TE Vwgh Erkenntnis 2022/3/8 Ra 2021/13/0116

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Veröffentlicht am 08.03.2022
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Index

L37133 Abfallabgabe Müllabgabe Sonderabfallabgabe Sondermüllabgabe Müllabfuhrabgabe Niederösterreich
L37162 Kanalabgabe Kärnten
L82302 Abwasser Kanalisation Kärnten
L82403 Abfall Müll Sonderabfall Sondermüll Niederösterreich
L82406 Abfall Müll Sonderabfall Sondermüll Steiermark
001 Verwaltungsrecht allgemein
32/01 Finanzverfahren allgemeines Abgabenrecht

Norm

AWG NÖ 1992 §27 Abs1
AWG Stmk 2004 §13 Abs2
AWG Stmk 2004 §13 Abs3
AWG Stmk 2004 §8 Abs3
AWG Stmk 2004 §9 Abs3
BAO §116
GdKanalisationsG Krnt 1999 §12
VwRallg

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Büsser und den Hofrat MMag. Maislinger sowie die Hofrätinnen Dr. Reinbacher und Dr.in Lachmayer sowie den Hofrat Dr. Bodis als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Schramel, über die Revision des Stadtsenats der Landeshauptstadt Graz in 8011 Graz, Hauptplatz 1, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Steiermark vom 28. Juni 2021, Zl. LVwG 61.26-1243/2021-15, betreffend u.a. Müllgebühr 2021 (weitere Partei: Steiermärkische Landesregierung; mitbeteiligte Partei: P KG in G, vertreten durch Mag. Dr. Maria Lisa Doll-Aidin, Rechtsanwältin in 5020 Salzburg, Paracelsusstraße 27), zu Recht erkannt:

Spruch

Spruchpunkt II des angefochtenen Erkenntnisses wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Antrag der revisionswerbenden Partei auf Zuspruch von Aufwandersatz wird abgewiesen.

Begründung

1        Mit Bescheid vom 8. Jänner 2021 setzte der Stadtsenat der Landeshauptstadt Graz (belangte Behörde, nunmehr revisionswerbende Partei) die Kanalbenützungsgebühr und die Müllgebühr jeweils für das Jahr 2021 fest.

2        Die mitbeteiligte Partei (eine Kommanditgesellschaft) erhob gegen diesen Bescheid Beschwerde. Zur Müllgebühr wurde geltend gemacht, diese sei nicht vorab berechnet worden; es sei hiezu auch keine Äußerung der mitbeteiligten Partei eingeholt worden. Es werde daher die Erlassung oder Reduzierung der Müllgebühr begehrt.

3        Mit Beschwerdevorentscheidung vom 10. März 2021 wies die belangte Behörde die Beschwerde als unbegründet ab. Zur Müllgebühr führte die belangte Behörde aus, zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides sei auf der Liegenschaft eine Mülltonne mit einem Volumen von 240 Liter bereitgestellt gewesen; die Entleerung erfolge vierwöchentlich. Die Vorschreibung der Müllgebühr sei entsprechend den Bestimmungen der Abfuhrordnung erfolgt. Das Entleerungsintervall sei für das Jahr 2020 mit Bescheid vom 22. Juni 2020 auf vierwöchentlich umgestellt und die Gebühr dadurch reduziert worden. Dieser Bescheid sei in Rechtskraft erwachsen. Für eine weitere Reduktion bestünden keine Anhaltspunkte.

4        Die mitbeteiligte Partei beantragte die Entscheidung über die Beschwerde durch das Verwaltungsgericht. Darin machte sie zur Müllgebühr ergänzend geltend, das Haus sei faktisch unbenutzt. Es falle keinerlei Müll an; die Müllgebühr sei nicht entsprechend dem Bedarf berechnet worden.

5        Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Verwaltungsgericht die Beschwerde betreffend Kanalbenützungsgebühr als unbegründet ab (Spruchpunkt I). Betreffend Müllgebühr gab das Verwaltungsgericht der Beschwerde Folge und hob den Abgabenbescheid der belangten Behörde insoweit ersatzlos auf (Spruchpunkt II). Es sprach aus, dass eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG unzulässig sei.

