TE Vwgh Erkenntnis 2021/10/5 Ra 2020/03/0166

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 05.10.2021
beobachten
merken

Index

20/13 Sonstiges allgemeines Privatrecht
40/01 Verwaltungsverfahren

Norm

AVG §64 Abs2
AVG §64 Abs2 idF 2013/I/033
EisbEG 1954 §35 Abs1
VwGVG 2014 §13 Abs2

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Handstanger sowie die Hofräte Dr. Lehofer, Mag. Nedwed und Mag. Samm als Richter und die Hofrätin Mag. Dr. Maurer-Kober als Richterin, unter Mitwirkung des Schriftführers Dr. Zeleny, über die Revision des A O in H, vertreten durch Dr. Thomas Stoiberer, Rechtsanwalt in 5400 Hallein, Davisstraße 7, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Salzburg vom 29. Oktober 2020, Zl. 405-4/3565/2/5-2020, betreffend die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung einer Beschwerde in einer Angelegenheit nach dem EisbEG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Landeshauptmann von Salzburg; mitbeteiligte Partei: Ö AG in S, vertreten durch die Tautschnig Rechtsanwälte GmbH in 9020 Klagenfurt, Villacher Straße 1A/7), zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Das angefochtene Erkenntnis wird dahingehend abgeändert, dass der Beschwerde des Revisionswerbers gegen Spruchpunkt IV. des Bescheides des Landeshauptmannes von Salzburg vom 31. August 2020, Zl. 20610-VU97/477/19-2020, Folge gegeben und dieser Spruchpunkt ersatzlos behoben wird.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1        Mit Bescheid vom 31. August 2020 verfügte der Landeshauptmann von Salzburg gegenüber dem Revisionswerber gemäß §§ 2 und 17 Abs. 1 Eisenbahn-Enteignungsentschädigungsgesetz (EisbEG) die Enteignung von Teilflächen näher bezeichneter, in dessen Eigentum stehender Grundstücke, teilweise durch dauernde und teilweise durch vorübergehende Abtretung (Spruchpunkt I.). Unter einem setzte er gemäß § 17 Abs. 2 EisbEG die Höhe der Enteignungsentschädigung fest (Spruchpunkt II.), wies weitere Anträge und Einwendungen des Revisionswerbers ab (Spruchpunkt III.) und schloss gemäß § 13 Abs. 2 VwGVG die aufschiebende Wirkung einer allfälligen Beschwerde aus (Spruchpunkt IV.).

2        Gegen die Spruchpunkte I., III. und IV. des Bescheides erhob der Revisionswerber Beschwerde an das Landesverwaltungsgericht Salzburg (VwG).

3        Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das VwG die Beschwerde gegen Spruchpunkt IV. des Bescheides als unbegründet ab und erklärte die Revision für nicht zulässig.

4        Dagegen wendet sich die vorliegende außerordentliche Revision, die zur Zulässigkeit und in der Sache geltend macht, das VwG habe die Rechtslage verkannt, weil im Anwendungsbereich des § 35 EisbEG der zwangsweise Vollzug der Enteignung jedenfalls einen rechtskräftigen Enteignungsbescheid erfordere (Hinweis auf VwGH 13.5.1982, 82/06/0034). Die Voraussetzungen für die Anwendung des § 13 Abs. 2 VwGVG lägen daher nicht vor.

5        Zu dieser Revision erstattete die mitbeteiligte Partei eine Revisionsbeantwortung, in der die Zurück- bzw. Abweisung der Revision beantragt wird. Dazu erstattete der Revisionswerber eine Replik.

6        Die belangte Behörde beim Verwaltungsgericht beschränkte sich im Revisionsverfahren darauf, auf die Ausführungen im Bescheid des Landeshauptmannes von Salzburg zu verweisen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

7        Die Revision ist im Sinne ihres Zulassungsvorbringens zulässig; sie ist auch begründet.

8        Gemäß § 13 Abs. 2 VwGVG kann die Behörde die aufschiebende Wirkung mit Bescheid ausschließen, wenn nach Abwägung der berührten öffentlichen Interessen und Interessen anderer Parteien der vorzeitige Vollzug des angefochtenen Bescheides oder die Ausübung der durch den angefochtenen Bescheid eingeräumten Berechtigung wegen Gefahr im Verzug dringend geboten ist.

9        Diese - im Zuge der Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012 entstandene - Norm entspricht wortgleich dem § 64 Abs. 2 AVG idF BGBl. I Nr. 33/2013. Davor sah § 64 Abs. 2 AVG vor, dass die Behörde die aufschiebende Wirkung ausschließen konnte, wenn die vorzeitige Vollstreckung im Interesse einer Partei oder des öffentlichen Wohls wegen Gefahr im Verzug dringend geboten war.

10       Zu der letztgenannten Rechtslage erkannte der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 13. Mai 1982, 82/06/0034, dass § 64 Abs. 2 AVG in Verfahren betreffend die Enteignung von Grundflächen für Zwecke einer Bundesstraße nicht zum Tragen komme. Wie nämlich der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 22. Mai 1950, Slg. N.F. Nr. 1458/A, dargetan habe, seien Rechtskraft und Vollstreckbarkeit zwei verschiedene Dinge. Wenn es in dem Erkenntnis weiter heiße, dass unter den besonderen Bedingungen des § 64 Abs. 2 AVG durch Ausschließung der aufschiebenden Wirkung einer Berufung ein Bescheid schon vor Eintritt seiner Rechtskraft vollstreckbar gemacht werden könne, so beziehe sich dies nur auf jene Fälle, in denen nicht durch ausdrückliche gesetzliche Bestimmung die Rechtskraft zur Voraussetzung des Vollzugs erklärt sei, wie dies im Bundesstraßengesetz 1971 und im EisbEG geschehen sei (Hinweis auf § 35 Abs. 1 EisbEG).

