TE Vfgh Erkenntnis 1994/6/20 B473/92

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Veröffentlicht am 20.06.1994
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Index

32 Steuerrecht
32/02 Steuern vom Einkommen und Ertrag

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Gesetz
B-VG Art18 Abs1
EStG
EStG §4 Abs1
EStG §4 Abs2
EStG §5
EStG §6
EStG §6 Z6
EStG §14
HGB §38
StGG Art5

Leitsatz

Keine Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte durch Bescheide betreffend Körperschaftsteuer, Gewerbesteuermeßbetrag, Einheitswert des Betriebsvermögens, Vermögensteuer und Erbschaftsteueräquivalent hinsichtlich verschiedener Bewertungsfragen; kein Verstoß gegen das Determinierungsgebot durch Verwendung der Begriffe Betriebsvermögen, Wirtschaftsgut und ordnungsmäßige Buchführung bei der Regelung der Gewinnermittlung im Einkommensteuerrecht; keine Verfassungswidrigkeit der unterschiedlichen Regelungen über die Buchführung im Handelsrecht und im Steuerrecht; ausreichende Bestimmtheit steuerlicher Bewertungsregeln; keine Gleichheitswidrigkeit der unterschiedlichen Regelung der Gewinnermittlung bei eingetragenen und nicht eingetragenen Gewerbetreibenden; keine denkunmögliche Beurteilung der Frage der Erforderlichkeit der Überprüfung der Bewertung an eine ausländische Tochter überführter Wirtschaftsgüter sowie der Beachtlichkeit von Rückstellungen für Jubiläumsgelder und Geburtstagsprämien

Spruch

Die beschwerdeführende Gesellschaft ist durch den angefochtenen Bescheid weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in ihren Rechten verletzt worden.

Die Beschwerde wird abgewiesen und dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung darüber abgetreten, ob die beschwerdeführende Gesellschaft in einem anderen Recht verletzt worden ist.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. Mit dem angefochtenen Bescheid wird die Berufung der beschwerdeführenden Gesellschaft gegen Bescheide betreffend Körperschaftsteuer und Gewerbesteuermeßbetrag 1985 bis 1987 sowie Einheitswert des Betriebsvermögens, Vermögensteuer und Erbschaftsteueräquivalent zum 1. Jänner 1986, 1. Jänner 1987 und 1. Jänner 1988 mit Ausnahme der Berichtigung der doppelten Erfassung des Ertrages einer Tochtergesellschaft beim Gewerbesteuermeßbetrag 1986 als unbegründet abgewiesen. Strittig war unter anderem die Bewertung verpfändeter US-Dollar-Anleihen, die Beachtlichkeit von Rückstellungen für verpflichtend zugesagte Jubiläumsgelder und Geburtstagsprämien, für die Kosten der Lehrlingsausbildung und für interne Kosten der Erstellung des Jahresabschlusses sowie die Erforderlichkeit einer (allerdings folgenlos gebliebenen) Überprüfung der Angemessenheit der Bewertung der an eine ausländische Tochtergesellschaft überführten Wirtschaftsgüter (§6 Z6 EStG 1972).

In der gegen diesen Bescheid erhobenen Beschwerde wird die Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf Gleichheit vor dem Gesetz und Unversehrtheit des Eigentums und die Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes, nämlich des §4 Abs1, 2 und 4 sowie der §§5 bis 7 EStG 1972 gerügt. Diese Bestimmungen verstießen insgesamt gegen das Legalitätsprinzip, die von §4 Abs1 und §5 bewirkte Unterscheidung innerhalb der Betriebsvermögensvergleiche und die in §6 Z6 EStG 1972 angeordnete Bewertung grenzüberschreitender Vorgänge verletzten den Gleichheitssatz und die Anwendung des §14 EStG 1972 auf Rückstellungen für Jubiläumsgelder und Geburtstagsprämien sei denkunmöglich.

Die belangte Behörde tritt diesen Vorwürfen entgegen.

Die beschwerdeführende Gesellschaft hat auf die Gegenschrift repliziert.

II. Im Hinblick auf Umfang und Aufbau des Parteienvorbringens hält es der Verfassungsgerichtshof für zweckmäßig, die Ausführungen der Beschwerde und der auf sie fortlaufend eingehenden Gegenschrift sowie - teilweise - auch die Einwürfe der auf die Gegenschrift bezogenen Replik einander von Abschnitt zu Abschnitt gegenüberzustellen.

1. Einleitend legt die Beschwerde unter Bezugnahme auf Rechtsprechung und Lehre den Inhalt des Legalitätsprinzips dar.

Daran knüpft sie sodann folgende allgemeine Überlegung:

"Dies hat in besonderem Maße für das Steuerrecht Bedeutung, weil es sich hier um einen Musterfall des hoheitlichen Eingriffsrechtes handelt (Ruppe in Gassner-Lechner, Steuerbilanzreform 43 f; Gassner in Gassner-Lechner 13 f). Bei eingriffsintensiven Gesetzen müssen die Eingriffstatbestände besonders deutlich umschrieben sein (VfSlg 11455/87; Gassner-Lang in Mayer (Hrsg), Staatsrecht in Theorie und Praxis, FS Walter, 1991, 177; Lang, Doppelbesteuerungsabkommen 1992, 126). Daher ist auch das Gebot hinreichender Determinierung im Abgabenrecht besonders ernst zu nehmen, weil gerade im Bereich von Abgaben ein besonderes Rechtsschutzbedürfnis für eine exakte gesetzliche Regelung besteht (vgl VfSlg 9227/81; 9609/83). Dies wird auch dadurch gestützt, daß Tatbestände, an deren Übertretung eine Strafandrohung anknüpft, so abgefaßt sein müssen, daß sich für den Einzelnen Zweifel über die Rechtmäßigkeit seines Verhaltens in bezug auf den Tatbestand nicht ergeben können (VfSlg 3207/57; 4037/61; 11391/87). Ein jeder Steuertatbestand ist aber bei Nichtbeachtung gleichzeitig ein Abgabenverkürzungstatbestand, der idR gemäß den §§33 und 34 FinStrG entweder als Abgabenhinterziehung oder als fahrlässige Abgabenverkürzung zu ahnden ist (Ruppe in Gassner-Lechner, Steuerbilanzreform 63; Lang, Doppelbesteuerungsabkommen 122). Daher ist für das Steuerrecht eine 'verdünnte' Legalität, wie sie für manche Rechtsgebiete in Kauf genommen wird (vgl zB VfSlg 8813/80), abzulehnen (Ruppe in Gassner-Lechner, Steuerbilanzreform 43; Gassner in Gassner-Lechner 13 f). Der Steuertatbestand muß vielmehr so formuliert sein, daß der Steuerpflichtige die steuerlichen Folgen seines Verhaltens abschätzen kann und sich für ihn Zweifel über die Rechtmäßigkeit seines Verhaltens in bezug auf den Tatbestand nicht ergeben können (vgl VfSlg 3207/57; 4037/61; 8695/79; 11520/87). Das gilt insbesondere bei Verwendung unbestimmter Gesetzesbegriffe, die auch im Steuerrecht zulässig ist (zB VfSlg 8395/79; 9475/82; vgl a 9480/82; 9941/84; 10117/84). Das Gesetzmäßigkeitsprinzip ist jedoch auch im Steuerrecht verletzt, wenn über den Inhalt eines Begriffes eine Vielzahl unvereinbarer Auffassungen, die jeweils gleichgewichtige Gründe für sich haben, existiert (VfSlg 4669/64; 5993/69; Doralt-Ruppe, Grundriß des österreichischen Steuerrechts II2 1988, 150). Die Gewinnermittlung durch Betriebsvermögensvergleich ist davon nicht ausgenommen (vgl zB VfSlg 9518/82)."

Die Gegenschrift geht davon aus, daß sich die Zwecke von Handelsbilanz und Steuerbilanz nicht decken und der in Österreich bestehende Zusammenhang zwischen beiden ein Relikt aus der Überleitung des deutschen Rechtes ist, aber im rechtspolitischen Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers liegt, und meint:

"Den grundsätzlichen Ausführungen über das Gesetzmäßigkeitsprinzip ist zuzustimmen. Die Ausführungen zur Strafbarkeit nach §§33 und 34 FinStrG sind aber zu relativieren. Nach §33 Abs1 FinStrG macht sich einer Abgabenhinterziehung schuldig, 'wer vorsätzlich ... eine Abgabenverkürzung bewirkt'. Der Vorsatz muß daher auf die Verkürzung gerichtet sein (VwGH Slg 9564/F), was bereits Kenntnis über die Steuerpflicht eines Vorganges voraussetzt. §34 FinStrG regelt entsprechend das Fahrlässigkeitsdelikt.

Zudem enthält §9 FinStrG eine Irrtumsregelung, die den Verbotsirrtum dem Tatbildirrtum gleichstellt (Sommergruber/Reger, Finanzstrafgesetz, Eisenstadt 1990, Seite 83). Daher trifft den, der aufgrund einer vertretbaren Rechtsansicht handelt, kein Verschulden und damit keine Strafbarkeit (VfGH 3.7.1965, B59/64).

Es kommt auch in der Verwaltungspraxis nicht vor, daß wegen Rechtsfragen, welche die Behörde anders beurteilt als der Abgabepflichtige (zB die in der Beschwerde angesprochenen Rückstellungs- oder Bewertungsfragen) ein Finanzstrafverfahren eingeleitet wird. Während die Verwaltungspraxis in anderen Bereichen des Nebenstrafrechtes mit seinen 'unzählichen, rasch wechselnden und vielfach unbekannten Vorschriften' dem Verbotsirrtum wenig Bedeutung zukommen läßt (vgl. Kienapfel, Strafrecht Allgemeiner Teil, Wien 1985, 68), kommt er im Finanzstrafrecht laufend zur Anwendung. Dies aber nicht deshalb, weil das Steuerrecht weniger determiniert wäre als andere Bereiche der Rechtsordnung. Die belangte Behörde anerkennt aber, daß der Gesetzgeber der hochentwickelten Gesellschaft mit ihren intensiven wirtschaftlichen Verflechtungen nur durch ein relativ kompliziertes Regelungssystem für das Steuerrecht gerecht werden konnte, welches aber nicht jedem Bürger in allen Details bekannt sein kann. Jede vertretbare Rechtsauffassung schließt somit Schuld (und Strafbarkeit) aus."

Dem hält die Replik einerseits entgegen,

    "... daß die Abgabenhinterziehung nicht unbedingt ein

konkretes Wissen über den Besteuerungstatbestand voraussetzt,

sondern beispielsweise schon dann vorliegen kann, wenn dem

Steuerpflichtigen 'als Mitteleuropäer .... bekannt sein mußte,

daß er für seine Einkünfte Steuer zahlen müsse' (VwGH 2.12.1966, 1345/65). Daher können die Vorschriften der §§33 ff FinStrG auch dann verwirklicht sein, wenn der Steuerpflichtige den Tatbestand nicht konkret kennt."

Andererseits meint sie,

"... daß das Vorliegen einer 'vertretbaren Rechtsauffassung' alleine vielfach nicht genügt, um die Strafbarkeit

auszuschließen: Eine vertretbare Rechtsansicht wirkt nämlich nur dann strafausschließend, wenn sich der Abgabepflichtige der Zweifelhaftigkeit der Gesetzesstelle nicht bewußt ist (VwGH 18.2.1983, 81/17/0012). Die vertretbare Rechtsauffassung ist hingegen dann vorwerfbar, wenn dem Steuerpflichtigen an der Richtigkeit der Anschauung Zweifel kamen oder - in Anbetracht der von ihm zu präsentierenden Kenntnisse - kommen mußten (VwGH 9.3.1984, 83/17/0215). Eine zweifelhafte Rechtslage bewirkt daher lediglich die Anhebung des Sorgfaltsmaßstabes, nicht aber den Strafausschluß."

2. Nach Aufzählung der vom Legalitätsgebot betroffenen präjudiziellen Bestimmungen fährt die Beschwerde fort:

"Einkünfte im Sinne der ersten drei Einkunftsarten sind der Gewinn (§2 Abs4 Z1 EStG 1972). Der Gewinn ist grundsätzlich durch Betriebsvermögensvergleich zu ermitteln. Diesen gibt es nach dem EStG 1972 in den zwei Arten nach §4 Abs1 und §5. Der Betriebsvermögensvergleich nach §4 Abs1 EStG 1972 definiert den Gewinn als Unterschiedsbetrag zwischen dem Betriebsvermögen am Schluß des Wirtschaftsjahres und dem Betriebsvermögen am Schluß des vorangegangenen Wirtschaftsjahres, vermehrt um den Wert der Entnahmen und vermindert um den Wert der Einlagen. Entscheidend für den Gewinn sind danach unter anderem der Umfang des Betriebsvermögens, die anzusetzenden Teile des Betriebsvermögens und der Wert des Betriebsvermögens an den beiden Bewertungsstichtagen. Darüber herrscht aber - wie in den Abschnitten 2 und 3 noch gezeigt werden wird - schon alleine aufgrund der verwendeten unbestimmten Gesetzesbegriffe (Betriebsvermögen, Wirtschaftsgut) sowie einer Reihe überhaupt nicht geregelter Ansatz- und Bewertungsfragen große Rechtsunsicherheit (Ruppe in Egger-Ruppe (Hrsg) Reform der Rechnungslegung in Österreich, 1987, 241 ff; Gassner in Gassner-Lechner 10 mwH in FN 4). Die Rechtsunsicherheit wird aber noch dadurch erhöht, daß §4 Abs2 EStG 1972 in ganz allgemeiner Form auf die Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung verweist. Bei diesen Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung handelt es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff, der, wie die Lehre aufgezeigt hat, vieldeutig ist und viele unterschiedliche Auslegungen zuläßt (Doralt-Ruppe, Grundriß des österreichischen Steuerrechtes II2 1989, 150). Insbesondere ist bei diesem unbestimmten Gesetzesbegriff schon unklar, ob damit 'allgemeine' oder allenfalls irgendwelche über die in der BAO angeführten Buchführungsgrundsätze hinausgehende 'besondere' oder allenfalls nur 'branchenspezifische' Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung gemeint sind, da eine Klarstellung erst in §4 Abs2 EStG 1988 erfolgte. Einigermaßen sicher scheint an ihm nur zu sein, daß er auf, allerdings nicht näher bestimmte, Buchführungs- und Bilanzierungsregeln verweist. Dabei handelt es sich um einen Pauschalerweis, der sich nach höchst unterschiedlichen Auffassungen nur zum Teil auf kodifizierte, überwiegend jedoch auf nicht kodifizierte formelle und materielle sowie auch branchenspezifische Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung beziehen soll (vgl die Auflistung bei Gassner in Gassner-Lechner, Steuerbilanzreform 32 f; vgl weiters Göth in Gassner-Lechner 132 ff), deren Rechtsquellenqualität äußerst unklar ist (vgl zur Meinungsvielfalt Stoll, ÖStZ 1967, 147; Kastner, JBl 1967, 298; Vodrazka in Gassner-Pointner (Hrsg), Bilanz und Rechnungswesen, FS-Stadler, 1981, 321; Christian Nowotny, Funktion der Rechnungslegung im Handels- und Gesellschaftsrecht, 1987, 21 ff; derselbe in Straube HGB II/RLG, 1992, §195 Tz 6 ff). Es fehlt diesem Verweis daher jegliche Präzision (Gassner in Gassner-Lechner, Steuerbilanzreform 33; Göth in Gassner-Lechner, Steuerbilanzreform 132 ff). Aus all diesen Gründen ist der Betriebsvermögensvergleich des §4 Abs1 EStG 1972, welcher allein nach Steuerrecht zu erfolgen hat, unter den Gesichtspunkten der Tatbestandsbestimmtheit und der Tatbestandsklarheit schon höchst bedenklich (Gassner-Lang in FS-Walter 176; Gassner in Gassner-Lechner, Steuerbilanzreform 29 ff)."

