TE Vwgh Erkenntnis 2022/4/5 Ra 2020/13/0035

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Veröffentlicht am 05.04.2022
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Index

32/01 Finanzverfahren allgemeines Abgabenrecht

Norm

BAO §116 Abs1
BAO §14
BAO §224 Abs1
BAO §224 Abs3
BAO §4

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Büsser und den Hofrat MMag. Maislinger sowie die Hofrätin Dr.in Lachmayer als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Schramel, über die Revision des Finanzamtes Österreich, Dienststelle Salzburg-Stadt in 5026 Salzburg, Aignerstraße 10, gegen das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts vom 19. Februar 2020, Zl. RV/6100265/2017, betreffend Haftung gemäß § 14 BAO (mitbeteiligte Partei: R Gesellschaft m.b.H in W, vertreten durch die WTG Steuerberatungsgesellschaft m.b.H. in 1030 Wien, Am Modenapark 10/7-10), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

1        Die mitbeteiligte Partei wurde mit Bescheid des Finanzamtes vom 8. Februar 2016 zunächst für Umsatzsteuer 12/2014 zur Haftung gemäß § 14 BAO herangezogen. In der Begründung wurde angeführt, dass diese Umsatzsteuer aus dem Kauf der wesentlichen Grundlagen eines Unternehmens mit Rechnung vom 1. Dezember 2014 resultiere. Diese Umsatzsteuer sei von der Verkäuferin nicht entrichtet worden.

2        Das Bundesfinanzgericht gab der Beschwerde der mitbeteiligten Partei Folge, weil der Unternehmenskauf bereits im Jahr 2013 erfolgt war. Die mitbeteiligte Partei könne nicht für Abgaben in Anspruch genommen werden, für die der Abgabenanspruch erst nach der Übereignung entstanden sei.

3        In der Folge erließ das Finanzamt einen neuen Haftungsbescheid, mit dem die mitbeteiligte Partei gemäß § 14 BAO zur Haftung für einen Betrag von 80.000 € in Anspruch genommen wurde. Haftungsgegenständlich war nun die von der Verkäuferin des Unternehmens nicht entrichtete Abgabenschuld für Umsatzsteuer 11-12/2013, die laut der Begründung des Bescheides aus dem Unternehmensverkauf resultierte.

4        In der dagegen erhobenen Beschwerde brachte die Mitbeteiligte vor, dass sie als Erwerberin des Geschäftsbetriebes im Zeitpunkt der Übereignung weder wusste noch hätte wissen können, dass die Umsatzsteuer von der Verkäuferin nicht entrichtet werde und die Inanspruchnahme als Haftende ermessenswidrig sei.

5        Nach abweisender Beschwerdevorentscheidung und Vorlageantrag gab das Bundesfinanzgericht der Beschwerde Folge und hob den Haftungsbescheid ersatzlos auf.

6        Es stellte fest, dass im Revisionsfall die wesentlichen Grundlagen eines Betriebes von der Mitbeteiligten gekauft worden seien. Die Verkäuferin habe die Umsatzsteuer aus dem Verkauf nicht an das Finanzamt abgeführt. Eine Überrechnung der Umsatzsteuer durch die Mitbeteiligte sei nicht erfolgt. Dem zweiten Haftungsbescheid sei kein Bescheid betreffend „Umsatzsteuer 11-12/2013“ beigelegt worden.

7        In der rechtlichen Beurteilung führte das Bundesfinanzgericht aus, von der mitbeteiligten Partei sei ein lebendes Unternehmen und damit ein Unternehmen im Sinne des § 14 BAO erworben worden. Das Finanzamt habe einen Haftungsbescheid im Sinne des § 224 BAO erlassen; die Begründung des Ermessens für die Haftungsinanspruchnahme sei dahingehend erfolgt, dass das Finanzamt den Geschäftsführer der Verkäuferin nicht habe auffinden können.