6        Nach Wiedergabe des Verfahrensgeschehens führte das Verwaltungsgericht - soweit für das Revisionsverfahren von Bedeutung - aus, die mitbeteiligte Partei sei Alleineigentümerin einer näher bezeichneten Liegenschaft; diese sei mit einem Wohnhaus bebaut. Die Liegenschaft befinde sich im Gemeindegebiet und innerhalb des Abfuhrbereiches der Landeshauptstadt Graz. Auf der Liegenschaft sei im Streitzeitraum eine Mülltonne mit einem Volumen von 240 Liter bereitgestellt worden. Die Entleerung sei zunächst zweiwöchentlich erfolgt, seit Juni 2020 erfolge die Entleerung aber nur mehr vierwöchentlich. Zur Erstaufstellung der Container und der damit verbundenen Verständigung über die Beistellung gebe es keine Unterlagen mehr. Es gebe auch kein Verständigungsschreiben an die Anschlusspflichtige darüber, dass auf der Liegenschaft Abfallsammelbehälter mit einem Volumen von 240 Liter mit einer vierwöchentlichen Entleerung bereitgestellt worden seien.

7        Die mitbeteiligte Partei sei bis dato nicht zum Anschluss an die öffentliche Müllentsorgung gemäß § 8 Steiermärkisches Abfallwirtschaftsgesetz 2004 (StAWG 2004) verpflichtet worden. Die Anschlusspflicht entstehe mit der Bereitstellung der Abfallsammelbehälter, die Gemeinde habe die Anschlusspflichtigen von der Beistellung der Abfallsammelbehälter nachweislich zu verständigen. Auf Antrag des Liegenschaftseigentümers habe die Gemeinde über die Anschlusspflicht mit Bescheid abzusprechen. Der Antrag sei vom Liegenschaftseigentümer binnen eines Monats ab Zustellung der Verständigung über die Beistellung der Abfallsammelbehälter einzubringen. Gemäß § 13 Abs. 2 StAWG 2004 entstehe die Verpflichtung zur Entrichtung der Gebühren mit dem Zeitpunkt, an dem die Abfallsammelbehälter beigestellt worden seien. Da bis dato eine Verständigung gemäß § 8 StAWG 2004 an die mitbeteiligte Partei nicht ergangen sei, sei auch die Verpflichtung zur Entrichtung der Gebühren noch nicht entstanden. Der Beschwerde sei daher betreffend Vorschreibung der Müllgebühr Folge zu geben gewesen.

8        Gegen Spruchpunkt II dieses Erkenntnisses wendet sich die Revision der belangten Behörde.

9        Nach Einleitung des Vorverfahrens haben sowohl die mitbeteiligte Partei als auch die Landesregierung Revisionsbeantwortungen eingebracht.

10       Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

11       Die Revision ist zulässig und begründet.

12       Das Steiermärkische Abfallwirtschaftsgesetz 2004 (StAWG 2004) lautet auszugsweise (§§ 8 und 9 in der Stammfassung LGBl. Nr. 65/2004, § 13 idF LGBl. Nr. 149/2016):

„§ 8 Anschlusspflicht

(1) Die Liegenschaftseigentümer/innen der im Abfuhrbereich gelegenen Grundstücke sind berechtigt und verpflichtet, diese an die öffentliche Abfuhr anzuschließen und die auf ihren Grundstücken anfallenden Siedlungsabfälle durch die öffentliche Abfuhr sammeln und abführen zu lassen.

[...]

