TE Vwgh Erkenntnis 1996/10/22 96/08/0057

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Veröffentlicht am 22.10.1996
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Index

66/01 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz;

Norm

ASVG §101;
ASVG §354;
ASVG §355;
ASVG §409;
ASVG §413 Abs1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Hnatek sowie den Senatspräsidenten Dr. Knell und die Hofräte Dr. Müller, Dr. Novak und Dr. Sulyok als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Hackl, über die Beschwerde der M in T, vertreten durch Dr. G, Rechtsanwalt in X, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Salzburg vom 19. Jänner 1994, Zl. 3/01-12.946/2-94, betreffend Herstellung des gesetzlichen Zustandes gemäß § 101 ASVG (mitbeteiligte Partei: Allgemeine Unfallversicherungsanstalt, Wien XX, Adalbert-Stifter-Straße 65), zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Die Beschwerdeführerin hat dem Bund (Bundesminister für Arbeit und Soziales) Aufwendungen in der Höhe von S 565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Am 9. April 1991 gab die Beschwerdeführerin in einer (von der mitbeteiligten Partei aufgenommenen) Niederschrift folgendes an: Ihr Ehegatte sei am 19. März 1990 bei einem Tauchgang im Roten Meer, im Staatsgebiet von Sudan, verunglückt und seither verschollen. Zum Zeitpunkt des Unglückes sei er gemeinsam mit St., Abteilungsleiter im Haus der Natur in Salzburg, unterwegs gewesen, um Filmaufnahmen von Hammerhaien zu machen. Ihr Ehegatte sei nicht Angestellter des Hauses der Natur in Salzburg gewesen; er sei vielmehr zuletzt selbständiger Handelsvertreter mit dem Sitz in Salzburg gewesen. Ihr Ehegatte und St. seien auch privat befreundet gewesen und hätten schon vor dem Unglück im Roten Meer gemeinsame Tauchgänge unternommen. Für die Filmaufnahmen im Roten Meer am Unfalltag sei ihr Ehegatte nicht vom Haus der Natur entlohnt worden, obwohl die Aufnahmen für das Haus der Natur bestimmt gewesen seien. St. hätte derartige Aufnahmen niemals allein durchführen können, er sei jedenfalls auf die Mithilfe eines erfahrenen Tauchpartners angewiesen gewesen. Die Reise sei bereits im Herbst 1989 geplant gewesen; insgesamt hätte das Unternehmen ca. drei Wochen dauern sollen. Sie ersuche um eine Überprüfung, ob ein entschädigungspflichtiger Arbeitsunfall vorliege, und gegebenenfalls um Gewährung einer Witwenrente für sich und einer Waisenrente für ihre Tochter.

In der Unfallanzeige des Direktors des Hauses der Natur in Salzburg vom 10. Dezember 1990 an die mitbeteiligte Partei heißt es, daß St. der Leiter des Aquariums im Haus der Natur gewesen sei. Zu seinen Aufgaben habe auch die Herstellung von 16 mm-Filmen und Videofilmen gehört, die in den Ausstellungen des Hauses der Natur benötigt würden. Er habe auch bereits mehrmals als Kameramann an Expeditionen des Hauses der Natur teilgenommen. Für die Erstellung eines Filmes "Leben im Korallenriff" sei er bereits mit einem Haus-der-Natur-Team im Jahre 1986 im Roten Meer gewesen. Für diesen Film hätten nur noch einige wichtige Szenen, darunter verschiedene Haiaufnahmen, gefehlt. Die Aufgabe bei der letzten Tauchfahrt zu den Korallenriffen vor der Küste des Roten Meeres, wo es möglich sei, auch Hammerhaie zu filmen, sei es gewesen, diese letzten Aufnahmen zu drehen. Dazu sei ihm auf dieser Fahrt auch der Ehegatte der Beschwerdeführerin, gleichfalls ein erfahrener Taucher, mit dem St. bereits zahlreiche Tauchgänge durchgeführt habe, als Tauchpartner zur Verfügung gestanden.

In einer späteren (undatierten) Bestätigung des Direktors des Hauses der Natur in Salzburg wird bestätigt, daß der Ehegatte der Beschwerdeführerin mehrere Jahre hindurch mit St. getaucht habe und ihn bei seinen Filmaufnahmen und Tierfängen für das Aquarium im Haus der Natur unterstützt habe. An der Tauchfahrt zum Roten Meer im März 1990 habe der Ehegatte der Beschwerdeführerin aus eigenem Interesse teilgenommen und sich auch die Fahrt selbst finanziert. Die Fahrt sei aber mit St. gemeinsam geplant worden und es sei vereinbart worden, daß der Ehegatte der Beschwerdeführerin St. bei seinen Filmaufnahmen unter Wasser unterstütze. Ohne einen zweiten Mann wären die Tauchgänge im Roten Meer und die Filmaufnahmen gar nicht möglich gewesen. Hätte sich der Ehegatte der Beschwerdeführerin hiefür nicht bereit erklärt, so wäre von St. sicher ein anderer Tauchpartner gesucht worden. Beide seien erfahrene Taucher und als Zweierteam gut aufeinander eingespielt gewesen, sodaß auch immer größtmögliche Sicherheit gegeben gewesen sei.

Mit rechtskräftigem Beschluß des Landesgerichtes Salzburg vom 22. Juli 1991 wurde ausgesprochen, daß der Beweis des Todes des Ehegatten der Beschwerdeführerin als hergestellt anzusehen sei. Der Tag seines Todes sei der 19. März 1990.

Mit Bescheid vom 3. September 1991 lehnte die mitbeteiligte Partei die Gewährung von Teilersatz der Bestattungskosten und einer Witwenrente aus Anlaß des Unfalles, von dem der Ehegatte der Beschwerdeführerin am 19. März 1990 betroffen gewesen und an dessen Folgen er verstorben sei, gemäß § 176 Abs. 1 Z. 6 ASVG ab. Nach der Bescheidbegründung seien gemäß § 176 Abs. 1 Z. 6 ASVG den Arbeitsunfällen gleichgestellte Unfälle, die sich bei einer betrieblichen Tätigkeit ereigneten, wie sie sonst ein nach § 4 ASVG Versicherter ausübe, auch wenn dies nur vorübergehend geschehe. Diese Gesetzesbestimmung komme jedoch nur zum Tragen, wenn sich der Unfall im Inland ereigne. Der Ehegatte der Beschwerdeführerin habe an einer Tauchexpedition mit seinem Bekannten, St., teilgenommen. Da sich der Unfall des Ehegatten der Beschwerdeführerin jedoch im Territorium der Republik Sudan ereignet habe, liege kein Arbeitsunfall gemäß § 176 Abs. 1 Z. 6 ASVG vor. Der Bescheid erwuchs in Rechtskraft.

Am 20. August 1993 stellte die Beschwerdeführerin den Antrag, gemäß § 101 ASVG den gesetzlichen Zustand rückwirkend herzustellen und die abgelehnten Geldleistungen bescheidmäßig zuzuerkennen. Die seinerzeitige Ablehnung dieser Leistungen sei nämlich ihrer Auffassung nach zu Unrecht erfolgt. Die im Ablehnungsbescheid festgestellte betriebliche Tätigkeit ihres Ehegatten sei jedenfalls für den "Betrieb" Museum für darstellende und angewandte Naturkunde, Haus der Natur in Salzburg, ausgeübt worden. Die Tätigkeit und die daraus entspringende Entschädigungspflicht sei daher in gleicher Weise zu beurteilen wie die eines ständig Beschäftigten in diesem Betrieb. Da seitens der mitbeteiligten Partei der Tod des gleichzeitig verunglückten Abteilungsleiters dieses Betriebes, St., als Arbeitsunfall anerkannt und die Entschädigungspflicht als gegeben festgestellt worden sei, sei auch für den verstorbenen Ehegatten der Beschwerdeführerin eine Leistung aus der gesetzlichen Unfallversicherung zu gewähren, zumal es auch für einen vorübergehend Tätigen ebenso wie für einen ständigen Beschäftigten unerheblich sei, daß sich das Unfallereignis im Ausland abgespielt habe. Es sei jedenfalls als erwiesen anzusehen, daß die Tätigkeit im Interesse des inländischen Betriebes (Haus der Natur Salzburg) ausgeübt worden sei. Es habe sich daher ihrer Meinung nach nachträglich ergeben, daß eine Geldleistung infolge eines wesentlichen Irrtums über den Sachverhalt zu Unrecht abgelehnt worden sei.

Diesen Antrag lehnte die mitbeteiligte Partei mit Bescheid vom 10. September 1993 mit der Begründung ab, daß sich aus dem von der Beschwerdeführerin geschilderten Sachverhalt über die näheren Umstände hinsichtlich der Tauchexpedition ihres verstorbenen Ehegatten im Territorium der Republik Sudan keine neuen Gesichtspunkte ergäben und deshalb weder ein wesentlicher Irrtum über Sachverhalt noch ein offenkundiges Versehen im Sinne des § 101 ASVG vorlägen.

Dem von der Beschwerdeführerin dagegen erhobenen Einspruch gab die belangte Behörde mit dem angefochtenen Bescheid keine Folge und bestätigte den bekämpften Bescheid. Nach der Bescheidbegründung sei - vor dem Hintergrund des § 101 ASVG - zu prüfen, ob der seinerzeitige Bescheid der mitbeteiligten Partei vom 3. September 1991 auf Grund eines wesentlichen Irrtums über den Sachverhalt oder auf Grund eines offenkundigen Versehens zu Unrecht die beantragten Geldleistungen abgelehnt habe. Dies sei nicht der Fall. Denn in diesem Bescheid sei schlüssig und rechtlich begründet ausgeführt worden, weshalb der verfahrensgegenständliche Unfall, obwohl als Arbeitsunfall im Sinne des § 176 Abs. 1 Z. 6 ASVG anzusehen, zu keiner Entschädigungsleistung habe führen können, nämlich deshalb, weil er sich im Ausland ereignet habe. Nach der bisherigen Judikatur des Oberlandesgerichtes Wien gelte auch in Fällen des § 176 ASVG das Territorialitätsprinzip (SSV 17/40;

ZAS 1978 E 21). Grundtenor dieser Rechtsprechung sei es, daß die Anwendung des Territorialitätsprinzips im Sinne des § 175 ASVG zu sehen sei. Der verstorbene Ehegatte der Beschwerdeführerin habe sich aus privaten Gründen im Bereiche des Roten Meeres aufgehalten; allerdings sei eine gemeinsame Planung der "betrieblichen" Tätigkeit erfolgt. Damit bestehe ein erheblicher Bezug zur Entsendung des Dienstnehmers St., die Versicherungsschutz für diesen begründet habe. Die Tatsache aber, daß der Gesetzgeber im § 176 Abs. 4 ASVG den besonderen Bezug zum österreichischen Staatsgebiet ausdrücklich hergestellt habe, allerdings nur für Unfälle im Zusammenhang mit § 176 Abs. 1 Z. 2 ASVG, spreche dafür, eine erweiterte Auslegung zu verneinen. Wenngleich die Voraussetzungen für die Anerkennung des Unfalles als Arbeitsunfall im Sinne des § 176 Abs. 1 Z. 6 ASVG grundsätzlich gegeben wären, komme auf Grund der Tatsache, daß sich der Unfall im Ausland ereignet habe, diese Gesetzesbestimmung jedoch nicht zum Tragen. Die mitbeteiligte Partei habe - unter Bedachtnahme auf die unveränderte, vorzitierte Judikatur - in ihrem Bescheid weder einen wesentlichen Irrtum über den Sachverhalt noch ein offenkundiges Versehen als Grundlage für ihre ablehnende Entscheidung zugrundegelegt. Der Antrag der Beschwerdeführerin nach § 101 ASVG sei somit zu Recht abgelehnt worden.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor, nahm aber von der Erstattung einer Gegenschrift Abstand. Die mitbeteiligte Partei erstattete eine Gegenschrift ohne Kostenantrag.

Mit Erkenntnis vom 28. Juni 1994, Zl. 94/08/0047, hob der Verwaltungsgerichtshof den angefochtenen Bescheid wegen Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit der belangten Behörde mit der Begründung auf, daß die belangte Behörde im vorliegenden Fall über eine Leistungssache im Sinne des § 354 ASVG entschieden habe, zu der sie nicht zuständig gewesen sei.

Daraufhin wies die belangte Behörde mit Bescheid vom 28. September 1994 den Einspruch zurück.

Mit Erkenntnis vom 27. November 1995, K I-2/95-17, sprach der Verfassungsgerichtshof über den Antrag der Beschwerdeführerin auf Entscheidung eines verneinenden Kompetenzkonfliktes zwischen dem Landesgericht Salzburg (Beschluß vom 10. Dezember 1993, Zl. 19 Cgs 139/93) und dem Landeshauptmann von Salzburg (Bescheid vom 28. September 1994) gemäß Art. 138 Abs. 1 lit. a B-VG (unter Hinweis auf sein Erkenntnis vom 25. Juni 1994, K I-5/93-8, in dem die Zuständigkeit des Landeshauptmannes zur Entscheidung über den Einspruch gegen einen Bescheid nach § 101 ASVG bejaht wurde) aus, daß die belangte Behörde zur Entscheidung über den Einspruch der Beschwerdeführerin gegen den Bescheid der mitbeteiligten Partei zuständig sei, und hob den entgegenstehenden Bescheid der belangten Behörde vom 28. September 1994 und das ihm zugrundeliegende Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 28. Juni 1994 auf.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 101 ASVG ist dann, wenn sich nachträglich ergibt, daß eine Geldleistung bescheidmäßig infolge eines wesentlichen Irrtums über den Sachverhalt oder eines offenkundigen Versehens zu Unrecht abgelehnt, entzogen, eingestellt, zu niedrig bemessen oder zum Ruhen gebracht wurde, mit Wirkung vom Tage der Auswirkung des Irrtums oder Versehens der gesetzliche Zustand herzustellen.

Nach dem zitierten Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 25. Juni 1994 ist die Entscheidung, ob der gesetzliche Zustand wegen eines wesentlichen Irrtums über den Sachverhalt oder eines offenkundigen Versehens herzustellen ist, eine Verwaltungssache, die Herstellung dieses Zustandes selbst hingegen eine Leistungssache. Demgemäß habe sich der mit Einspruch angerufene Landeshauptmann auf die Frage der Zulässigkeit der Herstellung des gesetzlichen Zustandes (die auch dann zu verneinen sei, wenn kein wesentlicher Irrtum über den Sachverhalt und kein offenkundiges Versehen vorliege) zu beschränken und dem Sozialversicherungsträger bejahendenfalls die Herstellung, das heiße: die Erlassung eines neuen Leistungsbescheides, aufzutragen.

Die Beschwerdeführerin wendet gegen die Auffassung der belangten Behörde, es seien die von der Beschwerdeführerin begehrten Geldleistungen aus der Unfallversicherung von der mitbeteiligten Partei nicht infolge eines "offenkundigen Versehens" abgelehnt worden, folgendes ein:

Nach einhelliger Judikatur sei es für die Erfüllung des Tatbestandes des § 176 Abs. 1 Z. 6 ASVG wesentlich, daß eine dem in Frage stehenden Unternehmen dienende Tätigkeit, die dem wirklichen oder mutmaßlichen Willen des Dienstgebers (Unternehmers) entspreche, vorzuliegen habe. Daß die Tätigkeit, die der Ehegatte der Beschwerdeführerin beim Unfall am 19. März 1990 verrichtet habe, eine dem § 176 Abs. 1 Z. 6 ASVG zu unterstellende gewesen sei, sei unstrittig. Es habe sich also um eine Tätigkeit gehandelt, die ihrer Art nach sonst von Personen verrichtet werde, die zum Unternehmer in persönlicher bzw. wirtschaftlicher Abhängigkeit stünden. Für diesen Fall habe gemäß § 176 Abs. 3 ASVG eine Leistungspflicht aus der Unfallversicherung auch dann zu gelten, wenn die tätig werdenden Personen nicht unfallversichert seien. Es erfolge somit nach den §§ 176 Abs. 1 Z. 6, 176 Abs. 3 und 175 ASVG eine die Leistungspflicht des Versicherers begründende Gleichstellung mit dem "Ausgangsfall" des einen Arbeitsunfall erleidenden Dienstnehmers. Der Unfall des Dienstnehmers St. habe aber zur Gewährung der Leistungen an dessen Hinterbliebene geführt.

