TE Vwgh Erkenntnis 2021/12/15 Ra 2020/06/0152

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Veröffentlicht am 15.12.2021
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Index

001 Verwaltungsrecht allgemein
10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
10/07 Verwaltungsgerichtshof
96/02 Sonstige Angelegenheiten des Straßenbaus

Norm

BStMG 2002 §10 Abs1
BStMG 2002 §11 Abs1
BStMG 2002 §19
BStMG 2002 §19 Abs4
BStMG 2002 §19 idF 2013/I/099
BStMG 2002 §20 Abs1
BStMG 2002 §20 Abs1 idF 2013/I/099
BStMG 2002 §20 Abs2
BStMG 2002 §20 Abs5
BStMG 2002 §20 Abs5 idF 2013/I/099
B-VG Art7 Abs1
VwGG §42 Abs2 Z1
VwRallg

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Köhler sowie Hofrätin Mag.a Merl und Hofrat Mag. Haunold als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Kovacs, über die Revision der S B in Z, vertreten durch Dr. Johann Postlmayr, Rechtsanwalt in 5230 Mattighofen, Stadtplatz 6, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Salzburg vom 27. Juli 2020, 405-4/3398/1/2-2020, betreffend Übertretung des Bundesstraßen-Mautgesetzes 2002 (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bezirkshauptmannschaft Salzburg-Umgebung), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit des Inhalts aufgehoben.

Der Bund hat der Revisionswerberin Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1        Mit Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Salzburg-Umgebung,Bearbeitungsstelle an der Bezirkshauptmannschaft Tamsweg, (belangte Behörde) vom 4. Juni 2020 wurde der Revisionswerberin eine Übertretung des § 20 Abs. 1 i.V.m. §§ 10 Abs. 1 und § 11 Abs. 1 Bundesstraßen-Mautgesetz 2002 (BStMG) zur Last gelegt und deshalb über sie eine Strafe von € 300,-- (Ersatzfreiheitsstrafe: 72 Stunden) verhängt, weil sie am 23. Juli 2019 ein Kraftfahrzeug auf dem mautpflichtigen Straßennetz gelenkt habe, ohne die zeitabhängige Maut ordnungsgemäß entrichtet zu haben.

2        Der dagegen von der Revisionswerberin erhobenen Beschwerde wurde mit dem angefochtenen Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Salzburg (LVwG) insofern Folge gegeben, als gemäß § 20 VStG die Geldstrafe auf € 150,-- und die Ersatzfreiheitsstrafe auf 36 Stunden herabgesetzt wurden. Die ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof wurde für nicht zulässig erklärt.

3        Im angefochtenen Erkenntnis wurde - soweit für die gegenständliche Entscheidung von Bedeutung - ausgeführt, nach den Beschwerdeausführungen sei die in Rede stehende, am 23. Juli 2019 erfolgte Fahrt der Revisionswerberin auf der Autobahn A 1 nicht vorgesehen gewesen, sondern ausschließlich durch die entsprechende Leitung durch das Navigationssystem zustande gekommen. Die Revisionswerberin habe nach Wahrnehmung der Autobahnbenutzung ohne entsprechende Mautentrichtung die Autobahn bei nächster Gelegenheit wieder verlassen und telefonisch Kontakt mit der ASFINAG hinsichtlich ihres Versehens aufgenommen. Dort sei ihr bekundet worden, vorerst die Aufforderung zur Leistung einer Ersatzmaut abzuwarten.

4        Seitens der ASFINAG - so das LVwG weiter - sei die Revisionswerberin zur Leistung einer Ersatzmaut aufgefordert worden. Diese sei der Revisionswerberin allerdings nicht zugestellt, sondern mit dem Postvermerk „unbekannt“ rückübermittelt worden. Somit sei es letztlich zur Anzeigeerstattung und Einleitung des Verwaltungsstrafverfahrens gekommen. Die Überweisung der Ersatzmaut der Revisionswerberin nach Einleitung des Verwaltungsstrafverfahrens sei durch die ASFINAG rückerstattet worden.

5        Das LVwG hielt weiters unter anderem fest, auch mit der verspäteten Einzahlung der Ersatzmaut habe die Straflosigkeit gemäß § 20 Abs. 5 BStMG nicht bewirkt werden können, weil die Aufforderung zur Bezahlung der Ersatzmaut nicht unterblieben sei und somit nicht von der Nichtauslösung der diesbezüglichen Frist zum Bewirken der Straffreiheit einer Ersatzmautleistung ausgegangen werden könne (Verweis auf VwGH 27.10.2018, Ra 2016/06/0134).

6        Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung Verfahrensvorschriften.

7        Die belangte Behörde beantragt in ihrer Revisionsbeantwortung die Zurückweisung bzw. Abweisung der Revision.

8        Die Revisionswerberin nahm zur Revisionsbeantwortung in ihrer Eingabe vom 18. Oktober 2021 Stellung.

9        Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

10       Zur Begründung der Zulässigkeit ihrer außerordentlichen Revision macht die Revisionswerberin unter anderem die rechtswidrige Nichtanwendung des Strafaufhebungsgrundes des § 20 Abs. 5 BStMG geltend, weil das Unterbleiben der Aufforderung nach § 19 BStMG zur Folge habe, dass die Frist zur Bezahlung der Ersatzmaut nicht in Gang gesetzt werde. Sie habe im Zuge des bei der Behörde anhängigen Verwaltungsstrafverfahrens die Ersatzmaut in der Höhe von € 120,-- überwiesen.

11       Die Revision erweist sich aus diesem Grund als zulässig. Sie ist auch begründet.

12       § 19 und § 20 BStMG in der Fassung BGBl. I Nr. 45/2019 lauten:

Ersatzmaut

§ 19. (1) In der Mautordnung ist für den Fall der nicht ordnungsgemäßen Entrichtung der Maut eine Ersatzmaut festzusetzen, die den Betrag von 250 € einschließlich Umsatzsteuer nicht übersteigen darf.

(...)

(4) Kommt es bei einer Verwaltungsübertretung gemäß § 20 sowie § 32 Abs. 1 zweiter Satz zu keiner Betretung, so ist die Autobahnen- und Schnellstraßen-Finanzierungs-Aktiengesellschaft befugt, den Zulassungsbesitzer schriftlich zur Zahlung einer Ersatzmaut aufzufordern, sofern der Verdacht auf automatischer Überwachung oder dienstlicher Wahrnehmung eines Mautaufsichtsorgans beruht. Die Aufforderung hat eine Identifikationsnummer und eine Kontonummer zu enthalten. Ihr wird entsprochen, wenn die Ersatzmaut binnen vier Wochen ab Ausfertigung der Aufforderung dem angegebenen Konto gutgeschrieben wird und der Überweisungsauftrag die automationsunterstützt lesbare, vollständige und richtige Identifikationsnummer enthält.

(...)

6. Teil

Strafbestimmungen

Mautprellerei

§ 20. (1) Kraftfahrzeuglenker, die Mautstrecken benützen, ohne die nach § 10 geschuldete zeitabhängige Maut ordnungsgemäß entrichtet zu haben, begehen eine Verwaltungsübertretung und sind mit Geldstrafe von 300 € bis zu 3000 € zu bestrafen.

(...)

(5) Taten gemäß Abs. 1 bis 3 werden straflos, wenn der Mautschuldner nach Maßgabe des § 19 Abs. 2 bis 5 der Aufforderung zur Zahlung der in der Mautordnung festgesetzten Ersatzmaut entspricht.

(6) Die Rückforderung gemäß § 19 ordnungsgemäß gezahlter Ersatzmauten ist ausgeschlossen.“

13       Die Entrichtung der in der Mautordnung festgesetzten Ersatzmaut gemäß § 20 Abs. 5 BStMG stellt einen Strafaufhebungsgrund dar. Die Tat wird dann nicht straflos, wenn die in § 20 Abs. 5 BStMG angeführten Beträge nicht entrichtet werden, mag auch die Aufforderung aus welchen Gründen immer unterblieben sein. Das Unterbleiben einer Aufforderung gemäß § 19 BStMG hat die Folge, dass die Frist für die Bezahlung der Ersatzmaut nicht in Gang gesetzt wird, womit die Möglichkeit besteht, gegebenenfalls die Ersatzmaut noch im Zuge des Strafverfahrens „fristgerecht“ zu bezahlen, um damit die Straflosigkeit im Sinne des § 20 Abs. 5 BStMG in der Fassung BGBl. I Nr. 99/2013 zu bewirken (vgl. VwGH 12.10.2020, Ra 2018/06/0167, mwN).

