TE Lvwg Erkenntnis 2021/3/24 VGW-103/048/3227/2021

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Veröffentlicht am 24.03.2021
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Entscheidungsdatum

24.03.2021

Index

82/02 Gesundheitsrecht allgemein
10/11 Vereinsrecht Versammlungsrecht
19/05 Menschenrechte

Norm

3. COVID-19-NotMV §12 Abs2
VersammlungsG §6 Abs1
EMRK Art. 11 Abs1
EMRK Art. 11 Abs2

Text

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Verwaltungsgericht Wien hat durch seinen Richter Dr. Frank über die Beschwerde der A., vertreten durch Rechtsanwalt, gegen den Bescheid der Landespolizeidirektion Wien, Sicherheits- u. Verwaltungspolizeiliche Angelegenheiten, SVA Referat 3 – Vereins-, Versammlg-, Medienrechtsangel., vom 30.01.2021, GZ: …, mit welchem die für 31.01.2021 angezeigte Versammlung untersagt wurde, zu Recht e r k a n n t:

I. Der Beschwerde wird Folge gegeben und der angefochtene Bescheid behoben. Die Untersagung erfolgte zu Unrecht.

II. Gegen dieses Erkenntnis ist gemäß § 25a VwGG eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG unzulässig.

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e

Mit angefochtenem Bescheid untersagte die belangte Behörde eine von der A. am 29.1.2021 angezeigte Versammlung zum Thema „Allgemeine Informationen der A.“, die am 31.1.2021 von 14:35 bis 18:00 Uhr in Wien, B.-Platz hätte abgehalten werden sollen. Begründet wurde dies mit dem zu erwartenden rechtswidrigen Verhalten der Teilnehmer und dem daraus folgenden Seuchengeschehen sowie einer näher beschriebenen „Strohmanntaktik“. Es werde erwartet, sohin auch von der A., dass gut beleumundete Strohmänner vorgeschickt würden, um den wahren illegalen Hintergrund zu verschleiern.

In der dagegen gerichteten Beschwerde wurde eine erhöhte Kontroll- und Begründungspflicht für die Untersagung von Versammlungen vorgebracht, wonach die Verfassungsbestimmung des § 1 Abs. 3 PartG die Tätigkeit einer politischen Partei keiner Beschränkung durch besondere Rechtsvorschriften unterworfen werden darf. Die belangte Behörde habe dahingehend keinen Versuch unternommen, im Einvernehmen mit der Beschwerdeführerin eine Modifikation im Sinne eines gelinderen Mittels durch die Änderung von Art und Ort der Versammlung. Der Begründungsbestandteil des „unbekannten Strohmannes“ verschließe sich für den Sinn der Beschwerdeführerin gänzlich. Da die Untersagung einer Versammlung nur Ultima ratio sein könne (VfGH 14.3.2013, B 1037/11 mwN), hätte aufgrund der schon wochenlangen Bekanntheit einer hohen Versammlungsdichte für den 31.1.2021 die belangte Behörde initiativ Kontakt aufnehmen müssen, um in Kooperation mit dem Veranstalter die Abhaltung der Versammlung zu gewährleisten. Es treffe die belangte Behörde dahingehend eine positive Schutzpflicht. Beispielsweise hätte die belangte Behörde bei der Befürchtung eines zu beengten Versammlungsplatzes der Beschwerdeführerin initiativ einen alternativen, gleichwertigen Versammlungsort anbieten müssen. Ganz und gar zurückzuweisen sei die von der belangten Behörde mittelbar vorgeworfene Unterstellung, wenn der Beschwerdeführerin, einer seit Jahrzehnten im Parlament vertretenen politischen Partei, jegliche Organisationseffizienz abgesprochen wurde. Dies erschließe sich aus dem Misstrauen, wenn der Beschwerdeführerin vorweg die Einhaltung der Seuchenbestimmungen nicht zugetraut werden. Die belangte Behörde trage darüber hinaus selbst gerade zur Eskalation bei, weil sie damit die Abhaltung von Spontanversammlungen befeuerte. Aus den sozialen Netzen sei dem Dienst (LVT) die hochexplosive Stimmung gegen die Regierungsmaßnahmen bekannt.