Es sei zwar unbestritten, daß nach dem sogenannten Territoralitätsprinzip sich die Organisation der österreichischen Sozialversicherung auf das Staatsgebiet der Republik Österreich beschränke. Maßgeblich sei jedoch, daß der Versicherungsschutz auf die Beschäftigung in Österreich bzw. bei Selbständigen auf den inländischen Betriebssitz abstelle. Entscheidend sei also die Zugehörigkeit zum "Österreichischen Risikoverband". Gemeint sei damit das (ohnehin durch zahllose Ausnahmen gelockerte) Verbot des sogenannten Leistungsexports. Allein dadurch aber, daß eine bestimmte, für einen inländischen Betrieb zu erbringende Tätigkeit zwar im Ausland abzuwickeln sei, jedoch allein dem inländischen Betrieb zuzukommen habe und allein für ihn ausgeführt werde, könne nicht von einem Bruch des sogenannten Territorialitätsprinzips gesprochen werden. Auf den vorliegenden Fall angewendet bedeutet dies, daß nicht allein deswegen, weil die Tauchgänge und Filmaufnahmen im Bereich des Territoriums der Republik Sudan ausgeführt bzw. vorgenommen worden seien, der ursprünglich bestehende und starke Inlandsbezug verlorengegangen sei, zumal ja im Zusammenhang mit der betrieblichen Tätigkeit (bzw. jener Tätigkeit, die der betrieblichen Tätigkeit gemäß § 176 Abs. 1 Z. 6 ASVG gleichgestellt sei) ausschließlich Leistungen erbracht worden seien, die dem inländischen Betrieb zugute gekommen seien bzw. zugute hätten kommen sollen.

Soweit damit argumentiert worden sei, es sei aus dem Regelungsinhalt des § 176 Abs. 4 ASVG abzuleiten, daß eine erweiterte Auslegung des im § 176 Abs. 4 ASVG genannten besonderen Bezugs zum österreichischen Staatsgebiet zu verneinen sei, könne dem aus logischen Gründen nicht gefolgt werden. § 176 Abs. 4 ASVG könne bei verfassungskonformer Auslegung nur so verstanden werden, daß damit Risikobelastungen des Österreichischen Risikoverbandes bei besonders gefahrengeneigten Tätigkeiten, wie sie Rettungsaktionen aus tatsächlicher oder vermuteter Lebensgefahr regelmäßig und im Ausland ganz besonders darstellten, insoweit eingeschränkt werden sollten, als eine Beschränkung des Versicherungsschutzes auf das Gebiet der Republik Österreich bzw. jenes eines Nachbarstaates vorgenommen werde. Die offenbare Bezugnahme (der belangten Behörde) auf die Judikatur zur Rechtfertigung des eingenommenen Standpunktes sei insoweit verfehlt, als die überwiegende Anzahl der Judikate, die sich mit dem Territorialitätsprinzip befaßten, jeweils die Fälle der Lebensrettung im Ausland, also den vom § 176 Abs. 4 ASVG ausdrücklich angesprochenen Anknüpfungspunkt, im Auge hätten. Die Reduktion des Versicherungsschutzes bei Unfällen mit Auslandsbeziehung auf lediglich jene Fälle, die vom § 176 Abs. 4 umfaßt seien, sei daher juristisch eindeutig verfehlt.

Demnach seien die Regelungsinhalte des § 176 ASVG - dem Grundsatz verfassungskonformer Auslegung folgend - offenkundig nicht so zu verstehen, wie dies die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid tue. Die rechtliche Beurteilung, die die belangte Behörde vorzunehmen gehabt habe, sei auch nicht derart kompliziert, daß nicht bei Anwendung gehöriger Sorgfalt der zutreffende juristische Schluß hätte gezogen werden können, nämlich die Leistungspflicht der mitbeteiligten Partei zu bejahen.

