TE Lvwg Erkenntnis 2022/1/27 VGW-102/013/5370/2021

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Veröffentlicht am 27.01.2022
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Entscheidungsdatum

27.01.2022

Index

10/11 Vereinsrecht Versammlungsrecht
40/01 Verwaltungsverfahren
10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)

Norm

VersammlungsG 1953 §13
VStG 1991 §35
B-VG Art. 130 Abs1 Z2

Text

IM NAMEN DER REPUBLIK

gekürzte Ausfertigung

gemäß § 29 Abs. 5 VwGVG

Das Verwaltungsgericht Wien hat durch den Richter Dr. Helm über die Maßnahmenbeschwerde des Herrn A. B., vertreten durch Rechtsanwalt, nach Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung am 27.01.2022, zu Recht erkannt:

I. Die Beschwerden gegen a) die Einkesselung und b) die Festnahme und Anhaltung werden als unbegründet abgewiesen.

II. Der Beschwerdeführer hat dem Rechtsträger der belangten Behörde (Bund) EUR 57,40 für Vorlageaufwand, EUR 737,60 für zweifachen Schriftsatzaufwand und EUR 461,00 für Verhandlungsaufwand, insgesamt sohin EUR 1.255,00 an Aufwandersatz, binnen 14 Tagen nach Zustellung der schriftlichen Ausfertigung bei sonstigem Zwang zu leisten.

III. Die Revision zu I. a) ist zulässig, zu I. b) unzulässig.

Entscheidungsgründe

Mit am 14.04.2021 beim Verwaltungsgericht Wien eingelangten Schriftsatz erhob der Beschwerdeführer eine Maßnahmenbeschwerde wegen der Verweigerung des Verlassens einer bewilligten Kundgebung sowie der Festnahme durch die Kriminalpolizei. Dieses Vorgehen stelle eine Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt am 06.03.2021 durch Organe der Landespolizeidirektion Wien dar.

In dieser Angelegenheit fanden am 07.10.2021, am 25.11.2021 und am 27.01.2022 öffentliche mündliche Verhandlungen statt. Der Beschwerdeführer war am 07.10.2021 nicht anwesend, wurde aber durch seinen ausgewiesenen Rechtsbeistand vertreten. Zu den Verhandlungsterminen am 25.11.2021 und 27.01.2022 ist er ladungsgemäß mit seinem Rechtsbeistand erschienen. Die belangte Behörde wurde an allen drei Verhandlungstagen durch Frau Mag. C. vertreten. Im gesamten Verfahren wurden die Zeugen D. E., F. G., Obst. H., KI J., Insp. K., Mag. L., BzInsp. M., Major N., Oberst. P. sowie R. S. einvernommen. Die Zeugen T. U. sowie Obstlt. V. waren zum jeweiligen Verhandlungstermin entschuldigt.

Was die Festnahme anbelangt, so wurde der Beschwerdeführer auf frischer Tat bei mutmaßlichem schwerem Hausfriedensbruch betreten und bestand auch vertretbar der Verdacht der schweren Körperverletzung gegen jene 23 Personen, die auf dem Gelände der W. angetroffen wurden. Dass sich unter diesen der Beschwerdeführer befand, ist unbestritten. Der Verdacht bezüglich der genannten Straftaten gründet sich hinsichtlich seiner Vertretbarkeit auf den Akteninhalt, die Zeugenaussagen und die vorgeführten Videos.

Die Festnahme aus eigener Macht war daher gerechtfertigt. Angesichts der Vielzahl der durchzuführenden Festnahmen, samt Durchsuchung, ärztlicher Untersuchung, erkennungsdienstlicher Behandlung und Einvernahme dauerte die Anhaltung bis zum nächsten Tag in der Früh nicht zu lange. Hierzu wird auf die Aussagen der Zeugen ChefInsp. X., Insp. K., Oberst. P. und Major N. verwiesen.