Dazu die Gegenschrift unter teilweisem Vorgriff auf den erst folgenden Abschnitt der Beschwerde (GoB für "Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung"):

"Die Beschwerde betrifft zwar den Zeitraum 1985 bis 1987, sie versucht aber darzustellen, das Recht der Handelsbilanzen sei seit den durch das Rechnungslegungsgesetz erfolgten Änderungen klar. Tatsächlich besteht das Recht der Handelsbilanzen nach wie vor zum wesentlichen Teil durch den Verweis auf die Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung (zB §§191, 195 HGB). Durch das Rechnungslegungsgesetz wurde nur ein kleiner Teil der Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung kodifiziert. Es wurden durch dieses zwar einige Unsicherheiten beseitigt, aber neue geschaffen; so gibt es beispielsweise seit dem Inkrafttreten des RLG nicht einmal mehr eine einheitliche Meinung zur Frage, wie ein Skonto zu verbuchen sei (vgl. Egger/Samer, Der Jahresabschluß nach dem Rechnungslegungsgesetz, 2. Auflage, Seite 222 f). Auch wird die Ansicht vertreten, daß ein Teil dessen, was durch das RLG kodifiziert worden ist, nicht den GoB entspricht (so Wassermeyer,

Die Maßgeblichkeit der Handelsbilanz für die Steuerbilanz und die Umkehr dieses Grundsatzes, in Doralt, Probleme des Steuerbilanzrechts, Köln 1991, Seite 40, zu §203 Abs4 HGB betreffend die Aktivierung von Fremdmittelzinsen bei den Herstellungskosten).

Durch das RLG wurden einzelne GoB (vgl. Leffson, Die Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung 7, Düsseldorf 1987, 26) kodifiziert (vgl. zB Wortlaut des §211 Abs1 Satz 2 HGB:

'Rückstellungen sind in der Höhe anzusetzen, die nach vernünftiger kaufmännischer Beurteilung notwendig ist'). Das Handelsbilanzrecht muß aber im wesentlichen auf den GoB zurückgreifen. Nicht einmal für die einfachsten Geschäftsfälle findet sich eine gesetzliche Regelung: Realisiert der Händler den Gewinn aus dem Verkauf von Ware im Zeitpunkt des Abschlusses des Kaufvertrages oder im Zeitpunkt der Lieferung? Wird mit Abschluß eines Mietvertrages ein in der Bilanz auszuweisendes Mietrecht erworben oder schlagen sich die laufenden Mietzahlungen gar nicht in der Bilanz nieder? Im HGB findet sich für die handelsbilanzmäßige Behandlung dieser simplen Geschäftsfälle keine Regelung. Bereits diese Fälle - und so auch die komplexeren Fallgestaltungen - können im Handelsrecht nur aus den GoB gelöst werden. Daß das Handelsrecht auch nach Inkrafttreten des RLG nicht den Umfang des in die Handelsbilanz aufzunehmenden Vermögens (§191 Abs1 HGB; zB Einzelkaufmann hat auch seine private Wohnung im Geschäftshaus oder auch die Familienangehörigen des Kaufmanns haben ideelles Eigentum am Geschäftshaus: in welchem Ausmaß ist das Haus in die Bilanz aufzunehmen?) regelt oder den Begriff 'Vermögensgegenstand' definiert, sei nur am Rande erwähnt.

Die belangte Behörde möchte durch den vorstehenden Absatz zum Ausdruck bringen, daß die wirtschaftlichen Sachverhalte so umfangreich und vielfältig sind, daß weder das Handelsrecht (gleichgültig ob vor oder nach Inkrafttreten des RLG) noch das Steuerrecht ausdrückliche Regelungen über deren Verbuchung und Bilanzierung aufstellen kann. Auch in anderen Staaten kann dieses Problem nur durch den Verweis auf die Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung oder die Grundsätze ordnungsmäßiger Bilanzierung bewältigt werden.

Zum Einwand, daß 'Betriebsvermögen' und 'Wirtschaftsgut' unbestimmte Gesetzesbegriffe seien, ist zunächst zu bemerken, daß im Stadium der Gesetzwerdung und im Zeitpunkt des Inkrafttretens des EStG 1972, BGBl 1972 Nr. 440, Rechtsprechung und Lehre eine eindeutige Definition für 'Betriebsvermögen', 'notwendiges Betriebsvermögen', 'gewillkürtes Betriebsvermögen' und 'Wirtschaftsgut' kannte (vgl. Zapletal/Hofstätter, Die Einkommensteuer, Kommentar, §4 Abs1, Tz 12; Schubert/Pokorny/Schuch, Einkommensteuerhandbuch, Wien 1973, Seite 135 ff). Der Gesetzgeber konnte daher auf diese bekannten, unzweifelhaft definierten Begriffe zurückgreifen. Er brauchte daher die Begriffe nicht zu definieren. Auch der Gesetzgeber des RLG hat die Begriffe 'Vermögensgegenstand' oder 'Vermögen' des Einzelkaufmannes nicht definiert. Der Begriffsinhalt ist nach Ansicht der belangten Behörde - im Gegensatz zum Begriff des Vermögens, welches ein Einzelkaufmann in seiner Handelsbilanz auszuweiesn hat - ausreichend klar.

Die Problematik des Verweises des Steurrechts auf den unbestimmten Rechtsbegriff der GoB ist seit langer Zeit in der Literatur bekannt (Kruse, Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung, Hamburg 1970, Seite 3 (§1 III)). Der unbestimmte Gesetzesbegriff als solcher widerspricht aber nicht der Verfassung. Nach Ansicht der belangten Behörde ist auch der materielle Inhalt der GoB zu den diversen Bilanzierungsfragen durch die Rechtsprechung und Lehre der letzten hundert Jahre in einem ausreichenden Ausmaß bestimmt worden und war auch bereits bei Inkrafttreten des EStG 1972 bereits hinreichend bestimmt."