(3) Die Anschlusspflicht entsteht für die innerhalb des Abfuhrbereiches gelegenen Grundstücke mit der Bereitstellung der Abfallsammelbehälter. Die Gemeinde hat die Anschlusspflichtigen von der Beistellung der Abfallsammelbehälter nachweislich zu verständigen. Auf Antrag des Liegenschaftseigentümers/der Liegenschaftseigentümerin hat die Gemeinde über die Anschlusspflicht mit Bescheid abzusprechen. In diesem Bescheid hat die Gemeinde auch die Art, Größe und Anzahl der Abfallsammelbehälter sowie die Abfuhrintervalle festzulegen. Der Antrag ist vom Liegenschaftseigentümer/von der Liegenschaftseigentümerin binnen eines Monats ab Zustellung der Verständigung über die Beistellung der Abfallsammelbehälter einzubringen.

[...]

§ 9 Abfallsammelbehälter

(1) Für die Sammlung von Siedlungsabfällen gemäß § 4 Abs. 4 sind von der Gemeinde geeignete und je nach zu sammelnder Abfallart unterscheidbare Abfallsammelbehälter oder Befestigungseinrichtungen für Sacksammelsysteme beizustellen. Die Abfallsammelbehälter bleiben im Eigentum der Gemeinde oder des privaten Entsorgungsunternehmens und sind von diesen zu reinigen, zu erhalten und im Bedarfsfalle zu ersetzen.

(2) Die Anzahl und Größe der zu verwendenden Abfallsammelbehälter oder Abfallsäcke ist so festzulegen, dass der anfallende Siedlungsabfall innerhalb des Abfuhrzeitraumes ordnungsgemäß eingebracht werden kann. Bei der Festlegung der Anzahl und Größe der Abfallsammelbehälter ist die Art, die Beschaffenheit und die Menge des anfallenden Abfalls, die Anzahl der Haushalte oder Personen und die Häufigkeit der öffentlichen Abfuhr zu beachten.

(3) Über begründeten Antrag des Liegenschaftseigentümers/der Liegenschaftseigentümerin kann das Behältervolumen und/oder die Häufigkeit der regelmäßigen Abfuhr der Menge des tatsächlich anfallenden Siedlungsabfalls in Entsprechung zu den Vorgaben der Abfuhrordnung der Gemeinde angepasst werden. Die Gemeinde hat über solche Anträge mit Bescheid abzusprechen.

(4) Sollten sich nach Bescheiderlassung gemäß Abs. 3 wesentliche Änderungen ergeben, hat die Gemeinde von Amts wegen ein Bescheidverfahren einzuleiten.

[...]

§ 13 Gebühren und Kostenersätze

(1) Die Gemeinden werden ermächtigt, für die Benützung der Einrichtungen und Anlagen der Abfuhr und der Behandlung der Siedlungsabfälle Gebühren einzuheben, wobei sich diese an den Zielen und Grundsätzen dieses Gesetzes zu orientieren haben.

(2) Die Verpflichtung zur Entrichtung der Gebühren entsteht mit dem Zeitpunkt, an dem die Abfallsammelbehälter beigestellt werden.

(3) Zur Entrichtung der Gebühr sind die anschlusspflichtigen Liegenschaftseigentümer/innen verpflichtet. Miteigentümer/innen schulden die Gebühr zur ungeteilten Hand. Die für die Liegenschaftseigentümer/innen geltenden Bestimmungen finden sinngemäß auch auf Personen Anwendung, die zur Nutzung des Grundstückes berechtigt sind oder es verwalten. Bei Bauwerken auf fremdem Grund gelten die Bestimmungen dieses Gesetzes auch für die Bauwerkseigentümer/innen.

[...]“

13       Nach § 8 Abs. 3 StAWG 2004 entsteht die Anschlusspflicht für ein (hier unbestritten) innerhalb des Abfuhrbereiches gelegenes Grundstück mit der Bereitstellung der Abfallsammelbehälter. Die Gemeinde hat die Anschlusspflichtigen von der Beistellung der Abfallsammelbehälter zwar nachweislich zu verständigen und über Antrag des Liegenschaftseigentümers über die Anschlusspflicht mit Bescheid abzusprechen. Die Verständigung von der Beistellung ist aber nach dem klaren Wortlaut der Bestimmung keine Voraussetzung für das Entstehen (und Bestehen) der Anschlusspflicht; das Unterbleiben (oder deren fehlende Nachweisbarkeit) einer derartigen Verständigung beseitigt demnach auch nicht die Anschlusspflicht.

