TE Lvwg Erkenntnis 2021/11/8 LVwG-2021/20/1366-5

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 08.11.2021
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Entscheidungsdatum

08.11.2021

Index

90/01 Straßenverkehrsrecht
40/01 Verwaltungsverfahren

Norm

StVO 1960 §44b Abs1
Pisten- und Loipenverordnung der Gemeinde St. Anton am Arlberg §3
VStG §45 Abs1 Z2

Text

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Landesverwaltungsgericht Tirol erkennt durch seinen Richter Dr. Stöbich über die Beschwerde des Herrn AA, **** Z, vertreten durch Herrn BB, **** Y, gegen das Straferkenntnis des Bürgermeisters der Gemeinde X vom 22.03.2021, Zl ***, betreffend eine Übertretung der Pisten- und Loipenordnung der Gemeinde X,

zu Recht:

1.       Der Beschwerde wird Folge gegeben, das angefochtene Straferkenntnis behoben und das Verwaltungsstrafverfahren gemäß § 45 Abs 1 Z 2 Verwaltungsstrafgesetz (VStG) eingestellt.

2.       Die ordentliche Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e

I.       Verfahrensgang:

Mit dem angefochtenen Straferkenntnis wurde dem Beschwerdeführer Folgendes vorgeworfen:

„Sie haben folgende Verwaltungsübertretung begangen:

Tatort

Gemeindegebiet X, Bezirk W B *** CC-Straße

Tatzeit

15.01.2021 um 16:50 Uhr

Beschreibung der Tat

Sie haben als alpiner Schiläufer die Trasse der B *** CC-Straße talwärts befahren, obwohl diese wegen akuter Lawinengefahr von der Lawinenwarnkommission zur Benützung gesperrt war. Diese Sperre war bei Straßenkilometer *** der
B *** CC-Straße durch die Aktivierung eines Sperrschrankens, auf dem sich eine entsprechende Hinweistafel befand, eindeutig als solche erkennbar.

Sie haben durch Ihr Verhalten eine Verwaltungsübertretung begangen, indem Sie gegen § 3 der Pisten- und Loipenordnung der Gemeinde X vom 11.11.2004 verstoßen haben, in welcher das Befahren und Betreten von Schigelände (Pisten, Routen, Loipen und Snowboardparks) und anderen Grundstücken, welche bei Lawinengefahr gesperrt sind, verboten ist und bei Zuwiderhandeln gemäß § 7 dieser Verordnung eine Geldstrafe von bis zu Euro 1.820,-- zu verhängen ist.

Wegen dieser Verwaltungsübertretung wird über Sie folgende Strafe verhängt:

Geldstrafe von Euro

falls diese uneinbringlich ist, Ersatzfreiheitsstrafe von

Freiheitsstrafe von

gemäß

300,--

12 Stunden

keine

§ 3 der Pisten- und Loipenordnung der Gemeinde X

Ferner haben Sie gemäß § 64 des Verwaltungsstrafgesetzes 1991 zu zahlen:

Euro 30,-- als Beitrag zu den Kosten des Strafverfahrens, das sind 10 % der Strafe, mindestens jedoch Euro 10,-- (ein Tag Freiheitsstrafe gleich Euro 100,--)“

In der Begründung dieser Entscheidung verwies die belangte Behörde auf die von ihr durchgeführten Ermittlungen, so insbesondere auf die Einvernahme von DD, der an diesem Tag als Mitglied der Lawinenkommission beschäftigt gewesen sei. Im gegenständlichen Fall sei durch befugte Personen eine Sperre der B *** CC-Straße aktiviert worden. Der Beschwerdeführer sei gemeinsam mit vier weiteren Schiläufern auf frischer Tat beim Befahren der wegen Lawinengefahr gesperrten Straße der B *** CC-Straße betreten worden. Die Sperre der B *** CC-Straße sei am 14.01.2021 von der Lawinenkommission beschlossen und von Mitarbeitern der Straßenmeisterei V am selben Tag um 15:00 Uhr durch Herablassen des Sperrschrankens aktiviert worden. Bei der angelasteten Übertretung handle es sich um ein Ungehorsamsdelikt. Dem Beschwerdeführer sei es nicht gelungen, mangelndes Verschulden an der Verletzung der Verwaltungsvorschrift glaubhaft zu machen.

Im Rahmen der Strafbemessung wurde ausgeführt, dass die Behörde ursprünglich davon ausgegangen sei, dass die Gruppe eine Lawinensprengung verhindert habe, was sich als falsch herausgestellt hat. Es wurde von durchschnittlichen (wirtschaftlichen) Verhältnissen ausgegangen. Es sei eine Geldstrafe bis zu Euro 1.820,00 möglich.

Gegen dieses Straferkenntnis hat der rechtsfreundlich vertretene Beschwerdeführer innerhalb offener Frist Beschwerde erhoben und im Wesentlichen ausgeführt, dass er keine Kenntnis von einer etwaigen Straßensperre gehabt hätte. Er sei an keinem Verbotsschild vorbeigekommen. Ein Schild am Anfang einer Straße möge zwar geeignet sein, die Sperre einem Autolenker kundzutun. Jedoch hätten Schifahrer, die vom freien Gelände eingefahren wären, dieses Schild, welches sich einige Kilometer unter ihnen befunden hätte, nicht erkennen können.

Im Übrigen sei die dem Bescheid zugrundeliegende Verordnung derart mangelhaft, dass kein Straferkenntnis darauf gestützt werden könne. In diesem Zusammenhang wurde insbesondere geltend gemacht, dass keine ordnungsgemäße Kundmachung auf der digitalen Amtstafel der Gemeinde X erfolgt sei.

Entsprechend § 8 der gegenständlichen Verordnung sei diese während der Wintersaison an den Berg- und Talstationen der Seilbahnen und Schilifte auszuhängen. Dies wäre jedenfalls unzureichend, um Tourengeher und andere Schifahrer im freien Gelände von der Verordnung in Kenntnis zu setzen. Darüber hinaus werde ausdrücklich bestritten, dass die gegenständliche Verordnung überhaupt an allen Tal- und Bergstationen gut sichtbar ausgehängt werde.

Im Übrigen sei die Formulierung des § 3 der Verordnung unklar und unverständlich. Ein Normunterworfener könne nicht erkennen, welches Verhalten verboten sein solle. Selbst wenn es sich um einen Grammatikfehler handeln würde, sei die Regelung noch immer zu unbestimmt. Es wurde nicht dargetan, welche Grundstücke überhaupt umfasst seien und wer die Befugnis habe, diese Grundstücke zu sperren. Es ergebe sich auch nicht in eindeutiger und leicht verständlicher Weise, wie diese Sperre erfolge, kundgemacht werde oder potentiellen Betretern bzw Befahrern überhaupt angezeigt werde. Es würden die Erfordernisse des Bestimmtheitsgrundsatzes nach Art 18 B-VG nicht erfüllt werden. Die Bestimmung sei daher verfassungswidrig und aufzuheben.

Der Beschwerdeführer hätte von der Sperre nichts gewusst. Im Falle der Kenntnis des Verbotes hätte er die Straße nicht benutzt. Das Verschulden des Beschwerdeführers sei, sofern ein solches überhaupt vorliege, gering. Eine Ermahnung wäre jedenfalls ausreichend. Die verhängte Strafe sei eklatant überhöht.

Mit Schreiben vom 11.05.2021 legte die belangte Behörde dem Landesverwaltungsgericht den gegenständlichen Akt sowie drei Akten betreffend Parallelverfahren vor. Darin wurde der Verfahrensgang des verwaltungsbehördlichen Verfahrens sowie der „rechtsrelevante Sachverhalt“ nochmals dargelegt. Abschließend wurde seitens der belangten Behörde beantragt, den gegenständlichen Beschwerden keine Folge zu leisten und diese als unbegründet abzuweisen.

Nach dem Einlangen beim Landesverwaltungsgericht wurden die gegenständlichen Verfahren entsprechend der Geschäftsverteilung des Landesverwaltungsgerichts Tirol an vier verschiedene RichterInnen zugewiesen.

In der Folge wurden vom Landesverwaltungsgericht in den gegenständlichen Verfahren Ermittlungen durchgeführt. So wurde etwa bei der Gemeinde X die Pisten- und Loipenordnung (Beschluss des Gemeinderates vom 10.11.2004) eingeholt. Auf eine entsprechende Anfrage wurde seitens der Gemeinde mitgeteilt, dass die Pisten- und Loipenordnung vom 11.11.2004 bis zum 26.11.2004 an der Amtstafel an der Gemeinde angeschlagen gewesen sei.

Auf Ersuchen des Landesverwaltungsgerichts wurde von der Gemeinde X mit Schreiben vom 29.09.2021 eine ergänzende Stellungnahme abgegeben und wurden mehrere Anlagen übermittelt. So wurde mitgeteilt, dass in Bezug auf den Aushang der Pisten- und Loipenordnung während der Wintersaison an den Liftstationen erhoben worden sei, dass nicht der gesamte Verordnungstext in der Wintersaison 2020/21 ausgehängt gewesen sei. Vielmehr sei auf jeder Panoramatafel im Schigebiet ausdrücklich darauf hingewiesen worden, dass das Befahren von gesperrten Pisten gemäß der Pisten- und Loipenverordnung der Gemeinde X verboten sei. Ergänzend wurden auch Lichtbilder einer solchen Panoramatafel übermittelt. Die belangte Behörde merkte an, dass damit dem Erfordernis gemäß § 8 der betreffenden Verordnung genüge getan worden sei.

Schließlich wurde auf Nachfrage beim Amt der Tiroler Landesregierung, Abteilung Gemeinden, mit Schreiben vom 01.10.2021 mitgeteilt, dass die in Rede stehende Pisten- und Loipenordnung der Abteilung Gemeinden nicht zur Verordnungsprüfung nach § 122 der Tiroler Gemeindeordnung 2001 vorgelegt worden sei.

II.      Sachverhalt:

Die Gemeinde X hat mit Beschluss des Gemeinderates dieser Gemeinde vom 10.11.2004 gemäß § 18 Tiroler Gemeindeordnung 2001 und § 6 Abs 6 Tiroler Landespolizeigesetz eine Pisten- und Loipenordnung erlassen. Diese ortspolizeiliche Verordnung hat auszugsweise folgenden Wortlaut:

„[…]

§ 3

Das Befahren und Betreten von Schigelände (Pisten, Routen, Loipen und Snowboardparks) und anderen Grundstücken, z.B. wegen Lawinengefahr oder wegen der Durchführung von

Wettkampfveranstaltungen gesperrt sind, ist verboten. Ausgenommen sind Befahrungen zu Rettungszwecken, im Rahmen von Sucheinsätzen und das Betreten durch vom Wettkampfveranstalter autorisierte Personen.

[…]

§ 7

1) Übertretungen dieser Verordnung werden außer in den in Abs. 2 genannten Fällen mit einer Geldstrafe bis zu 1.820,— bestraft.

2) Hundehalter, die dem § 2 Abs. 2 zuwiderhandeln, werden mit einer Geldstrafe bis zu

360,— bestraft.

§ 8

Diese Verordnung tritt am Tage der Kundmachung an der Gemeindetafel in Kraft und ist jeweils während der Wintersaison an den Berg- und Talstationen der Seilbahnen und Schilifte gut sichtbar auszuhängen.“

Diese Verordnung wurde am 11.11.2004 auf der Amtstafel der Gemeinde X angeschlagen und am 26.11.2004 abgenommen.