8        Gemäß § 248 BAO könne der Haftungspflichtige unbeschadet der Einbringung einer Bescheidbeschwerde gegen seine Heranziehung zur Haftung innerhalb der für die Einbringung der Bescheidbeschwerde gegen den Haftungsbescheid offenstehenden Frist auch gegen den Bescheid über den Abgabenanspruch Bescheidbeschwerde einbringen. Eine Bescheidbeschwerde gegen den Bescheid, in dem über den Abgabenanspruch abgesprochen wurde, sei der Mitbeteiligten nicht möglich gewesen, weil das Finanzamt die im zweiten Haftungsbescheid geltend gemachte Zahllast für Umsatzsteuer 11-12/2013 in Höhe von 80.000 € bei der Verkäuferin nicht bescheidmäßig festgesetzt habe, sondern die ursprüngliche Vorschreibung dieser Umsatzsteuer für 12/2014 habe bestehen lassen.

9        Die mitbeteiligte Partei habe dazu in der mündlichen Verhandlung ausgeführt, dass ihr kein Umsatzsteuerbescheid für den Zeitraum 11-12/2013 zur Kenntnis gebracht worden sei und sie deshalb keine Möglichkeit gehabt habe, gegen diesen Bescheid vorzugehen. Das Finanzamt habe demgegenüber damit argumentiert, dass eine Zustellung des Bescheides an die Verkäuferin nicht erfolgversprechend gewesen sei, die Gesellschaft gelöscht worden sei und daher die Höhe bzw. der Grund der Abgabenvorschreibung nicht in einem Abgabenverfahren, sondern im gegenständlichen Haftungsverfahren abzuklären seien. Dieser Ansicht des Finanzamtes könne das Bundesfinanzgericht nicht folgen. Aus § 248 BAO ergebe sich, dass der zur Haftung Herangezogene jedenfalls den gegen ihn geltend gemachten Abgabenanspruch dem Grunde und der Höhe nach bekämpfen können müsse. Sei bei Selbstbemessungsabgaben noch kein Bescheid erlassen worden, müsse ein Bescheid über den betreffenden Abgabenanspruch erlassen werden.

10       Wenn auch die Abklärung der Frage, ob ein Abgabenanspruch dem Grunde und/oder der Höhe nach überhaupt bestehe, in speziellen Fällen im Haftungsverfahren von dem für die Entscheidung über die Haftung zuständigen Organ zu erfolgen habe, so ändere dies nichts daran, dass eine Haftungsinanspruchnahme im Regelfall auf Basis eines erlassenen Abgabenbescheides zu erfolgen habe. Eine Haftungsinanspruchnahme ohne zugrundeliegenden Abgabenbescheid stelle damit lediglich den Ausnahmefall dar, in dem kein Bescheid an den Abgabenschuldner ergehen könne. Bestehe die Möglichkeit der rechtsgültigen Erlassung und Zustellung des Abgabenbescheides an den Abgabenschuldner, so sei dies und die Bekanntgabe dieses Bescheides an den potentiell Haftungspflichtigen im Haftungsverfahren unabdingbar. Da der Mitbeteiligten anlässlich der Erlassung des Haftungsbescheides keine Kenntnis über Grund und Höhe des feststehenden Abgabenanspruches verschafft worden sei, obwohl dies möglich gewesen wäre, führe dies dazu, dass der Haftungsbescheid rechtswidrig sei.

11       Gegen diese Erkenntnis richtet sich die außerordentliche Revision des Finanzamtes, die zu ihrer Zulässigkeit vorbringt, das Bundesfinanzgericht sei von näher bezeichneter Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs zur Geltendmachung einer Haftung vor Erlassung von Abgabenbescheiden abgegangen.

12       Der Verwaltungsgerichtshof hat nach Einleitung des Vorverfahrens, in dem eine Revisionsbeantwortung erstattet wurde, in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

13       Die Revision ist zulässig. Sie ist auch berechtigt.

14       Wird ein Unternehmen oder ein im Betrieb eines Unternehmens gesondert geführter Betrieb im Ganzen übereignet, so haftet der Erwerber gemäß § 14 Abs. 1 lit. a BAO für Abgaben, bei denen die Abgabepflicht sich auf den Betrieb des Unternehmens gründet, soweit die Abgaben auf die Zeit seit dem Beginn des letzten, vor der Übereignung liegenden Kalenderjahres entfallen. Dies gilt jedoch nur insoweit, als der Erwerber im Zeitpunkt der Übereignung die in Betracht kommenden Schulden kannte oder kennen musste und insoweit, als er an solchen Abgabenschuldigkeiten nicht schon so viel entrichtet hat, wie der Wert der übertragenen Gegenstände und Rechte (Besitzposten) ohne Abzug übernommener Schulden beträgt.