Die Replik meint, aus der zutreffenden Auffassung der Gegenschrift, daß das Recht der Handelsbilanz auch seit den durch das Rechnungslegungsrecht erfolgten Änderungen nicht in allem klar ist, ergebe sich die Unklarheit der vorangegangenen Rechtslage umsomehr. Es gehe nicht darum, daß Handels- und Steuerrecht auf Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung verweisen, sondern um die verwirrende Form, in der dies im EStG 1972 geschehen sei:

"... Daher kann der Aussage ... der Gegenschrift, daß der materielle Inhalt der Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung zu den diversen Bilanzierungsfragen durch Rechtsprechung und Lehre der letzten 100 Jahre in einem ausreichenden Ausmaß bestimmt worden wäre und auch bei Inkrafttreten des EStG 1972 bereits hinreichend bestimmt gewesen wäre, keinesfalls zugestimmt werden.

..."

"... Sowohl §4 Abs2 als auch §5 EStG 1972 verweisen auf Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung ohne daß klar ist, was jeweils damit gemeint ist und ohne deutlich zum Ausdruck zu bringen, wann steuerrechtliche Vorschriften diesen Verweisen vorgehen. An dieser verwirrenden Verweistechnik liegt es, daß praktisch kaum irgendwelche Bilanzierungsfragen des Steuerrechtes klar und eindeutig zu lösen sind. ..."

3. Weiter die Beschwerde:

"Noch mehr gilt dies für den Betriebsvermögensvergleich nach §5 EStG 1972. Nach dieser Bestimmung ist 'bei Gewerbetreibenden, deren Firma im Handelsregister eingetragen ist, ..... unter Beachtung der Vorschriften dieses Bundesgesetzes über die Gewinnermittlung für den Schluß des Wirtschaftsjahres das Betriebsvermögen anzusetzen (§4 Abs1 erster Satz), das nach den Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung auszuweisen ist.' Auch hier gelten somit 'Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung', wobei unklar ist, was unter diesem unbestimmten Gesetzesbegriff und Pauschalverweis, der dem Wortlaut nach mit den 'Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung' des §4 Abs2 EStG 1972 übereinstimmt, zu verstehen ist (Gassner in Gassner-Lechner, Steuerbilanzreform 32). Nach herrschender Auffassung wird hier auf die 'kaufmännischen Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung' abgestellt (VwGH 17.4.1974, 732/72; Schubert-Pokorny-Schuch-Quantschnigg, ESt-Handbuch2 1985 §5 Tz 5). Offen ist dabei jedoch, ob damit nur die Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung als solche, was der Wortlaut nahelegen würde, die Bilanzierung in materieller Hinsicht nach diesen Grundsätzen sowie nach jeweils anzuwendendem Handelsrecht (vgl VfSlg 5025/65) oder die konkrete in Übereinstimmung mit den Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung erstellte Handelsbilanz gemeint ist, ob also bloß eine 'materielle' Maßgeblichkeit der handelsrechtlichen Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung oder von jeweils anwendbarem Rechnungslegungsrecht des Handelsrechtes überhaupt oder eine 'formelle' Maßgeblichkeit der jeweiligen Handelsbilanz angeordnet wird (vgl die Nachweise bei Göth in Gassner-Lechner, Steuerbilanzreform 140 f). Dem §5 EStG 1972 läßt sich darüber keine klare Antwort entnehmen (vgl Göth in Gassner-Lechner, Steuerbilanzreform 141 ff). Offen ist auch die Frage, ob sich §5 EStG 1972 nur auf den Ansatz bezieht, wofür der Wortlaut spricht, oder auch auf die Bewertung, da dies erst in §5 EStG 1988 klargestellt wurde (Göth in Gassner-Lechner, Steuerbilanzreform 135; vgl auch Ruppe in Egger-Ruppe, Reform 251; Doralt, Kommentar §4 Tz 141; Tanzer in Raupach (Hrsg) Werte und Wertermittlung im Steuerrecht, 1984, 81 ff; Weilinger, GesRZ 1989, 212) und jedenfalls für die Rechtslage des EStG 1972, also vor Inkrafttreten des Rechnungslegungsgesetzes, offen war, auf welche kaufmännischen Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung verwiesen wurde. Denn diese waren je nach Rechtsform höchst verschieden. So galten zwar für alle Kaufleute als Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung die §§38-44 HGB, für die AG und andere Rechtsträger aber zusätzlich die §§129 ff AktG. Letztere Gesetzesbestimmungen kodifizierten nach herrschender Auffassung zum Teil allgemeine, aber zum Teil auch rechtsformspezifische Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung (vgl zu den Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung in den unterschiedlichen Rechtsformen Vodrazka, Handbuch Bilanzierung und Abschlußprüfung2, 1987, §129 Tz 3 ff, EinzelU Tz 9, OHG Tz 68 ff; KG Tz 210 f; GmbH Tz 3; GmbH & Co KG Tz 304) und bloß auf Aktiengesellschaften und zB nicht einmal auf GmbH anwendbare Einzelvorschriften. Dabei war eine klare Abgrenzung dieser allgemeinen von den rechtsformspezifischen Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung genausowenig möglich wie die Abgrenzung allgemeiner und rechtsformspezifischer von branchenspezifischen Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung (Göth in Gassner-Lechner, Steuerbilanzreform 138) und von jeweiligen Einzelvorschriften der Rechnungslegung, die nicht zu den Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung zählten und aus diesem Grunde möglicherweise vom Verweis des §5 EStG 1972 nicht erfaßt waren (vgl Ruppe in Egger-Ruppe, Reform 274). Vor allem verwiesen die angeführten Gesetzesbestimmungen aber selbst wiederum auf die Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung (zB §38 Abs1 HGB idF vor dem RLG und §129 Abs1 AktG idF vor dem RLG). Die mit Hilfe des höchst unbestimmten Begriffes der 'Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung' in §5 EStG 1972 vorgenommene Verweisung auf das Handelsrecht stellt sich somit überwiegend als eine Weiterverweisung auf ein Regelungsgefüge dar, bei dem weder Klarheit darüber herrscht, welche Rechtsquellenqualität ihm zukommt noch wie die einzelnen Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung zu ermitteln sind (Nowotny, Funktion 21 ff; Göth in Gassner-Lechner, Steuerbilanzreform 136 ff; Nowotny in Straube HGB II/RLG §195 Tz 6 ff. Anders als beim Diskontsatz - dazu VfSlg 11281/87 - handelt es sich bei den Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung um Normen). So gesehen besteht der Inhalt des §5 EStG 1972 in einem mehrfachen Verweis, in dem zum einen auf das Handelsrecht verwiesen wird, dieses selbst jedoch zwecks Konkretisierung der handelsrechtlichen Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung wieder auf andere Rechtsquellen oder Regelungsgefüge weiterverweist (vgl Göth in Gassner-Lechner, Steuerbilanzreform 136). Aus diesen Gründen kommt Ruppe zu folgendem Schluß (in Egger-Ruppe, Reform 275):

'Der gegenwärtige Rechtszustand ist allerdings nicht befriedigend. Einerseits ist der Verweis in §5 EStG in siner Bedeutung unklar, andererseits hat die Rechtsquelle, auf die verwiesen wird, nämlich die Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung, nur sehr verschwommene Konturen. Die Gewinnermittlung protokollierter Kaufleute steht damit auf einer unsicheren und damit rechtsstaatlich bedenklichen Grundlage.'"

Hierauf die Gegenschrift:

"Die formelle Maßgeblichkeit entsprach stets und entspricht auch heute der Rechtsprechung in Österreich und in Deutschland und der herrschenden Lehre (vgl. Wassermeyer, Die Maßgeblichkeit der Handelsbilanz für die Steuerbilanz und die Umkehr dieses Grundsatzes, in Doralt, Probleme des Bilanzsteuerrechts, Köln 1991, 31ff). Tanzer (in Raupach, Werte und Wertermittlung im Steuerrecht, 1984, Seite 81ff) vertritt die These der materiellen Maßgeblichkeit (vgl. aber bereits Zitzlaff, StuW 1938 I Sp 559; und Bankow, BB 1957, 112).

Überwiegende Rechtsauffassung in Deutschland und Österreich (siehe Nachweise bei Wassermeyer, Die Maßgeblichkeit der Handelsbilanz für die Steuerbilanz und die Umkehr dieses Grundsatzes, a.a.O., Seite 38) ist, daß die Maßgeblichkeit nicht nur für die Bilanzierung dem Grunde nach, sondern ebenso für die Bewertung gilt - soweit nicht ausdrückliche steuerliche Vorschriften bestehen.

Nach Ansicht der belangten Behörde gelangt die Interpretation (§6 ABGB) zu eindeutigen Ergebnissen. Da der Wortlaut des §5 EStG noch weitgehend jenem des §5 dEStG 1934 entspricht, kommt der historischen Interpretation besonderes Gewicht zu. Die belangte Behörde vertritt die Auffassung, daß unterschiedliche Interpretationsergebnisse und damit unterschiedliche Meinungen für das Steuerrecht nicht typischer sind als für andere Rechtsgebiete und deshalb noch nicht zur Verfassungswidrigkeit einer Regelung führen.

Wenn die Beschwerde ausführt, die GoB hingen auch von der Rechtsform des Kaufmannes ab, so ist dem zuzustimmen. Vor und nach dem Inkrafttreten des RLG gab es für bestimmte Gesellschaften Sondervorschriften (vgl. 221 ff HGB) und wird die Ansicht vertreten, daß diese Sondervorschriften zum Teil (zB Vorschriften über die Gliederung des Jahresabschlusses) im Wege der GoB auch für die anderen Kaufleute (Einzelkaufmann) verbindlich sind (vgl. Egger/Samer, Der Jahresabschluß nach dem Rechnungslegungsgesetz2, Seite 27). Aus dem Prinzip der formellen Maßgeblichkeit ist nun abzuleiten, daß §5 EStG jene GoB anspricht, die für den jeweiligen Steuerpflichtigen aufgrund seiner Rechtsform verbindlich sind.

Wenn §5 EStG auf GoB verweist und die §§191 und 195 HGB auf GoB verweisen, ergibt sich daraus, daß nur ein kleiner Teil der GoB kodifizierbar ist."

Dazu die Replik:

"Daß von den Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung nur ein kleiner Teil kodifizierbar wäre, kann dahingestellt bleiben. Im RLG ist es aber immerhin gelungen, weit mehr Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung zu kodifizieren als dies in den seinerzeitigen §§38 ff HGB der Fall war. Die Schwierigkeiten einer weitgehenden Kodifikation der Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung zwingt aber keineswegs dazu, in einer derart verwirrenden Weise, wie dies im EStG 1972 erfolgte, zweimal auf Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung zu verweisen und damit jeweils Unterscheidliches zu meinen, die Unterschiede aber nicht klar zum Ausdruck zu bringen."

4. Die Beschwerde wiederum:

"Geht man davon aus, daß für die Gewinnermittlung nach §4 Abs1 EStG 1972 die 'allgemeinen Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung' und für die Gewinnermittlung nach §5 EStG 1972 zusätzlich die 'kaufmännischen Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung' zur Anwendung gelangen (Schubert-Pokorny-Schuch-Quantschnigg, ESt-Handbuch2 1985 §5 Tz 5), was immer man unter diesen beiden Formen der Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung verstehen mag, so ergibt sich das Bedürfnis, diese beiden Formen der Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung voneinander abzugrenzen und damit die Rechtsfolgen für die beiden Arten des Betriebsvermögensvergleichs zu konkretisieren (Göth in Gassner-Lechner, Steuerbilanzreform 139). Denn die herrschende Auffassung geht davon aus, daß einer der wesentlichen Unterschiede zwischen den beiden Arten des Betriebsvermögensvergleichs in der Beachtung der allgemeinen Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung bei der Gewinnermittlung nach §4 Abs1 EStG 1972 und zusätzlich der handelsrechtlichen Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung bei der Gewinnermittlung nach §5 EStG 1972 liegt (vgl VwGH 17.4.1974, 732/72; Doralt-Ruppe I4 58). Die erforderliche Abgrenzung der Rechtsfolgen der beiden Arten des Betriebsvermögensvergleichs erweist sich aber nach der Konzeption dieser beiden Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung als unmöglich. Es ist nämlich unklar, wodurch sich die allgemeinen Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung von den handelsrechtlichen Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung unterscheiden (Doralt, Einkommensteuergesetz-Kommentar, 1990 §4 Tz 127 mwN; Pokorny, SWK 1987 A I 187). Nach herrschender Meinung sind zwar die allgemeinen Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung idR gleichzeitig auch handelsrechtliche Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung, die handelsrechtlichen Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung gehen aber weiter; sie umfassen danach zusätzliche Elemente, die einen möglichst hohen Grad an Genauigkeit der Gewinnermittlung gewährleisten sollen, der für die Gewinnermittlung nach §4 Abs1 EStG 1972 nicht erforderlich wäre (VfSlg 6928/72; Hofians, Bilanzierungshilfen des Handelsrechtes im Bilanzsteuerrecht, 1986, 119 ff; Gassner in Gassner- Lechner, Steuerbilanzreform 33). Der wesentliche Unterschied wird in der Berücksichtigung des Vorsichtsprinzips in der Handelsbilanz gesehen, das im Betriebsvermögensvergleich nach Steuerrecht nicht zu gelten hätte. Daraus ergäbe sich zwar in der Handelsbilanz und damit für den Betriebsvermögensvergleich nach §5 EStG 1972 die Verpflichtung zur Bildung von Rückstellungen und zur Anwendung des Niederstwertprinzips, nicht aber für den Betriebsvermögensvergleich nach §4 Abs1 EStG 1972 (VwGH 29.9.1982, 82/13/17). Dieser so wesentliche Unterschied ist aber keineswegs klar, weil für die Gewinnermittlung nach §4 Abs1 EStG 1972 nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes die Grundsätze der Bilanzwahrheit und der periodengerechten Gewinnermittlung zu gelten hätten (VwGH 2.6.1976, 1667/75). Droht danach ernsthaft ein Aufwand oder ein Wertverlust, deren Ursachen der vergangenen Periode zuzurechnen ist, dann wäre er somit bei sonstigem Verlust der Betriebsausgabe geltend zu machen, obwohl angeblich das Vorsichtsprinzip nicht zu gelten hätte. Doralt (Kommentar §4 Tz 128) kommt aus diesem Grunde sogar zur Auffassung, daß die in Rechtsprechung und Schrifttum allgemein vorgenommene grundlegende Unterscheidung zwischen den beiden Arten des Betriebsvermögensvergleichs nach §4 Abs1 und §5 weder sachlich gerechtfertigt noch dogmatisch haltbar wäre. Damit verlöre aber der Verweis auf die allgemeinen Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung in §4 Abs2 EStG 1972 jegliche Konturen (Göth in Gassner-Lechner, Bilanzsteuerreform 134). Somit bleibt letztlich unklar, ob zwischen den allgemeinen und den kaufmännischen Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung überhaupt Unterschiede bestehen und worin diese Unterschiede gegebenenfalls liegen (Gassner in Gassner-Lechner, Steuerbilanzreform 20. Vgl a Ruppe, ÖStZ 1986, 75 f). Eine gesetzliche Klärung, daß es sich um etwas Verschiedenes handelt, erfolgte nämlich erst durch die §§4 Abs2 und 5 EStG 1988. Damit erweisen sich aber die unterschiedlichen Rechtsfolgen der beiden Gewinnermittlungsarten als weder klar noch bestimmt im Sinne der Anforderungen des Art18 Abs1 B-VG."

Die Gegenschrift:

"Aus der formellen Maßgeblichkeit ergibt sich zwingend, was unter den handelsrechtlichen GoB, die der §5-Ermittler zu beachten hat, zu verstehen ist. Für den §4 Abs1.-Ermittler, der typischerweise nicht Kaufmann ist, gibt es keinen Grund für eine Anknüpfung an die strengen Vorschriften einer Handelsbilanz. Allerdings muß das Steuerrecht auf Grundregeln der Bilanzierung verweisen: es muß beispielweise festlegen, wann der Gewinn aus einem Werkvertrag, aus einem Kaufvertrag, aus einem Dauerleistungsvertrag realisiert wird. Da eine taxative Umschreibung sämtlicher vorstellbarer Geschäftsfälle des Wirtschaftslebens nicht möglich ist, mußte das Steuerrecht die Regelung durch einen Verweis auf die allgemeinen GoB, also diese Grundregeln der Bilanzierung vornehmen.

Welche einzelnen Unterschiede zwischen handelsrechtlichen und allgemeinen GoB, also zwischen Gewinnermittlung nach §5 und nach §4 Abs1 EStG 1972 bestehen, war bei Inkrafttreten des EStG 1972 (und ist es auch heute) durch ständige Rechtsprechung und herrschende Lehre gesichert. Die Beschwerde führt sie auf Seite 39 an.

Der praktisch bedeutsame Unterschied zwischen den Gewinnermittlungsarten besteht in der Behandlung von Grund und Boden; dieser Unterschied ist gesetzlich festgeschrieben (§5 Satz 2 EStG 1972). Die belangte Behörde erhebt keine grundsätzlichen Einwendungen gegen ein Interpretationsergebnis, nach dem die Gewinnermittlung nach §4 Abs1 und §5 EStG 1972 im übrigen keine Unterschiede aufweisen solle. Die in der Praxis vertretenen Abweichungen für den §4 Abs1 - Ermittler stellen aber Erleichterungen für den Steuerpflichtigen, der typischerweise nicht Kaufmann ist, dar: er muß nicht, darf aber Rückstellungen und Rechnungsabgrenzungen bilden; er muß nicht, darf aber Teilwertabschreibungen vornehmen. Die Unterschiede lassen sich aber durch Interpretation aus dem Gesetz ableiten."

Nach der Replik läßt die Behörde

"... unerwähnt, daß sich nach herrschender Auffassung aus dem Verweis auf die handelsrechtlichen Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung erhebliche Einengungen hinsichtlich Ansatz und Bewertung ergeben (vgl zB die Auswirkungen der direkten Maßgeblichkeit nach Quantschnigg-Schuch, Einkommensteuerhandbuch 1988 §5 Tz 18 ff). Auch läßt die belangte Behörde es offen, aus welchen gesetzlichen Grundlagen sich die in der Praxis vertretenen Abweichungen für den §5 Abs1-Gewinnermittler ergeben. Dies alles beweist, daß die unterschiedlichen Rechtsfolgen der beiden Verweise auf die Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung höchst unklar sind und diese Verweise daher aus der Sicht des Legalitätsprinzips zurecht im Schrifttum kritisiert werden."

5. Die Beschwerde:

"Bei der Gewinnermittlung nach §5 EStG 1972 wäre aber zur Bestimmung der für diese Art des Betriebsvermögensvergleichs vorgesehenen Rechtsfolgen nicht nur eine klare Abgrenzung gegenüber der Gewinnermittlung nach §4 Abs1 EStG 1972 notwendig, insbesondere was die allgemeinen und die handelsrechtlichen Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung anbelangt, sondern es wären auch klare Grenzen des Verweises auf die handelsrechtlichen Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung anhand der Vorschriften des EStG 1972 geboten. Denn die Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung kommen gemäß §5 EStG 1972 nur insoweit zum Zug als dies die einkommensteuerrechtlichen Vorschriften zulassen. Dies ergibt sich daraus, daß auch bei Gewerbetreibenden, deren Firma im Handelsregister eingetragen ist, für den Schluß des Wirtschaftsjahres das Betriebsvermögen 'unter Beachtung der Vorschriften dieses Bundesgesetzes anzusetzen' ist. Zwingendes abweichendes Steuerbilanzrecht geht somit dem Handelsrecht vor (VfSlg 9518/82 mwN; vgl dazu Göth in Gassner-Lechner, Steuerbilanzreform 145 ff). Zur Feststellung dieser zwingenden Abweichungen wäre aber eine klare Grenzziehung zwischen Handels- und Steuerrecht notwendig. Voraussetzung dafür wäre, daß das EStG 1972 selbst über klare Regeln zu Umfang, Ansatz und Bewertung des Betriebsvermögens enthielte, die sich wiederum von einem selbst klaren Handelsrecht abgrenzen ließen. Da dies - wie in den Abschnitten 2 und 3 noch dargelegt werden wird - nicht der Fall ist, müssen die Grenzen des Maßgeblichkeitsprinzips und dessen Bedeutung und Reichweite unklar sein. Denn die Rechtsgrundlagen des Maßgeblichkeitsprinzips 'sind dürftig und lassen viele Zweifelsfragen offen' (Ruppe in Egger-Ruppe, Reform 274), sodaß mit ihm 'besondere Unschärfen' verbunden sind (Gassner in Gassner-Lechner, Steuerbilanzreform 10). Am Maßgeblichkeitsprinzip des §5 EStG 1972 sind daher insbesondere folgende Grundsatzfragen strittig (Ruppe in Egger-Ruppe, Reform 240 ff und 274; Gassner in Gassner- Lechner, Steuerbilanzreform 20 f):

1.

Der Umfang der Aktivierungsfähigkeit in der Handels- und Steuerbilanz in Hinblick auf die unterschiedliche Terminologie im Handels- und Steuerrecht (Vermögensgegenstand und Rechnungsabgrenzungsposten - Wirtschaftsgut - Betriebsvermögen).

2.

Der Umfang der Passivierungsfähigkeit in der Handels- und Steuerbilanz in Hinblick auf die unterschiedliche Terminologie im Handels- und Steuerrecht (Verbindlichkeiten, Rückstellungen und Rechnungsabgrenzungsposten - negatives Wirtschaftsgut - Betriebsvermögen).

3.

Die Bedeutung handelsrechtlicher Ansatzwahlrechte und Bilanzierungshilfen für die Steuerbilanz.

4.

Die Geltung des Maßgeblichkeitsprinzips für die steuerliche Bewertung.

5.

Die Maßgeblichkeit des Handelsrechtes oder der konkreten Handelsbilanz.

6.

Die Bedeutung des Maßgeblichkeitsprinzips für die Inanspruchnahme von Steuerbegünstigungen.

7.

Die Bedeutung des Maßgeblichkeitsprinzips für die Bilanzänderung.

8.

Die Bedeutung der Gewinn- und Verlustrechnung nach Handelsrecht für die steuerliche Gewinnermittlung."

Die Gegenschrift:

"Der Begriff des Wirtschaftsgutes kann grundsätzlich jenem des Vermögensgegenstandes gleichgesetzt werden; im Gegensatz zum Vermögensgegenstand umfaßt das Wirtschaftsgut allerdings auch passive Werte (vgl. Doralt, EStG2, §4 Tz 36).

Der Begriff 'Rechnungsabgrenzungen' ist im EStG nicht festgelegt. Es wird mit dem handelsrechtlichen Begriffsinhalt übernommen (vgl. VwGH 10.12.1985, 85/14/0078).

Unter welchen Voraussetzungen ein Wirtschaftsgut zum Betriebsvermögen gehört, war bei Inkrafttreten des EStG 1972 durch Rechtsprechung und Literatur klargestellt und ist auch heute nicht zweifelhaft. Der Gesetzgeber konnte einen Begriff mit festem Begriffsinhalt heranziehen.

Verbindlichkeiten, die am Bilanzstichtag bereits mit Sicherheit oder mit gewisser Wahrscheinlichkeit bestehen, können passiviert werden.

Handelsrechtliche Ansatzwahlrechte oder Bilanzierungshilfen sind auch für die Steuerbilanz anzuerkennen (VwGH 10.12.1985, 85/14/0078).

Bestimmte Investitionsbegünstigungen (§10 Abs1 vorletzter Satz EStG) setzen den Ausweis in der Bilanz voraus. Der §5-Ermittler hat die Investitionsbegünstigung daher bereits in der Handelsbilanz zu bilden (vgl. 208 HGB).

Aufgrund der formellen Maßgeblichkeit ist eine Bilanzänderung bereits in der Handelsbilanz vorzunehmen."

Dem Versuch der Gegenschrift, die Klarheit des Maßgeblichkeitsprinzips darzutun, hält die Replik entgegen:

"1. Daß der Begriff des Wirtschaftsgutes grundsätzlich mit jenem des Vermögensgegenstandes gleichgesetzt werden könne, ist nur eine von vielen Literaturmeinungen. Quantschnigg-Schuch (§6 Tz 9) führen dazu zB aus:

    'Das Verhältnis des steuerlichen Wirtschaftsgutes zum

    handelsrechtlichen Vermögensgegenstand ... ist umstritten.

    Zum Teil wird ein unterschiedlicher Begriffsinhalt deshalb

    angenommen, weil die Annahme eines Vermögensgegenstandes

    dessen Veräußerbarkeit erfordere ... Für das Wirtschaftsgut

besteht dieses Erfordernis jedenfalls nicht ...; unseres Erachtens zurecht, weil die steuerliche Gewinnermittlung - siehe den Teilwertbegriff - vom Fortführungsprinzip beherrscht ist, also auch Werte angesetzt werden müssen, die die Betriebsfortführung voraussetzen ... Andere Meinungen sehen die Begriffe ident oder weitgehend ident ...'

2. Der Rechtscharakter der Rechnungsabgrenzungsposten ist im Steuerrecht entgegen der Ansicht der belangten Behörde genauso umstritten wie ihre Bewertbarkeit. Es ist nämlich fraglich, ob den Rechnungsabgrenzungsposten Wirtschaftsguteigenschaft zukommt oder nicht (vgl zB Quantschnigg-Schuch §5 Tz 53 im Gegensatz zu Littich, ÖStZ 1983, 203 ff) und ob sie, allenfalls abweichend vom Handelsrecht, gemäß §6 Z2 und 3 EStG zu bewerten sind (vgl zB Quantschnigg-Schuch §5 Rz 57 im Gegensatz zu Schmidt, EStG10 §5 Anm 27).

3. Die Zurechnung eines Wirtschaftsgutes zum Betriebsvermögen ist entgegen der Ansicht der belangten Behörde keineswegs klar. So kommt zB Tumpel (in Gassner-Lechner, Steuerbilanzreform und Verfassungsrecht 170) zu folgendem Urteil:

'Bereits der Umfang des Betriebsvermögens kann mangels

Legaldefinition nicht eindeutig ergründet werden.'

4. Mit der Passivierbarkeit von Verbindlichkeiten, die am Bilanzstichtag bereits mit Sicherheit oder mit gewisser Wahrscheinlichkeit bestehen, bezieht sich die belangte Behörde offenbar auf die Rückstellungen. Was hier klar sein sollte, bleibt im Dunkel. Dies betrifft schon den Ansatz. So formulieren zB Quantschnigg-Schuch (§5 Tz 25):

'Der Charakter der Bilanzposition 'Rückstellung' ist

umstritten.'

Zu den zahlreichen ungeklärten Zweifelsfragen bei der Bewertung von Rückstellungen verweisen wir auf Abschnitt 3.2 der Beschwerde.

5. Die Übernahme handelsrechtlicher Ansatzwahlrechte in die Steuerbilanz ist entgegen der Ansicht der belangten Behörde keineswegs geklärt. Die in der BRD herrschende Auffassung, wonach einem handelsrechtlichen Aktivierungswahlrecht eine steuerliche Aktivierungspflicht entspreche, hat nämlich auch in Österreich zahlreiche Anhänger gefunden (zB Werndl, ÖJZ 1979, 565; Doralt,

Der Firmenwert in der Handels- und Steuerbilanz, 1976, 38 und 46). Die Sache ist jedenfalls umstritten (Doralt, Kommentar2 §4 Tz 18). Desgleichen ist der Ansatz von Bilanzierungshilfen umstritten (vgl zuletzt Quantschnigg-Schuch §5 Tz 63 und §6 Tz 11 'Bilanzierungshilfen').

6. Die Maßgeblichkeit der Handelsbilanz für Investitionsbegünstigungen ist entgegen der Ansicht der belangten Behörde nur dort zweifelsfrei, wo das Gesetz ausdrücklich die Geltendmachung in der Handelsbilanz verlangt. Soweit dies nicht der Fall ist, ist sie durchaus umstritten (siehe zuletzt Quantschnigg-Schuch §5 Tz 20.3). §208 HGB kann nicht ins Treffen geführt werden, weil diese Bestimmung noch nicht anzuwenden war.

7. Das Erfordernis der Vornahme der Bilanzänderung bereits in der Handelsbilanz und nicht bloß in der sogenannten Steuerbilanz ist entgegen der Auffassung der belangten Behörde ebenfalls umstritten. So ist zB nach Quantschnigg-Schuch (§4 Tz 77) die Änderung in der Handelsbilanz vorzunehmen, während sich Abschnitt 14 Abs4 EStR 1984 für Investitionsbegünstigungen aus Anlaß von Bilanzberichtigungen durch das Finanzamt mit der Geltendmachung in der sogenannten Steuerbilanz begnügt (vgl auch Doralt, Kommentar zum EStG2 §4 Anm 186).