Zusammengefasst dürfe eine Abwägung von kollidierenden Grundrechtspositionen nicht per se zu einer gänzlichen Untersagung führen. Damit sei eine Abwägung des öffentlichen Wohles der Gesundheit mit dem Grundrecht der Versammlungsfreiheit unterblieben. Da die A. als im Nationalrat vertretene Partei eine Reputation habe, welche es um jeden Preis zu erhalten gebe, hätte sie die Bestimmungen des § 12 Abs.2 der 3. COVID-19-NotMV rigoros überwacht. Dazu werde bemerkt, dass die Einschätzungen des Gesundheitsdienstes sowie des LVT allgemein für alle bis dahin für den 31.1.2021 angemeldeten Versammlungen und vor der Anmeldung der gegenständlichen Versammlung erfolgt seien. Damit sei eine Prognose für die konkret beabsichtigte Versammlung schon denkunmöglich gewesen.

Von seuchenmedizinischer Seite habe es bis dato für Cluster anläßlich einer Versammlung keine evidente Wahrnehmung gegeben. Der peer review für die Schutzwirkung von FFP 2 Schutzmasken sei uneinheitlich, ja durch die WHO und die Europäische Kommission negativ in Hinblick auf die Vorteile der Schutzwirkung beantwortet.

Da die belangte Behörde in Hinblick gelinderer Mittel und eigener Handlungen zur Minimierung der Gefahr eines akuten Seuchengeschehens keine Überlegungen angestellt habe, laufe das verfassungsmäßig garantierte Verfahren einer bloßen Anzeige von Versammlungen auf ein Genehmigungssystem hinaus. Eine Bewilligung im Rahmen eines Konzessionssystems für Versammlungen sei mit dem Grundrecht auf Versammlungsfreiheit unvereinbar (VfSlg.11.651/1988 und 11.866/19888 zum Verbot einer Versammlung einer vorherigen behördlichen Bewilligung zu unterwerfen mwN).

Weshalb davon auszugehen war, dass es bei einer Versammlung von einer im Parlament vertretenen politischen Partei zwingend zu Verstößen gegen § 12 Abs. 2 der 3. COVID-19-NotMV kommen solle, bleibe völlig offen. Damit würde diese Bestimmung die Grundlage einer völlig beliebigen und willkürlichen Beschränkung der Art. 12 StGG, Art. 11 EMRK und des Versammlungsgesetzes. Darüber hinaus mangele dem § 12 Abs. 2 der 3. COVID-19-NotMV die Einschlägigkeit für Versammlungen nach dem Versammlungsgesetz. Diese setze nämlich Versammlungen mit Veranstaltungen gleich, was eine gänzliche Verkennung der Rechtslage darstelle. Eine Versammlung, und eine solche liege hier vor, genieße den höchsten Schutz nach Art. 12 StGG und Art. 11 EMRK, welche eine Einschränkung durch bloße Verordnung verbiete.

Bei der Beurteilung der zu erwartenden Verletzungen von Seuchenbestimmungen werde auf „zahlreiche Medienberichte“ durch die belangte Behörde rekurriert. Damit gebe die belangte Behörde zu erkennen, Ermittlungen und damit Beweismittel schuldig geblieben zu sein. Eine Schlussbasis für Erwägung fehle damit, sodass nicht nur ein Begründungsmangel, sondern der Mangel der Unbegründetheit vorliege. Die Einschätzung des LVT Wien vom 28.1.2021 sei keine taugliche Entscheidungsgrundlage, weil diese vor der Anmeldung der Versammlung erfolgte und etwas nicht beurteilt werden könne, was nicht einmal noch mitgeteilt worden sei. Weiters verlange der VfGH in VfSlg. 5.087/1966, für die Beurteilung einer „Gesundheitsgefährdung“, dass auf „konkret, festgestellte, objektiv erfassbare Umstände“ rekurriert wird. Der von der belangten Behörde angefragte Gesundheitsdienst der Stadt Wien antworte nur in sehr allgemeiner Weise und gehe auf die konkrete Veranstaltung nicht ein. Folgte man diesen Argumenten, könnten hinkünftig alle Versammlungen ohne weiteres untersagt werden. Als einzelne Empfehlung des Gesundheitsdienstes sei noch hervorzuheben, dass eine erhöhte Übertragungsgefahr nur dann gegeben wäre, wenn Kontakte ohne Einhaltung des notwendigen Abstandes und ein Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes unterbliebt. Die belangte Behörde stütze ihre Untersagung auf ein alternatives Fehlen.

Das Verwaltungsgericht Wien hat erwogen:

Sachverhalt:

Am 26.1.2021 richtete Polizeipräsident … per Email eine Anfrage an die Oberphysikatsrätin der Stadt Wien, …, betreffend „Demonstrationen am WE 30./31.1“ mit dem Ersuchen um Informationen aus gesundheitlicher Sicht zu nachstehenden Fragen:

1)   „Ist bei einer Versammlung von mehreren hundert bis uU mehreren tausend Menschen, die den verordneten Mindestabstand von 2 Metern nicht einhalten und überdies überwiegend keinen eng anliegenden NMS tragen, damit zu rechnen, dass unter Bedachtnahme darauf, dass die Menschen im Regelfall laut skandieren und ihren Forderungen so freien Lauf lassen – auch im Hinblick auf die neu auftretenden Mutationsvarianten des Virus (und die damit zusammenhängenden besorgniserregenden Medienberichte) - eine erhebliche Gefahr der Ansteckung unter den Versammlungsteilnehmern entstehen wird und somit mit einer unkontrollierbaren Weiterverbreitung des Virus in der Bevölkerung gerechnet werden kann?

2)   Würden derartige Menschenansammlungen die Bemühungen der Gesundheitsbehörde, die 7 Tages-Inzidenz weiter zu senken, erheblich konterkarieren?“

Am 27.1.2021 übermittelte der Gesundheitsdienst der Stadt Wien per Email eine Antwort an den Polizeipräsidenten persönlich mit nachstehendem Inhalt:

„Sehr geehrter Herr Landespolizeipräsident …,

die Corona-Kommission, als beratendes Gremium des für Gesundheit zuständigen Bundesministers weist in der letzten Empfehlung vom 21.1.2021 auf die erhöhte Übertragbarkeit der SARS-CoV-2 Virus-Mutante B.1.1.7 und die sich daraus ergebende Gefahr eines neuerlich sehr starken exponentiellen Anstiegs der Fallzahlen hin. Vor diesem Hintergrund und dem nach wie vor hohen Fallgeschehen hat die Corona-Kommission empfohlen, die gesetzten präventiven Massnahmen zur Kontaktreduktion weiter fortzusetzen. Es wurde auch angemerkt, dass die Akzeptanz der Bevölkerung notwendig ist, um auch weiterhin die notwendigen Rückgänge des Fallgeschehens erreichen zu können. Die epidemiologische Situation mit einer steigenden Anzahl an Infektionen, bei denen erste Testergebnisse auf mutierte Varianten des SARS-CoV-2- Virus hinweisen, hat dazu geführt, dass in weiten Bereichen zum Schutz vor Ansteckungen das Tragen von FFP2-Schutzmasken vorgeschrieben wurde und der vorgeschriebene Mindestabstand auf 2 Meter ausgeweitet wurde. Aktuelle Erhebungen zeigen, dass bei den neuen Virusvarianten Kontakte ohne Einhaltung des notwendigen Abstands und ohne Tragen von Schutzmasken aufgrund der erhöhten Übertragbarkeit in wenigen Tagen zu mehr Folgefällen führen können, als bisher beobachtet. Wenn Personen, die das Virus ausscheiden, an der Versammlung teilnahmen, ohne den geforderten Abstand einzuhalten und ohne einen Mund-Nasen-Schutz zu tragen, kann es vor diesem Hintergrund zu Übertragungen kommen, die speziell auch aufgrund der fehlenden Nachvollziehbarkeit von Kontakten die Bemühungen zur Reduktion der Fallzahlen konterkarieren.“

Die Zeichnung und die Emailadresse sind im Akt geschwärzt, sodaß eine persönliche Zuordnung verunmöglicht wurde.

Auf der offiziellen homepage der „Corona-Kommission“ (Bewertungskriterien | Corona Ampel (corona-ampel.gv.at) finden sich eine aktuelle Risikoeinschätzung und Bewertungskriterien.