Nach übereinstimmender, vom Verwaltungsgerichtshof geteilter Auffassung des Schrifttums (vgl. Snasel, Die rückwirkende Herstellung des gesetzlichen Zustandes bei Leistungsansprüchen gemäß § 101 ASVG, VersRdSch 1959, 56, 61 f;

Traindl, Die Herstellung des gesetzlichen Zustandes in formeller und materieller Hinsicht im sozialversicherungsrechtlichen Verfahren, SoSi 1960, 182, 185;

Stolzlechner, Probleme des Irrtums im Leistungsrecht der Sozialversicherung, DRdA 1986, 288, 293 f) und der Rechtsprechung des Oberlandesgerichtes Wien als des seinerzeitigen Höchstgerichtes in sozialversicherungsrechtlichen Leistungsstreitigkeiten (vgl. u. a. JBl. 1972, 158, SSV 18/118, ZAS 1982, 152, SVSlg. 31059, 32533) kann sich zwar das (für die Herstellung des gesetzlichen Zustandes nach § 101 ASVG erforderliche) "offenkundige Versehen" auch auf die (u.a. für die bescheidmäßige Ablehnung einer Geldleistung relevante) rechtliche Beurteilung beziehen. Das bedeutet aber - zufolge des Erfordernisses der "Offenkundigkeit" - nicht, daß in bezug auf jeden in Rechtskraft erwachsenen Bescheid im Wege des § 101 ASVG nachträglich ein dem Bescheid zugrundeliegendes "Versehen" rechtlicher Art erfolgreich geltend gemacht werden könnte; das "Versehen" muß vielmehr "offenkundig" sein. Eine solche Art des Versehens liegt nach der zitierten Lehre und Rechtsprechung aber nur dann vor, wenn eine klare und eindeutige gesetzliche Bestimmung unrichtig ausgelegt wurde und dies redlicherweise nicht bestritten werden kann. Davon kann nicht gesprochen werden, wenn der (im Wege des § 101 ASVG) bekämpfte Leistungsbescheid das Ergebnis einer - wenn auch möglicherweise unzutreffenden - komplizierten rechtlichen Beurteilung ist.

Unter Zugrundelegung dieses Verständnisses der Tatbestandsvoraussetzung des "offenkundigen Versehens" kommt es im Beschwerdefall zunächst nicht auf die von der belangten Behörde im angefochtenen Bescheid zur strittigen Rechtsfrage vertretene Rechtsauffassung, sondern auf die von der mitbeteiligten Partei in ihrem Bescheid vom 3. September 1991 zum Ausdruck gebrachte Rechtsmeinung an. Aber auch diesbezüglich reichte es für die Tatbestandsmäßigkeit des § 101 ASVG nicht aus, wenn diese Auffassung, nämlich daß § 176 Abs. 1 Z. 6 ASVG nur zum Tragen komme, wenn sich der Unfall im Inland ereignet habe, letztlich (d.h. auf Grund einer komplizierten rechtlichen Beurteilung) unrichtig wäre. Entscheidend ist nach den obigen Ausführungen vielmehr, ob hiebei "eine klare und eindeutige gesetzliche Bestimmung unrichtig ausgelegt wurde".

Letzteres ist aber - entgegen dem Beschwerdevorbringen - nicht der Fall:

Gemäß § 176 Abs. 1 Z. 6 ASVG sind den Arbeitsunfällen (nach § 175 ASVG) Unfälle gleichgestellt, die sich bei einer betrieblichen Tätigkeit, wie sie sonst ein nach § 4 Versicherter ausübt, auch wenn dies nur vorübergehend geschieht, ereignen. Gemäß § 176 Abs. 3 leg. cit. werden den im Sinne des Abs. 1 Z. 2, 3, 6 bis 8, 10 und 13 tätig werdenden Personen die Leistungen der Unfallversicherung aus einem bei dieser Tätigkeit eingetretenen Unfall auch gewährt, wenn sie nicht unfallversichert sind. Nach § 176 Abs. 4 ASVG, der durch die 33. ASVG-Novelle, BGBl. Nr. 684/1978, in Reaktion auf Entscheidungen des Oberlandesgerichtes Wien zu sich im Ausland ereignenden Unfällen im Sinne des § 176 Abs. 1 Z. 2 ASVG eingefügt wurde (vgl. die Erläuternden Bemerkungen der Regierungsvorlage, 1084 BlgNR. XIV. GP, 44), gilt ein Unfall, der sich bei der Rettung eines Menschen aus tatsächlicher oder vermuteter Lebensgefahr oder dem Versuch einer solchen Rettung ereignet hat, auch dann als den Arbeitsunfällen gleichgestellt, wenn sich der Unfall im Gebiet eines Nachbarstaates der Republik Österreich ereignet hat und die tätig werdende Person österreichischer Staatsbürger ist, die ihren Wohnsitz im Inland hat.

Was rechtens ist, wenn sich ein Unfall bei einer betrieblichen Tätigkeit im Sinne des § 176 Abs. 1 Z. 6 ASVG im Ausland ereignet, ist weder im § 176 ASVG noch in einer anderen Bestimmung dieses Gesetzes ausdrücklich geregelt. Nach § 1 ASVG regelt dieses Bundesgesetz die Allgemeine Sozialversicherung im Inland beschäftigter Personen einschließlich der den Dienstnehmern nach Maßgabe dieses Bundesgesetzes gleichgestellten selbständig Erwerbstätigen und die Krankenversicherung der Pensionisten aus der Allgemeinen Sozialversicherung. Nach § 3 Abs. 1 leg. cit. gelten als im Inland beschäftigt unselbständig Erwerbstätige, deren Beschäftigungsort (§ 30 Abs. 2) im Inland gelegen ist, selbständig Erwerbstätige, wenn der Sitz ihres Betriebes im Inland gelegen ist. Nach § 3 Abs. 2 leg. cit. gelten als im Inland beschäftigt auch bestimmte Dienstnehmer (im Sinne des § 4 Abs. 2 ASVG) und die gemäß § 4 Abs. 1 Z. 9 Versicherten für die Dauer ihrer Beschäftigung im Ausland. § 3 Abs. 3 leg. cit. enthält Einschränkungen dieser vom "Territorialitätsprinzip" und des es erweiternden "Ausstrahlungsprinzips" getragenen Regelungen (vgl. dazu Tomandl in: System des österreichischen Sozialversicherungsrechts, 301). Danach besteht zwar an der Leistungspflicht der mitbeteiligten Partei auf Grund des Unfalles des DIENSTNEHMERS des Hauses der Natur in Salzburg, St., kein Zweifel. Ob aber der (wenn auch "bei einer betrieblichen Tätigkeit, wie sie sonst ein nach § 4 Versicherter ausübt", aber im Ausland geschehene) Unfall des Ehegatten der Beschwerdeführerin unter Heranziehung der §§ 1 und 3 ASVG als ein einem diesbezüglichen Unfall eines Dienstnehmers gleichgestellter Unfall anzusehen ist, oder ob dies - auch auf Grund eines Gegenschlusses aus § 176 Abs. 4 ASVG - verneint werden muß, ist weder ausdrücklich geregelt noch kann es aus den angeführten gesetzlichen Bestimmungen "klar und eindeutig" (im Sinne der genannten Rechtsprechung) abgeleitet werden.

Die für den Bescheid der mitbeteiligten Partei vom 3. September 1991 entscheidende und in ihm auch ausdrücklich zum Ausdruck gebrachte Rechtsauffassung, es komme § 176 Abs. 1 Z. 6 ASVG nur zum Tragen, wenn sich der Unfall im Inland ereignet habe, beruht daher jedenfalls nicht auf einem "offenkundigen Versehen".

Die Beschwerde war deshalb gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen. Von der beantragten mündlichen Verhandlung konnte - im Hinblick auf die allein strittige, im Vorhergehenden näher ausgeführte Rechtsfrage - gemäß § 39 Abs. 2 Z. 6 VwGG abgesehen werden.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung des Bundeskanzlers, BGBl. Nr. 416/1994.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1996:1996080057.X00

Im RIS seit

14.12.2001

Zuletzt aktualisiert am

07.01.2013
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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