wäre, zumal ihm dies im Hinblick auf den (damals) gültigen slowenischen Aufenthaltstitel, den Besitz eines gültigen Reisepasses und der Verfügung über ein Kraftfahrzeug, mit dem die Anreise erfolgt war, auch ohne Weiteres möglich gewesen wäre. In diesem Fall hätte es keiner Schubhaft bedurft.

18       Das hat das BFA unterlassen, weshalb sich der Schubhaftbescheid und die darauf gegründete Anhaltung schon deshalb als rechtswidrig erweisen, was vom BVwG bei der Begründung des angefochtenen Erkenntnisses nicht erkannt wurde. Dort wurde vielmehr bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Abschiebung nach § 46 Abs. 1 FPG auf die in den Z 1 bis 4 genannten - neben dem Vorliegen einer durchsetzbaren aufenthaltsbeendenden Maßnahme - zusätzlich geforderten Voraussetzungen überhaupt nicht Bedacht genommen. Dabei stellte es nämlich allein darauf ab, dass der Beschwerde gegen den Bescheid vom 2. Dezember 2020, mit dem die Rückkehrentscheidung (und das Einreiseverbot) erlassen worden war, die aufschiebende Wirkung aberkannt worden sei, wobei allerdings auch noch außer Acht gelassen wurde, dass die Rückkehrentscheidung noch nicht durchführbar war (vgl. dazu des Näheren VwGH 5.3.2021, Ra 2020/21/0175, insbesondere die zusammenfassenden Ausführungen in Rn. 17, wonach § 16 Abs. 4 BFA-VG auch in Fällen von Beschwerden gegen Rückkehrentscheidungen außerhalb des asylrechtlichen Kontextes - also bei Aberkennung der aufschiebenden Wirkung nach § 18 Abs. 2 BFA-VG - [analog] anzuwenden ist). Die Abschiebung des Revisionswerbers erweist sich aber vorrangig schon deshalb als rechtswidrig, weil er nach dem Gesagten zunächst zur freiwilligen Ausreise nach Slowenien aufzufordern gewesen wäre.

19       Das angefochtene Erkenntnis war daher in dem aus Spruchpunkt II. ersichtlichen Umfang und im Kostenpunkt gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Dreiersenat aufzuheben.

20       Von der Durchführung der in der Revision beantragten mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 1 bzw. Z 4 und 5 VwGG abgesehen werden.

21       Der Kostenzuspruch gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG, insbesondere auch auf § 50 und § 52 Abs. 1 VwGG, in Verbindung mit der VwGH-AufwErsV 2014. Da der Revisionswerber mit der Bekämpfung der Absprüche über zwei trennbare Maßnahmen erfolgreich war, gebührt der Schriftsatzaufwand zweimal (siehe dazu etwa VwGH 22.2.2022, Fr 2021/21/0024, mwN) - samt der nur einmal eingezogenen Eingabengebühr von € 240.

Wien, am 5. Mai 2022

Schlagworte

Besondere Rechtsgebiete Trennbarkeit gesonderter Abspruch

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2022:RA2021210235.L00

Im RIS seit

03.06.2022

Zuletzt aktualisiert am

08.06.2022
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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