Am 28.1.2021 übermittelte das Landesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung einen Aktenvermerk zur“ Einschätzung betr. Corona-Demos am 30. Und 31.1.202“. Darin wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass es – bezugnehmend auf vorangegangene Versammlungen - auf weiteren Versammlungen zu Verstößen gegen die Covid 19 Maßnahmen kommen würde. Für die Anmeldungen würden unbekannte „Strohmänner“ vorgeschickt werden, welche aufgrund ihrer Unbescholtenheit zur Umgehung einer behördlichen Untersagung Verwendung fänden. Weiters sei seitens der „führenden Figuren der Szene“ aufgerufen worden, möglichst zahlreiche Versammlungen anzumelden, um die Behörde zu beschäftigen und möglichst viele Polizisten dezentral zu binden. Nur durch die Untersagung sämtlicher Versammlungen könne sichergestellt werden, dass nicht die eine oder andere nicht untersagte Versammlung zum Sammelbecken für präsumtive Teilnehmer anderer Versammlungen würde. Abschließend wurde wörtlich die Lage zusammengefasst wie folgt:

„Aufgrund der groß angelegten Mobilisierung und aufgrund des großen Erfolges der „Corona-Demos“ am 16.1.2021 ist mit einer sehr großen Teilnehmerzahl (mehrere Tausend) zu rechnen. Eine Einhaltung des vorgeschriebenen Mindestabstandes von 2 m scheint daher aus ha. Sicht denkunmöglich. Darüber hinaus ist aufgrund einschlägiger Aufrufe sowie Erfahrungen bei vergangenen Anlässen damit zu rechnen, dass ein Großteil der Teilnehmer die COVID-19 Bestimmungen (Abstand als auch MNS-Schutz) gezielt und vorsätzlich missachten wird.“

Bearbeiter und Zeichnender wurden im Akt wieder geschwärzt.

Sowohl die Stellungnahme des LVT als auch die Information des Gesundheitsdienstes der Stadt Wien ergingen ganz allgemein und vor allem vor der Anzeige einer beabsichtigten Versammlung durch die A. (sic!).

Die A. brachte mit 29.1.2021 eine Versammlung (dicte Kundgebung) zum Thema „Allgemeine Information der A.“ am 31.1.2021 von 14:34 bis 18:00 Uhr der Landespolizeidirektion Wien zur Kenntnis. Schutzzone und Abstand werden eingehalten. Kurz darauf wurde eine Änderung des Standortes von C.-platz auf B.-Platz mitgeteilt.

Darauf brachte die Landespolizeidirektion Wien, Referat für Vereins-, Versammlungs- und Medienrechtsangelegenheiten, die Anzeige dem Magistrat der Stadt Wien, MA 15, zur Kenntnis und bat um „weitere Veranlassung“. Um Mitteilung von Bedenken gegen die Abhaltung der Versammlung aus gesundheitsbehördlicher Sicht wird ersucht.

Mit 30.1.2021 richtete in Vertretung der Referatsleiter für Vereins-, Versammlungs- und Medienrechtsangelegenheiten der Landespolizeidirektion Wien der A. die beabsichtigte Untersagung der Versammlung aus. Als Begründung wird die befürchtete Missachtung von verordnetem Mindestabstand und Mund-/Nasenschutz genannt. Dies wiederum auf der erwarteten großen Teilnehmerzahl von zumindest 10.000 Personen. Die A. ging bei ihrer Anzeige von 2.000 aus.

In weiterer Folge erging der Untersagungsbescheid.

Diese Feststellung gründen auf den im Akt erliegenden Schriftstücken.

Rechtlich folgt:

Gemäß § 6 Abs. 1 Versammlungsgesetz, BGBl. Nr. 98/1953 idF BGBl. I Nr. 63/2017 sind Versammlungen, deren Zweck den Strafgesetzen zuwiderläuft oder deren Abhaltung die öffentliche Sicherheit oder das öffentliche Wohl gefährdet, von der Behörde zu untersagen.

Gemäß Art. 11 Abs. 1 EMRK BGBl. Nr. 210/1958 idF BGBl. III Nr. 30/1998, haben alle Menschen das Recht, sich friedlich zu versammeln und sich frei mit anderen zusammenzuschließen, einschließlich des Rechts, zum Schutz ihrer Interessen Gewerkschaften zu bilden und diesen beizutreten.

Gemäß Abs. 2 erster Satz leg. cit. darf die Ausübung dieser Rechte keinen anderen Einschränkungen unterworfen werden als den vom Gesetz vorgesehenen, die in einer demokratischen Gesellschaft im Interesse der nationalen und öffentlichen Sicherheit, der Aufrechterhaltung der Ordnung und der Verbrechensverhütung, des Schutzes der Gesundheit und der Moral oder des Schutzes der Rechte und Freiheiten anderer notwendig sind.

Den Ausführungen in der Beschwerde ist in allen Punkten zuzustimmen. Des Weiteren mangelt es dem Bescheid aus folgenden Gründen an einer haltbaren Begründung für eine Untersagung:

Sämtliche Anfragen wurden bereits vor der Bekanntgabe der verfahrensgegenständlichen Versammlung gestellt. Die Antworten berücksichtigen in keiner Weise die konkrete Versammlung der A..

Darüber hinaus ist zu der beauftragten „Information aus gesundheitlicher Sicht“ Nachstehendes auszuführen:

Der Gesundheitsdienst der Stadt Wien verwendet darin die Wörter „Fallzahlen“, „Testergebnisse“, „Fallgeschehen“ sowie „Anzahl an Infektionen“. Dieses Durcheinanderwerfen der Begriffe wird einer wissenschaftlichen Beurteilung der Seuchenlage nicht gerecht. Für die WHO (WHO Information Notice for IVD Users 2020/05, Nucleic acid testing (NAT) technologies that use polymerase chain reaction (PCR) for detection of SARS-CoV-2, 20 January 2021) ausschlaggebend ist die Anzahl der Infektionen/Erkrankten und nicht der positiv Getesteten oder sonstiger „Fallzahlen“. Damit bleibt es schon damit offen, von welchen Zahlen die „Information“ ausgeht. Die „Information“ nimmt Bezug auf die Empfehlung der Corona-Kommission vom 21.1.2021. Es ist mangels Angaben nicht nachvollziehbar, ob die dieser Empfehlung zugrundeliegenden Zahlen nur jene Personen enthalten, die nach den Richtlinien der WHO zur Interpretation von PCR-Tests vom 20.01.2021 untersucht wurden. Konkret ist nicht ausgewiesen, welchen CT-Wert ein Testergebnis hatte, ob ein Getesteter ohne Symptome erneut getestet und anschließend klinisch untersucht wurde. Damit folgt die WHO dem Erfinder der PCR-Tests, … ( https://www.youtube.com/watch?...). Mutatis mutandis sagt er damit, dass ein PCR-Test nicht zur Diagnostik geeignet ist und daher für sich alleine nichts zur Krankheit oder einer Infektion eines Menschen aussagt.

Laut einer Studie aus dem Jahr 2020 (Bullard, J., Dust, K., Funk, D., Strong, J. E., Alexander, D., Garnett, L., ... & Poliquin, G. (2020). Predicting infectious severe acute respiratory syndrome coronavirus 2 from diagnostic samples. Clinical Infectious Diseases, 71(10), 2663-2666.) ist bei CT-Werten größer als 24 kein vermehrungsfähiger Virus mehr nachweisbar und ein PCR Test nicht dazu geeignet, die Infektiosität zu bestimmen.

Geht man von den Definitionen des Gesundheitsministers, „Falldefinition Covid-19“ vom 23.12.2020 aus, so ist ein „bestätigter Fall“ 1) jede Person mit Nachweis von SARS-CoV-2 spezifischer Nukleinsäure (PCR-Test, Anm.), unabhängig von klinischer Manifestation oder 2) jede Person, mit SARS-CoV-2 spezifischem Antigen, die die klinischen Kriterien erfüllt oder 3) jede Person, mit Nachweis von SARS-CoV- spezifischem Antigen, die die epidemiologischen Kriterien erfüllt.

Es erfüllt somit keiner der drei vom Gesundheitsminister definierten „bestätigten Fälle“ die Erfordernisse des Begriffs „Kranker/Infizierter“ der WHO.

Das alleinige Abstellen auf den PCR-Test (bestätigter Fall 1) wird von der WHO abgelehnt, siehe oben.

Das Abstellen auf eine Antigen-Feststellung mit klinischen Kriterien (bestätigter Fall 2) läßt offen, ob die klinische Abklärung durch einen Arzt erfolgt ist, dem sie ausschließlich vorbehalten ist; maW: ob eine Person krank ist oder gesund, muss von einem Arzt getroffen werden (vgl. § 2 Abs. 2 Z 1 und 2 Ärztegesetz 1998, BGBl. I. Nr. 169/1998 idF BGBl. I Nr. 31/2021).