14       Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes bedeutet die Wortfolge in § 19 Abs. 4 BStMG „binnen vier Wochen ab Ausfertigung der Aufforderung“ nicht, dass eine nicht rechtswirksame Zustellung keinen Fall des Unterbleibens der Aufforderung zur Bezahlung der Ersatzmaut darstellen würde (vgl. erneut VwGH 12.10.2020, Ra 2018/06/0167).

15       In dem zitierten Beschluss hat der Verwaltungsgerichtshof mit Verweis auf Rechtsprechung zum tatsächlichen Zukommen eines Bescheides oder eines Schriftstückes weiter ausgeführt, dass die bloße Kenntnisnahme der Aufforderung (etwa durch Akteneinsicht) nicht mit deren rechtswirksamen Zustellung gleichgesetzt werden könne. Ferner wurde in dem Beschluss der Ansicht, es sei auf die „Ausfertigung“ abzustellen, eine Absage erteilt und dargelegt, es liefe auf eine verfassungswidrige Ungleichbehandlung der Fälle hinaus, in denen einem Fahrzeuglenker keine Aufforderung zur Entrichtung der Ersatzmaut wirksam zugestellt werde, würde jenen Lenkern, bei denen immerhin der Versuch der Zustellung unternommen wurde, das Recht abgesprochen, in gleicher Weise wie die anderen Lenker bis zum Abschluss des Verfahrens die Ersatzmaut zu entrichten.

16       Dass eine nicht rechtswirksame Zustellung des Aufforderungsschreibens ein Unterbleiben der Aufforderung zur Bezahlung der Ersatzmaut darstellt, hat der Verwaltungsgerichtshof auch in seinem Erkenntnis vom 25. Mai 2021, Ra 2021/06/0039, bekräftigt.

17       Im vorliegenden Fall legte das LVwG seiner Entscheidung zugrunde, dass der Revisionswerberin das Aufforderungsschreiben der ASFINAG nicht zugestellt, sondern mit dem Postvermerk „unbekannt“ rückübermittelt worden sei, und dass die Revisionswerberin nach Einleitung des Verwaltungsstrafverfahrens die Ersatzmaut überwiesen habe.

18       Nach dem Gesagten verkannte das LVwG daher die Rechtslage, wenn es vom Nichtunterbleiben der Aufforderung zur Bezahlung der Ersatzmaut ausging und die gemäß § 20 Abs. 5 BStMG eingetretene Straflosigkeit der Revisionswerberin nicht berücksichtigte. Die Rückerstattung der Ersatzmaut durch die ASFINAG änderte nichts an der „fristgerechten“ Entrichtung der Ersatzmaut durch die Revisionswerberin (vgl. auch § 20 Abs. 6 BStMG, wonach die Rückforderung gemäß § 19 ordnungsgemäß gezahlter Ersatzmauten ausgeschlossen ist).

19       Aus dem vom LVwG zitierten hg. Erkenntnis vom 27. Oktober 2018, Ra 2016/06/0134, ergibt sich im Übrigen keine gegenteilige Beurteilung, weil diesem Erkenntnis zugrunde lag, dass der dort Beschuldigte - bei nicht erfolgter Aufforderung gemäß § 19 BStMG - im Unterschied zum gegenständlichen Verfahren die Ersatzmaut nicht entrichtet hatte. Wie der Verwaltungsgerichtshof im zitierten Erkenntnis darlegte, führt das Unterbleiben einer Aufforderung gemäß § 19 BStMG lediglich dazu, dass die Frist für die Bezahlung der Ersatzmaut nicht in Gang gesetzt wird. Es hat jedoch nicht die Straflosigkeit zur Folge und stellt für sich auch kein Hindernis für die Erlassung eines Straferkenntnisses dar.

20       Für den vorliegenden Fall ist daraus nicht abzuleiten, dass trotz Bezahlung der Ersatzmaut durch die Revisionswerberin keine Straflosigkeit im Sinne des § 20 Abs. 5 BStMG eingetreten sei.

21       Bereits aus diesem Grund war das angefochtene Erkenntnis gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit des Inhalts aufzuheben. Es erübrigt sich somit, auf das weitere Revisionsvorbringen einzugehen.

22       Der Kostenersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG i.V.m. der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 15. Dezember 2021

Schlagworte

Rechtsgrundsätze Fristen VwRallg6/5

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2021:RA2020060152.L00

Im RIS seit

18.01.2022

Zuletzt aktualisiert am

18.01.2022
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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