In der hier maßgeblichen Wintersaison 2020/21 war der gesamte Verordnungstext nicht an (allen) Berg- und Talstationen der Seilbahnen und Schilifte gut sichtbar ausgehängt. Es wurde vielmehr auf jeder Panoramatafel – neben weiteren Informationen wie etwa der Zeiten, wann Schipisten täglich außer Betrieb und damit gesperrt sind – der Hinweis, dass „das Befahren von gesperrten Pisten gemäß der Pisten- und Loipenordnung der Gemeinde X verboten ist“.

Vom 13. bis zum 15.01.2021 gab es im Raum X starke Schneefälle und es herrschte Lawinenstufe 4. Aufgrund akuter Lawinengefahr waren weite Teile des Schigebietes gesperrt. Am 14.01.2021 um 15:00 Uhr wurde auch die Sperre der B *** CC-Straße von Mitarbeitern der Straßenmeisterei V aktiviert. Es wurde daher die B *** CC-Straße wenige Meter nach dem Hinweiszeichen „Ortsende“ (nach dem EE) mit einem Schranken gesperrt. Auf diesem Schranken waren Vorschriftszeichen gemäß § 52 lit a StVO (Fahrverbot) und gemäß § 52 lit a Z 14b StVO (Verbot für Fußgänger) angebracht.

Um ca 16:50 Uhr hielt sich eine fünfköpfige Gruppe von Schifahrern, darunter auch der Beschwerdeführer auf der gesperrten Trasse der B *** CC-Straße in der Nähe des Schrankens auf.

Die Gruppe wurde dort von zwei Mitgliedern der Lawinenkommission und einem Mitglied der Pistenrettung angehalten und zur Rede gestellt. Sie wurden dabei auf die Sperre und die hohe Lawinengefahr und die damit verbundenen Gefahren hingewiesen, wobei sich die Schifahrer wenig einsichtig zeigten. Letztlich kam es zur Anzeigenerstattung.

III.    Beweiswürdigung:

Es ist unstrittig, dass sich der Beschwerdeführer als Teil einer fünfköpfigen Schigruppe zum Tatzeitpunkt auf der Trasse der B *** CC-Straße befunden hat.

Die Beschilderung bzw Abschrankung ergibt sich aufgrund der Ausführungen der belangten Behörde in ihrem Schreiben vom 11.05.2021 sowie einem von der Gemeinde X übermittelten Lichtbild.

Dass nicht der gesamte Verordnungstext an den Liftstationen angebracht war, sondern vielmehr lediglich das Verbot des Befahrens von gesperrten Pisten gemäß der Pisten- und Loipenordnung der Gemeinde X auf Panoramatafeln im Schigebiet angeführt war und ist, wurde von der Gemeinde X in ihrem Schreiben vom 29.09.2021 dargelegt und durch entsprechende Lichtbilder dokumentiert.

Die Kundmachung der Verordnung an der Amtstafel nach Beschlussfassung vom 10.11.2004 ist durch die Anführung der Daten unter dem Verordnungstext, wann die Verordnung angeschlagen bzw abgenommen wurde, dokumentiert. Dass die Verordnung nicht der Abteilung Gemeinden des Amtes der Tiroler Landesregierung vorgelegt wurde, wurde von der zuständigen Abteilung des Amtes der Tiroler Landesregierung bestätigt.

IV.      Rechtsgrundlagen:

Die hier maßgeblichen Bestimmungen der Straßenverkehrsordnung BGBl. Nr. 159/1960 (StVO) in der hier maßgeblichen Fassung BGBl. I Nr. 77/2019 haben folgende Wortlaut:

§ 43. Verkehrsverbote, Verkehrserleichterungen und Hinweise

(1) Die Behörde hat für bestimmte Straßen oder Straßenstrecken oder für Straßen innerhalb eines bestimmten Gebietes durch Verordnung

         a)       wenn ein Elementarereignis bereits eingetreten oder nach den örtlich gewonnenen Erfahrungen oder nach sonst erheblichen Umständen mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist, die zum Schutze der Straßenbenützer oder zur Verkehrsabwicklung erforderlichen Verkehrsverbote oder Verkehrsbeschränkungen zu erlassen;

(…)

