TE Vfgh Beschluss 2022/3/1 G46/2022 ua

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Veröffentlicht am 01.03.2022
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Index

23 INSOLVENZRECHT, EXEKUTIONSRECHT

Norm

B-VG Art140 Abs1 Z1 litd, Art140 Abs1a
IO §88, §169, §257
EO §14
ZPO §63
VfGG §7 Abs2, §35, §62a Abs1 Z8

Leitsatz

Unzulässigkeit eines aus Anlass eines Insolvenzverfahrens gestellten Parteiantrags auf Aufhebung von Bestimmung der IO, EO und des VfGG

Spruch

I. Der Antrag wird zurückgewiesen.

II. Der Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe wird abgewiesen.

Begründung

Begründung

I. Sachverhalt und Antragsvorbringen

1. Mit Beschluss vom 28. Jänner 2022, 25 S 6/22b-13, gab das Landesgericht für Zivilrechtssachen Graz dem für die antragstellende Partei bestellten Insolvenzverwalter vier näher benannte Verbände sowie die Finanzprokuratur als Gläubigerausschuss im Insolvenzverfahren (§88 IO) bei.

2. Aus Anlass eines Rekurses gegen diesen Beschluss des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Graz stellt die antragstellende Partei einen Parteiantrag gemäß Art140 Abs1 Z1 litd B-VG auf Aufhebung des §62a Abs1 Z8 VfGG, des §14 Abs1 EO, des §169 Abs1 und des §257 Abs2 IO sowie einer näheren bezeichneten Wortfolge in §88 Abs1 IO wegen Verfassungswidrigkeit. Unter einem begehrt die antragstellende Partei die Bewilligung der Verfahrenshilfe im vollen Umfang.

II. Rechtslage

1. §88, §169 und §257 des Bundesgesetzes über das Insolvenzverfahren (Insolvenzordnung – IO), RGBl. 337/1914, idF BGBl I 122/2017 lauten:

"Gläubigerausschuß

§88. (1) Das Gericht hat unverzüglich dem Insolvenzverwalter von Amts wegen oder auf Antrag der ersten oder einer späteren zur Verhandlung dieses Gegenstands einberufenen Gläubigerversammlung (§91 Abs1) einen Gläubigerausschuß von drei bis sieben Mitgliedern (hievon eines für die Belange der Arbeitnehmer) beizuordnen, wenn die Eigenart oder der besondere Umfang des Unternehmens des Schuldners dies geboten erscheinen läßt. Im Fall einer beabsichtigten Veräußerung oder Verpachtung nach §117 Abs1 Z1 oder 2 hat das Gericht dem Insolvenzverwalter stets einen Gläubigerausschuss beizuordnen. Hiebei ist, wenn tunlich, auf Vorschläge der Gläubiger, der im Unternehmen errichteten Organe der Belegschaft sowie der gesetzlichen und der freiwilligen Interessenvertretungen der Gläubiger (einschließlich der bevorrechteten Gläubigerschutzverbände) Bedacht zu nehmen. Organe der Belegschaft und gesetzliche Interessenvertretungen sind, wenn es rechtzeitig möglich ist, jedenfalls zu vernehmen; erforderliche Anfragen des Gerichtes sind von den gesetzlichen Interessenvertretungen umgehend zu beantworten. Die Beiordnung des Gläubigerausschusses und die Namen der Mitglieder sind öffentlich bekannt zu machen.

(2) Zu Mitgliedern des Gläubigerausschusses können auch physische und juristische Personen, die nicht Gläubiger sind, sowie Dienststellen der Gebietskörperschaften bestellt werden. Jedes Mitglied kann sich bei der Erfüllung seiner Pflichten auf eigene Gefahr und Kosten vertreten lassen.

(3) Das Gericht hat Mitglieder des Gläubigerausschusses von Amts wegen oder auf Antrag der ersten oder einer späteren zur Verhandlung dieses Gegenstands einberufenen Gläubigerversammlung (§91 Abs1) aus wichtigen Gründen, insbesondere, wenn sie ihren Obliegenheiten nicht oder nicht rechtzeitig nachkommen, zu entheben.

(4) Lehnt ein Mitglied des Gläubigerausschusses die Übernahme der Tätigkeit ab, wird es seines Amtes enthoben oder fällt es sonst weg, so hat das Gericht eine andere Person zum Mitglied des Gläubigerausschusses zu bestellen.

