TE Vfgh Erkenntnis 1994/6/25 B1676/92

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Veröffentlicht am 25.06.1994
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Index

41 Innere Angelegenheiten
41/02 Staatsbürgerschaft, Paß- und Melderecht

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Verwaltungsakt
FremdenpolizeiG §5 Abs5
VfGG §88
VStG §53c

Leitsatz

Verletzung im Gleichheitsrecht durch die Unterlassung jeglicher Ermittlungstätigkeit bei der Beurteilung der Zulässigkeit einer stichprobenweisen Überwachung des Briefverkehrs eines Schubhäftlings

Spruch

Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz verletzt worden.

Der Bescheid wird aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer die mit S 30.000,-- bestimmten Verfahrenskosten binnen 14 Tagen bei sonstigem Zwang zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Der nigerianische Staatsangehörige A, der sich seit 1991 in Österreich aufgehalten hatte, war von der Bezirkshauptmannschaft Innsbruck am 1. Juli 1992 in vorläufige Verwahrung (Schubhaft) genommen und es war über ihn ein auf fünf Jahre befristetes Aufenthaltsverbot für das Gebiet der Republik Österreich erlassen worden. Da die genannte Behörde nicht über einen Haftraum verfügt, wurde A in das Polizeigefangenenhaus der Bundespolizeidirektion Innsbruck eingeliefert.

Seine ohne Rechtsbeistand zunächst in englischer Sprache verfaßte (vom 9. Juli 1992), über behördlichen Auftrag sodann am 17. Juli 1992 in deutscher Sprache eingebrachte Haftbeschwerde wurde vom unabhängigen Verwaltungssenat in Tirol (im folgenden: UVS) mit Bescheid vom 24. Juli 1992 abgewiesen und A wurde am 28. Juli 1992 abgeschoben. Eine von einem Rechtsanwalt am 29. Juli 1992 erhobene Beschwerde gemäß §5a des Fremdenpolizeigesetzes, BGBl. 75/1954, zuletzt geändert durch das Bundesgesetz BGBl. 406/1991 (im folgenden: FrPolG), gegen den Schubhaftbescheid wurde mit Bescheid des UVS vom 30. Juli 1992 wegen entschiedener Sache als unzulässig zurückgewiesen.

A war nicht Flüchtling im Sinne des Asylgesetzes, er hatte einen Asylantrag nicht gestellt und wurde vom Beschwerdeführer in keiner Phase der oben beschriebenen Verwaltungsabläufe rechtsfreundlich vertreten.

2. Mit Schreiben vom 20. Juli 1992 wandte sich A an den Beschwerdeführer und ersuchte um Unterstützung seiner Interessen, insbesondere um die Erwirkung seiner Freilassung; auf dem Kuvert befanden sich der Name mit akademischem Grad und die Adresse des Beschwerdeführers.

A übergab diesen Brief am späten Nachmittag des 20. Juli 1992 unfrankiert einem Beamten des Polizeigefangenenhauses Innsbruck. Dieser Brief wurde am nächsten Tag (21. Juli 1992) in der Früh (ca. 7.45 Uhr) zur Einlaufstelle der Bundespolizeidirektion Innsbruck gebracht und um ca. 9.00 Uhr desselben Tages mit der übrigen Post vom Amtsboten bei der Einlaufstelle der Bezirkshauptmannschaft Innsbruck abgegeben. In der Folge gelangte dieser Brief in die Hände des Sachbearbeiters der Bezirkshauptmannschaft Innsbruck, der den Schubhaftbescheid gegen A erlassen hatte. Der Beamte hat diesen Brief geöffnet, durchgesehen, wieder verschlossen und am (Freitag) 24. Juli 1992 zur Post geben lassen. Der Brief langte am 27. Juli 1992 beim Beschwerdeführer ein.

3. Unter dem 3. August 1992 erhob der Beschwerdeführer beim UVS eine auf Art129a Abs1 Z2 B-VG iVm. §67c AVG gestützte Beschwerde gegen die Bundespolizeidirektion Innsbruck und gegen die Bezirkshauptmannschaft Innsbruck wegen Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt, in welcher die Feststellung durch den UVS begehrt wurde, daß die Weiterleitung des Briefes von der Bundespolizeidirektion Innsbruck an die Bezirkshauptmannschaft Innsbruck sowie dessen Öffnung und Durchsicht rechtswidrig gewesen seien. In dieser Beschwerde schilderte der Beschwerdeführer zunächst den Sachverhalt, wie er sich ihm im damaligen Zeitpunkt darstellte, und trug im einzelnen vor, auf Grund welcher - in geradezu kriminalistischer Kleinarbeit zusammengetragenen - Indizien er vermutete, welches Schicksal der Brief des A von dessen Übergabe an einen Beamten des Polizeigefangenenhauses Innsbruck bis zum Eintreffen bei ihm genommen habe; diese Vermutungen erwiesen sich auf Grundlage des nachfolgend vor dem UVS durchgeführten Ermittlungsverfahrens in allen wesentlichen Punkten als zutreffend.

