TE Vwgh Beschluss 2021/9/27 Ra 2021/17/0106

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 27.09.2021
beobachten
merken

Index

001 Verwaltungsrecht allgemein
10/07 Verfassungsgerichtshof
10/07 Verwaltungsgerichtshof
19/05 Menschenrechte
40/01 Verwaltungsverfahren
41/02 Asylrecht
41/02 Passrecht Fremdenrecht

Norm

AVG §68 Abs1
BFA-VG 2014 §9
FrPolG 2005 §52 Abs1 Z1
FrPolG 2005 §52 Abs5
FrPolG 2005 §53
FrPolG 2005 §53 Abs3
MRK Art8 Abs2
NAG 2005 §10 Abs1
NAG 2005 §21 Abs1
NAG 2005 §21 Abs2 Z1
NAG 2005 §21 Abs6
NAG 2005 §24 Abs1
NAG 2005 §25 Abs2
NAG 2005 §47
NAG 2005 §60 Abs1
NAG 2005 §60 Abs2 Z1
NAG 2005 §60 Abs2 Z2
VerfGG 1953 §87 Abs1
VerfGG 1953 §87 Abs2
VwGG §34 Abs1
VwGG §42 Abs2
VwGG §42 Abs3
VwRallg

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Enzenhofer und den Hofrat Mag. Berger sowie die Hofrätin Dr. Koprivnikar als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Kovacs, über die Revision des M C, vertreten durch Dr. Alois Eichinger, Rechtsanwalt in 1030 Wien, Rochusgasse 2/12, gegen das am 10. Mai 2021 mündlich verkündete und mit 14. Mai 2021 schriftlich ausgefertigte Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes, L521 2118691-3/101E, betreffend Nichterteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG 2005, Erlassung einer Rückkehrentscheidung samt Nebenaussprüchen und Erlassung eines Einreiseverbotes (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1        1.1. Der 1981 geborene Revisionswerber ist türkischer Staatsangehöriger und kam 1998 unrechtmäßig nach Österreich. Am 6. November 2000 stellte er einen Asylantrag, den er am 14. August 2002 zurückzog. Der Revisionswerber verfügte ab dem 21. Oktober 2002 über eine Niederlassungsbewilligung als Familienangehöriger gemäß § 49 Fremdengesetz 1997 (FrG), ab dem 6. Oktober 2005 über einen Niederlassungsnachweis nach § 49 Abs. 2 FrG und ab dem 23. Juni 2006 über den Aufenthaltstitel „Daueraufenthalt-Familienangehöriger“. Die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien erließ mit Bescheid vom 4. Oktober 2010 im Instanzenzug gegen den Revisionswerber ein auf die Dauer von zehn Jahren befristetes Aufenthaltsverbot gemäß § 60 Abs. 1 und Abs. 2 Z 1 und Z 2 iVm § 63 Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG); begründend wurden u.a. acht Betretungsverbote, ein Waffenverbot, vier strafgerichtliche Verurteilungen sowie diverse Verwaltungsübertretungen (u.a. wegen Missachtung eines Betretungsverbotes, Inbetriebnahme eines KFZ im Zustand der Minderalkoholisierung, Lenken eines KFZ in alkoholbeeinträchtigtem Zustand, aggressivem Verhalten gegenüber Organen der öffentlichen Aufsicht) angeführt. Die Beschwerde des Revisionswerbers gegen diesen Bescheid wurde mit Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 19. April 2012, 2010/18/0426, als unbegründet abgewiesen. Der Revisionswerber verblieb jedoch im Bundesgebiet. Das Verfahren über den vom Revisionswerber am 24. Februar 2011 gestellten Antrag auf Verlängerung des Aufenthaltstitels „Daueraufenthalt-Familienangehöriger“ ist noch anhängig und wird von der Behörde als „Erstantrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels ‚Familienangehöriger‘ gemäß § 47 NAG“ behandelt. Dem Bundesverwaltungsgericht (BVwG) wurde von der zuständigen Behörde mitgeteilt, dass einer Erteilung eines Aufenthaltstitels öffentliche Interessen entgegenstünden und die Abweisung des Antrages intendiert werde.

