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AbgabenverfahrenNorm
BAO §104 Abs3 implizitBeachte
y13268;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden, Vizepräsidenten Dr. Dietmann, und die Hofräte Dr. Schirmer, Dr. Lehne, Dr. Raschauer und Dr. Frühwald als Richter, im Beisein des Schriftführers, Finanzoberkommissärs Dr. Zatschek, über die Beschwerde des FB in M gegen den Bescheid der Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland vom 31. August 1962, Zl. GA VII - 1529/14/62, betreffend Zurückweisung einer Berufung als verspätet, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Begründung
Das Finanzamt für Körperschaften in Wien stellte in zwei Bescheiden vom 9. August 1961 fest, daß der Beschwerdeführer gemäß den §§ 103 und 109 AO als Geschäftsführer für unbeglichene Abgabenrückstände aus dem Steuerkonto der WR Gesellschaft m.b.H. in Wien VI, M-gasse 20, hafte. Über das Vermögen der Gesellschaft war am 8. November 1960 der Konkurs eröffnet worden. Der Beschwerdeführer wurde aufgefordert, den Abgabenrückstand, im Falle des ersten Bescheides einen Betrag von S 476.507,21 (Lohnsteuer 1960 und Umsatzsteuer 1959), im zweiten Fall einen solchen von S 188.517,76 (Umsatzsteuer 1960), binnen acht Tagen nach Zustellung einzuzahlen. Als Adresse war angegeben: „F & Co. KG., Nürnberg, S-straße 22.“ Die Behörde ersuchte unter Bezugnahme auf den Vertrag zwischen der Republik Österreich und der Bundesrepublik Deutschland über Rechtsschutz und Rechtshilfe in Abgabensachen vom 14. Oktober 1954, BGBl. Nr. 249/1955, das Finanzamt Nürnberg-Zentral, die Haftungsbescheide an der angeführten Adresse zuzustellen. Dieses Zustellungsersuchen wurde vom Zentralfinanzamt Nürnberg an das Finanzamt Würzburg weitergeleitet. Die Anschrift des Beschwerdeführers war jedoch nicht festzustellen. Als das Finanzamt für Körperschaften in Wien sein Ersuchen bei dem Finanzamt Würzburg in Erinnerung rief, wurde im Oktober 1961 mitgeteilt, daß Schreiben und Haftungsbescheide an das Finanzamt Nürnberg-Nord übersandt worden seien, an welches die Firma F & Co. im Jahre 1957 „überwiesen“ worden sei.
Das Finanzamt für Körperschaften in Wien verfügte nun die Benachrichtigung gemäß § 7 Abs. 3 des Bundesgesetzes vom 9. Februar 1949, betreffend Zustellungen im Bereich der Abgabenverwaltung (BGBl. Nr. 59/1949). Der Anschlag wurde am 23. November 1961 angeheftet und am 11. Dezember 1961 abgenommen.
Das Finanzamt Nürnberg-Nord teilte in einem am 7. Dezember 1961 eingelangten Schreiben mit, die Schriftstücke seien bei ihm nicht eingegangen. Zustellungsversuche mären jedoch ergebnislos verlaufen. Nach Mitteilung des Einwohnermeldeamtes der Stadt Nürnberg vom 4. Dezember 1961 sei der Beschwerdeführer am 8. Juli 1960 in Nürnberg verstorben.
In einem am 19. Dezember 1961 beim Finanzamt für Körperschaften eingelangten Schreiben teilte der Rechtsanwalt Dr. Heinrich Foglar-Deinhardstein dem Finanzamt für Körperschaften mit, daß der Beschwerdeführer bei der Firma C Gesellschaft m.b.H., Schreibmaschinenversand in M, beschäftigt sei. Nun richtete das Finanzamt für Körperschaften an den Beschwerdeführer ein mit 24. Jänner 1962 datiertes Schreiben. Es lautet: „In der Anlage werden zwei Haftungsbescheide über die im Betreff angeführten Steuerrückstände der WR Gesellschaft m.b.H. mit der Feststellung übermittelt, daß diese Bescheide am 23. November 1961, gemäß § 7 Abs. 3 des Bundesgesetzes vom 9. Februar 1949, betreffend Zustellungen im Bereich der Abgabenverwaltung, BGBl. Nr. 59/1949, an, der Amtstafel angeschlagen worden sind und daher gem. der zit. Gesetzesstelle die Zustellung mit 7. Dezember 1961 als durch öffentliche Bekanntmachung vollzogen anzusehen ist. Diese Art der Zustellung mußte gewählt werden, weil Zustellungsversuche in Wien und auch in Nürnberg erfolglos geblieben sind. Erst mit Eingabe vom 18. Dezember 1961 hat Rechtsanwalt Dr. Heinrich FOGLAR-DEINHARDSTEIN die nunmehrige Anschrift bekanntgegeben.“
Nun brachte der Beschwerdeführer, rechtsfreundlich vertreten, eine Beschwerde gegen die Haftungsbescheide ein. Er führte zunächst aus, daß die Frist für die Anfechtung gewahrt sei. Eine Zustellung auf Grund des Anschlagverfahrens könne nur Rechtswirksamkeit erlangen, wenn die Zustellung im Bereich der Abgabenverwaltung nicht möglich sei und andere Zustellungen erfolglos geblieben seien. Von dem Augenblick an, in welchem die Zustellung zu eigenen Handen des Steuerpflichtigen bewerkstelligt werden könne, sei der normale Zustellungsvorgang zu beachten. Somit laufe auch die Rechtsmittelfrist von dem Tag an, an welchem der Steuerpflichtige zur Kenntnis der zuzustellenden Bescheide gelangt sei. Im folgenden wurde dargelegt, aus welchen Gründen die Haftungsbescheide inhaltlich verfehlt seien. In einem ergänzenden Schriftsatz vom 27. März 1962 wurde dieses Vorbringen noch weiter ausgebaut, aber auch mitgeteilt, daß für den Beschwerdeführer der Rechtsanwalt Dr. Reginald Spitz wiederholt eingeschritten sei und in der Lage gewesen wäre, die Anschrift bekanntzugeben.
Mit dem angefochtenen Bescheid der Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland wurde die Beschwerde des Beschwerdeführers gegen die beiden Haftungsbescheide zurückgewiesen. In der Begründung dieses Bescheides wurde der Sachverhalt dargestellt, die bei der Zustellung angewendete Gesetzesstelle zitiert und dann ausgeführt, daß es sich bei dem Schreiben an den Beschwerdeführer, dem die Haftungsbescheide beigeschlossen waren, nur um eine Mitteilung über die bereits vollzogene Zustellung gehandelt habe. Der Einwand, daß die Zustellung durch Anschlag nur so lange rechtswirksam sei, solange eine andere Zustellung nicht möglich sei, sei im Gesetze nicht gedeckt. Eine solche Auslegung würde zur Folge haben, daß die Behörde noch Jahre nach erfolgter Zustellung neuerlich zustellen müßte, wenn nachträglich die Anschrift bekannt werde. Dies würde nicht nur die Rechtskraftwirkung des zuzustellenden Bescheides durchbrechen, sondern vor allem auch die Bestimmungen des § 7 Abs. 3 des Zustellungsgesetzes (jetzt des § 104 Abs. 3 BAO) sinnlos erscheinen lassen. Da die angefochtenen Bescheide am 7. Dezember 1961 zugestellt gewesen seien, sei die Rechtsmittelfrist am 8. Jänner 1962 abgelaufen.
In der gegen diesen Bescheid gerichteten Beschwerde wird zunächst die Auffassung vertreten, der angefochtene Bescheid sei von unrichtigen Voraussetzungen ausgegangen, nämlich von der Annahme, daß der Beschwerdeführer vor Erlassung der Bescheide in das Gebiet der Deutschen Bundesrepublik übersiedelt sei, ohne dem Finanzamt eine neue Anschrift bekanntzugeben; daraus werde die Zulässigkeit der Zustellung durch Anschlag abgeleitet. Nun habe aber der Beschwerdeführer im Zeitpunkt der Übersiedlung nach Deutschland de facto die Funktion des Geschäftsführers nicht mehr ausgeübt und sei in ein Steuerverfahren noch nicht verwickelt gewesen. Ferner vertritt der Beschwerdeführer den Standpunkt, daß durch die neuerliche Zustellung der beiden Bescheide die Ergreifung von Rechtsmitteln zulässig geworden sei. Das Anschlagverfahren werde in dem Augenblick hinfällig, in dem der Bescheid zu eigenen Handen zugestellt werden könne. Schließlich vertritt der Beschwerdeführer noch den Standpunkt, der angefochtene Bescheid sei deshalb gesetzwidrig, weil er sich mit dem Berufungsvorbringen nicht auseinandergesetzt habe, demzufolge der Beschwerdeführer durch den nach Erlassung der Bescheide erst am 4. September 1961 verstorbenen Rechtsanwalt Dr. Reginald Spitz vertreten gewesen sei. Dieser habe wiederholt für ihn interveniert und es sei dessen Frage, ob gegen den Beschwerdeführer ein Verfahren beabsichtigt sei, bis zur Abreise des Beschwerdeführers von Wien immer verneinend beantwortet worden. Der genannte Rechtsanwalt oder dessen Kanzleiverweser wären in der Lage gewesen, eine Auskunft über den Aufenthaltsort des Beschwerdeführers zu geben, der seit März 1961 in Mannheim polizeilich gemeldet gewesen sei.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Gemäß § 7 Abs. 2 des Zustellungsgesetzes (Bundesgesetz vom 9. Februar 1949 betreffend Zustellungen im Bereich der Abgabenverwaltung, BGBl. Nr. 59/1949), welches bis zum 1. Jänner 1962 in Geltung stand (§§ 320 Abs. 2 und 323 Abs. 1 BAO) und somit im Zeitpunkt der Zustellungsanordnung im vorliegenden Fall anzuwenden war, hat eine Partei, die während eines Verfahrens ihre Wohnung ändert, dies der Abgabenbehörde mitzuteilen. Gemäß § 7 Abs. 3 leg. cit. können Zustellungen an Personen, deren Wohnung unbekannt ist, oder an eine Mehrheit von Personen, die der Abgabenbehörde nicht bekannt sind, wenn kein Vertreter bestellt ist, durch öffentliche Bekanntmachung erfolgen und geiten, sofern in den Abgabenvorschriften nicht anderes bestimmt ist, als vollzogen, wenn seit dem Anschlag an der Amtstafel der Abgabenbehörde zwei Wochen verstrichen sind. Der Abgabenbehörde bleibt es anheimgestellt, die öffentliche Bekanntmachung in ortsüblicher oder anderer Weise zu ergänzen.
Der Hinweis des Beschwerdeführers auf die Voraussetzungen für die Anwendung des § 7 Abs. 2 des Zustellungsgesetzes, insbesondere auf die Tatsache, daß er im Zeitpunkt seiner Übersiedlung in die Bundesrepublik Deutschland nicht in ein Steuerverfahren verwickelt gewesen sei, geht, wie in der Gegenschrift mit Recht ausgeführt wird, an der Sache vorbei, weil die belangte Behörde sich nicht auf den Absatz 2, sondern auf den Absatz 3 des § 7 des Zustellungsgesetzes gestützt hat. Das Vorbringen des Beschwerdeführers, es sei ein Vertreter bestellt gewesen, beantwortet die belangte Behörde in ihrer Gegenschrift mit dem Hinweis, daß der genannte Rechtsanwalt vor dem Finanzamt für Körperschaften niemals für den Beschwerdeführer eingeschritten sei. Es sei wohl richtig, daß auf den Hinweis in der Berufung im angefochtenen Bescheid nicht Bezug genommen worden sei, ein darin gelegener Mangel müsse aber, da eine Vertretung in Wahrheit nicht bestanden habe, unerheblich sein. Es erübrigt sich nun, die Erheblichkeit dieser Mängeln