[…]

Vierter Teil

Sanierungsverfahren mit Eigenverwaltung unter Aufsicht eines Verwalters

Voraussetzungen

§169. (1) Im Sanierungsverfahren steht dem Schuldner die Verwaltung der Insolvenzmasse unter Aufsicht eines Insolvenzverwalters (Sanierungsverwalters) nach den Bestimmungen des Vierten Teils zu (Eigenverwaltung), wenn er vor dessen Eröffnung

1. folgende Urkunden vorgelegt hat:

a) einen Sanierungsplan, in dem den Insolvenzgläubigern angeboten wird, innerhalb von längstens zwei Jahren vom Tag der Annahme des Sanierungsplans mindestens 30% der Forderungen zu zahlen;

b) ein genaues Vermögensverzeichnis;

c) eine aktuelle und vollständige Übersicht über den Vermögens- und Schuldenstand, in der die Bestandteile des Vermögens auszuweisen und zu bewerten und die Verbindlichkeiten mit dem Rückzahlungsbetrag anzusetzen und aufzugliedern sind (Status);

d) eine Gegenüberstellung der voraussichtlichen Einnahmen und Ausgaben für die folgenden 90 Tage, aus der sich ergibt, wie die für die Fortführung des Unternehmens und die Bezahlung der Masseforderungen notwendigen Mittel aufgebracht und verwendet werden sollen (Finanzplan), und

e) ein Verzeichnis der nach §§75 und 145 Abs2 zu Verständigenden sowie

2. der Antrag folgende Angaben enthält:

a) darüber, wie die zur Erfüllung des Sanierungsplans nötigen Mittel aufgebracht werden sollen,

b) über die Anzahl der Beschäftigten und über deren im Unternehmen errichteten Organe und

c) über die zur Erfüllung des Sanierungsplans nötigen Reorganisationsmaßnahmen, insbesondere Finanzierungsmaßnahmen.

(2) Ist der Schuldner nach Unternehmensrecht verpflichtet, Jahresabschlüsse aufzustellen, so hat er diese vorzulegen. Betreibt er sein Unternehmen länger als drei Jahre, so genügt die Vorlage für die letzten drei Jahre.

(3) Der Schuldner hat das Vermögensverzeichnis eigenhändig zu unterschreiben und sich zugleich bereitzuerklären, vor dem Gericht zu unterfertigen, dass seine Angaben über den Aktiv- und Passivstand richtig und vollständig seien und dass er von seinem Vermögen nichts verschwiegen habe.

(4) Der Schuldner hat die Angaben nach Abs1, soweit zumutbar, zu belegen.

(5) Fehlt im Antrag das gesetzlich vorgeschriebene Vorbringen oder sind ihm nicht alle vorgeschriebenen Urkunden angeschlossen, so ist der Schriftsatz zur Verbesserung zurückzustellen. Wird der Antrag nicht fristgerecht verbessert, so ist das Sanierungsverfahren nach dem Dritten Teil oder der Konkurs zu eröffnen.

[…]

Verständigungen

§257. (1) Die Verständigung einzelner Personen kann auch durch Umlaufschreiben stattfinden.

(2) Ist neben der öffentlichen Bekanntmachung eine besondere Zustellung vorgeschrieben, so treten, auch wenn die Zustellung unterblieben ist, die Folgen der Zustellung schon durch die öffentliche Bekanntmachung ein.

(3) Im Insolvenzverfahren mit einer ungewöhnlich großen Anzahl von Gläubigern kann nach Ermessen des Gerichts die besondere Zustellung an die Gläubiger unterbleiben, wenn der wesentliche Inhalt des zuzustellenden Schriftstücks öffentlich bekanntgemacht wird; doch ist auch in diesem Fall, wenn es sich um Entscheidungen handelt, den Gläubigern, die es verlangen, eine Ausfertigung zuzustellen."

2. §14 des Gesetzes vom 27. Mai 1896, über das Exekutions- und Sicherungsverfahren (Exekutionsordnung – EO), RGBl. 79/1896, idF BGBl I 86/2021 lautet:

"Anwendung mehrerer Exekutionsmittel

§14. Die gleichzeitige Anwendung mehrerer Exekutionsmittel ist gestattet; die Bewilligung kann jedoch auf einzelne Exekutionsmittel beschränkt werden, wenn aus dem Exekutionsantrag offenbar erhellt, dass bereits eines oder mehrere der beantragten Exekutionsmittel zur Befriedigung des betreibenden Gläubigers hinreichen."

