TE Vwgh Beschluss 2021/10/7 Ra 2021/21/0276

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Veröffentlicht am 07.10.2021
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Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
10/07 Verwaltungsgerichtshof
24/01 Strafgesetzbuch
41/02 Asylrecht
41/02 Passrecht Fremdenrecht

Norm

BFA-VG 2014 §9
BFA-VG 2014 §9 Abs4 Z1
B-VG Art133 Abs4
StGB §201 Abs1
VwGG §34 Abs1

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sulzbacher sowie die Hofräte Dr. Pfiel und Dr. Chvosta als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Eraslan, über die Revision des R D, vertreten durch Dr. Peter Philipp, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Graben 17, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 13. Juli 2021, W283 2232021-1/13E, betreffend Erlassung einer Rückkehrentscheidung samt Nebenaussprüchen und eines befristeten Einreiseverbotes (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1        Der 1970 geborene Revisionswerber, ein serbischer Staatsangehöriger, lebt seit 1991 durchgehend und rechtmäßig in Österreich und verfügte zuletzt über einen Aufenthaltstitel „Daueraufenthalt - EU“. Er ist Vater einer erwachsenen Tochter, die aus einer im Jahr 2013 geschiedenen Ehe entstammt und die - ebenso wie ihre drei Kinder - österreichische Staatsbürgerin ist.

2        Mit rechtskräftigem Urteil vom 10. Jänner 2019 wurde der Revisionswerber wegen des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs. 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt, die er (unter Anrechnung der Vorhaft) vom 13. September 2018 bis zu seiner bedingten Entlassung am 11. September 2020 teilweise verbüßte. Dem Schuldspruch lag zugrunde, der Revisionswerber habe am 11. September 2018 gemeinsam mit einem Mittäter dessen damalige Lebensgefährtin mit Gewalt und durch Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben zur Duldung des Beischlafs genötigt.

3        Wegen dieser Straftat erließ das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) mit Bescheid vom 27. Mai 2020 gegen den Revisionswerber gemäß § 52 Abs. 5 FPG iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung und verband damit gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 1 FPG ein auf die Dauer von zehn Jahren befristetes Einreiseverbot. Des Weiteren stellte das BFA gemäß § 52 Abs. 9 FPG fest, dass die Abschiebung des Revisionswerbers nach Serbien zulässig sei, und räumte gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG eine Frist von vierzehn Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung für die freiwillige Ausreise ein.

4        Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung mit dem angefochtenen Erkenntnis als unbegründet ab. Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG sprach das BVwG aus, dass eine Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

5        In seiner Begründung stellte das BVwG unter anderem fest, dass der Revisionswerber allein lebe und weder Sorge- noch Unterhaltspflichten habe. Er verstehe Deutsch, könne es aber nicht gut sprechen. Neben seiner - nach einem Aufenthalt in der Schweiz mit ihrer Familie Ende 2020 nach Österreich zurückgekehrten - Tochter, deren Kinder der Revisionswerber an den Wochenenden betreue, lebten auch sein Bruder mit seinen drei Söhnen und weitere Verwandte des Revisionswerbers im Bundesgebiet. Im Zeitraum von 2001 bis zu seiner Festnahme 2018 habe er insgesamt rund fünf Jahre lang als Arbeiter auf Baustellen bzw. als Reinigungskraft gearbeitet und ansonsten Arbeitslosengeld, Notstandshilfe bzw. Überbrückungshilfe bezogen, wobei er auch von seiner Familie, insbesondere seiner Tochter, finanziell unterstützt worden sei. Seit November 2020 sei der Revisionswerber wieder als Reinigungskraft beschäftigt.

6        In rechtlicher Hinsicht berücksichtigte das BVwG die lange Aufenthaltsdauer des Revisionswerbers und wies auf die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hin, wonach - ungeachtet der Aufhebung des § 9 Abs. 4 Z 1 BFA-VG durch das FrÄG 2018 - gegen einen rechtmäßig im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen eine Rückkehrentscheidung nicht erlassen werden dürfe, wenn ihm vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes die Staatsbürgerschaft gemäß § 10 Abs. 1 StbG hätte verliehen werden können, es sei denn, es liege die Begehung einer besonders verwerflichen Straftat und eine daraus abzuleitende spezifische Gefährdung maßgeblicher öffentlicher Interessen vor. Davon ging das BVwG aber im vorliegenden Fall erkennbar aus. Angesichts der verübten Straftat des Revisionswerbers seien daher die Voraussetzungen für die Erlassung einer Rückkehrentscheidung und eines Einreiseverbotes gegeben.

7        Im Hinblick auf das Einreiseverbot verwies das BVwG auf die vom Strafgericht als mildernd gewerteten Umstände des ordentlichen Lebenswandels des Revisionswerbers bis zur Straftat und sein reumütiges Geständnis. Allerdings habe sich der Revisionswerber in der Beschwerdeverhandlung nicht als einsichtig gezeigt und in Zusammenschau mit der Zeugenaussage seiner Tochter nicht den Eindruck vermittelt, das volle Ausmaß des Unrechts seiner Tat eingesehen zu haben. Da der Gesinnungswandel eines Straftäters grundsätzlich daran zu messen sei, ob und wie lange er sich nach dem Vollzug der Freiheitsstrafe in Freiheit wohlverhalten habe, sei der Zeitraum des Wohlverhaltens seit der Haftentlassung in Anbetracht des begangenen Verbrechens als sehr kurz zu bewerten. Das Einreiseverbot sei daher auch in der verhängten Dauer verhältnismäßig.