In rechtlicher Hinsicht monierte der Beschwerdeführer, daß er auf Grund seiner bisherigen jahrelangen Tätigkeit allen Beamten der fremdenpolizeilichen Abteilung der Bezirkshauptmannschaft Innsbruck als Rechtsanwalt bekannt sei. Auf Grundlage des §5 Abs5 FrPolG iVm. §53c Abs1 bis 5 VStG und §20 der Polizeigefangenenhaus-Hausordnung, BGBl. 566/1988, und insbesondere im Hinblick auf Art8 EMRK hätte eine Beschränkung des Briefverkehrs zwischen Klient und Anwalt nicht erfolgen dürfen. Hinzu trete, daß er seit Jänner 1992 "Rechtsberater des UNO-Hochkommissärs für Flüchtlingswesen" sei; als solchem komme ihm gemäß §9 des Asylgesetzes, BGBl. 126/1968, bzw. des §21 des Asylgesetzes 1991, BGBl. 8/1992, eine besondere Stellung zu, wobei er allerdings einschränkte, daß er nicht mit Sicherheit sagen könne, ob A Flüchtling sei oder einen Asylantrag stellen wollte.

4. Nach Durchführung eines Ermittlungsverfahrens und einer mündlichen Verhandlung erging der Bescheid des UVS vom 9. Oktober 1992, mit welchem die Beschwerde als unbegründet abgewiesen und der Beschwerdeführer gemäß §79a AVG zum Kostenersatz verpflichtet wurde.

Begründet wurde diese abweisliche Entscheidung nach Wiedergabe des Beschwerdevorbringens, der Stellungnahmen der beiden vor dem UVS belangten Behörden, der maßgeblichen Rechtsvorschriften und "ergänzender Sachverhaltsfeststellungen" (Sachverhaltsfeststellungen finden sich über mehrere Stellen der Begründung des Bescheides verstreut; eine zusammenfassende Darstellung des vom UVS festgestellten Sachverhaltes fehlt) ua. wie folgt:

"...

II. Beschwerdelegitimation des Beschwerdeführers:

Zur Abklärung dieser Frage war auf §118 StGB zurückzugreifen. Das im §118 StGB erfaßte Rechtsgut läßt sich folgendermaßen umschreiben:

Schutz im Hinblick auf das Recht am (gedanklichen) Inhalt von Schriftstücken einschließlich des korrekten Zugangs derselben.

Rechtsgutsträger (und damit Einwilligungsberechtigter und Verletzter im Sinne des Abs4) ist bis zur Entäußerung des Schriftstückes der Verfasser (z.B. von verschlossen aufbewahrten Tagebuchaufzeichnungen) und danach (z.B. nach Zugang eines Briefes) der Adressat, zu dessen Kenntnisnahme das Schriftstück bestimmt ist. Auf das Eigentum (am Träger der schriftlichen Äußerung oder an dem zur Aufbewahrung benützten Behältnis) kommt es nicht an.

Daraus erhellt, daß die Beschwerdelegitimation gemäß §67c AVG ... zu bejahen ist.

...

V. Die Bundespolizeidirektion Innsbruck hat über Ersuchen der Bezirkshauptmannschaft Innsbruck die über A verhängte Schubhaft vollzogen. Dies geschah gemäß §5 Abs3 Fremdenpolizeigesetz, da die Bezirkshauptmannschaft Innsbruck als jene Behörde, die die Schubhaft verhängt hat, über keinen Haftraum verfügt. Gemäß §5 Abs5 Fremdenpolizeigesetz gilt für die Anhaltung in Schubhaft im Haftraum einer Verwaltungsbehörde §53c Abs1 bis 5 VStG sinngemäß. Ein Verweis auf §53a VStG oder §29a VStG erfolgt in dieser Bestimmung nicht. Damit ergibt sich, daß die Zuständigkeit zum Vollzug der über A ausgesprochenen Schubhaft nicht an die Bundespolizeidirektion Innsbruck übergegangen, sondern bei der Bezirkshauptmannschaft Innsbruck verblieben ist. Die Bundespolizeidirektion Innsbruck ist als ersuchte Behörde im Sinne des §5 Abs3 Fremdenpolizeigesetz für die zuständige Bezirkshauptmannschaft Innsbruck tätig geworden. Dabei hatte die Bundespolizeidirektion Innsbruck beim Vollzug der Schubhaft §53c Abs1 bis 5 VStG sinngemäß anzuwenden.

