TE Lvwg Erkenntnis 2022/5/2 VGW-002/V/062/4719/2022

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Veröffentlicht am 02.05.2022
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Entscheidungsdatum

02.05.2022

Index

40/01 Verwaltungsverfahren
E1P

Norm

AVG §6
12007P/TXT Grundrechte Charta Art. 17

Text

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Verwaltungsgericht Wien erkennt durch seine Richterin Mag. Holl, LL.M. über die Beschwerde der A. s.r.o., vertreten durch den Geschäftsführer B. C., vertreten durch Mag. D. E., gegen den Zurückweisungsbescheid der Landespolizeidirektion Wien, Landeskriminalamt - Referat 2 Wirtschaftspolizeiliche Angelegenheiten und Vermögenssicherung, vom 8.3.2022 zur GZ: ... betreffend einen Antrag auf Entschädigung nach Art 17 GRC

zu Recht:

I. Gemäß § 50 Abs. 1 VwGVG wird die Beschwerde als unbegründet abgewiesen und der angefochtene Bescheid mit der Maßgabe bestätigt, dass „EUR 14.000,00“ durch „EUR 12.600,00“ und das Wort „beschlagnahmten“ durch die Wortfolge „beschlagnahmten und eingezogenen“ ersetzt werden.

II. Gegen dieses Erkenntnis ist gemäß § 25a VwGG eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG unzulässig.

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e

I. Maßgeblicher Verfahrensgang und Sachverhalt

Aufgrund einer Kontrolle der Finanzpolizei Team ... für das Finanzamt Wien ... vom 1.7.2019 im Lokal mit der äußeren Aufschrift „…“ in Wien, F.-gasse wurde mit Bescheid der Landespolizeidirektion Wien vom 28.10.2019 zur GZ: ... für vier Glücksspielgeräte und zwei zugehörige Komponenten („E-Kiosks“ bzw. Ein- und Auszahlungsgeräte):

1)    „A.“ mit der Seriennummer ... (FA Nr. .../1)

2)   „A.“ mit der Seriennummer ... (FA Nr. .../2)

3)   „A.“ mit der Seriennummer ... (FA Nr. .../3)

4)   „A.“ mit der Seriennummer ... (FA Nr. .../4)

5)   „E-Kiosk“ mit der Seriennummer ... (FA Nr. .../5)

6)   „E-Kiosk“ mit der Seriennummer ... (FA Nr. .../6)

sowie das in den Kassenladen enthaltene Bargeld 1.) die Beschlagnahme gemäß § 53 Abs. 1 GSpG angeordnet und 2.) die Einziehung der vier Geräte und zwei E-Kiosks gemäß § 54 Abs. 1 GSpG verfügt. Dieser Bescheid richtete sich an die A. s.r.o. als Eigentümerin/Veranstalterin und Inhaberin/Betreiberin gemäß § 53 Abs. 3 GSpG und Berechtigte gemäß § 54 Abs. 2 GSpG.

Bei der A. s.r.o. handelt es sich um eine slowakische Gesellschaft (ähnlich einer GmbH) mit Sitz in …, Slowakei. Ihr handelsrechtlicher Geschäftsführer und Alleingesellschafter ist B. C..

Gegen den Bescheid vom 28.10.2019 erhob die A. s.r.o., vertreten durch deren Geschäftsführer B. C., dieser vertreten durch Mag. D. E., per E-Mail vom 20.11.2019 fristgerecht Beschwerde.

Mit Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes Wien vom 14.9.2020 zur GZ: VGW-002/062/15330/2019 u.a. wurde die Beschwerde gegen die Beschlagnahme und Einziehung abgewiesen (rechtskräftig seit 16.9.2020).

Am 30.11.2021 wurden die sechs Geräte vernichtet.

Mit Schreiben vom 2.3.2022 beantragte die A. s.r.o. eine Entschädigung für die vier A.-Geräte und zwei E-Kiosks iHv EUR 12.600,- (um 10 % verringerte Anschaffungskosten iHv EUR 14.000,-).

Mit Bescheid vom 8.3.2022 zur GZ: ..., zugestellt am 15.3.2022, wurde der Antrag vom 2.3.2022 auf Leistung einer Entschädigung iHv EUR 14.000,- als Ersatz für die mit Bescheid vom 28.10.2019 beschlagnahmten sechs Geräte gemäß § 6 AVG zurückgewiesen. Begründend wurde ausgeführt, dass eine Entschädigung für eine Enteignung nach dem GSpG gesetzlich nicht vorgesehen sei; die Zuständigkeit der Behörde eine Entscheidung darüber zu treffen fehle ebenso. Es handle sich hier um einen Anwendungsfall des Art 137 B-VG. Daher sei der Antrag zurückzuweisen.

