TE Vwgh Beschluss 2021/12/23 Fr 2021/09/0006

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Veröffentlicht am 23.12.2021
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Index

001 Verwaltungsrecht allgemein
10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
10/07 Verwaltungsgerichtshof
40/01 Verwaltungsverfahren
64/05 Sonstiges besonderes Dienstrecht und Besoldungsrecht

Norm

B-VG Art133 Abs1 Z2
B-VG Art133 Abs7
RStDG §123
RStDG §124
RStDG §209
RStDG §57
VwGG §34 Abs1
VwGG §38 Abs1
VwGG §38 Abs4
VwGVG 2014 §34 Abs1
VwGVG 2014 §8
VwRallg

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Präsident Dr. Thienel, den Hofrat Dr. Doblinger und die Hofrätin Mag. Schindler als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Dr. Hotz, über den Fristsetzungsantrag des Mag. Dr. A B in C, vertreten durch Mag. Dr. Hanno Zanier, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Franz-Josefs-Kai 27/DG, gegen das Bundesfinanzgericht betreffend Verletzung der Entscheidungspflicht in einer Disziplinarangelegenheit nach dem Richter- und Staatsanwaltschaftsdienstgesetz (RStDG), den Beschluss gefasst:

Spruch

Der Fristsetzungsantrag wird zurückgewiesen.

Begründung

1        Der Antragsteller ist Richter des Bundesverwaltungsgerichtes (BVwG).

2        Mit Schreiben vom 16. September 2020 erstattete der Präsident des BVwG Disziplinaranzeige gegen den Revisionswerber wegen des Verdachts der Verletzung der allgemeinen richterlichen Pflichten nach § 57 RStDG, weil dieser in näher bezeichneten Verfahren sachlich nicht gerechtfertigte und nicht nachvollziehbare Verfahrensverzögerungen in der Dauer von bis zu vier Jahren bewirkt habe, erhebliche Zeitspannen zwischen den mündlichen Verkündungen und den schriftlichen Ausfertigungen von Erkenntnissen verstreichen habe lassen, seine Berichtspflichten verletzt, gegenüber dem seiner Gerichtsabteilung zugewiesenen Referenten eine mangelnde Fachaufsicht wahrgenommen sowie gegenüber Dienstvorgesetzten ein respektloses Verhalten an den Tag gelegt habe.

3        Mit Nachtragsanzeige vom 23. September 2020 wurde diese um weitere Details zu Verfahrensverzögerungen und hinsichtlich des Verdachts auf weitere Verstöße gegen organisatorische Maßnahmen zur Verhinderung der Ausbreitung des Coronavirus ergänzt.

4        Der Antragsteller brachte mit Schriftsatz vom 31. Mai 2021 gemäß § 38 VwGG den gegenständlichen Fristsetzungsantrag ein. Darin verwies er auf den von ihm im Rahmen seiner Stellungnahme vom 25. November 2020 zur übermittelten Disziplinaranzeige und Nachtragsanzeige gestellten Antrag, das Disziplinarverfahren ohne weiteres Verfahren nicht einzuleiten bzw. einzustellen. Dieser ausdrücklich und förmlich gestellte Antrag habe die Entscheidungsfrist des Disziplinargerichts ausgelöst. Die sechsmonatige Entscheidungsfrist sei am 25. Mai 2021 abgelaufen. Es liege eine Säumigkeit des Disziplinargerichts vor, weil dieses das Disziplinarverfahren hinsichtlich jener Vorwürfe, die Gegenstand des Einleitungsbeschlusses vom 5. Februar 2021 seien, einzustellen gehabt hätte. Weiters habe das Disziplinargericht mit dem Einleitungsbeschluss den Boden der Disziplinaranzeige verlassen und dort erhobene Vorwürfe - wenn auch stillschweigend bzw. begründungslos - fallen gelassen, ohne die Einleitung der Disziplinaruntersuchung in diesem Umfang förmlich in Beschlussform abzulehnen. Beispielsweise werde der in der Disziplinaranzeige erhobene Vorwurf, der Antragsteller habe die Vorlage von außerordentlichen Revisionen an den Verwaltungsgerichtshof „mitunter über Monate“ unterlassen, „um diese Mängel unentdeckt zu lassen“, im Einleitungsbeschluss mit keinem Wort erwähnt.

5        Mit „Vorentscheidung“ vom 8. Juni 2021 wies das Bundesfinanzgericht als Disziplinargericht für die Richterinnen und Richter des BVwG (BFG - im Weiteren: Disziplinargericht) „den Fristsetzungsantrag [...] wegen Verletzung der Entscheidungspflicht betreffend den Antrag auf Einstellung des Disziplinarverfahrens vom 26.11.2020 [...] gemäß § 30a Abs. 1 iVm § 30a Abs. 8 VwGG sowie § 209 RStDG als unzulässig zurück“. Das Disziplinargericht wies in seiner Begründung auf seinen Beschluss vom 5. Februar 2021 hin, mit dem es wegen des Verdachts der Verletzung der allgemeinen richterlichen Pflichten nach § 57 RStDG aufgrund näher konkretisierter Verhaltensweisen gegen den Antragsteller die Disziplinaruntersuchung eingeleitet hat. Damit sei sein Antrag - wenn auch nicht stattgebend - zur Gänze erledigt worden. Eine Säumnis liege daher nicht vor.

6        Der Antragsteller beantragte gemäß § 30b Abs. 1 VwGG die Vorlage seines Fristsetzungsantrags an den Verwaltungsgerichtshof.

