TE Vwgh Beschluss 2022/3/24 Ra 2022/01/0079

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 24.03.2022
beobachten
merken

Index

L92009 Sozialhilfe Grundsicherung Mindestsicherung Wien
19/05 Menschenrechte
24/01 Strafgesetzbuch
41/02 Melderecht
41/02 Staatsbürgerschaft

Norm

MeldeG 1991
MRK Art8 Abs2
MSG Wr 2010 §21
StbG 1985 §10 Abs1 Z6
StGB §146

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Enzenhofer sowie die Hofräte Dr. Kleiser und Dr. Fasching als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Kienesberger, über die Revision der J R in W, vertreten durch Dr. Gregor Klammer, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Singerstraße 6/5, gegen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichts Wien vom 15. Dezember 2021, Zl. VGW-152/019/11821/2021-46, betreffend Staatsbürgerschaft (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Wiener Landesregierung), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1        Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das - im Wege einer Säumnisbeschwerde zuständig gewordene - Verwaltungsgericht Wien (Verwaltungsgericht) den Antrag der Revisionswerberin auf Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft gemäß § 10 Abs. 1 Z 6 iVm § 11a Abs. 7 Staatsbürgerschaftsgesetz 1985 (StbG) ab (I.) und ließ eine Revision nicht zu (II).

2        Das Verwaltungsgericht legte seiner Entscheidung die Feststellungen zu Grunde, dass die Revisionswerberin, eine in Österreich seit 2010 asylberechtigte afghanische Staatsangehörige, in fünf näher genannten Zeiträumen vom 1. November 2014 bis 30. April 2019 unrechtmäßig Leistungen aus der Bedarfsorientierten Mindestsicherung in einer Gesamthöhe von € 2.311,04 bezogen habe, nachdem sie die Änderung der für die Bemessung der Leistung maßgeblichen Umstände entgegen der Vorschrift des § 21 Wiener Mindestsicherungsgesetz (WMG) dem Magistrat Wien nicht angezeigt habe; es seien diesbezüglich auch Rückforderungsbescheide des Magistrats Wien ergangen. Gegen die Revisionswerberin sei deshalb im Jahr 2018 auch ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren wegen des Vergehens nach § 146 StGB geführt worden, das schließlich diversionell erledigt worden sei. Zudem stellte das Verwaltungsgericht drei Übertretungen des Meldegesetzes 1991 durch die Revisionswerberin fest.

3        Davon ausgehend sei - so das Verwaltungsgericht - eine positive Verhaltensprognose im Sinne des § 10 Abs. 1 Z 6 StbG für die Revisionswerberin nicht möglich, zumal der unrechtmäßige Bezug von Mindestsicherung mehrfach über einen Zeitraum von viereinhalb Jahren stattgefunden habe und der letzte unrechtmäßige Bezug erst zweieinhalb Jahre zurückliege.

4        Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

5        Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, mit Beschluss zurückzuweisen.

6        Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

7        Die Revision führt zur Zulässigkeit zunächst aus, das Verwaltungsgericht sei von näher zitierter Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen, nach der die Prozessfähigkeit einer Partei von Amts wegen beachtet werden müsse. Das Verwaltungsgericht hätte „angesichts der Sachlage“ überprüfen müssen, ob die Revisionswerberin eines Erwachsenenvertreters bedürfe.

8        Dem ist zu entgegnen, dass das Verwaltungsgericht im angefochtenen Erkenntnis zum Gesundheitszustand der Revisionswerberin die Feststellungen getroffen hat, dass die Revisionswerberin 2015 einen Herzinfarkt erlitten habe und an einer beidseitigen Makuladegeneration, die mittlerweile zu einer Blindheit geführt habe, leide. Die Ablegung der Nachweise gemäß § 10a Abs. 1 StbG (von Deutschkenntnissen auf dem Niveau B1 sowie von Grundkenntnissen der demokratischen Ordnung) sei ihr aufgrund ihres Gesundheitszustandes nicht möglich. Seit Juli 2017 sei sie aufgrund ihrer Augenkrankheit dauernd arbeits- bzw. erwerbsunfähig.

