TE Vwgh Erkenntnis 2022/1/24 Ra 2021/02/0207

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Veröffentlicht am 24.01.2022
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof
90/01 Straßenverkehrsordnung

Norm

StVO 1960 §5 Abs1
StVO 1960 §5 Abs10
StVO 1960 §5 Abs5
StVO 1960 §5 Abs9
VwGG §42 Abs2 Z1

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Dr. Köller sowie die Hofrätinnen Mag. Dr. Maurer-Kober und Mag. Schindler als Richter und Richterinnen, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Schörner, über die Revision des P in H, vertreten durch Heinzle - Nagel Rechtsanwälte in 6900 Bregenz, Gerberstraße 4, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Vorarlberg vom 29. Juni 2021, LVwG-1-273/2020-R10, betreffend Übertretung der StVO (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bezirkshauptmannschaft Bregenz), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Das Land Vorarlberg hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1        Mit dem angefochtenen Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Vorarlberg (in der Folge: Verwaltungsgericht) wurde der Revisionswerber im Beschwerdeverfahren einer Übertretung des § 99 Abs. 1b StVO iVm § 5 Abs. 1 StVO schuldig erkannt, weil er am 12. Mai 2020 an einem näher bezeichneten Ort ein näher spezifiziertes Fahrzeug gelenkt habe, obwohl er sich in einem durch Suchtgift beeinträchtigten Zustand befunden habe. Über den Revisionswerber wurde eine Geldstrafe von € 800,-- (Ersatzfreiheitsstrafe sieben Tage) verhängt. Die Revision an den Verwaltungsgerichtshof wurde für nicht zulässig erklärt.

2        Das Verwaltungsgericht traf folgende Feststellungen (Anonymisierungen durch den Verwaltungsgerichtshof):

„Am 12.05.2020 um 17.40 Uhr wurde der Beschuldigte beim Grenzübergang H beim Einfahren in das österreichische Bundesgebiet anlässlich einer Lenker- und Fahrzeugkontrolle durch den österreichischen Zoll kontrolliert. Dabei wurde ein Behälter mit diversem Suchtgift im PKW festgestellt. Aufgrund des Verdachtes, dass der Beschuldigte Suchtgift konsumiert haben könnte, wurde die Polizei informiert, die einen Suchtgiftschnelltest mittels Harnprobe vornahm. Dieser war positiv. In weiterer Folge wurde der Beschuldigte dem Polizeiarzt Dr. K vorgeführt, der eine klinische Untersuchung durchführte. Aufgrund der klinischen Untersuchung, einem Speicheltest und einem polizeiamtsärztlichen Gutachten zur Feststellung der Fahrtüchtigkeit, wurde dem Beschuldigten Blut abgenommen. Dieses wurde an die Gerichtsärzte am Institut für gerichtliche Medizin der Medizinischen Universität Innsbruck zur Untersuchung geschickt. Das gerichtsmedizinische Gutachten vom 28.05.2020 stellte fest, dass zum Zeitpunkt der Probeentnahme der Beschuldigte unter dem Einfluss von THC und Amphetamin gestanden ist.“

3        In rechtlicher Hinsicht führte das Verwaltungsgericht zusammengefasst aus, der nach Auffälligkeiten bei der klinischen Untersuchung durchgeführten toxikologischen Blut- und Harnuntersuchung lasse sich entnehmen, dass der Revisionswerber zum Zeitpunkt der Untersuchung unter dem Einfluss von THC und Amphetamin gestanden sei. Bei den chemischen Übersichtsuntersuchungen der Harnproben sei Amphetamin in Spuren nachgewiesen worden. Weiters sei THC in Spuren und 32 Mikrogramm pro Liter THC-Carbonsäure, eine vom THC verstoffwechselte inaktive Substanz, festgestellt worden. Für das Verwaltungsgericht ergebe sich dadurch die Gewissheit, dass sich der Revisionswerber zum Zeitpunkt des Lenkens des Fahrzeuges in einem durch Suchtgift beeinträchtigten Zustand befunden habe und zu Recht bestraft worden sei.

4        Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende Revision wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften.

5        Die belangte Behörde erstattete keine Revisionsbeantwortung.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

6        Der Revisionswerber erachtet die Revision unter anderem deshalb als zulässig, weil Feststellungen dahingehend fehlen würden, dass beim Revisionswerber eine Beeinträchtigung im Sinn des § 5 Abs. 1 StVO, die zur Fahruntüchtigkeit geführt habe, vorgelegen sei. Das Verwaltungsgericht sei dadurch von näher bezeichneter Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen.

7        Die vorliegende Revision erweist sich als zulässig und begründet.

8        Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes genügt es für die Annahme des Tatbildes des § 5 Abs. 1 StVO, dass die Fahruntüchtigkeit nicht allein auf die Beeinträchtigung durch Suchtgift, sondern auch auf weitere Ursachen (wie etwa Übermüdung, Krankheit, Medikamenteneinnahme) zurückzuführen ist. Die Strafbarkeit ist also auch dann gegeben, wenn die konsumierte Suchtgiftmenge für sich alleine noch keine Fahruntüchtigkeit bewirkt hätte (vgl. VwGH 24.10.2016, Ra 2016/02/0133; dem folgend: VwGH 26.1.2017, Ra 2016/02/0168; 28.7.2017, Ra 2017/02/0126; 11.11.2019, Ra 2019/02/0167; 6.5.2020, Ra 2019/02/0104).

9        Der Verwaltungsgerichtshof hat ebenfalls bereits festgehalten, dass die Bedeutung der klinischen Untersuchung jedenfalls in der Feststellung liegt, dass der Lenker fahrtüchtig ist. Durch die klinische Untersuchung kann zwar die Beeinträchtigung, die auf eine Suchtgifteinnahme schließen lässt, festgestellt werden. Nach einer solchen Feststellung ist jedoch zwingend eine Blutabnahme vorzunehmen. Erst die Blutabnahme bringt demnach Gewissheit, ob der durch die klinische Untersuchung gewonnene Verdacht, die Beeinträchtigung sei auf eine Suchtgifteinnahme zurückzuführen, zutrifft (vgl. etwa VwGH 11.11.2019, Ra 2019/02/0167, mwN).

10       Das Verwaltungsgericht hat es unterlassen, konkrete Feststellungen zum Vorliegen einer Fahruntüchtigkeit des Revisionswerbers im Tatzeitpunkt zu treffen. Wegen des Fehlens der für die rechtliche Beurteilung notwendigen Sachverhaltsfeststellungen ist das Erkenntnisdaher mit einem sekundären Feststellungsmangel behaftet.

11       Das angefochtene Erkenntnis war bereits aus diesem Grund wegen Rechtswidrigkeit des Inhalts gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

12       Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 24. Jänner 2022

Schlagworte

Besondere Rechtsgebiete

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2022:RA2021020207.L00

Im RIS seit

23.02.2022

Zuletzt aktualisiert am

09.03.2022
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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