TE Vwgh Beschluss 2021/11/11 Ra 2021/21/0233

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Veröffentlicht am 11.11.2021
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Index

001 Verwaltungsrecht allgemein
10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
10/07 Verwaltungsgerichtshof
24/01 Strafgesetzbuch
40/01 Verwaltungsverfahren
41/02 Asylrecht
41/02 Passrecht Fremdenrecht

Norm

AVG §56
B-VG Art133 Abs4
FrPolG 2005 §125 Abs30 idF 2017/I/145
FrPolG 2005 §67
FrPolG 2005 §67 Abs1
FrPolG 2005 §67 Abs3 idF 2011/I/038
FrPolG 2005 §67 Abs4 idF 2017/I/145
FrPolG 2005 §69 Abs2 idF 2011/I/038
FrPolG 2005 §69 Abs2 idF 2017/I/145
FrPolG 2005 §70 Abs1 idF 2011/I/038
StGB §21 Abs2
VwGG §34 Abs1
VwGVG 2014 §17
VwRallg

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sulzbacher und den Hofrat Dr. Pfiel als Richter sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richterin, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Eraslan, über die Revision des D U, vertreten durch Mag. Katharina Jürgens-Schak, Rechtsanwältin in 8010 Graz, Opernring 4/III, gegen Spruchpunkt II. des Erkenntnisses des Bundesverwaltungsgerichtes vom 19. Mai 2021, G314 2137812-4/2E, betreffend Aufhebung eines Aufenthaltsverbotes (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1        Der Revisionswerber, ein polnischer Staatsangehöriger, war - schon vor seinen Aufenthalten in Österreich - mit rechtskräftigem Urteil des Landgerichtes Hamburg vom 27. März 2000 wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit versuchter schwerer Brandstiftung sowie wegen Diebstahls in einem besonders schweren Fall zu einer Freiheitsstrafe von viereinhalb Jahren verurteilt worden. Während der Anhaltung in Strafhaft, aus der er am 10. Oktober 2004 entlassen wurde, hatte der Revisionswerber eine Körperverletzung begangen, weshalb er am 7. Mai 2004 zu einer Geldstrafe verurteilt wurde. In der Folge erging gegen den Revisionswerber mit rechtskräftigem Urteil des Amtsgerichtes Hamburg vom 21. Februar 2005 wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge eine Freiheitsstrafe von zwei Jahren und einem Monat, aus der er am 23. März 2006 entlassen und in den Heimatstaat Polen abgeschoben wurde.

2        Nach seiner darauffolgenden Einreise in Österreich wurde er nach seiner Festnahme am 14. März 2007 mit rechtskräftigem Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 9. Jänner 2008 des Verbrechens der absichtlichen schweren Körperverletzung schuldig erkannt und zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt. Gemäß § 21 Abs. 2 StGB wurde er in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher eingewiesen. Nach dem Inhalt des Schuldspruches habe er am 31. Jänner 2007 in Wien eine andere Person durch Schläge mit den Fäusten und mit einem Teleskopschlagstock ins Gesicht sowie durch einen Messerstich in die linke Bauchseite knapp unterhalb des Rippenbogens absichtlich schwer verletzt.

3        Mit rechtskräftigem Bescheid vom 5. Februar 2009 erließ die Bundespolizeidirektion Wien gegen den Revisionswerber deshalb gemäß § 86 Abs. 1 iVm § 63 Abs. 1 FPG (in der damals geltenden Stammfassung) ein unbefristetes Aufenthaltsverbot.

4        Während der (nach Verbüßung der Freiheitsstrafe erfolgten) Anhaltung im Maßnahmenvollzug wurde der Revisionswerber mit rechtskräftigem Urteil des Landesgerichtes Krems an der Donau vom 9. Juli 2013 wegen des Vergehens der Körperverletzung zu einer sechsmonatigen Freiheitsstrafe verurteilt. Dem Schuldspruch lag zu Grunde, er habe am 3. August 2012 in der Justizanstalt Stein einem Mithäftling - nach Beendigung verbaler und tätlicher Auseinandersetzungen - eine Porzellantasse gegen den Hinterkopf geschlagen und ihn mit einer Schere angegriffen, wodurch er dem Genannten multiple Hautabschürfungen und eine Schnittverletzung zugefügt habe. Mit rechtskräftigem Urteil des Landesgerichtes Steyr vom 7. Jänner 2014 erging gegen den Revisionswerber schließlich wegen einer weiteren, am 30. Mai 2013 während des Maßnahmenvollzuges verübten Körperverletzung eine Zusatzfreiheitsstrafe von einem Monat.

5        Nachdem ein früheres entsprechendes Anbringen ohne Erfolg geblieben war, beantragte der Revisionswerber mit Eingabe vom 4. Juli 2018 (neuerlich) die Aufhebung des gegen ihn bestehenden Aufenthaltsverbotes.

6        Mit Bescheid vom 17. Februar 2019 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) diesen Antrag gemäß § 69 Abs. 2 FPG ab.

7        Mit Spruchpunkt II. des angefochtenen Erkenntnisses vom 19. Mai 2021 - dessen Spruchpunkt I., mit dem eine als Säumnisbeschwerde gewertete Eingabe als unzulässig zurückgewiesen wurde, ist nicht verfahrensgegenständlich - wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) eine gegen den Bescheid vom 17. Februar 2019 vom Revisionswerber erhobene Beschwerde mit der Maßgabe als unbegründet ab, dass das gegen ihn mit Bescheid vom 5. Februar 2009 erlassene Aufenthaltsverbot für die Dauer von zehn Jahren ab dem 24. Mai 2019 aufrecht bleibe. Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG sprach das BVwG aus, dass die Revision nach Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

8        In seiner Begründung stellte das BVwG zunächst den in Rn. 1 bis 5 wiedergegebenen Sachverhalt dar und verwies in Bezug auf das strafbare Verhalten des Revisionswerbers insbesondere auf die beiden, noch während der Anhaltung im Maßnahmenvollzug erfolgten einschlägigen Rückfälle.

Am 24. Mai 2019 sei der Revisionswerber - so ergänzte das BVwG diese Feststellungen - unter Bestimmung einer Probezeit von fünf Jahren bedingt aus dem Maßnahmenvollzug entlassen und am 25. Mai 2019 nach Polen abgeschoben worden. Entgegen dem aufrechten Aufenthaltsverbot sei er wiederholt nach Österreich eingereist und neuerlich abgeschoben worden.

Im Bundesgebiet habe er - wie das BVwG im Einzelnen näher darstellte - Arbeitslosengeld und Krankengeld bezogen, zwischen 27. Dezember 2019 und 12. Oktober 2020 sei er tageweise geringfügig beschäftigt gewesen. Aktuell halte er sich ohne Wohnsitzmeldung im Bundesgebiet auf und beziehe seit 23. Juli 2020 Notstandshilfe. Er sei ledig, ohne Sorgepflichten und weise in Österreich weder Familienangehörige noch nahestehende Bezugspersonen auf. Eine Anmeldebescheinigung sei ihm nie ausgestellt worden, er habe eine solche auch nicht beantragt.

Beim Revisionswerber bestehe keine Störung mehr, die einer geistigen oder seelischen Abartigkeit von höherem Grad im Sinn des § 21 StGB entspreche. Allerdings liege eine querulatorische und dissoziale Persönlichkeitsstörung vor. Darüber hinaus bestünden keine schwerwiegenden gesundheitlichen Probleme.

9        In der rechtlichen Beurteilung führte das BVwG dann aus, aufgrund der damals geltenden Rechtslage sei die Erlassung eines unbefristeten Aufenthaltsverbotes gegen den Revisionswerber mit Bescheid vom 5. Februar 2009 zulässig gewesen. Gemäß § 125 Abs. 16 FPG blieben die vor Inkrafttreten des FrÄG 2011 (mit 1. Juli 2011) erlassenen Aufenthaltsverbote bis zum festgesetzten Zeitpunkt weiterhin gültig. Gemäß § 125 Abs. 25 FPG seien vor Inkrafttreten des FNG (mit 1. Jänner 2014) erlassene Aufenthaltsverbote bis zum festgesetzten Zeitpunkt weiterhin gültig und könnten nach Ablauf des 31. Dezember 2013 gemäß § 69 Abs. 2 und 3 FPG aufgehoben werden oder außer Kraft treten.

10       Da der Revisionswerber nicht zu Freiheitstrafen von mehr als fünf Jahren verurteilt worden sei und auch sonst keine der Voraussetzungen des § 67 Abs. 3 FPG für die Erlassung eines unbefristeten Aufenthaltsverbotes gegen einen EWR-Bürger erfüllt seien, sei die Aufrechterhaltung des unbefristeten Aufenthaltsverbotes gegen ihn unzulässig. Die Konstellation sei vielmehr so zu beurteilen, als wäre gegen ihn von Anfang an ein Aufenthaltsverbot in der nunmehr gemäß § 67 Abs. 2 FPG zulässigen Höchstdauer von zehn Jahren verhängt worden (Hinweis auf VwGH 24.5.2016, Ra 2016/21/0143).

11       Gemäß § 125 Abs. 30 FPG richteten sich der Beginn und der Ablauf der Frist von vor dem 1. November 2017 erlassenen und durchsetzbar gewordenen Aufenthaltsverboten nach § 67 Abs. 4 zweiter Satz FPG idF des FNG. Demnach beginne die Frist nicht wie nach der seit 1. November 2017 geltenden Fassung dieser Bestimmung mit Ablauf des Tages der Ausreise, sondern bereits mit dem Eintritt der Durchsetzbarkeit zu laufen.

Der Eintritt der Durchsetzbarkeit des Aufenthaltsverbotes sei gemäß § 67 Abs. 1 zweiter Satz FPG (in der Stammfassung) bzw. ab 1. Juli 2011 gemäß § 70 Abs. 1 zweiter Satz FPG (in der Fassung des FrÄG 2011) für die Dauer eines Freiheitsentzuges aufgeschoben, auf den wegen einer mit Strafe bedrohten Handlung erkannt worden sei. Demnach sei die Durchsetzbarkeit des gegen den Revisionswerber erlassenen Aufenthaltsverbotes während des Strafvollzuges und der Anhaltung in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher aufgeschoben gewesen; die Frist habe somit erst mit seiner Entlassung aus dem Maßnahmenvollzug am 24. Mai 2019 zu laufen begonnen.

12       Gemäß § 69 Abs. 2 FPG sei ein Aufenthaltsverbot aufzuheben, wenn die Gründe, die zu seiner Erlassung geführt haben, weggefallen seien. Die Prognosebeurteilung, die bei der Aufhebung eines Aufenthaltsverbotes anzustellen sei, sei von den Fremdenbehörden eigenständig aus dem Blickwinkel des Fremdenrechts und unabhängig von gerichtlichen Erwägungen vorzunehmen. Die bedingte Entlassung des Revisionswerbers aus dem Maßnahmenvollzug schließe also nicht dessen weitere Gefährlichkeit in fremdenrechtlicher Hinsicht aus. Dabei sei die einschlägige Straffälligkeit nach Erlassung des Aufenthaltsverbotes als besonders starkes Indiz für die Annahme weiterer Gefährlichkeit zu werten. Dazu verwies das BVwG auch auf die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes, wonach der Gesinnungswandel eines Straftäters grundsätzlich daran zu messen sei, ob und wie lange er sich nach dem Vollzug der Haftstrafe in Freiheit wohlverhalten habe. Der Beobachtungszeitraum sei umso länger anzusetzen, je nachdrücklicher sich die Gefährlichkeit des Fremden in der Vergangenheit manifestiert habe. Das gelte auch im Fall einer (erfolgreich) absolvierten Therapie (Hinweis auf VwGH 19.12.2019, Ra 2019/21/0276).

13       Der in Deutschland strafrechtlich massiv vorbelastete Revisionswerber sei in Österreich - als zurechnungsfähiger Straftäter - wegen wiederholter Körperverletzungsdelikte zu Freiheitstrafen von insgesamt vier Jahren und sieben Monaten verurteilt und in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher eingewiesen worden. Da er nach Erlassung des Aufenthaltsverbotes einschlägig rückfällig geworden und erst vor vergleichsweise kurzer Zeit auf freien Fuß gesetzt worden sei, reiche der Beobachtungszeitraum noch nicht für die Annahme eines Wegfalls oder einer wesentlichen Minderung der von ihm ausgehenden Gefährlichkeit aus, obwohl er seit dem Jahr 2014 nicht mehr strafgerichtlich in Erscheinung getreten sei, sich sein psychischer Gesundheitszustand signifikant gebessert habe und er somit bedingt aus dem Maßnahmenvollzug habe entlassen werden können. Der Revisionswerber werde die während des Maßnahmenvollzuges in einem kontrollierten Umfeld erlernten und verbesserten Verhaltensweisen und Muster zur Rückfallprävention erst durch einen längeren Zeitraum des Wohlverhaltens in Freiheit bestätigen müssen, bevor die Aufhebung des Aufenthaltsverbotes in Betracht komme. Dazu kämen erhebliche Verstöße gegen fremdenrechtliche Bestimmungen durch konsequente Missachtung des Aufenthaltsverbotes und durch die wiederholte, kurz nach Abschiebungen vorgenommene Rückkehr in das Bundesgebiet. Die privaten und familiären Verhältnisse des Revisionswerbers, der in Österreich nicht nachhaltig integriert sei und sich hier überwiegend im Rahmen des Straf- und Maßnahmenvollzuges aufgehalten habe, könnten ebenfalls keine Aufhebung des Aufenthaltsverbotes gebieten. Insgesamt erweise sich somit die Abweisung des darauf gerichteten Antrages als rechtskonform.

14       Dem Umstand, dass gegen den Revisionswerber auf Grund der geänderten Rechtslage kein unbefristetes Aufenthaltsverbot mehr erlassen werden dürfe, sei - so das BVwG abschließend - durch die spruchmäßige Klarstellung Rechnung zu tragen, dass es für zehn Jahre ab der am 24. Mai 2019 eingetretenen Durchsetzbarkeit aufrechterhalten werden könne.

15       Die Durchführung der beantragten Beschwerdeverhandlung habe gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG unterbleiben können, weil der relevante Sachverhalt aus der Aktenlage und dem Beschwerdevorbringen geklärt habe werden können und auch bei einem positiven Eindruck vom Revisionswerber im Rahmen einer mündlichen Verhandlung keine Aufhebung des Aufenthaltsverbotes möglich wäre.

16       Die gegen Spruchpunkt II. dieses Erkenntnisses erhobene Revision erweist sich als unzulässig.

17       Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen das Erkenntnis eines Verwaltungsgerichtes die Revision (nur) zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

18       An den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision nicht gebunden (§ 34 Abs. 1a erster Satz VwGG). Zufolge § 28 Abs. 3 VwGG hat allerdings die außerordentliche Revision gesondert die Gründe zu enthalten, aus denen entgegen dem Ausspruch des Verwaltungsgerichtes die Revision für zulässig erachtet wird. Im Rahmen dieser in der Revision vorgebrachten Gründe hat der Verwaltungsgerichtshof dann die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zu überprüfen (§ 34 Abs. 1a zweiter Satz VwGG).

19       Dazu führt der Revisionswerber ins Treffen, da aufgrund der geänderten Rechtslage gemäß § 67 Abs. 3 FPG gegen ihn kein unbefristetes Aufenthaltsverbot erlassen werden dürfe, hätte es nach Ablauf von zehn Jahren ab seiner Erlassung mit Bescheid vom 5. Februar 2009 spätestens per 5. Februar 2019 aufgehoben werden müssen.

20       Zwar trifft es zu, dass die Voraussetzungen des § 67 Abs. 3 FPG (in der aktuell geltenden Fassung) für die Aufrechterhaltung eines unbefristeten Aufenthaltsverbotes nicht vorliegen, weil der Revisionswerber jeweils zu Freiheitsstrafen von nicht mehr als fünf Jahren verurteilt wurde und unstrittig auch sonst kein in dieser Gesetzesstelle angeführter Tatbestand verwirklicht ist. Dem Umstand, dass aufgrund der geänderten Rechtslage gegen den Revisionswerber kein unbefristetes Aufenthaltsverbot erlassen werden dürfte, ist in der Form nachzukommen, dass nach Ablauf von zehn Jahren das Aufenthaltsverbot (von Amts wegen oder über Antrag) aufzuheben ist (vgl. etwa VwGH 24.1.2012, 2011/18/0267, Punkt II.4.4. der Entscheidungsgründe; siehe überdies das auch vom BVwG zitierte Erkenntnis VwGH 24.5.2016, Ra 2016/21/0143, Rn. 21/22, mwN).

21       Dieser Rechtslage hat allerdings ohnehin das BVwG Rechnung getragen, wobei der Revisionswerber durch den zur Klarstellung vorgenommenen feststellenden Ausspruch, das Aufenthaltsverbot bleibe für die Dauer von zehn Jahren ab dem 24. Mai 2019 aufrecht, für sich genommen nicht in Rechten verletzt wurde. Dieser Ausspruch steht einer früheren Aufhebung des Aufenthaltsverbotes bei Vorliegen der Voraussetzungen nach § 69 Abs. 2 FPG nicht entgegen.

22       Gegen die spruchmäßige Feststellung an sich wendet die Revision auch nichts ein. Sie bekämpft - wie erwähnt - vielmehr nur die dieser Feststellung zugrundeliegende Ansicht des BVwG zum Beginn des Laufs der Frist von zehn Jahren erst mit dem Eintritt der Durchsetzbarkeit des Aufenthaltsverbotes infolge der Entlassung des Revisionswerbers aus dem Maßnahmenvollzug am 24. Mai 2019. Der Revisionswerber bleibt jedoch für seine Auffassung, der Lauf der Frist habe jedenfalls mit der Erlassung des Aufenthaltsverbotsbescheides vom 5. Februar 2009 begonnen und sie sei bereits abgelaufen, eine nachvollziehbare Begründung schuldig und er tritt auch der zutreffenden Darstellung der Rechtslage durch das BVwG nicht mit konkreten Ausführungen entgegen. Es genügt daher, darauf zu verweisen.

23       Allerdings ist das BVwG im vorliegenden Fall - wie klarstellend anzumerken ist - zu Unrecht von der Anwendbarkeit der durch das FrÄG 2017 eingefügten Übergangsbestimmung des § 125 Abs. 30 FPG in Bezug auf den Beginn der im Aufenthaltsverbot festgesetzten Frist, der sich in Verbindung mit § 67 Abs. 4 zweiter Satz FPG (idF des FNG) nach dem Eintritt der Durchsetzbarkeit richtet, ausgegangen. Diese Übergangsregelung gilt nämlich nur für vor dem 1. November 2017 erlassene Aufenthaltsverbote, die vor diesem Zeitpunkt auch durchsetzbar wurden. In diesem Sinn halten auch die Gesetzesmaterialien zu § 125 Abs. 30 FPG (AB 2285/A 25. GP 75) fest, die vorgeschlagene Übergangsvorschrift sehe vor, dass sich, wenn ein Aufenthaltsverbot vor dem 1. November 2017 sowohl erlassen worden als auch durchsetzbar geworden ist, der Beginn und der Ablauf der Frist weiterhin nach der bisherigen Rechtslage richten. Für nach dem 1. November 2017 durchsetzbar werdende Aufenthaltsverbote, die bereits davor erlassen wurden, gilt daher § 67 Abs. 4 zweiter Satz FPG (idF des FrÄG 2017), wonach die Frist des Aufenthaltsverbotes mit Ablauf des Tages der Ausreise beginnt. Dass das gegenständliche Aufenthaltsverbot gegen den Revisionswerber, der nach dessen Erlassung durchgehend bis 24. Mai 2019 in Strafhaft bzw. im Maßnahmenvollzug angehalten wurde, im Hinblick auf die vom BVwG zutreffend herangezogenen Bestimmungen des § 67 Abs. 1 zweiter Satz FPG (in der Stammfassung) bzw. ab 1. Juli 2011 des § 70 Abs. 1 zweiter Satz FPG (in der Fassung des FrÄG 2011) erst nach dem 1. November 2017 durchsetzbar wurde, ist evident (siehe dazu auch VwGH 29.9.2020, Ra 2020/21/0297, Rn. 9). Es wäre daher der Beginn der zehnjährigen Dauer des Aufenthaltsverbotes angesichts der Abschiebung des Revisionswerbers am 25. Mai 2019, die auch als „Ausreise“ im Sinne des § 67 Abs. 4 zweiter Satz FPG anzusehen ist, richtigerweise mit 26. Mai 2019 anzunehmen gewesen. Durch das vom BVwG vorgenommene Abstellen auf den 24. Mai 2019 ist der Revisionswerber aber nicht in Rechten verletzt.

24       In der Revision wird dann noch gerügt, dass das BVwG ungeachtet der Entlassung aus dem Maßnahmenvollzug weiterhin von einer Gefährlichkeit des Revisionswerbers ausgegangen ist und das Aufenthaltsverbot nicht nach § 69 Abs. 2 FPG aufgehoben hat.

25       Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kann jedoch eine Gefährdung im Sinne des § 67 FPG auch bei einer Entlassung aus dem Maßnahmenvollzug bejaht werden, wenn nicht etwa die Behandlung und Medikation Gewähr dafür bieten, dass eine derartige Gefährdung künftig auszuschließen sein werde (vgl. etwa VwGH 19.11.2020, Ra 2020/21/0088, Rn. 12, mit dem Hinweis auf VwGH 20.12.2018, Ra 2018/21/0112, Rn. 9, mwN; siehe neuerlich auch VwGH 29.9.2020, Ra 2020/21/0297, nunmehr Rn. 10, mwN). Zwar wird, wie der Revisionswerber darlegt, die Aufhebung der Unterbringung im Maßnahmenvollzug erst dann angeordnet, wenn sie vom Strafgericht - aufgrund entsprechender Gutachten - nicht mehr zur Verhinderung von Straftaten mit schweren Folgen für notwendig erachtet wird. Dieser Umstand schließt es aber nicht aus, dass aus fremdenrechtlicher Sicht, also unter Anlegung des gebotenen eigenständigen fremdenpolizeilichen Beurteilungsmaßstabes, auch über die Dauer der Unterbringung hinaus eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit zu bejahen sein kann, die ein Aufenthaltsverbot erfordert (so etwa schon VwGH 19.5.2011, 2008/21/0042, mwN; siehe allgemein zum ausschließlich gebotenen fremdenpolizeilichen Beurteilungsmaßstab etwa VwGH 30.4.2021, Ra 2021/21/0071, Rn. 15).

26       Das Vorliegen einer solchen Gefährdung - auch für die vorliegend maßgebliche Zeit nach der Unterbringung in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher - hat das BVwG auf Basis des § 69 Abs. 2 FPG schlüssig dargelegt. Die diesbezügliche Argumentation des BVwG mit der Schwere der vom Revisionswerber gesetzten strafbaren Verhaltensweisen, der wiederholten, zum Teil raschen und einschlägigen Rückfälle, der Setzung weiterer einschlägiger Delikte selbst nach Erlassung des Aufenthaltsverbotes und während der Anhaltung im Maßnahmenvollzug sowie der fremdenrechtlich bedeutsamen, zuletzt erfolgten wiederholten Missachtung des aufrechten Aufenthaltsverbotes ist nämlich nicht zu beanstanden. Es trifft im Übrigen auch der in der Revision erhobene Vorwurf nicht zu, das BVwG habe sich nicht mit dem gutachtlich attestierten Wegfall der für den Maßnahmenvollzug geforderten Gefährlichkeit auseinandergesetzt.

27       Schließlich war es bei Berücksichtigung aller Umstände vertretbar, dass das BVwG von einem geklärten Sachverhalt iSd § 21 Abs. 7 BFA-VG und insgesamt von einem eindeutigen Fall ausging, sodass es die in der Beschwerde beantragte Durchführung einer mündlichen Verhandlung auch zur Verschaffung eines persönlichen Eindrucks für entbehrlich erachten durfte. Die in der Revision auch noch geltend gemachte Verletzung der Verhandlungspflicht führt daher nicht zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung.

28       Bei dem letztlich noch vorgetragenen Revisionsvorbringen, der Revisionswerber sei seit 18. Mai 2021 in Wien als Koch beschäftigt, führe seit Winter 2019 eine glückliche Lebensgemeinschaft und habe seit seiner Entlassung aus dem Maßnahmenvollzug im Einzelnen näher bezeichnete Kurse besucht, handelt es sich um im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof unzulässige und daher unbeachtliche Neuerungen.

29       Insgesamt wird somit vom Revisionswerber keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung iSd Art. 133 Abs. 4 B-VG aufgezeigt, sodass die Revision gemäß § 34 Abs. 1 und 3 VwGG mit Beschluss zurückzuweisen war.

Wien, am 11. November 2021

Schlagworte

Anzuwendendes Recht Maßgebende Rechtslage VwRallg2 Auslegung Anwendung der Auslegungsmethoden Verhältnis der wörtlichen Auslegung zur teleologischen und historischen Auslegung Bedeutung der Gesetzesmaterialien VwRallg3/2/2 Individuelle Normen und Parteienrechte Rechtsanspruch Antragsrecht Anfechtungsrecht VwRallg9/2 Maßgebende Rechtslage maßgebender Sachverhalt

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2021:RA2021210233.L00

Im RIS seit

09.12.2021

Zuletzt aktualisiert am

20.12.2021
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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