Mit Schreiben vom 15.3.2022 wurde rechtzeitig Beschwerde gegen den hg. Bescheid vom 8.3.2022 erhoben. Darin wird im Wesentlichen vorgebracht, dass hier kein Anwendungsfall des Art 137 B-VG vorliege. Die Entschädigung stütze sich unmittelbar auf Art 17 GRC. Die Enteignungsentschädigung sei in einem Adhäsionsverfahren von jener Verwaltungsbehörde zu führen, die auch die Enteignung durchgeführt habe. Die Zurückweisung sei daher rechtswidrig und könne nicht auf § 6 AVG gestützt werden, sodass der Bescheid ersatzlos zu beheben sei. Eine öffentliche mündliche Verhandlung wurde nicht beantragt.

Die belangte Behörde erließ keine Beschwerdevorentscheidung und legte den Teilakt samt Beschwerde dem Verwaltungsgericht Wien vor (ha. eingelangt am 6.4.2022).

II. Beweiswürdigung

Das Verwaltungsgericht Wien hat Einsicht genommen in den Behördenakt incl. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes Wien vom 14.9.2020 zur GZ: VGW-002/062/15330/2019 u.a. über die Bestätigung der Beschlagnahme und Einziehung der sechs Geräte sowie das Beschwerdevorbringen gewürdigt.

Der Verfahrensgang und festgestellte Sachverhalt stehen unstrittig fest und sind durch den Aktengang bzw. die oben zitierten Urkunden zweifelsfrei dokumentiert.

Die gesellschaftsrechtliche Position des B. C. innerhalb der A. s.r.o. ergibt sich aus einem slowakischen Gewerberegisterauszug vom 29.7.2019 im Parallelverfahren zur GZ: VGW-002/062/15330/2019 u.a.

III. Rechtsvorschriften

Die hier maßgeblichen Rechtsvorschriften des Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991 – AVG, BGBl. Nr. 51/1991 (WV), lauten auszugsweise wie folgt:

„§ 6. (1) Die Behörde hat ihre sachliche und örtliche Zuständigkeit von Amts wegen wahrzunehmen; langen bei ihr Anbringen ein, zu deren Behandlung sie nicht zuständig ist, so hat sie diese ohne unnötigen Aufschub auf Gefahr des Einschreiters an die zuständige Stelle weiterzuleiten oder den Einschreiter an diese zu weisen.

(2) Durch Vereinbarung der Parteien kann die Zuständigkeit der Behörde weder begründet noch geändert werden.“

IV. Rechtliche Beurteilung

Zunächst wird festgehalten, dass Gegenstand des angefochtenen Bescheides und somit Sache des Beschwerdeverfahrens vor dem Verwaltungsgericht im Sinne des § 27 VwGVG ausschließlich die Zurückweisung des Antrags der Beschwerdeführerin ist. Wenn die belangte Behörde einen Antrag zurückgewiesen hat, ist Sache des Beschwerdeverfahrens lediglich die Frage der Rechtmäßigkeit der Zurückweisung (u.a. VwGH 18.12.2014, Ra 2014/07/0002-0003). Eine inhaltliche Entscheidung über den der Beschwerde zu Grunde liegenden Antrag würde den Gegenstand des Beschwerdeverfahrens überschreiten (vgl. VwGH 12.10.2015, Ra 2015/22/0115).

Die Frage der Zuständigkeit, die hier den Grund der Zurückweisung darstellt, ist auch ungeachtet von der Frage zu behandeln, ob im vorliegenden Fall allenfalls eine Entschädigung für eine Enteignung oder eine Eigentumsbeschränkung zusteht (vgl. EB zur RV 1067 BlgNR 17. GP, 21-23 u.a. mit Verweis auf EGMR 24.10.1986, Nr. 9118/80, Rz 51).

In Ansehung von Schadenersatzansprüchen (worunter ihrer Art nach auch Ansprüche auf Entschädigung wegen Verfassungswidrigkeit eines Gesetzes zu verstehen sind) hat der Verfassungsgerichtshof – ausgehend von der Natur des Klagsanspruchs – in ständiger Rechtsprechung die Auffassung vertreten, dass diese grundsätzlich, soweit sie nicht ausnahmsweise vor eine Verwaltungsbehörde verwiesen sind, auch dann als im ordentlichen Rechtsweg – sei es nach dem ABGB oder nach dem Amtshaftungsgesetz – geltend zu machende Privatrechte anzusehen sind, wenn sie auf einem öffentlich-rechtlichen Titel beruhen (vgl. VfGH 6.3.2001, A 23/00 ua; VfGH 6.10.1997, A 24/96; VfGH 14.6.1984, A 9/84).