15       Die Geltendmachung einer abgabenrechtlichen Haftung setzt zwar das Bestehen einer Abgabenschuld voraus, nicht jedoch, dass diese Schuld dem Abgabenschuldner gegenüber geltend gemacht wurde; abgabenrechtliche Haftungen haben nämlich keinen bescheidakzessorischen Charakter. Dies folgt u.a. aus § 224 Abs. 3 BAO, der die erstmalige Geltendmachung eines Abgabenanspruches anlässlich der Erlassung eines Haftungsbescheides bis zur Verjährung des Rechtes zur Festsetzung der Abgabe zulässt (vgl. VwGH 24.2.2004, 99/14/0242).

16       Wenn das Bundesfinanzgericht vermeint, dies könne nur in Ausnahmefällen gelten und es sei unabdingbar, dass vor Erlassung eines Haftungsbescheides ein Abgabenbescheid an den Abgabenschuldner erlassen werde, wenn die Möglichkeit der rechtsgültigen Erlassung und Zustellung desselben bestehe, so ist auf § 224 Abs. 3 BAO zu verweisen, der die Zulässigkeit der erstmaligen Geltendmachung eines Abgabenanspruches im Haftungsverfahren nicht auf besondere Ausnahmefälle einschränkt; eine solche Einschränkung ist auch nicht der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu entnehmen (vgl. erneut VwGH 24.2.2004, 99/14/0242; sowie aus der ständigen Rechtsprechung etwa 27.1.2010, 2009/16/0309; 9.11.2011, 2009/16/0260; 22.12.2011, 2009/16/0109; 29.4.2010, 2008/15/0085).

17       Ob das Finanzamt die Abgaben gegenüber der Verkäuferin festgesetzt hat bzw. ob dieser gegenüber ein Abgabenbescheid ergangen ist, ist für die Geltendmachung der Haftung bei der Mitbeteiligten daher unerheblich.

18       Soweit das Bundesfinanzgericht ausführt, ohne Möglichkeit der Erhebung einer Beschwerde gegen den Abgabenbescheid gemäß § 248 BAO sei eine Haftungsinanspruchnahme unzulässig, ist auf folgende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu verweisen: Ist dem Haftungsbescheid ein an den Abgabepflichtigen ergangener Abgabenbescheid vorangegangen, ist die Behörde daran gebunden und hat sich in der Entscheidung über die Heranziehung zur Haftung grundsätzlich an diesen Abgabenbescheid zu halten. Durch § 248 BAO ist dem Haftenden ein Rechtszug gegen den Abgabenbescheid eingeräumt. Ist der Entscheidung über die Heranziehung zur Haftung kein Abgabenbescheid vorangegangen, gibt es eine solche Bindung nicht. In einem solchen Fall ist die Frage, ob ein Abgabenanspruch gegeben ist, als Vorfrage im Haftungsverfahren von dem für die Entscheidung über die Haftung zuständigen Organ zu entscheiden (vgl. VwGH 19.12.2002, 2000/15/0217; 26.5.2021, Ra 2020/13/0073; jeweils mwN). In derartigen Fällen sind die Einwendungen gegen den Abgabenanspruch im Haftungsverfahren zu behandeln (vgl. VwGH 30.10.2001, 98/14/0142, mwN).

19       Soweit das Bundesfinanzgericht - offenbar aufgrund der unzutreffenden Rechtsansicht, dass der Abgabenpflichtige über Grund und Höhe des feststehenden Abgabenanspruches nur durch einen Abgabenbescheid Kenntnis erlangen könne - vermeint, der mitbeteiligten Partei sei keine Kenntnis über den Abgabenanspruch verschafft worden, ist dies aktenwidrig. Das Finanzamt hat im zweiten Haftungsbescheid ausführlich begründet, worauf sich die Haftung gründet und welcher Abgabenanspruch dieser zugrunde liegt. Die mitbeteiligte Partei hatte daher Gelegenheit, entsprechende Einwendungen gegen den Abgabenanspruch im Haftungsverfahren geltend zu machen.

20       Das angefochtene Erkenntnis war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Wien, am 5. April 2022

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2022:RA2020130035.L00

Im RIS seit

09.05.2022

Zuletzt aktualisiert am

01.06.2022
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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