8        Das öffentliche Interesse an der Verhinderung von solchen Sexualstraftaten überwiege nämlich das aufgrund der langen Aufenthaltsdauer überaus große Interesse des Revisionswerbers am Verbleib im Bundesgebiet deutlich, weshalb der Revisionswerber die Trennung von seinen in Österreich lebenden Familienangehörigen hinzunehmen habe, zumal der Kontakt auch durch deren Besuche in Serbien aufrechterhalten werden könne. Es sei kein Grund ersichtlich, der einer Wiedereingliederung des Revisionswerbers in den Arbeitsmarkt seines Herkunftsstaates entgegenstehe.

9        Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision, die sich unter dem Gesichtspunkt des Art. 133 Abs. 4 B-VG als unzulässig erweist.

10       Nach der genannten Verfassungsbestimmung ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision (nur) zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

11       An den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision nicht gebunden (§ 34 Abs. 1a VwGG). Zufolge § 28 Abs. 3 VwGG hat allerdings die außerordentliche Revision gesondert die Gründe zu enthalten, aus denen entgegen dem Ausspruch des Verwaltungsgerichtes die Revision für zulässig erachtet wird. Im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe hat der Verwaltungsgerichtshof dann die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zu überprüfen (§ 34 Abs. 1a zweiter Satz VwGG).

12       Unter diesem Gesichtspunkt wendet sich die Revision vor allem mit dem Hinweis auf die besonders lange Aufenthaltsdauer gegen die nach § 9 BFA-VG vorgenommene Interessenabwägung und gegen die Gefährdungsprognose, bei der sich das BVwG lediglich auf die Tatsache der strafgerichtlichen Verurteilung gestützt habe. Außerdem habe es seine Annahme der fehlenden Tateinsicht des Revisionswerbers mit der Zeugenaussage seiner Tochter begründet, die jedoch mit den Aussagen des Revisionswerbers und dem Inhalt des Strafurteils in Widerspruch stehe. Überdies zeige die bedingte Entlassung des Revisionswerbers nach Verbüßung eines Teils der Freiheitsstrafe, dass auch das Strafgericht von einer positiven Zukunftsprognose ausgegangen sei.

13       Dem ist allerdings zu entgegnen, dass nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes die bei Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung vorgenommene Interessenabwägung im Allgemeinen - wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage beruht und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze erfolgt ist - nicht revisibel iSd Art. 133 Abs. 4 B-VG ist. Das gilt sinngemäß auch für die einzelfallbezogene Erstellung einer Gefährdungsprognose (vgl. etwa VwGH 5.8.2021, Ra 2021/21/0188, Rn. 9, mwN).

14       Dass die vom BVwG nach Durchführung einer Verhandlung unter Verwertung des persönlichen Eindrucks vorgenommene Gefährdungsprognose in unvertretbarer Weise erfolgt wäre, zeigt die Revision nicht auf. Das BVwG hat sich sowohl mit den näheren Umständen der Straftat als auch mit den vom Strafgericht herangezogenen Milderungsgründen, insbesondere mit der langjährigen Unbescholtenheit des Revisionswerbers bis zur Straftat, ausreichend befasst. Es durfte aber auch darauf Bedacht nehmen, dass der Revisionswerber im Beschwerdeverfahren keine Tateinsicht gezeigt habe. Die Gründe für diese Annahme hat das BVwG ausführlich und nachvollziehbar dargelegt und sich dabei nicht nur auf die Zeugenaussage der Tochter des Revisionswerbers, sondern auch auf seine eigenen Aussagen in der Beschwerdeverhandlung gestützt. Soweit in der Revision die bedingte Entlassung des Revisionswerbers ins Treffen geführt wird, genügt der Hinweis, dass nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes das Fehlverhalten eines Fremden und die daraus abzuleitende Gefährlichkeit ausschließlich aus dem Blickwinkel des Fremdenrechts, also unabhängig von gerichtlichen Erwägungen über bedingte Strafnachsichten oder eine bedingte Entlassung aus dem Strafvollzug, zu beurteilen ist (vgl. VwGH 29.9.2020, Ra 2020/21/0305, Rn. 9, mwN).

15       Im Übrigen ist es evident, dass das vom Revisionswerber verübte Verbrechen der Vergewaltigung nach § 201 Abs. 1 StGB eine massive Beeinträchtigung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit darstellt. Wenn das BVwG vor diesem Hintergrund im Sinne der von ihm referierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zum aufgehobenen § 9 Abs. 4 Z 1 BFA-VG vom Vorliegen einer spezifischen Gefährdung des öffentlichen Interesses an der Verhinderung von strafbaren Handlungen der vorliegenden Art ausging und die Interessenabwägung nach § 9 BFA-VG auch trotz der langen Aufenthaltsdauer und der persönlichen Bindungen im Bundesgebiet zu Lasten des Revisionswerbers vornahm, so erweist sich das fallbezogen als nicht unvertretbar.

16       In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Sie war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.

Wien, am 7. Oktober 2021

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2021:RA2021210276.L00

Im RIS seit

11.11.2021

Zuletzt aktualisiert am

11.11.2021
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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