8. Die Auflistung von Beispielen der belangten Behörde zeigt die typische Argumentationsweise in der Steuerpraxis. Das Finanzamt oder der Steuerpflichtige behauptet unter Bezugnahme auf eine bestimmte Literatur oder Judikatur die Richtigkeit einer bestimmten Auffassung, während die andere Seite mit gleicher Berechtigung unter Bezugnahme auf gegenteilige Rechtsprechung und Literatur das genaue Gegenteil behauptet. Das beweist, daß im Bilanzsteuerrecht über den Inhalt vieler Begriffe eine Vielzahl unvereinbarer Auffassungen herrscht, die jeweils gleich gewichtige Gründe für sich haben, sodaß das Bilanzsteuerrecht dem Gesetzmäßigkeitsprinzip widerspricht (VfSlg 4669/64, 5993/69)."

6. Die Beschwerde kommt nun zu folgendem Zwischenergebnis:

"Damit erweist sich aber das Recht der steuerlichen Gewinnermittlung durch Betriebsvermögensvergleich in weitem Umfang als nicht in ausreichender Weise interpretierbar, um Antworten auf Einzelfragen zumindest grundsätzlicher Art aus dem Gesetz ableiten zu können. Der wesentliche Grund liegt in der mangelhaften Gesamtkonzeption des Bilanzsteuerrechtes (zur Kritik vgl Gassner in Loitlsberger-Egger-Eduard Lechner (Hrsg), Rechnungslegung und Gewinnermittlung, GedS-Lechner, 1987, 103 ff; Gassner-Lang in FS-Walter 176 f; Gassner in Gassner-Lechner, Steuerbilanzreform 29 ff; Göth in Gassner-Lechner 155). Die §§4-7 EStG 1972 kombinieren nämlich drei Unschärfen:

-

Die Unschärfen, die das steuerliche Gewinnermittlungsrecht bezüglich Umfang, Ansatz und Bewertung des Betriebsvermögens aufgrund der Verwendung unbestimmter Gesetzesbegriffe und des Pauschalverweises auf kodifizierte und nicht kodifizierte Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung (§4 Abs2 EStG 1972) bereits selbst aufweist.

-

Die Unschärfen, die das handelsrechtliche Gewinnermittlungsrecht insbesondere in den §§38 ff HGB idF vor dem RLG, den §§129 ff AktG idF vor dem RLG und den §§22 und 23 GmbHG idF vor dem RLG und den anderen handelsrechtlichen Bilanzierungsvorschriften (zB §24 KWG und §§80 ff VAG samt Formblättern idF vor dem RLG) aufgrund der Verwendung unbestimmter Gesetzesbegriffe sowie der unterschiedlichen Pauschalverweise auf kodifizierte und nicht kodifizierte Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung des Handelsrechtes enthält.

-

Die Unschärfen des Maßgeblichkeitsprinzips des §5 EStG 1972, das weder klar erkennen läßt, auf welche Grundsätze

ordnungsmäßiger Buchführung sich der Verweis bezieht, wie diese von den Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung des §4 Abs2 EStG 1972 abzugrenzen sind, ob sich der Verweis nur auf den Ansatz oder auch auf die Bewertung bezieht, noch wo die Grenzen dieses Verweises in den Vorschriften des EStG 1972

zu***** sehen sind.

Treffend faßt deshalb Göth zusammen (in Gassner-Lechner, Steuerbilanzreform 155):

'Dieses kumulierte Zusammenwirken von Unsicherheitsfaktoren ohne eine grundlegende Systematik und einheitliche Zielsetzung, das der Willkür und der Beliebigkeit von Steuerfolgen Tür und Tor öffnet, läßt die Grundlagen des steuerlichen Betriebsvermögensvergleiches aus der Sicht des Legalitätsprinzips als äußerst bedenklich erscheinen.'

Die Gewinnermittlungsvorschriften verfügen also über keine einheitliche Zielsetzung und keine einheitliche Systematik, die zur Interpretation herangezogen werden könnten (Tumpel in Gassner-Lechner, Steuerbilanzreform 176 ff insb 180). Dies ergibt sich aus der völligen Sinnumkehr der steuerlichen Vorschriften durch die Rechtsentwicklung (vgl dazu Ruppe in Egger-Ruppe, Reform 235 ff und 258; Gassner in GedS-Lechner 103 f; derselbe in Gassner-Lechner, Steuerbilanzreform 18 ff). Diese sollten nämlich ursprünglich - wie der Begründung zum EStG 1934 zu entnehmen ist (RStBl 1935, 37) - einem möglichst weitgehenden Gleichklang mit den allgemeinen Bilanzierungsgrundsätzen dienen. Diese Zielsetzung der steuerlichen Gewinnermittlung ist aber sowohl durch Weiterentwicklung des Handels- als auch des Steuerrechtes völlig verlorengegangen. (Vgl die Übersicht über die Unterschiede zwischen Handels- und Steuerbilanz bei Tumpel in Gassner-Lechner, Steuerbilanzreform 158 ff). Die steuerlichen Gewinnermittlungsvorschriften haben sich zu einem Sonderrecht entwickelt, das nicht im weitgehenden Gleichklang mit dem Handelsrecht sondern in einem überhaupt nicht mehr zu lösenden Spannungsverhältnis zu diesem steht (Gassner in GedS Lechner 104).

So sind zB folgende Grundsatzfragen offen:

-

Die Geltung des Vorsichtsprinzips bei Gewinnermittlung nach §4 Abs1 EStG 1972 (vgl Doralt, Kommentar §4 Tz 128).

-

Die statische oder doch mehr dynamische Sichtweise der Steuerbilanz im Verhältnis zur Handelsbilanz (vgl Gassner in GedS Lechner 110. Dazu, daß es hier keine einheitliche Linie gibt, Doralt-Ruppe I4 71; vgl hingegen Seite 30 der Berufungsentscheidung, wo zur Versagung von Rückstellungen auf die statische Bilanzauffassung des Einkommensteuerrechtes verwiesen wird).

-

Die gleiche oder unterschiedliche Bedeutung des Periodisierungsprinzips bei den beiden Arten des Betriebsvermögensvergleichs (vgl Göth in Gassner-Lechner, Steuerbilanzreform 134 f; Doralt, Kommentar §4 Tz 128).

-

Die Annahme eines steuerlichen Passivierungsverbotes bzw einer steuerlichen Aktivierungspflicht bei handelsrechtlichem Wahlrecht (vgl BFH 3.2.1969 BStBl II 291; Göth in Gassner-Lechner, Steuerbilanzreform 149 f).

Alle diese Fragen sind umstritten und weder aus dem Wortlaut, der Systematik oder der Zielsetzung des Gesetzes heraus lösbar. Hinzu kommt noch, daß insbesondere der Katalog der Bewertungsvorschriften des §6 EStG 1972 ohne Bedachtnahme auf das Handelsrecht und insbesondere auf die Vorschriften des AktG 1937 und 1965 weiterentwickelt und durch Einschub einer Reihe von Ergänzungen zum Anschaffungs- und Herstellungskostenbegriff (§6 Z8, 9 letzter Satz, 10 und 11 EStG 1972), durch Einführung einer Bewertungsregel für die grenzüberschreitende Überführung von Wirtschaftsgütern (§6 Z6 EStG 1972) und durch Aufnahme subventionsartiger Steuererleichterungen (§§6 Z7 und 123 EStG 1972) in unsystematischer Weise erweitert wurde (Gassner in GedS-Lechner 105 ff; derselbe in Gassner-Lechner, Steuerbilanzreform 19 f), sodaß auch aus diesem Grund die durch §5 EStG 1972 gebotene Abstimmung mit dem Handelsrecht n

Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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