7        Das Disziplinargericht legte diesen Vorlageantrag samt Fristsetzungsantrag unter Anschluss der Verfahrensakten vor.

8        Der Fristsetzungsantrag erweist sich als nicht zulässig:

9        Gemäß Art. 133 Abs. 1 Z 2 B-VG erkennt der Verwaltungsgerichtshof über Anträge auf Fristsetzung wegen Verletzung der Entscheidungspflicht durch ein Verwaltungsgericht.

10       Gemäß Art. 133 Abs. 7 B-VG kann wegen Verletzung der Entscheidungspflicht einen Antrag auf Fristsetzung stellen, wer im Verfahren vor dem Verwaltungsgericht als Partei zur Geltendmachung der Entscheidungspflicht berechtigt zu sein behauptet.

11       Gemäß § 209 erster Satz RStDG sind, soweit in den Organisationsgesetzen des Bundesverwaltungsgerichts und des Bundesfinanzgerichts nicht anderes bestimmt ist, die für das Dienstverhältnis der Richterinnen und Richter des Landesgerichtes geltenden Bestimmungen dieses Bundesgesetzes auf das Dienstverhältnis der Richterinnen und Richter des Bundesverwaltungsgerichts und des Bundesfinanzgerichts mit näher normierten Maßgaben sinngemäß anzuwenden.

12       Gemäß § 38 Abs. 1 VwGG kann ein Fristsetzungsantrag erst gestellt werden, wenn das Verwaltungsgericht die Rechtssache nicht binnen sechs Monaten, wenn aber durch Bundes- oder Landesgesetz eine kürzere oder längere Frist bestimmt ist, nicht binnen dieser entschieden hat.

13       Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes liegt eine Säumnis, die den Fristsetzungsantrag zulässig macht, jedenfalls dann nicht (mehr) vor, wenn das Verwaltungsgericht seine Entscheidung schon vor Einlangen des Fristsetzungsantrags beim Verwaltungsgericht erlassen hat (vgl. etwa VwGH 9.9.2020, Fr 2020/02/0005, mwN).

14       Mit der Erlassung des Einleitungsbeschlusses hat das Disziplinargericht zu erkennen gegeben, dass aus seiner Sicht auf Grundlage der Disziplinaranzeige genügend Verdachtsgründe für die Annahme einer konkreten Dienstpflichtverletzung vorliegen, jedoch der Sachverhalt noch einer weiteren Klärung im Rahmen einer Disziplinaruntersuchung bedarf. Es hat damit aber befunden, dass (derzeit) offenkundige Einstellungsgründe nicht vorliegen (zur Zulässigkeit einer Revision an den VwGH gegen den Einleitungsbeschluss siehe jüngst VwGH 16.12.2021, Ro 2021/09/0008). Implizit hat das Disziplinargericht damit daher auch über die im Fristsetzungsantrag ins Treffen geführten Anträge vom 25. November 2020 auf Nichteinleitung bzw. Einstellung eines Disziplinarverfahrens zur Gänze erledigend abgesprochen und ist insofern seiner Entscheidungspflicht nachgekommen (vgl. VwGH 16.2.1982, 82/09/0020).

15       Dem Antragsteller ist zuzustimmen, dass die Systematik des RStDG eine nicht förmliche Ablehnung der Einleitung eines vom Dienstgeber angestrebten Disziplinarverfahrens nicht vorsieht (vgl. Fellner/Nogratnig, RStDG, GOG und StAG I5 § 123 Rz. 4 mit Judikaturzitaten aus der Rechtsprechung des OGH). Das Disziplinargericht hat im Einleitungsbeschluss die einzelnen Verfahren, wo es zu (verschuldeten) Verfahrensverzögerungen gekommen sein soll, in strukturierter Form angeführt und die Disziplinaranzeige insofern konkretisiert. Der Antragsteller zeigt mit der unvollständigen Zitierung von Passagen aus dem Begründungsteil der Disziplinaranzeige aber nicht auf, dass in der Disziplinaranzeige enthaltene Vorwürfe, auf die sich der Verfolgungswille des Dienstgebers bezogen hat, von den Beschuldigungspunkten im Einleitungsbeschluss nicht umfasst sind und ein „formloses Übergehen“ vorliegt. Im Übrigen ist das Verfahren, das der Antragsteller mit seinem Vorbringen anspricht, im Einleitungsbeschluss ausdrücklich als eines jener Verfahren angeführt, in dem es zu verschuldeten Verfahrensverzögerungen gekommen sein soll.

16       Ausgehend davon erweist sich der vorliegende Fristsetzungsantrag somit als unzulässig. Dieser war gemäß § 38 Abs. 1 und 4 in Verbindung mit § 34 Abs. 1 erster Satz VwGG mit Beschluss zurückzuweisen, weil seiner Behandlung der Mangel der Berechtigung zu seiner Erhebung entgegenstand (vgl. VwGH 12.11.2014, Fr 2014/20/0028 [= Slg.Nr. 18964/A]). Die vorliegende, auf Grund des Vorlageantrags des Antragstellers ergangene Entscheidung tritt an die Stelle des Zurückweisungsbeschlusses des Disziplinargerichts (vgl. VwGH 23.4.2021, Fr 2021/12/0011, mwN).

Wien, am 23. Dezember 2021

Schlagworte

Individuelle Normen und Parteienrechte Rechtsanspruch Antragsrecht Anfechtungsrecht VwRallg9/2

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2021:FR2021090006.F00

Im RIS seit

25.01.2022

Zuletzt aktualisiert am

25.01.2022
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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