§ 44b. Unaufschiebbare Verkehrsbeschränkungen

(1) Im Falle der Unaufschiebbarkeit dürfen die Organe der Straßenaufsicht, des Straßenerhalters, der Feuerwehr, des Bundesheeres oder des Gebrechendienstes öffentlicher Versorgungs- oder Entsorgungsunternehmen (zB Gasgebrechendienste) nach Erfordernis eine besondere Verkehrsregelung durch Anweisungen an die Straßenbenützer oder durch Anbringung von Verkehrsampeln oder Signalscheiben veranlassen oder eine der in § 43 Abs. 1 lit. b Z 1 und 2 bezeichneten Maßnahmen durch Anbringung der entsprechenden Straßenverkehrszeichen oder Bodenmarkierungen mit der Wirkung treffen, als ob die Veranlassung oder Maßnahme von der Behörde getroffen worden wäre. Dies gilt insbesondere,

         a)       wenn ein Elementarereignis bereits eingetreten oder nach den örtlich gewonnenen Erfahrungen oder nach sonst erheblichen Umständen mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist,

         b)       bei unvorhersehbar aufgetretenen Straßen- oder Baugebrechen u. dgl.,

         c)       bei unvorhersehbar eingetretenen Ereignissen, wie zB Brände, Unfälle, Ordnungsstörungen u. dgl., die besondere Verkehrsverbote oder Verkehrsbeschränkungen oder eine besondere Verkehrsregelung (zB Einbahnverkehr, abwechselnder Gegenverkehr, Umleitungen u. dgl.) erfordern.

(…)

§ 45 Verwaltungsstrafgesetz (VStG) BGBl. Nr. 52/1991 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 33/2013, hat folgenden Wortlaut:

(1) Die Behörde hat von der Einleitung oder Fortführung eines Strafverfahrens abzusehen und die Einstellung zu verfügen, wenn

         (…)

         2.       der Beschuldigte die ihm zur Last gelegte Verwaltungsübertretung nicht begangen hat oder Umstände vorliegen, die die Strafbarkeit aufheben oder ausschließen;

         (…).

V.       Rechtliche Erwägungen:

Bei der von der belangten Behörde herangezogenen Pisten- und Loipenordnung handelt es sich um eine ortspolizeiliche Verordnung der Gemeinde X, die „zum Zweck der Abwehr von Gefahren auf Schipisten und Loipen“ auf der Grundlage des § 8 der Tiroler Gemeindeordnung 2001 sowie des § 6 Abs 6 Tiroler Landespolizeigesetz erlassen wurde.

Die Abwehr von Gefahren durch Lawinen für Personen und Sachen stellt eine Angelegenheit des eigenen Wirkungsbereichs der Gemeinde dar. Sie kann daher im Rahmen der "örtlichen Sicherheitspolizei" des Art 118 Abs 3 Z 3 B-VG (Maßnahmen zur Abwehr allgemeiner Gefahren für die öffentliche Sicherheit, Gesundheit usw) Pisten- und Loipenordnungen erlassen, mit denen Regelungen getroffen werden, die der Abwehr von Gefahren auf Pisten und Loipen dienen.

Im gegenständlichen Fall hat die Gemeinde X mit Beschluss vom 10.11.2004 eine Pisten- und Loipenordnung beschlossen, die durch Aushang an der Amtstafel auch entsprechend kundgemacht wurde.

Im § 3 dieser Verordnung wurde, wenn auch, weil unvollständig, sprachlich verunglückt (nach dem ersten Halbsatz fehlt das Wort „die“), festgelegt, dass das Befahren und Betreten von Schigelände (Pisten, Routen, Loipen und Snowboardparks), aber auch von anderen Grundstücken, die zB wegen Lawinengefahr oder wegen der Durchführung von Wettkampfveranstaltungen gesperrt sind, verboten ist.