Zu den Antigentests ist überdies zu bemerken, dass diese bei fehlender Symptomatik hochfehlerhaft sind (https://www.ages.at/...). Dennoch stützt sich die Corona-Kommission für die aktuellen Analysen ausschließlich auf Antigen-Tests (siehe Monitoring der Covid-19 Schutzmaßnahmen, Kurzbericht 21.1.2021).

Ein Antigen-Test bestätigt einen Fall (3) auch dann, wenn eine Kontaktnachverfolgung zu der zu bestätigenden Person erfolgreich war. Damit werden dann zwei aufeinandertreffende Antigen-positiv getestete Personen auf einmal zum bestätigten Fall auch ohne klinischer Manifestation und ohne PCR-Test unter Anwendung der WHO-Richtlinien.

Sollte die Corona-Kommission die Falldefinition des Gesundheitsministers zugrunde gelegt haben, und nicht jene der WHO; so ist jegliche Feststellung der Zahlen für „Kranke/Infizierte“ falsch.

Im Übrigen wird darauf hingewiesen, dass selbst beim Verwenden der Fallzahlen nach der Definition der WHO die jeweiligen Modelle des Seuchengeschehens und die Bezüglichkeit der Zahlen ausschlaggebend für eine richtige Beurteilung sind. Sowohl in den Bewertungskriterien als auch in der aktuellen Risikoeinschätzung der Corona-Kommission vom 21.1.2021 finden sich dazu nur Sekundärquellen. Es wird auf die AGES (Österreichische Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit GmbH) und auf die GÖG (Gesundheit Österreich GmbH) verwiesen. Mitteilungen von diesen werden offenbar ungeprüft zugrunde gelegt und die von diesen dafür verwandten wissenschaftlichen Quellen sowie statistisch prognostische Methoden nicht genannt. Besonders hervorzuheben war, dass stark steigende Fallzahlen nicht zuletzt auf stark steigende Tests zurückzuführen sind.

Insgesamt ist bezüglich der „Information“ des Gesundheitsdienstes der Stadt Wien und der darauf fußenden Begründung des Untersagungsbescheides festzuhalten, dass zum Seuchengeschehen keine validen und evidenzbasierten Aussagen und Feststellungen vorliegen.

Dies wird unterstrichen durch die „Limitationen“ der Corona-Kommission, lautend „Es kann kein Rückschluss auf die Wirksamkeit einzelner Maßnahmen gezogen werden, da davon auszugehen ist, dass diese in Wechselwirkung zueinander stehen und sich in ihrer Wirkung gegenseitig beeinflussen.“.

Zur rechtlichen Beurteilung einer nicht verwertbaren Information zur Seuchenlage sowie der Einschätzung des LVT ist ergänzend auszuführen:

Die bloße, abstrakte Befürchtung eines konsenswidrigen Betriebes kann – hier im Betriebsanlagenrecht – nicht zu einer prophylaktischen Versagung einer Bewilligung führen (vgl. VwGH vom 21.12.2004, 2002/04/0124; vom 30.06.2004, 2001/04/0204).

Umso mehr dies bei einem Grund- und Freiheitsrecht, dem der Freiheit zu Versammlungen, zu gelten. Wie der Verfassungsgerichtshof ständig judiziert hat (vgl. VfGH vom 30.06.2004, B491/03; vom 30.08.2008, B663/08, beginnend mit RGH vom 23.01.1905, 691/1904), reichen bloße allgemeine Befürchtungen nicht aus für eine Untersagung einer Versammlung.

Die Untersagung der Versammlung erfolgte zu Unrecht, weshalb spruchgemäß zu entscheiden war.

Die ordentliche Revision ist unzulässig, da keine Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG zu beurteilen war, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung. Weiters ist die dazu vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Ebenfalls liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Schlagworte

Versammlung; Untersagung; Sicherheitsabstand; Mund-Nasen-Schutz; allgemeine Befürchtung; politische Partei

Anmerkung

VwGH v. 29.9.2021, Ra 2021/01/0181; Zurückweisung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:LVWGWI:2021:VGW.103.048.3227.2021

Zuletzt aktualisiert am

03.11.2021
Quelle: Landesverwaltungsgericht Wien LVwg Wien, http://www.verwaltungsgericht.wien.gv.at
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