...

Eine Beschränkung des Briefverkehrs gemäß §53c Abs3 und 5 VStG durch die Bundespolizeidirektion Innsbruck ist im gegenständlichen Fall zu verneinen, da die Vorgangsweise der Bundespolizeidirektion Innsbruck zu keiner zeitlichen Verzögerung geführt hat. Durch die bereits am 21.7.1992 erfolgte Weiterleitung dieses Briefes im Wege der Amtspost an die Bezirkshauptmannschaft Innsbruck ist keine zeitliche Verzögerung eingetreten, da auch bei einer Aufgabe dieses Briefes am 20.7.1992 nachmittags zur Post dieser Brief nicht früher zur Bezirkshauptmannschaft Innsbruck gelangt wäre.

Eine inhaltliche Überwachung dieses Briefes durch die Bundespolizeidirektion Innsbruck im Sinne des §53c Abs3 und 5 VStG ist nach der Sachlage auszuschließen.

Aus diesen Überlegungen kommt der gegen die Bundespolizeidirektion Innsbruck erhobenen Beschwerde wegen behaupteter rechtswidriger Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt keine Berechtigung zu.

A war im gegenständlichen fremdenpolizeilichen Verfahren weder Asylwerber noch Flüchtling nach dem Asylgesetz 1991. Der Sachbearbeiter der Bezirkshauptmannschaft Innsbruck hatte Kenntnis davon, daß A am 17.7.1992 persönlich - ohne Rechtsbeistand - Beschwerde an den unabhängigen Verwaltungssenat in Tirol erhoben hatte. Aus der Aufschrift des Kuverts, in dem sich das Schreiben vom 20.7.1992 des A an den nunmehrigen Beschwerdeführer befand, konnte der Sachbearbeiter der Bezirkshauptmannschaft Innsbruck nicht den Schluß ziehen, daß dieses Schreiben an den nunmehrigen Beschwerdeführer in seiner Funktion als Rechtsberater des UNO-Hochkommissärs für Flüchtlingswesen gerichtet war.

Zu jenem Zeitpunkt, als vom Sachbearbeiter der Bezirkshauptmannschaft Innsbruck der an den nunmehrigen Beschwerdeführer gerichtete Brief geöffnet und gelesen wurde, lag ein Vertretungsverhältnis des A durch den nunmehrigen Beschwerdeführer nicht vor. Im Sinne des §53c Abs3 VStG war daher der Sachbearbeiter der Bezirkshauptmannschaft Innsbruck, der die Schubhaft über A angeordnet hatte, berechtigt, dieses Schriftstück im Sinne einer stichprobenweisen Überwachung gemäß §53c Abs3 VStG zu öffnen und durchzulesen.

Nach Ansicht der erkennenden Behörde ist die Bestimmung des §53c Abs5 VStG im vorliegenden Fall nicht anzuwenden. Zum Zeitpunkt der Öffnung des fraglichen Briefes war der nunmehrige Beschwerdeführer nicht Rechtsbeistand des Briefschreibers. Der Begriff des 'Rechtsbeistandes' nach dieser Gesetzesstelle kann sinnvollerweise nur so verstanden werden, daß darunter eine mit der Vertretung im konkreten Fall beauftragte Person - sei es ein Rechtsanwalt oder eine sonstige natürliche Person - gemeint ist, die der Behörde als Vertreter zur Kenntnis gebracht worden ist. Das Schreiben konnte im Hinblick auf die Anschrift am Briefkuvert vom Sachbearbeiter der Bezirkshauptmannschaft Innsbruck auch nicht dahingehend gewertet werden, daß es an den nunmehrigen Beschwerdeführer in seiner Funktion als Rechtsberater des UNO-Hochkommissärs für Flüchtlingswesen gerichtet war.