zu prüfen, wenn die Beschwerde aus anderen Gründen jedenfalls erfolgreich sein muß. Dies trifft zu. Zwar ist die Rechtsanschauung des Beschwerdeführers, daß die vollzogene Zustellung nach § 7 Abs. 3 Zustellungsgesetz immer hinfällig werde, wenn späterhin ein anderer Zustellungsvorgang möglich werde, im Gesetze nicht begründet. Sind die Voraussetzungen für die Zustellung durch Anschlag gegeben gewesen und ist somit die Zustellung auf diesem Wege mängelfrei vollzogen, so würde das nachträgliche Bekanntwerden einer Anschrift nicht immer in der vom Beschwerdeführer angenommenen Weise ausschlaggebend sein können. Die Abgabenbehörde konnte nach dem Zustellungsgesetz, wie schon in dem Erkenntnis vom 24. Mai 1960, Slg. Nr. 2241/F, dargelegt worden ist, eine Zustellung durch öffentliche Bekanntmachung jedenfalls nur dann vornehmen, wenn feststand, daß die Wohnung der Person, an die zugestellt werden sollte, unbekannt sei. Um diese Feststellung treffen zu können, hat die Behörde zunächst alle ihr zu Gebote stehenden Mittel anzuwenden, um die Wohnung des Steuerpflichtigen zu ermitteln. Das Zustellungsgesetz schreibt im § 5 eine Zustellung zu eigenen Handen zwingend vor, wenn sich an den Empfang des Schriftstückes Rechtsfolgen knüpfen. Zu den Schriftstücken, an die sich Rechtsfolgen knüpfen, gehören auch Haftungsbescheide. Diese sollen in der Regel durch die Zustellungsorgane persönlich übergeben werden. Aus dieser Bestimmung läßt sich entnehmen, daß der Gesetzgeber der Zustellung solcher Schriftstücke große Bedeutung beimißt. Wenn nicht angenommen wird, daß eine Verpflichtung bestand, die Änderung der Wohnung mitzuteilen - wie schon gesagt, hat die belangte Behörde die Voraussetzungen des § 7 Abs. 2 des Zustellungsgesetzes nicht als gegeben festgestellt -, so ist es die Pflicht der Behörde, die Wohnung zu ermitteln. Gewiß hat das Finanzamt für Körperschaften Versuche in dieser Richtung unternommen. Wo eine Person wohnt, ist aber vor allem bei den Meldebehörden zu erfragen. Abgesehen von der offenbar unrichtigen, möglicherweise auf einer Verwechslung beruhenden Auskunft des Einwohnermeldeamtes der Stadt Nürnberg ist aus den Akten von einer Befassung der Meldeämter, sei es nun in Österreich, sei es in der Bundesrepublik Deutschland, nichts zu entnehmen. Ferner kann auch dem Akte nicht entnommen werden, ob das Finanzamt für Körperschaften Versuche unternommen hat, von den anderen an der WR Gesellschaft m.b.H. beteiligt oder bei ihr beschäftigt gewesenen Personen eine Auskunft über den Verbleib des Beschwerdeführers zu erhalten. Solange solche Erhebungen unterblieben waren, konnte nicht mit ausreichenden Gründen angenommen werden, daß die Wohnung des Beschwerdeführers unbekannt sei. So war die Behörde auch nicht berechtigt, die Zustellung der Haftungsbescheide zur öffentlichen Bekanntmachung vorzunehmen. Damit waren aber bei der Zustellung Mängel unterlaufen und die Haftungsbescheide galten demnach gemäß § 9 des Zustellungsgesetzes als in dem Zeitpunkte zugestellt, in dem sie dem Empfänger tatsächlich zugekommen sind. Somit ist, obwohl - anders als der Beschwerdeführer annimmt - der Wille der Behörde, wie er in dem Schreiben vom 24. Jänner 1962 bekundet ist, eindeutig nicht auf eine neuerliche Zustellung gerichtet war, dennoch im Ergebnis der Übermittlung der Haftungsbescheide die Wirkung nach § 9 des Zustellungsgesetzes zugekommen, sodaß das eingebrachte Rechtsmittel nicht als verspätet zurückgewiesen werden durfte. Der angefochtene Bescheid mußte somit gemäß § 42 Abs. 2 lit. a VwGG 1952 wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben werden.
Wien, am 12. November 1963
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1963:1962001751.X01Im RIS seit
12.05.2022Zuletzt aktualisiert am
18.05.2022