Eine Zuständigkeit des Verfassungsgerichtshofes besteht bloß dann, wenn die anspruchsbegründenden Handlungen oder Unterlassungen nicht einem hoheitlich tätig gewordenen Vollzugsorgan oder einem privatrechtsförmig tätig gewordenen Staatsorgan, sondern unmittelbar dem Gesetzgeber zuzurechnen sind, etwa weil eine Ermächtigung eines Staatsorgans zu einer entsprechenden Tätigkeit gesetzlich (z.B. bei Untätigbleiben des Gesetzgebers bei der Umsetzung gemeinschaftsrechtlicher Vorgaben) gar nicht vorgesehen ist. Immer dann aber, wenn der Kläger seinen Anspruch auf eine Verletzung des Gemeinschaftsrechts stützt, die er der Vollziehung zurechnet, sind grundsätzlich – anderes gilt für höchstgerichtliche Entscheidungen – die Amtshaftungsgerichte zuständig (vgl. VfGH 7.10.2003, A 11/01).

Knüpft der behauptete Schaden an ein – wenn auch durch ein Fehlverhalten des Gesetzgebers vorherbestimmtes – verwaltungsbehördliches oder gerichtliches Handeln an, bleibt es bei der Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte auch für eine unionsrechtliche Staatshaftung. Eine auf Unionsrecht gestützte Staatshaftungsklage fällt somit auch dann in die Zuständigkeit der Amtshaftungsgerichte, wenn die für den Eintritt des behaupteten Schadens kausale Handlung der Vollziehung durch ein unionsrechtswidriges Gesetz zwingend „vorherbestimmt“ sein sollte (vgl. VfGH 8.6.2020, A 17/2019; VfGH 12.6.2018, A 1/2018; VfGH 19.6.2009, A 9/08).

Im vorliegenden Fall stützt die Beschwerdeführerin (slowakische Gesellschaft) ihren Antrag auf Entschädigung aufgrund der durch die Landespolizeidirektion Wien beschlagnahmten und eingezogenen Geräte – bestätigt durch das Verwaltungsgericht Wien – unmittelbar auf Art 17 GRC. Damit macht sie eine Verletzung von Unionsrecht geltend, welches von Organen der Vollziehung (aber keinem Höchstgericht) zu verantworten ist. Der behauptete Schaden wurde allenfalls durch die Nichtanwendung von unmittelbar anwendbarem (vorrangigem) Unionsrecht (die GRC ist Teil des Primärrechts, vgl. Art 6 EUV) bewirkt. Dieser Anspruch fällt damit unter das Amtshaftungsrecht und in die Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte (siehe dazu Zellenberg in Korinek/Holoubek, B-VG7 Art 137, Rz 40; Frank im Rill/Schäffer Kommentar zum B-VG5 Art 137, 27; Öhlinger/Potacs, EU-Recht und staatliche Recht7, 214 und jeweils die dort zitierte Judikatur).

Selbst unter der Annahme, dass eine Amtshaftung vor den ordentlichen Gerichten nicht zu bejahen wäre, würde noch immer Art 137 B-VG greifen, zumal der Anspruch auf Entschädigung einen vermögensrechtlichen Anspruch darstellt, über den nach dem positiven Recht eine bescheidmäßige Erledigung durch eine Verwaltungsbehörde nicht vorgesehen ist.

Mangels Zuständigkeit der belangten Behörde erfolgte die Zurückweisung des Antrags auf Entschädigung mit dem angefochtenen Bescheid daher zu Recht, zumal für das Anbringen (auch) keine (andere) Behörde zuständig ist (vgl. VwGH 15.12.2016, 2013/17/0797, Rz 7; VwGH 21.5.2012, 2009/10/0178; VwGH 26.4.2005, 2003/06/0194).

Die Maßgabenbestätigung gründet sich auf den Umstand, dass laut Antrag der Beschwerdeführerin EUR 12.600,- geltend gemacht wurden (ein vom Anschaffungswert iHv EUR 14.000,- um 10 % verringerter Betrag) und mit dem Bescheid vom 28.10.2019 die Beschlagnahme und Einziehung der sechs Geräte verfügt wurde.

Gemäß § 44 Abs. 3 Z 1 und 4 VwGVG konnte die Durchführung einer mündlichen Verhandlung entfallen, da hier nur die rechtliche Beurteilung eines verfahrensrechtlichen Bescheides bekämpft wurde und keine Partei die Durchführung einer Verhandlung beantragt hat (die Beschwerdeführerin ist auch rechtskundig vertreten – VwGH 26.2.2016, Ra 2015/12/0042).

Die ordentliche Revision ist unzulässig, da keine Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG zu beurteilen war, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes oder Verfassungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung. Weiters ist die dazu vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Ebenfalls liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Schlagworte

Zuständigkeit; Entschädigung; Schadenersatz; Unionsrecht

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:LVWGWI:2022:VGW.002.V.062.4719.2022

Zuletzt aktualisiert am

01.06.2022
Quelle: Landesverwaltungsgericht Wien LVwg Wien, http://www.verwaltungsgericht.wien.gv.at
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