Der Sachbearbeiter der Bezirkshauptmannschaft Innsbruck hat dieses Schreiben nach Kenntnis seines Inhaltes ohne entscheidungswesentliche Zeitversäumnis an den nunmehrigen Beschwerdeführer per Post weitergeleitet. Der Umstand, daß es erst am 27.7.1992 beim nunmehrigen Beschwerdeführer eingelangt ist, resultiert aus der Tatsache, daß wegen des Wochenendes eine frühere Postauslieferung nicht erfolgt ist.

Nach Ansicht der erkennenden Behörde erweist sich auch die gegen die Bezirkshauptmannschaft Innsbruck gerichtete Beschwerde als nicht berechtigt, weshalb sie gemäß §67c Abs3 AVG als unbegründet abzuweisen war."

5. Gegen diesen Bescheid des UVS wendet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, in welcher die Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf Achtung des Briefverkehrs gemäß Art8 EMRK, aber auch auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter geltend gemacht und die kostenpflichtige Aufhebung des bekämpften Bescheides begehrt wird. Die wesentlichen Punkte der Beschwerdebegründung lauten:

"...

3. Die belangte Behörde steht auf dem Standpunkt, daß die BPD Innsbruck lediglich 'ersuchte Behörde' war und daher rechtmäßig gehandelt hat, als sie den Brief nicht an mich, sondern an die BH Innsbruck weitergeleitet hat. Diese Rechtsansicht ist unrichtig:

Gemäß Art22 B-VG haben alle Organe des Bundes und der Länder ... im Rahmen ihres gesetzmäßigen Wirkungsbereiches wechselseitige Hilfe zu leisten. §5 Abs3 FrPolG bestimmt, daß die Schubhaft im Haftraum der Behörde zu vollziehen ist, die sie verhängt hat. Ist dies nicht möglich - wie hier bei der BH Innsbruck - so ist die nächstgelegene Bundespolizeibehörde um den Vollzug zu ersuchen.

Bereits in der Beschwerde wurde darauf hingewiesen, daß mangels einer ausdrücklichen Bestimmung im FrPolG oder im AVG §53a VStG zur Anwendung kommen muß, wonach der BPD Innsbruck die Funktion der Strafvollzugsbehörde zugekommen ist, sodaß diese selbständig entscheiden hätte müssen, daß der Brief an mich weiterzuleiten ist.

Die belangte Behörde wischt diesen Einwand weg mit der Begründung, daß das FrPolG nicht ausdrücklich auf §53a VStG verweist. Folgt man dieser unrichtigen Rechtsansicht, käme man geradezu zu absurden Ergebnissen:

Würde sich nämlich ein Schubhäftling während seiner Schubhaft schwer verletzen, würde nicht die Bundespolizeidirektion einen Arzt oder die Erste Hilfe verständigen, sondern müßte zu allererst die Bezirkshauptmannschaft gefragt werden, was sie denn weiter zu unternehmen gedenke. Oder: Würde sich ein Schubhäftling nicht an die Hausordnung halten, müßte die ersuchende - also die Bezirkshauptmannschaft - Behörde für die Einhaltung der Hausordnung sorgen. Diese unrichtige Rechtsansicht der belangten Behörde könnte sogar so weit führen, daß mangels ausdrücklicher Anordnungen im FrPolG ein Mitarbeiter der BH Innsbruck in die Zelle der BPD Innsbruck zu kommen hat und in der Nacht das Licht abzuschalten hat.

Sinnvollerweise kann daher auch für Schubhäftlinge nur §53a VStG zur Anwendung kommen, wonach eben die BPD Innsbruck im gegenständlichen Fall Strafvollzugsbehörde war. Als solche hatte sie sich auch damit zu beschäftigen, ob ein Schubhäftling einen freien Briefverkehr haben darf oder nicht. Der Briefverkehr steht ohne Zweifel 'im Zusammenhang mit dem Vollzug der Freiheitsstrafe', wie in der genannten Bestimmung zu lesen ist.

Darüberhinaus gilt die Entscheidung (VfSlg. 3237), wonach das ersuchte Organ innerhalb seines eigenen gesetzmäßigen Wirkungsbereiches unter eigener Verantwortung zu handeln hat bzw. daß er ein Gesetz sein selbständiges Einschreiten decken muß.

Aus dem hier Gesagten zeigt sich, daß die belangte Behörde §5/3 Fremdenpolizeigesetz und damit im Zusammenhang die §§53c Abs1 - 5 VStG denkunmöglich angewendet hat.