9        Die - bereits im Beschwerdeverfahren, auch während der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht, anwaltlich (durch den Revisionsvertreter) vertretene - Revisionswerberin hat weder aussagekräftige Befunde vorgelegt, die auf das Fehlen ihrer Prozessfähigkeit schließen lassen könnten, noch erstattete sie im verwaltungsgerichtlichen Verfahren ein entsprechendes Vorbringen. Ausgehend davon vermag die Revision nicht aufzuzeigen, dass das Verwaltungsgericht weitere amtswegige Erhebungen zum psychischen Gesundheitszustand der Revisionswerberin hätte vornehmen müssen (vgl. etwa VwGH 18.12.2020, Ra 2020/20/0149; vgl. demgegenüber etwa das - von der Revision zitierte - hg. Erkenntnis vom 28. Juli 2020, Ra 2019/01/0330, wonach „erhebliche Anhaltspunkte für eine Beeinträchtigung der Prozessfähigkeit des Revisionswerbers“ vorlagen).

10       Die Revision bringt zu ihrer Zulässigkeit weiters vor, das der Revisionswerberin angelastete Verhalten könne „nicht in die Liste der von der Judikatur als derartig gravierenden Fehlverhalten eingereiht werden, welche die in § 10 Abs. 1 Z 6 StbG 1985 genannten öffentlichen Interessen besonders gefährden.“ Die Revisionswerberin habe lediglich aus Unwissen geringfügige Fehlverhalten gesetzt, welche bereits korrigiert worden seien. Das Verwaltungsgericht sei von der diesbezüglichen „Judikaturlinie“ des VwGH abgewichen.

11       Dem ist zu entgegnen, dass der Verwaltungsgerichtshof in seiner - auch vom Verwaltungsgericht zitierten - Judikatur bereits klargestellt hat, dass Finanzvergehen im Hinblick auf das wirtschaftliche Wohl des Landes nach Art. 8 Abs. 2 EMRK Bedeutung haben können und dass eine Tathandlung, die sich auf die Hinterziehung von Abgaben bezieht, den Betroffenen als gefährlich im Sinne des § 10 Abs. 1 Z 6 StbG erscheinen lässt (vgl. VwGH 21.12.2020, Ra 2020/01/0442, mit Hinweis auf VwGH 28.1.2019, Ro 2018/01/0018, mwN).

12       Nichts anderes gilt für Tathandlungen, die auf den unrechtmäßigen Bezug von Leistungen der öffentlichen Hand abzielen, zumal derartige Verhaltensweisen ebenso geeignet sind, das - nach der zitierten Judikatur maßgebliche - wirtschaftliche Wohl des Landes zu beeinträchtigen.

13       Das Verwaltungsgericht ist daher zu Recht davon ausgegangen, dass Handlungen bzw. Unterlassungen, die den unrechtmäßigen Bezug von Sozialhilfeleistungen bezwecken bzw. bewirken, eine Gefährdung der in § 10 Abs. 1 Z 6 StbG genannten öffentlichen Interessen darstellen.

14       Es kann dem Verwaltungsgericht weiters nicht entgegengetreten werden, wenn es in diesem Zusammenhang auch das gegen die Revisionswerberin nach § 146 StGB geführte Strafverfahren berücksichtigt hat, weil auch Taten, hinsichtlich derer es zur Verfahrenseinstellung (z.B. nach einer Diversion) kommt, zum Gesamtverhalten gehören, von dem bei der Prüfung der Voraussetzungen des § 10 Abs. 1 Z 6 StbG auszugehen ist (vgl. VwGH 13.2.2020, Fe 2019/01/0001, mit Hinweis auf VwGH 29.5.2018, Ra 2018/01/0232, mwN)

15       Das Verwaltungsgericht hat schließlich zutreffend angenommen, dass auch Übertretungen des Meldegesetzes eine Gefährdung der in § 10 Abs. 1 Z 6 StbG genannten öffentlichen Interessen darstellen können (vgl. das im angefochtenen Erkenntnis zitierte Erkenntnis VwGH 18.1.2000, 99/18/0249).

16       Ausgehend davon hat das Verwaltungsgericht fallbezogen auch den Zeitraum des Wohlverhaltens der Revisionswerberin von rund zweieinhalb Jahren in nicht zu beanstandender Weise als noch nicht ausreichend angesehen (vgl. auch dazu VwGH Ra 2020/01/0442: „knapp unter drei Jahre“).

17       Das Verwaltungsgericht ist demnach von den Leitlinien der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zum Verleihungshindernis des § 10 Abs. 1 Z 6 StbG nicht abgewichen.

18       In der Revision werden vor diesem Hintergrund keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.

Wien, am 24. März 2022

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2022:RA2022010079.L00

Im RIS seit

29.04.2022

Zuletzt aktualisiert am

01.06.2022
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten