TE Vwgh Erkenntnis 2021/11/15 Ra 2020/11/0050

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Veröffentlicht am 15.11.2021
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Index

E6J
001 Verwaltungsrecht allgemein
10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
20/01 Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch (ABGB)
60/01 Arbeitsvertragsrecht

Norm

ABGB §7
AVRAG 1993 §7i Abs5
B-VG Art7 Abs1
LSD-BG 2016 §29 Abs1
VwRallg
62018CJ0064 Maksimovic VORAB

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Schick und den Hofrat Dr. Grünstäudl sowie die Hofrätin Dr. Pollak als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Vitecek, über die Revision des K F in K, vertreten durch Dr. Heimo Jilek und Dr. Martin Sommer, Rechtsanwälte in 8700 Leoben, Erzherzog-Johann-Straße 7, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Steiermark vom 12. Februar 2020, Zl. LVwG 33.22-2718/2019-16, betreffend Übertretung des AVRAG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bezirkshauptmannschaft Bruck-Mürzzuschlag),

Spruch

I. den Beschluss gefasst:

Die Revision wird, soweit sie sich gegen die Schuldsprüche des angefochtenen Erkenntnisses richtet, zurückgewiesen.

II. zu Recht erkannt:

Im Übrigen, also im Umfang des Strafausspruchs und des Ausspruchs über den Beitrag zu den Verfahrenskosten, wird das angefochtene Erkenntnis wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1        Mit dem angefochtenen, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung ergangenen Erkenntnis wurde der Revisionswerber in teilweiser Bestätigung und teilweiser Abänderung des Straferkenntnisses der belangten Behörde vom 1. Oktober 2019 schuldig erkannt, er habe es als handelsrechtlicher Geschäftsführer der F GmbH zu verantworten, dass im Dezember 2016 zwölf namentlich genannte Arbeitnehmer beschäftigt worden seien, ohne ihnen das nach dem Kollektivvertrag für das Gewerbe der Arbeitskräfteüberlassung zustehende Entgelt unter Beachtung der jeweiligen Einstufungskriterien geleistet zu haben. Dadurch habe der Revisionswerber jeweils gegen § 7i Abs. 5 des Arbeitsvertragsrechts-Anpassungsgesetzes (AVRAG) verstoßen, weswegen über ihn nach dieser Bestimmung in zehn Fällen pro Arbeitnehmer je eine Geldstrafe und eine Ersatzfreiheitsstrafe verhängt wurde. In zwei Fällen wurde gemäß § 7i Abs. 6 AVRAG von einer Bestrafung abgesehen. Zusätzlich wurde der Revisionswerber gemäß § 52 Abs. 1 und 2 VwGVG zur Zahlung eines Kostenbeitrags für das Beschwerdeverfahren von € 1.200,-- verpflichtet. Gleichzeitig erklärte das Verwaltungsgericht die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig.

2        Begründend stellte das Verwaltungsgericht im Wesentlichen fest, aufgrund einer Anzeige der Gebietskrankenkasse seien Unterentlohnungen der zwölf genannten Arbeitnehmer von bis zu 85,11 % hervorgekommen. Der Revisionswerber habe seit dem Jahr 2015 eine (namentlich angeführte) Steuerberatungskanzlei mit der Lohnverrechnung beauftragt. Im Jahr 2016 habe er die Stundenzettel seiner Mitarbeiter eigenständig ausgewertet und diese Auswertungen der Steuerberatungskanzlei mit dem Auftrag übermittelt, die Lohnabrechnung zu erstellen. Die Abrechnung habe die Steuerberatungskanzlei dann aufgrund der Vorgaben des Revisionswerbers erstellt und an den Revisionswerber gesandt, welcher in der Folge die Auszahlungen selbst vorgenommen habe. Rechtlich führte das Verwaltungsgericht aus, das Verschulden des Revisionswerbers übersteige leichte Fahrlässigkeit, weil das Vorbringen des Revisionswerbers, die Unterentlohnungen seien auf unrichtige Abrechnungen der Steuerberatungskanzlei zurückzuführen, nicht zutreffe. Vielmehr sei die Abrechnung anhand der eigenen - inkorrekten - Angaben des Revisionswerbers durchgeführt worden, sodass die Unterentlohnungen auf diesem Umstand, nicht aber auf Abrechnungsfehlern der Steuerberatungskanzlei beruhten. Im Übrigen müsste sich der Revisionswerber auch allfällige Versäumnisse der beauftragten Steuerberatungskanzlei zurechnen lassen, da im Verfahren nicht hervorgekommen sei, dass er die Lohnabrechnungen kontrolliert hätte.

3        Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision, zu der das Verwaltungsgericht die Verfahrensakten vorgelegt hat. Eine Revisionsbeantwortung wurde nicht erstattet.

4        Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Revision erwogen:

Zu Spruchpunkt I.:

5        Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

6        Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.

7        Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof ausschließlich im Rahmen der dafür in der Revision gesondert vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen (VwGH 27.4.2020, Ra 2019/11/0045, mwN). Dem Erfordernis einer (gesonderten) Zulässigkeitsbegründung wird insbesondere nicht schon durch nähere Ausführungen zur behaupteten Rechtswidrigkeit der bekämpften Entscheidung (§ 28 Abs. 1 Z 5 VwGG) oder zu den Rechten, in denen sich der Revisionswerber verletzt erachtet (§ 28 Abs. 1 Z 4 VwGG), Genüge getan (vgl. etwa die Beschlüsse VwGH 23.3.2017, Ra 2017/11/0014, und VwGH 1.9.2017, Ra 2017/11/0225, jeweils mwN).

8        Zur Zulässigkeit der Revision wird vorgebracht, das Verwaltungsgericht weiche bei der Beurteilung des Verschuldens von hg. Judikatur ab, wenn es davon ausgehe, der Revisionswerber habe trotz Beauftragung einer renommierten Steuerberatungskanzlei mit der Personalverrechnung die von der Kanzlei erbrachten Leistungen zu kontrollieren. Dieses Vorbringen geht schon deshalb ins Leere, weil sich das angefochtene Erkenntnis bei der Verneinung leichter Fahrlässigkeit nicht tragend (sondern nur „im Übrigen“) auf diese Argumentation stützte. Vielmehr begründete das Verwaltungsgericht das leichte Fahrlässigkeit übersteigende Verschulden des Revisionswerbers damit, dass dieser selbst der Steuerberatungskanzlei unzureichende und falsche Daten übermittelt habe (vgl. zur Unzulässigkeit einer Revision bei einer tragfähigen Alternativbegründung VwGH 16.12.2014, Ra 2014/11/0095, mwN).

9        Somit werden in der Revision zu den Schuldsprüchen des angefochtenen Erkenntnisses keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher insoweit gemäß § 34 Abs. 1 VwGG zurückzuweisen.

Zu Spruchpunkt II.:

10       Hinsichtlich der Aussprüche über die Strafen und die Kosten erweist sich die Revision schon deshalb als zulässig und begründet, weil mit dem angefochtenen Erkenntnis je eine Strafe pro Arbeitnehmer verhängt wurde.

11       Wie der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 12. Oktober 2021, Ra 2019/11/0015, 0016, auf welches gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen wird, im Zusammenhang mit der Novelle zum Lohn- und Sozialdumping-Bekämpfungsgesetz (LSD-BG), BGBl. I Nr. 174/2021, dargelegt hat, ist auch in nach dem AVRAG zu beurteilenden Fällen davon auszugehen, dass - unabhängig von der Anzahl der betroffenen Arbeitnehmer - nur mehr eine einzige Verwaltungsübertretung vorliegt, für die ohne Anwendung einer Mindeststrafe eine einzige Strafe zu verhängen ist. Dies kommt in allen anhängigen Verfahren zur Anwendung, auch in Revisionsverfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof.

12       Vor diesem Hintergrund erweist sich das angefochtene Erkenntnis, mit dem zehn Strafen verhängt wurden, in seinem Strafausspruch ebenso wie im damit zusammenhängenden Kostenausspruch als inhaltlich rechtswidrig. Es war daher insofern gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

13       Die Durchführung der beantragten Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 1 und 5 VwGG unterbleiben.

14       Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff. VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 15. November 2021

Gerichtsentscheidung

EuGH 62018CJ0064 Maksimovic VORAB

Schlagworte

Auslegung Anwendung der Auslegungsmethoden Analogie Schließung von Gesetzeslücken VwRallg3/2/3

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2021:RA2020110050.L00

Im RIS seit

06.12.2021

Zuletzt aktualisiert am

04.01.2022
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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