Was die Einkesselung der zwar nicht angemeldeten, aber auch noch nicht aufgelösten Demonstration betrifft, so ist ein solches Vorgehen nur sehr ausnahmsweise mit dem Recht auf Versammlungsfreiheit vereinbar, nämlich dann, wenn eine Auflösung aus nachvollziehbaren Gründen nicht möglich war oder schwerwiegende Straftaten verübt wurden, welche eine Identitätsfeststellung erforderlich machen. Aufgrund des Beweisverfahrens hat sich ergeben, dass es mehrere Vorfälle von Widerstand gegen die Staatsgewalt gegeben hat, die über das übliche Ausmaß an Berührungen mit den die Demonstration begleitenden und teilweise absperrenden Beamten hinausgegangen sind.

In einem vor demselben Richter geführten Parallelverfahren konnten die Zeugin Bgdr. Y. und der Zeuge Mag. Z., deren Aussagen mit Zustimmung verlesen wurden, bereits nachvollziehbar darlegen, dass eine für die marschierenden Demonstrationsteilnehmer vernehmliche Demonstrationsauflösung nicht möglich war, und zwar bis zur tatsächlich erfolgten Anhaltung an der O.-brücke, nachdem zwei Sperren umgangen bzw. durchbrochen worden waren. Zu diesem Zeitpunkt hatten sich bereits so viele Verstöße, einschließlich eines neuerlichen Durchbruchversuchs ereignet, dass die Identitätsfeststellung schon zur Vorbereitung eines späteren Vergleichs mit den getätigten Videoaufnahmen erforderlich war. Die im gegenständlichen Verfahren einvernommenen Zeugen Oberst. H. und Mag. L. haben im gleichen Sinne ausgesagt.

Es wird sowohl als erwiesen angenommen, dass es die Weisung an alle absperrenden Beamten gegeben hat, einzelne Personen und Kleinstgruppen, die offensichtlich nicht an der Demonstration beteiligt sind und nicht den Eindruck machten, diese im ersten Bezirk fortsetzen zu wollen, über die Brücken zu lassen, als auch, dass es Einzelfälle gegeben hat, wo dies trotz gegebener Voraussetzungen nicht geschehen ist (siehe Parallelfall VGW-102/013/4598/2021). Was jedoch den Beschwerdeführer betrifft, so hat dieser zwar einen Beamten gefragt, ob er selbst hinübergehen dürfe, befand sich aber zu diesem Zeitpunkt nicht weit von anderen Personen entfernt, die ebenfalls diese Absicht äußerten und hat auch eingeräumt, dass für den Beamten der Eindruck entstanden sein kann, dass er Teil der Demonstration sei. Die Einschätzung des betreffenden Beamten, dass er nicht die Voraussetzungen für ein Durchlassen erfülle, war somit vertretbar. Auch wenn der Beschwerdeführer selbst nicht an Vorgängen beteiligt gewesen ist, die den Anlass für die spätere Einkesselung zur Identitätsfeststellung gegeben haben, wurde er somit vertretbar im Rahmen der übrigen Demonstrationsteilnehmer zur Identitätsfeststellung angehalten, weshalb auch seine Einkesselung nicht rechtswidrig war.

Die Revision zum Punkt „Einkesselung“ wurde im verkündeten Erkenntnis zugelassen, da es – soweit ersichtlich – keine eindeutige Rechtsprechung zu dieser Frage gibt, unter welchen Bedingungen die Einkesselung einer zuvor nicht aufgelösten Demonstration zulässig ist.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 35 VwGVG und die VwG-Aufwandersatzverordnung.

Da binnen zwei Wochen nach Ausfolgung bzw. Zustellung der Verhandlungsschrift (§ 29 Abs. 2a VwGVG) eine Ausfertigung der Entscheidung nicht beantragt wurde, erfolgte die Ausfertigung gemäß § 29 Abs. 5 VwGVG in gekürzter Form.

Eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof oder eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof ist damit gemäß § 29 Abs. 5 VwGVG nun nicht mehr zulässig.

Schlagworte

Versammlung; Einkesselung; Durchbruchsversuch; Hausfriedensbruch; Widerstand gegen die Staatsgewalt; Festnahme; Betreten auf frischer Tat; Maßnahmenbeschwerde;

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:LVWGWI:2022:VGW.102.013.5370.2021

Zuletzt aktualisiert am

25.03.2022
Quelle: Landesverwaltungsgericht Wien LVwg Wien, http://www.verwaltungsgericht.wien.gv.at
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