4. Die belangte Behörde meint weiters, daß die Bezirkshauptmannschaft Innsbruck zurecht den Brief des Schubhäftlings aufgerissen und gelesen hat. Sie führt ins Treffen, daß der Begriff des 'Rechtsbeistandes' sinnvollerweise nur so verstanden werden kann, daß ein Vertretungsverhältnis bereits konkret vorliegt. Diese Ansicht ist unrichtig, wie bereits in der Beschwerde ausgeführt wurde. Der neue §53c Abs5 VStG unterscheidet sich begrifflich nämlich erheblich von der Vorlage des §45 Abs4 StPO. Hier darf der Briefverkehr eines Häftlings mit 'seinem Verteidiger' nicht überwacht werden, dort aber darf der Briefverkehr 'mit Rechtsbeiständen' nicht überwacht werden.

In ÖJZ 1992, Seite 595 ff, ist eine Entscheidung der EKMR abgedruckt. Überwiegend gelangt die Kommission zur Ansicht, daß 'eine Verletzung des Art8 MRK hinsichtlich der Öffnung der Briefe stattgefunden habe, die Gegenstand des allgemeinen Briefverkehres des Beschwerdeführers mit dessen Anwalt war'. Im Hinblick auf diese Entscheidung vom März 1992 scheint die alte Judikatur des Verfassungsgerichtshofes zu §10 Staatsgrundgesetz (z.B. VfSlg. 6464) überprüfungswert.

Aufgrund dieser Entscheidung der EKMR steht aber fest, daß nichteinmal der Briefverkehr eines Strafgefangenen - hier ein Mörder - geöffnet werden darf. Um wieviel mehr muß das Recht auf Schutz seines Briefgeheimnisses einem Verwaltungshäftling gegenüber und um wieviel mehr noch einem bloßen Schubhäftling gegenüber beachtet werden? Der östereichische Gesetzgeber scheint zwischen dem Strafhäftling und dem Verwaltungshäftling eine klare Unterscheidung getroffen zu haben, wie die unterschiedliche Diktion eindeutig zeigt. Genau diesen Unterschied verwischt aber wiederum die belangte Behörde, wenn sie dem klaren Wortlaut des §53c Abs5 VStG den verfassungswidrigen Sinn unterstellen wollte, daß nur der Briefverkehr mit dem ausgewiesenen Rechtsbeistand unkontrolliert zu bleiben hat.

Hier hat also die Behörde einen gravierenden Vollzugsfehler in der Weise gesetzt, daß sie dem §53c Abs5 VStG einen verfassungswidrigen Sinn unterstellt hat.

5. Es erhebt sich ganz allgemein die Frage, wie die Schubhaft dogmatisch einzuordnen ist:

Es scheint festzustehen, daß der Schubhäftling kein Strafhäftling ist, er ist aber auch kein Verwaltungsstrafhäftling. Feststeht bloß, daß die Schubhaft bescheidmäßig anzuordnen ist (VfSlg. 8038 u.a. mehr). Ist aber die Schubhaft bescheidmäßig anzuordnen, kann sie nur eine 'administrative Verwaltungsmaßnahme' sein. So z.B. ist der Führerscheinentzug, der ebenfalls bescheidmäßig anzuordnen ist, auch eine administrative Verwaltungsmaßnahme. Niemand käme wohl auf die Idee, den Briefverkehr eines Menschen zu überwachen, zu zensurieren und zu öffnen, dem bescheidmäßig der Führerschein abgenommen wurde. Dies, obwohl man durchaus ebenso wie beim Schubhäftling behaupten kann, daß von diesem Menschen eine gewisse Gefährlichkeit ausgehe.

Die belangte Behörde unterstellt der Schubhaft einen Strafcharakter, wenn sie der Auffassung ist, daß der Briefverkehr mit dem Rechtsbeistand stichprobenartig überprüft werden darf. Dies trifft im Falle des §53c Abs5 VStG auf keinen Fall zu, da es ja dann den Abs5 gar nicht gebraucht hätte, weil die stichprobenartige Überprüfung des Briefverkehrs ja bereits im §53c Abs3 VStG geregelt ist. Im §53c Abs5 ist jedenfalls nichts von einer stichprobenartigen Überprüfung geschrieben, sodaß eine derartige auch nicht stattzufinden hat.

Im übrigen hat es im Verfahren keine Anhaltspunkte dafür gegeben, daß die Bezirkshauptmannschaft Innsbruck lediglich eine stichprobenartige Überprüfung durchgeführt, sondern eben eine routinemäßige Überprüfung, wie vom Beschwerdeführer behauptet.

6. Die belangte Behörde versucht schließlich noch ins Treffen zu führen, daß der Brief ja nur an 'Dr. Paul Delazer' geschrieben war und nicht an den 'Rechtsanwalt ...' oder an den 'Rechtsberater des UNO-Hochkommissärs ...'.

Ich habe in meiner Beschwerde ausdrücklich darauf hingewiesen, daß ich allen Organen der Bezirkshauptmannschaft Innsbruck im fremdenpolizeilichen Bereich und ebenfalls den Organen der Bundespolizeidirektion Innsbruck - Gefangenenhaus, eben als Rechtsanwalt und als Rechtsberater des UNO-Hochkommissärs persönlich bekannt bin, und zwar schon seit Jahren. Dieser Behauptung wurde von Seiten der beiden Behörden nicht entgegengetreten, sodaß ich auf ein diesbezügliches Beweismittel verzichtet habe. Ohne Begründung, ohne Beweisaufnahme und ohne entsprechendes Ermittlungsergebnis übergeht die belangte Behörde dieses konkrete Vorbringen und meint, daß der Brief eben an irgendeinen Menschen geschrieben wurde, sodaß die stichprobenartige Überprüfung des §53c Abs3 VStG gerechtfertigt wäre. Hier liegt eine eindeutig überschießende Feststellung vor, ein Sachverhalt, den keine Partei, weder ich noch die beiden belangten Behörden, behauptet haben. Überschießend nämlich in zwei Richtungen, nämlich einerseits in die Richtung die anklingt, daß die Behörde ja nicht wußte, daß ich Rechtsanwalt bin, und andererseits in die Richtung, daß die Überwachung des Briefverkehrs lediglich stichprobenartig geschehen ist.

Beide Feststellungen sind, wie gesagt, durch keinen einzigen Beweis gedeckt. Richtigerweise hätte die belangte Behörde vielmehr feststellen müssen, daß ich sowohl als Rechtsanwalt als auch als Rechtsberater des UNO Hochkommissärs für Flüchtlingswesen sowohl der BPD Innsbruck als auch der BH Innsbruck seit Jahren persönlich bekannt bin und weiters, daß die Überprüfung des Briefverkehrs routinemäßig, nicht aber stichprobenmäßig, erfolgt ist. Die Routinemäßigkeit ergibt sich ja geradezu aus der Stellungnahme der BPD Innsbruck, aber auch aus der der BH Innsbruck.

...

7. Die belangte Behörde hat am 9.10.1992 eine Verhandlung durchgeführt, deren Inhalt protokolliert wurde. Die Verkündung des Bescheides und der Gründe erfolgten sehr flüssig und unter Zuhilfenahme eines mehrseitigen Schriftstückes. Ich habe daher unmittelbar im Anschluß an die Bescheidverkündung den Akt eingesehen und festgestellt, daß ein fix und fertiger Bescheid, der auch als solcher gekennzeichnet war, bereits vorbereitet wurde. Quer über den fertigen Bescheid war ein Stempelaufdruck 'Konzept' zu lesen. Aus diesem Konzept wurden die Begründungen einfach vorgelesen und in das Tonbandprotokoll übernommen. Tatsächlich zeigt sich auch, daß das Verhandlungsprotokoll seitenweise Wort für Wort dem schriftlichen Bescheid entspricht.

Solcherart wird nicht nur eine Verhandlung unsinnig, es wird vor allem auch das Recht auf gesetzlichen Richter verletzt. Wenn sich das entscheidende Organ bereits in so einer klaren Weise präjudiziert hat, daß es den fertigen Bescheid mit zur Verhandlung bringt, dann hätte sich dieses Organ im Sinne des §7 Abs1 Zif. 3 für befangen erklären müssen und sich ihres Amtes zu enthalten gehabt.

8. Im Verfahren hat sich kein Anhaltspunkt dafür ergeben, daß die Öffnung des Briefes durch einen Umstand gerechtfertigt wäre, der im Art8 Abs2 MRK genannt ist.

9. Die belangte Behörde hat der Bezirkshauptmannschaft Innsbruck Kostenersatz für die Aktenvorlage und den Schriftsatzaufwand zuerkannt. Der Verfassungsgerichtshof hat in seiner Entscheidung (VfSlg. 11340) ausgesprochen, daß der Vorlage- und Schriftsatzaufwand einer belangten Behörde nicht zu ersetzen ist, für den Fall, daß sie obsiegt.

10. Zusammenfassend zeigt sich, daß ich im verfassungsrechtlich gewährleisteten Recht auf Schutz und Achtung meines Briefverkehrs dadurch beeinträchtigt wurde, daß §5 Abs3 FrPolG und damit im Zusammenhang die §§53c Abs1 - 5 und 53a VStG in denkunmöglicher Weise angewendet wurde und so diesen Bestimmungen ein verfassungswidriger Sinn unterstellt wurde."

6. Der UVS als belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in welcher der bekämpfte Bescheid verteidigt und die Abweisung der Beschwerde beantragt wird.

7. Aus Anlaß dieses Beschwerdeverfahrens hat der Verfassungsgerichtshof gemäß Art140 Abs1 B-VG von Amts wegen beschlossen, §5 Abs5 Fremdenpolizeigesetz, BGBl. 75/1954, idF der Novelle BGBl. 451/1990, auf seine Verfassungsmäßigkeit zu prüfen; mit Erkenntnis vom 8. März 1994, G112/93, hat er ausgesprochen, daß die genannte Bestimmung nicht verfassungswidrig war.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat erwogen:

1. Die Beschwerde ist - wie der Verfassungsgerichtshof schon in seinem Erkenntnis vom 8. März 1994, G112/93, festgestellt hat - zulässig.

2. Die wichtigsten, dem angefochtenen Bescheid zugrundeliegenden und für die Entscheidung der vorliegenden Beschwerde maßgeblichen Rechtsvorschriften lauten:

§5 Abs3 und 5 FrPolG:

"§5. (1) ...

(2) ...

(3) Die Schubhaft ist im Haftraum der Behörde zu vollziehen, die sie verhängt hat. Kann diese Behörde die Schubhaft nicht vollziehen, so ist die nächstgelegene Bezirksverwaltungs- oder Bundespolizeibehörde, die über einen Haftraum verfügt, um den Vollzug zu ersuchen. Kann auch diese Behörde die Schubhaft nicht vollziehen, so ist der Leiter des gerichtlichen Gefangenenhauses, in dessen Sprengel die Behörde ihren Sitz hat, um den Vollzug zu ersuchen; er hat dem Ersuchen zu entsprechen, soweit dies ohne Beeinträchtigung anderer gesetzlicher Aufgaben möglich ist.

(4) ...

(5) Für die Anhaltung in Schubhaft im Haftraum einer Verwaltungsbehörde gilt §53 c Abs1 bis 5 VStG 1950 sinngemäß.

(6) ..."

    §53 c Abs3 und 5 VStG:

                "Durchführung des Strafvollzuges

    §53 c. (1) ...

(2) (Handelt von Häftlingen) ...

(3) Ihr Briefverkehr darf nicht beschränkt, sondern nur durch Stichproben überwacht werden. Schriftstücke, die offenbar der Vorbereitung oder Weiterführung strafbarer Handlungen oder deren Verschleierung dienen, sind zurückzuhalten. Geld- oder Paketsendungen sind frei. Pakete sind in Gegenwart des Häftlings zu öffnen. Sachen, die die Sicherheit und Ordnung gefährden können, sind ihm jedoch erst bei der Entlassung auszufolgen, sofern sie nicht wegen ihrer Beschaffenheit vernichtet werden müssen.

(4) ...

(5) Der Brief- und Besuchsverkehr von Häftlingen mit inländischen Behörden und Rechtsbeiständen sowie mit Organen, die durch für Österreich verbindliche internationale Übereinkommen zum Schutz der Menschenrechte eingerichtet sind, darf weder beschränkt noch inhaltlich überwacht werden. Das gleiche gilt für den Verkehr ausländischer Häftlinge mit diplomatischen und konsularischen Vertretern ihres Heimatstaates.

(6) ..."

3. Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz verletzt worden:

3.1. Eine Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz kann nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (zB VfSlg. 10413/1985, 11682/1988) nur vorliegen, wenn der angefochtene Bescheid auf einer dem Gleichheitsgebot widersprechenden Rechtsgrundlage beruht, wenn die Behörde der angewendeten Rechtsvorschrift fälschlicherweise einen gleichheitswidrigen Inhalt unterstellt oder wenn sie bei Erlassung des Bescheides Willkür geübt hat.

Ein willkürliches Verhalten der Behörde, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt ua. in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere iVm. mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg. 8808/1980 und die dort angeführte Rechtsprechung; VfSlg. 10338/1985, 11213/1987).

3.2.1. Der angefochtene Bescheid stützt sich auf §53c Abs5 VStG iVm. §5 Abs5 FrPolG. Daß diese Regelung verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden ist, ergibt sich aus dem Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 8. März 1994, G112/93, mit welchem er aussprach, daß §5 Abs5 FrPolG nicht verfassungswidrig war.

3.2.2. Der Verfassungsgerichtshof hat in seinem Erkenntnis vom 8. März 1994, G112/93, weiters ausgeführt, daß die Öffnung von Briefen durch die Behörde in das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Schutz des Briefgeheimnisses gemäß Art10 StGG sowie des Briefverkehrs gemäß Art8 Abs1 EMRK eingreift. Gleichwohl ist der Gesetzgeber nicht gehindert, aus Gründen überwiegender öffentlicher Interessen Fälle vorzusehen, in denen die Kenntnisnahme des Briefinhaltes durch die Behörde auch ohne Vorliegen eines Beschlagnahmegrundes im Sinne des zweiten Satzteiles des Art10 StGG zulässig ist. Welche öffentlichen Interessen vom Gesetzgeber als Gründe herangezogen werden können, um eine vereinzelte und ausnahmsweise Öffnung von Briefen (ohne deren Beschlagnahme) vorzusehen, ist verfassungsrechtlich dem Gesetzesvorbehalt des Art8 Abs2 EMRK zu entnehmen. Eine auf Stichproben reduzierte Überwachung des Briefverkehrs von Schubhäftlingen (ohne Beschlagnahme von Briefen) ist als Maßnahme zu betrachten, die in einer demokratischen Gesellschaft für "die öffentliche Ruhe und Ordnung" sowie für "die Verteidigung der Ordnung" im Sinne des Art8 Abs2 EMRK notwendig ist. Die Schubhaft dient dazu, daß sich Fremde einem ihnen geltenden behördlichen Verfahren nicht entziehen können. Auch die im Falle eines entsprechenden Verdachts zulässige stichprobenweise Überwachung der brieflichen Kontakte von Schubhäftlingen durch die Behörde soll verhindern, daß der Zweck der Schubhaft vereitelt wird.

3.2.3. Die stichprobenweise Überwachung des Briefverkehrs eines Schubhäftlings ist somit - wie sich aus dem Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 8. März 1994, G112/93, ergibt - nur im Falle eines entsprechenden Verdachts, etwa daß sich der Fremde einem ihm geltenden behördlichen Verfahren zu entziehen sucht, zulässig. Die Frage des Vorliegens eines solchen Verdachts stellt einen entscheidenden Punkt bei der Beurteilung der Zulässigkeit einer stichprobenweisen Überwachung des Briefverkehrs eines Schubhäftlings dar.

Der angefochtene Bescheid vermag sich indes zu dieser Frage auf keinerlei Sachverhaltsfeststellungen zu stützen. Die belangte Behörde hat vielmehr in diesem entscheidungswesentlichen Punkt jegliche Ermittlungstätigkeit im Sinne der oben wiedergegebenen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (II.3.1.) unterlassen. Der Beschwerdeführer wurde deshalb durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz verletzt.

4. Der Bescheid war daher schon aus diesem Grunde aufzuheben, ohne daß zu prüfen war, ob der bekämpfte Bescheid den Beschwerdeführer in anderen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten verletzt (vgl. hinsichtlich Art8 EMRK auch VfGH 2.12.1993, G134/93).

III. 1. Der Kostenausspruch

stützt sich auf §88 VerfGG 1953. Da die Intervention des Beschwerdeführers im Gesetzesprüfungsverfahren zu G112/93 - wie sich aus dem oben Ausgeführten ergibt - der zweckentsprechenden Rechtsverfolgung in der vorliegenden Beschwerdesache gedient hat, waren auch die dadurch verursachten Kosten zuzusprechen (VfSlg. 10828/1986, 11495/1987). Im zugesprochenen Kostenbetrag sind S 5.000,-- an Umsatzsteuer enthalten.

2. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4, erster Satz, VerfGG 1953 ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

Schlagworte

Strafvollzug, Vollzug Strafe, Briefverkehr, Verwaltungsstrafrecht, Fremdenpolizei, Schubhaft, Briefgeheimnis, Verwaltungsverfahren, Ermittlungsverfahren, VfGH / Kosten

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1994:B1676.1992

Dokumentnummer

JFT_10059375_92B01676_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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