III. Zur Zulässigkeit

1. Gemäß Art140 Abs1 Z1 litd B-VG erkennt der Verfassungsgerichtshof über die Verfassungswidrigkeit von Gesetzen auf Antrag einer Person, die als Partei einer von einem ordentlichen Gericht in erster Instanz entschiedenen Rechtssache wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in ihren Rechten verletzt zu sein behauptet, aus Anlass eines gegen diese Entscheidung erhobenen Rechtsmittels.

2. Gemäß Art140 Abs1a B-VG iVm §62a Abs1 Z8 VfGG ist ein Parteiantrag in Insolvenzverfahren ausgeschlossen. Der Verfassungsgerichtshof hat in seinem von Amts wegen eingeleiteten Gesetzesprüfungsverfahren mit Erkenntnis VfSlg 20.113/2016 ausgesprochen, dass es verfassungsrechtlich unbedenklich ist, in Insolvenzverfahren die Stellung eines Parteiantrages gemäß Art140 Abs1 Z1 litd B-VG auszuschließen. Der Verfassungsgerichtshof hielt in diesem Erkenntnis fest, dass der Ausnahmetatbestand "Insolvenzverfahren" in §62a Abs1 Z8 VfGG – ebenso wie der Ausnahmetatbestand "Exekutionsverfahren" in §62a Abs1 Z9 VfGG – eng auszulegen ist. Der Tatbestand "Insolvenzverfahren" erfasst nur Verfahren nach jenen Vorschriften, die das eigentliche Insolvenzverfahren regeln. Sonstige Verfahren, die im Zusammenhang mit dem Insolvenzverfahren stehen, wie zB Verfahren zur Klärung streitiger Rechtssachen (zB Anfechtungs- oder Prüfungsverfahren), gehören hingegen nicht zum Insolvenzverfahren im Sinne des §62a Abs1 Z8 VfGG. Das Insolvenzverfahren weist – wie auch das Exekutionsverfahren – auf Grund seines Zweckes Spezifika auf, die es dem Gesetzgeber erlauben, von der ihm durch Art140 Abs1a B-VG eingeräumten Ermächtigung Gebrauch zu machen und für das Insolvenzverfahren die Stellung eines Parteiantrages für unzulässig zu erklären.

3. Da die antragstellende Partei den vorliegenden Antrag auf Aufhebung näher bezeichneter Bestimmungen der Insolvenzordnung sowie der Exekutionsordnung im Rahmen eines Insolvenzverfahrens iSd §62a Abs1 Z8 VfGG stellt, erweist sich der Antrag als unzulässig.

Darüber hinaus erweist sich der Antrag auf Aufhebung des §62a Abs1 Z8 VfGG auch deshalb als unzulässig, weil diese Bestimmung nicht im gerichtlichen Anlassverfahren, sondern ausschließlich im verfassungsgerichtlichen Verfahren anzuwenden ist.

4. Dem Verfassungsgerichtshof ist es auch verwehrt, von Amts wegen ein Gesetzesprüfungsverfahren hinsichtlich des §62a Abs1 Z8 VfGG einzuleiten, weil bereits im Erkenntnis VfSlg 20.113/2016 rechtskräftig ausgesprochen wurde, dass diese Bestimmung Art140 Abs1a B-VG nicht widerspricht.

5. Bei diesem Ergebnis hat der Verfassungsgerichtshof nicht zu prüfen, ob weitere Prozesshindernisse bestehen.

6. Da somit die von der antragstellenden Partei beabsichtigte Rechtsverfolgung vor dem Verfassungsgerichtshof als offenbar aussichtslos erscheint, ist ihr unter einem mit dem Antrag gemäß Art140 Abs1 Z1 litd B-VG gestellter – nicht auf das Vorliegen sämtlicher Formerfordernisse geprüfter – Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe abzuweisen (§63 Abs1 ZPO iVm §35 VfGG).

7. Diese Beschlüsse konnten gemäß §19 Abs3 Z2 lita VfGG bzw §72 Abs1 ZPO ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

Schlagworte

VfGH / Parteiantrag, Insolvenzrecht, Exekutionsrecht, VfGH / Verfahrenshilfe

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2022:G46.2022

Zuletzt aktualisiert am

09.05.2022
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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