Es mag im gegenständlichen Fall dahingestellt bleiben, inwieweit das Abstellen auf „andere Grundstücke“ im Hinblick auf jene Angelegenheiten, die durch eine derartige ortspolizeiliche Verordnung geregelt werden dürfte, hinreichend bestimmt ist. Fest steht, dass es sich bei jenem Ort, an welchem der Beschwerdeführer sowie seine Begleiter angetroffen wurden, um die Trasse der B *** CC-Straße handelt. In der Begründung des angefochtenen Straferkenntnisses führte die belangte Behörde aus, dass die Lawinenkommission am 14.01.2021 eine Straßensperre veranlasst und diese an diesem Tag um 15.00 Uhr von der Straßenmeisterei V aktiviert worden sei. Die belangte Behörde geht in Bezug auf diese Sperre der B *** CC-Straße von einem Anwendungsbereich der Pisten- und Loipenordnung, insbesondere von der Anwendbarkeit des § 3 dieser Verordnung aus, wonach es verboten ist, ein gesperrtes Schigelände bzw andere gesperrte Grundstücke zu befahren und zu betreten.

Eine ortspolizeiliche Verordnung darf nicht gegen bestehende Gesetze oder Verordnungen (iS einer materiellen Derogation) verstoßen. Sie darf nicht einmal eine inhaltsgleiche Regelung enthalten. Im gegenständlichen Fall geht es um eine durch akute Lawinengefahr veranlasste Sperre der B *** CC-Straße. Verkehrsbeschränkungen und Verkehrsverbote auf Straßen sind stets nach den Bestimmungen der StVO zu verfügen. Die allgemeine Regelung für Verkehrsverbote und Verkehrsbeschränkungen aufgrund eines bereits eingetretenen oder zu erwartenden Lawinenereignisses ist in § 43 Abs 1 lit a StVO festgelegt. Zuständig für die Erlassung einer solchen Verordnung ist in der Regel die Bezirksverwaltungsbehörde, was sich auf § 94b Abs 1 lit b StVO gründet. Im Falle der Erforderlichkeit unaufschiebbarer Verkehrsbeschränkungen sieht § 44b Abs 1 StVO die Möglichkeit vor, dass Organe der Straßenaufsicht sowie Organe anderer näher angeführter Organisationen bzw Unternehmen wie öffentlichen Versorgungsdiensten (unverzüglich) entsprechende besondere Verkehrsregelungen erlassen dürfen.

Dies bedeutet, dass die von der belangten Behörde herangezogene Pisten- und Loipenordnung hinsichtlich des im gegenständlichen Fall angelasteten Tatorts (die von einer Verkehrssperre erfasste Trasse der B *** CC-Straße) nicht zur Anwendung gelangt. Dem Beschwerdeführer kann daher eine Übertretung dieser ortspolizeilichen Verordnung nicht angelastet werden. Die Bestrafung nach dieser Verordnung ist daher rechtswidrig.

Zusammenfassend ist festzuhalten, dass der Beschwerdeführer auf Grund des konkreten Tatorts nicht gegen den § 3 der Pisten- und Loipenordnung der Gemeinde X verstoßen hat, sodass der Beschwerde Folge zu geben, das angefochtene Straferkenntnis zu beheben und das gegenständliche Verwaltungsstrafverfahren (betreffend eine Übertretung der Pisten- und Loipenordnung der Gemeinde X) gemäß § 45 Abs 1 Z 2 VStG einzustellen war.

Lediglich ergänzend sei Folgendes angemerkt:

Die belangte Behörde hat die Straffestsetzung auf die Übertretungsnorm (§ 3) und nicht auf die (unzulässige) Strafbestimmung des § 7 Abs 1 der Pisten- und Loipenordnung gestützt.

Eine ortspolizeiliche Verordnung kann einen Verstoß gegen die in ihr aufgestellten Betretungsverbote zur Verwaltungsübertretung erklären. Sie darf jedoch nicht die Strafhöhe, die Strafart oder das ahndende Organ bestimmen bzw Zwangsbefugnisse anordnen. Die Strafhöhe bestimmt der Gesetzgeber der Gemeindegesetze.