11       § 35 Abs. 1 zweiter Satz EisbEG sieht vor, dass der zwangsweise Vollzug der Enteignung einen rechtskräftigen oder nach § 40 Abs. 2 erlassenen Enteignungsbescheid oder eine nach § 26 getroffene Vereinbarung voraussetzt.

12       Die Revision macht daher zu Recht geltend, dass nach dem zitierten Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes (das zwar zum Bundesstraßenrecht ergangen ist, in seiner Argumentation aber auf § 35 Abs. 1 zweiter Satz EisbEG explizit Bezug nimmt und daher auch für den gegenständlichen Fall nutzbar gemacht werden kann) die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung - nach § 64 Abs. 2 AVG in der damals geltenden Fassung - für nicht möglich angesehen worden ist, weil § 35 Abs. 1 zweiter Satz EisbEG (mit wenigen Ausnahmen, die fallbezogen nicht zum Tragen kommen) als lex specialis vorsieht, dass nur rechtskräftige Enteignungsbescheide - und zwar rechtskräftig hinsichtlich des Ausspruchs über die Notwendigkeit, den Gegenstand und den Umfang der Enteignung - vollzogen werden können.

13       Der Verwaltungsgerichtshof sieht keinen Anlass, von dieser höchstgerichtlichen Rechtsprechung abzugehen. Auch die Änderung im Wortlaut des § 64 Abs. 2 AVG durch die Novelle BGBl. I Nr. 33/2013 und - wortident - in der fallbezogen relevanten Bestimmung des § 13 Abs. 2 VwGVG vermag keine andere Sichtweise zu begründen, weil sich dadurch in Bezug auf die maßgeblichen Erwägungen des Verwaltungsgerichtshofes in seinem Erkenntnis 82/06/0034 nichts geändert hat.

14       Die mitbeteiligte Partei argumentiert in der Revisionsbeantwortung, das Verständnis vom Vollzug des Bescheides habe sich in der jüngeren Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes verändert. Es komme nicht mehr darauf an, ob dem angefochtenen Bescheid ein zwangsvollstreckbarer Akt nachfolgen könne oder nicht. Vollzugstauglich seien daher nicht nur Leistungsbescheide, sondern auch Rechtsgestaltungsbescheide. Letzterem ist zwar zuzustimmen, allerdings kann den weiteren Schlüssen der mitbeteiligten Partei, dass deshalb die oben angesprochene höchstgerichtliche Rechtsprechung zu § 35 Abs. 1 zweiter Satz EisbEG nicht mehr zum Tragen komme, nicht gefolgt werden. Wenn die Revisionsbeantwortung ausführt, aus der genannten Bestimmung lasse sich nicht ableiten, dass die Möglichkeit der Herstellung des rein faktischen Bescheidzustandes vor Rechtskraft generell ausgeschlossen werden sollte (und - ohne es auszusprechen - offenbar unterstellt, dass nur eine Verbücherung der Enteignung vor Rechtskraft des Enteignungsbescheides unzulässig sei), ist ihr zu erwidern, dass eine solche einschränkende Lesart des § 35 Abs. 1 EisbEG im Wortlaut der Norm keine Deckung findet. Im Gegenteil: § 35 Abs. 1 erster Satz EisbEG sieht vor, dass die Enteignung vollzogen ist, wenn das Eisenbahnunternehmen - mit Zustimmung des Enteigneten oder im Zwangswege gegen seinen Willen - in den Besitz des enteigneten Gegenstandes gelangt ist. Das Gesetz stellt somit auf die Inbesitznahme, nicht aber auf die Verbücherung ab, wenn es vom Vollzug der Enteignung spricht.

15       Ausgehend davon kam eine Aberkennung der aufschiebenden Wirkung der Beschwerde des Revisionswerbers gegen die Enteignung gemäß § 13 Abs. 2 VwGVG nicht in Betracht.

16       Der maßgebliche Sachverhalt ist unstrittig. Da die Voraussetzungen des § 42 Abs. 4 VwGG vorliegen, konnte der Verwaltungsgerichtshof in der Sache selbst entscheiden und den Bescheid des Landeshauptmannes von Salzburg in jenem Spruchpunkt, mit dem die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung angeordnet worden ist, ersatzlos aufheben.

17       Abschließend ist lediglich anzumerken, dass auch die mittlerweile erfolgte Entscheidung des VwG in der Hauptsache das rechtliche Interesse des Revisionswerbers an der gegenständlichen Entscheidung nicht beseitigt hat. Das vorliegende Erkenntnis dient - in Anbetracht der widersprüchlichen Prozessstandpunkte über Reichweite der Aberkennung der aufschiebenden Wirkung und des § 35 Abs. 1 EisbEG - vielmehr der Klarstellung der Rechtslage zwischen den Parteien und hat nicht bloß theoretische Bedeutung.

18       Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 5. Oktober 2021

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2021:RA2020030166.L00

Im RIS seit

27.10.2021

Zuletzt aktualisiert am

03.11.2021
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten