TE Vwgh Erkenntnis 2022/3/30 Ra 2021/01/0281

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Veröffentlicht am 30.03.2022
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof
41/02 Passrecht Fremdenrecht

Norm

AsylG 2005 §8 Abs1
VwGG §42 Abs2 Z3 litc
VwGG §42 Abs3 Z3 litb

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Enzenhofer sowie die Hofräte Dr. Kleiser und Dr. Fasching als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Kienesberger, über die Revision des A A in G, vertreten durch Mag. Johannes Zabini, Rechtsanwalt in 8010 Graz, Schmiedgasse 29, als bestellter Verfahrenshelfer, dieser vertreten durch die Schaller Zabini Rechtsanwälte GmbH in 8010 Graz, Schmiedgasse 29, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 8. Juli 2021, Zlen. 1. W177 1438435-2/32E und 2. W177 1438435-3/18E, betreffend eine Angelegenheit nach dem AsylG 2005 (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl),

Spruch

I. den Beschluss gefasst:

Die Revision wird, soweit sie sich gegen die Abweisung der Beschwerde betreffend die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten richtet, zurückgewiesen.

II. zu Recht erkannt:

Im Übrigen wird das angefochtene Erkenntnis wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1        Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom 25. November 2017 wurde der Antrag des Revisionswerbers, eines Staatsangehörigen von Afghanistan, auf internationalen Schutz abgewiesen (I. und II.), kein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen erteilt (III.), eine Rückkehrentscheidung erlassen (IV.), festgestellt, dass die Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei (V.) und eine Frist für die freiwillige Ausreise festgelegt (VI.). Mit Bescheid vom 12. November 2018 wurden die Spruchpunkte III. bis VI. des erstgenannten Bescheides von Amts wegen aufgehoben (I.), kein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen erteilt (II.), eine Rückkehrentscheidung erlassen (III.), festgestellt, dass die Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei (IV.), eine Frist für die freiwillige Ausreise festgelegt (V.), ein auf die Dauer von acht Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen (VI.) und ausgesprochen, dass der Revisionswerber gemäß § 13 Abs. 2 Z 1 und 2 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) sein Recht zum Aufenthalt im Bundesgebiet ab dem 18. April 2018 verloren habe (VII.).

2        Mit dem angefochtenen Erkenntnis wurden die Beschwerden des Revisionswerbers gegen diese Bescheide des BFA als unbegründet abgewiesen (jeweils A) und ausgesprochen, dass die Revision nicht zulässig sei (jeweils B).

Begründend führte das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) im Wesentlichen aus, das Fluchtvorbringen des Revisionswerbers sei aufgrund näher dargelegter Beweiswürdigung unglaubwürdig. Für die behauptete „verwestlichte“ Lebensweise habe der Revisionswerber keine konkreten Anhaltspunkte vorgebracht.

Dem Revisionswerber sei eine Rückkehr in seine Heimatregion (Mazar-e Sharif) möglich; ihm stehe überdies eine zumutbare innerstaatliche Fluchtalternative in der Stadt Herat offen. Dem Revisionswerber drohe im Fall seiner Rückführung keine reale Gefahr („real risk“) einer Verletzung seiner nach Art. 2 und 3 EMRK geschützten Rechte. Diese Einschätzung stützte das BVwG auf das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation (Stand 2. April 2021).

3        Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision.

Das BFA erstattete nach Einleitung des Vorverfahrens durch den Verwaltungsgerichtshof keine Revisionsbeantwortung.

4        Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

Zu I.:

5        Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes soll sich das Revisionsmodell nach dem Willen des Verfassungsgesetzgebers an der Revision nach den §§ 500 ff ZPO orientieren (vgl. ErläutRV 1618 BlgNR 24. GP 16). Ausgehend davon ist der Verwaltungsgerichtshof als Rechtsinstanz tätig, zur Überprüfung der Beweiswürdigung ist er im Allgemeinen nicht berufen. Auch kann einer Rechtsfrage nur dann grundsätzliche Bedeutung zukommen, wenn sie über den konkreten Einzelfall hinaus Bedeutung besitzt. Eine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung im Zusammenhang mit der Beweiswürdigung liegt nur dann vor, wenn das Verwaltungsgericht die im Einzelfall vorgenommene Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hat (vgl. für viele VwGH 21.7.2021, Ra 2021/01/0223-0224, mwN). Eine derart krasse Fehlbeurteilung legt der Revisionswerber nicht dar.

6        Vor diesem Hintergrund werden in der Revision in Bezug auf die Abweisung der Beschwerde betreffend die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher in diesem Umfang zurückzuweisen.

Zu II.:

7        Zulässig und begründet erweist sich die Revision in Bezug auf die Bekämpfung der Nichtzuerkennung von subsidiärem Schutz und die rechtlich darauf aufbauenden weiteren Spruchpunkte des angefochtenen Erkenntnisses.

8        Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hat die Asylbehörde bei den Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat als Grundlage für die Beurteilung des Vorbringens von Asylwerbern die zur Verfügung stehenden Informationsmöglichkeiten und insbesondere Berichte der mit Flüchtlingsfragen befassten Organisationen in die Entscheidung einzubeziehen. Das gilt ebenso für von einem Verwaltungsgericht geführte Asylverfahren. Auch das Bundesverwaltungsgericht hat daher seinem Erkenntnis die zum Entscheidungszeitpunkt aktuellen Länderberichte zugrunde zu legen. Bei instabilen und sich rasch ändernden Verhältnissen im Herkunftsstaat können auch zeitlich nicht lange zurückliegende Berichte ihre Aktualität bereits verloren haben (vgl. aus der ständigen Rechtsprechung etwa VwGH 24.1.2022, Ra 2021/20/0367, mwN).

9        Der Revisionswerber weist zu Recht darauf hin, dass sich seit Herausgabe dieses Länderinformationsblattes die Situation in Afghanistan in maßgeblicher Weise verändert hatte, sodass das BVwG im Fall der Berücksichtigung aktueller - in der Revision näher bezeichneter und im Zeitpunkt der Erlassung der angefochtenen Erkenntnisse auch dem BVwG zugänglicher - Berichte zu anderen Feststellungen und aufgrund dieser auch zu einem anderen Verfahrensergebnis hätte kommen können (vgl. zur Lageänderung in Afghanistan nochmals etwa VwGH Ra 2021/20/0367).

10       Schon deshalb war das angefochtene Erkenntnis in Bezug auf die Abweisung der Beschwerden gegen die Nichtzuerkennung von subsidiärem Schutz und die darauf aufbauenden Aussprüche gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Von der Durchführung der beantragten Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 1 und 3 VwGG abgesehen werden.

11       Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 30. März 2022

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2022:RA2021010281.L00

Im RIS seit

01.06.2022

Zuletzt aktualisiert am

19.07.2022
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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