In der Beschwerde wurde zu Recht darauf hingewiesen, dass der im § 8 der Verordnung umschriebenen Bekanntmachung des Inhalts der Verordnung auch nicht ansatzweise entsprochen wurde. Die Verordnung (gemeint wohl der gesamte Verordnungstext) sei demnach während der Wintersaison an den Berg- und Talstationen der Seilbahnen und Schilifte gut sichtbar auszuhängen. Letztlich begnügte sich die Gemeinde mit dem Hinweis auf Panoramatafeln, dass das Befahren von gesperrten Pisten gemäß der Pisten- und Loipenordnung der Gemeinde X verboten sei. Das etwa auch andere Grundstücke von einer Sperre betroffen sein könnten und dass eine Missachtung eines solchen Betretungs- bzw Befahrungsverbotes – wie in § 3 der Pisten- und Loipenordnung normiert - strafbar sei, wurde nicht angeführt.

Schließlich sei auch noch auf § 122 Abs 1 Tiroler Gemeindeordnung verwiesen. Nach dieser Bestimmung hat die Gemeinde die im eigenen Wirkungsbereich der Gemeinde aus dem Bereich der Landesvollziehung erlassene Verordnungen unverzüglich der Landesregierung bekannt zu geben. Dies ist im gegenständlichen Fall unterblieben.

Ein allfälliger Verstoß gegen straßenpolizeiliche Vorschriften war seitens des Landesverwaltungsgerichtes im gegenständlichen Beschwerdeverfahren nicht zu prüfen, zumal zur Verfolgung einer derartigen Übertretung die Bezirksverwaltungsbehörde (und nicht der Bürgermeister der Gemeinde) zuständig wäre und es sich im Übrigen um einen Austausch der an das Landesverwaltungsgericht herangetragenen Sache handeln würde.

VI.      Unzulässigkeit der ordentlichen Revision:

Die ordentliche Revision ist unzulässig, da keine Rechtsfrage iSd Art 133 Abs 4 B-VG zu beurteilen war, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes. Weiters ist die dazu vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Ebenfalls liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Es war daher wie im Spruch ausgeführt zu entscheiden.

R e c h t s m i t t e l b e l e h r u n g

Soweit die ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof in Wien für zulässig erklärt worden ist, kann innerhalb von sechs Wochen ab dem Tag der Zustellung dieser Entscheidung eine ordentliche Revision erhoben werden. Im Fall der Nichtzulassung der ordentlichen Revision kann innerhalb dieser Frist nur die außerordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden.

Jedenfalls kann gegen diese Entscheidung binnen sechs Wochen ab der Zustellung Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, Freyung 8, 1010 Wien, erhoben werden.

Die genannten Rechtsmittel sind von einem bevollmächtigten Rechtsanwalt bzw einer bevollmächtigten Rechtsanwältin abzufassen und einzubringen und es ist eine Eingabegebühr von Euro 240,00 zu entrichten. Die Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof ist direkt bei diesem, die (ordentliche oder außerordentliche) Revision an den Verwaltungsgerichtshof ist beim Landesverwaltungsgericht Tirol einzubringen.

Zudem besteht die Möglichkeit, auf die Revision beim Verwaltungsgerichtshof und die Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof zu verzichten. Ein solcher Verzicht hat zur Folge, dass eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof und eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof nicht mehr erhoben werden können.

Landesverwaltungsgericht Tirol

Dr. Stöbich

(Richter)

Schlagworte

Pisten- und Loipenordnung; Sperre von Schigelände; Lawinengefahr; Straßensperre; Betretungsverbot; Unaufschiebbare Maßnahmen; Zuständigkeit für Straßensperre; Betreten und Befahren von wegen Lawinengefahr gesperrter Straße; ortspolizeiliche Verordnung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:LVWGTI:2021:LVwG.2021.20.1366.5

Zuletzt aktualisiert am

29.11.2021
Quelle: Landesverwaltungsgericht Tirol LVwg Tirol, https://www.lvwg-tirol.gv.at
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