14       Die Verpflichtung zur Entrichtung der Gebühren entsteht nach § 13 Abs. 2 StAWG 2004 mit dem Zeitpunkt, an dem die Abfallsammelbehälter beigestellt werden. Wenn in diesem Zusammenhang auch nicht auf die Anschlusspflicht Bezug genommen wird, so sind aber nach § 13 Abs. 3 StAWG 2004 (nur) die anschlusspflichtigen Liegenschaftseigentümer/innen zur Entrichtung der Gebühren verpflichtet. Damit hängt die Verpflichtung zur Entrichtung der Gebühren vom Bestehen der Anschlusspflicht ab.

15       Die Verpflichtung zur Entrichtung der Gebühren hängt aber nicht davon ab, dass über das Bestehen der Anschlusspflicht (bereits) mit Bescheid entschieden wurde (vgl. hingegen etwa § 27 Abs. 1 zweiter Satz NÖ Abfallwirtschaftsgesetz 1992; vgl. weiters z.B. § 12 Kärntner Gemeindekanalisationsgesetz und dazu VwGH 24.1.2022, Ra 2021/13/0009 u.a.; zur „Tatbestandswirkung“ eines Bescheides vgl. Ritz/Koran, BAO7, § 92 Tz 2 und § 116 Tz 12).

16       Eine Entscheidung mit Bescheid über die Anschlusspflicht (samt Art, Größe und Anzahl der Abfallsammelbehälter sowie die Abfuhrintervalle; iSd § 8 Abs. 3 oder des § 9 Abs. 3 StAWG 2004) wäre als Entscheidung einer Vorfrage für die Frage der Verpflichtung zur Entrichtung der Gebühr bindend (eine Bindung besteht auch dann, wenn über die Vorfrage von derselben Behörde in einem anderen Verfahren entschieden wurde; vgl. z.B. VwGH 26.3.1971, 1607/70; Stoll, BAO-Kommentar, § 116, 1334 ff; Stoll, aaO, § 303, 2928; Hengstschläger/Leeb, AVG, 6. Lfg, § 38 Tz 5). Wenn eine derartige Entscheidung - wie hier (der Bescheid vom 22. Juni 2020 bezieht sich, wie auch die belangte Behörde geltend gemacht hat, ausschließlich auf das Jahr 2020 und spricht dort auch nicht als Hauptfrage über eine für dieses Verfahren entscheidende Vorfrage, sondern ebenfalls - wie hier - über die Müllgebühr als Hauptfrage ab) - aber nicht vorliegt, ist über diese Vorfragen (Anschlusspflicht; gegebenenfalls auch über Art, Größe und Anzahl der Sammelbehälter sowie Abfuhrintervalle) im Rahmen des Verfahrens über die Gebührenpflicht zu entscheiden (vgl. VwGH 28.2.2011, 2007/17/0104).

17       Die Verständigung von der Beistellung der Abfallsammelbehälter ist hingegen weder für die Anschlusspflicht noch für die Gebührenpflicht entscheidend.

18       Das angefochtene Erkenntnis war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

19       Gemäß § 47 Abs. 4 VwGG hat die revisionswerbende Partei in dem hier vorliegenden Fall einer Amtsrevision gemäß Art. 133 Abs. 6 Z 2 B-VG keinen Anspruch auf Aufwandersatz, weshalb der diesbezügliche Antrag abzuweisen war (vgl. z.B. VwGH 26.2.2019, Ra 2018/02/0116, mwN).

Wien, am 8. März 2022

Schlagworte

Auslegung Anwendung der Auslegungsmethoden Bindung an den Wortlaut des Gesetzes VwRallg3/2/1 Individuelle Normen und Parteienrechte Rechtswirkungen von Bescheiden Rechtskraft VwRallg9/3

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2022:RA2021130116.L00

Im RIS seit

30.03.2022

Zuletzt aktualisiert am

11.04.2022
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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