2        1.2. Am 8. Oktober 2002 heiratete der Revisionswerber eine österreichische Staatsbürgerin, mit der er drei Kinder - geboren 2003, 2004 und 2006 - hat, die ebenfalls österreichische Staatsbürger sind. Die Ehe wurde - nachdem gegen den Revisionswerber ab 2004 Betretungsverbote im Hinblick auf die eheliche Wohnung ausgesprochen worden waren - am 28. Juni 2006 geschieden und am 2. November 2015 neuerlich geschlossen. Nach Ausspruch eines Betretungsverbotes gegen den Revisionswerber im Jänner 2019 wurden diesem mit Beschluss des Bezirksgerichtes Innere Stadt Wien vom 11. Februar 2019 gemäß § 382b und § 382e EO für die Dauer von sechs Monaten die Rückkehr in die eheliche Wohnung sowie der Aufenthalt in der unmittelbaren Umgebung verboten und wurden Zusammentreffen sowie Kontaktaufnahmen mit seiner Ehefrau untersagt. Der Antrag der Eheleute auf Scheidung im Einvernehmen vom 11. Juni 2019 wurde vor Eintritt der Rechtskraft des Scheidungsbeschlusses des Bezirksgerichtes Innere Stadt Wien vom 11. November 2020 am 4. Dezember 2020 vom Revisionswerber zurückgezogen. Mit Beschluss vom 11. Dezember 2020 stellte das Bezirksgericht Innere Stadt Wien fest, dass der Scheidungsbeschluss wirkungslos sei und die Parteien nach wie vor aufrecht verheiratet seien.

3        1.3. Der Revisionswerber trat neunmal strafgerichtlich in Erscheinung:

4        1.3.1 Der Revisionswerber wurde zwischen 2006 und 2009 rechtskräftig wegen des Vergehens der Veruntreuung nach § 133 Abs. 1 und 2 erster Fall StGB zu einer bedingten Freiheitsstrafe von neun Monaten, wegen des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs. 1 StGB zu einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen zu je € 10,--, wegen des Vergehens der Weitergabe und des Besitzes nachgemachten oder verfälschten Geldes nach § 233 Abs. 1 Z 1 StGB zu einer bedingten Freiheitsstrafe von einem Jahr und wegen des Vergehens der Weitergabe von Falschgeld oder verringerten Geldmünzen nach § 236 Abs. 1 StGB zu einer bedingten Freiheitsstrafe von zwei Monaten (als Zusatzstrafe) verurteilt.

5        1.3.2. Mit rechtskräftigem Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 5. Jänner 2011 wurde der Revisionswerber wegen der Vergehen der Nötigung nach § 105 Abs. 1 StGB und der Körperverletzung nach § 83 Abs. 1 StGB zu einer bedingten Freiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt, weil er seine Ehefrau mit Gewalt, indem er sie mit einem Tuch gewürgt und zu Boden gebracht habe, dazu genötigt habe, sich bei ihm zu entschuldigen und Beschimpfungen zu unterlassen, wobei sie Hämatome am linken Auge und am Hals erlitten habe.

6        1.3.3. Mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Graz vom 14. März 2013 wurde der Revisionswerber wegen der Verbrechen des Suchtgifthandels nach § 28a Abs. 1 vierter und fünfter Fall SMG, § 15 StGB sowie der Vergehen des unerlaubten Umganges mit Suchtgiften nach § 27 Abs. 1 Z 1 erster und zweiter Fall SMG rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von 18 Monaten verurteilt. Der Revisionswerber habe anderen Personen Suchtgift in einer die Grenzmenge (§ 28b) übersteigenden Menge von Jänner 2012 bis zum 16. März 2012 zum Kauf angeboten (200 bis 300 Gramm Kokain) und Ende Jänner 2012 zu überlassen versucht (1.800 Gramm Cannabiskraut). Im Zeitraum von Jänner 2012 bis zum 16. März 2012 habe der Revisionswerber anderen Personen Suchtgift in einer die Grenzmenge (§ 28b) übersteigenden Menge (insgesamt 4.450 Gramm Cannabiskraut) überlassen. Zudem habe der Revisionswerber von Anfang des Jahres 2008 bis zum 16. März 2012 unbekannte Mengen Cannabiskraut konsumiert.

7        1.3.4. Des Weiteren wurde der Revisionswerber mit Urteil des Bezirksgerichtes Innere Stadt Wien vom 22. Juli 2016 wegen des Vergehens des (versuchten) Diebstahls nach §§ 15, 127 StGB rechtskräftig zu einer bedingten Freiheitsstrafe von vier Monaten verurteilt und für die Dauer der Probezeit Bewährungshilfe angeordnet.

8        1.3.5. Mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 16. Februar 2017 wurde der Revisionswerber wegen der Vergehen des unerlaubten Umganges mit Suchtgiften nach § 27 Abs. 1 Z 1 achter Fall, Abs. 3 und 5 SMG und nach § 27 Abs. 1 Z 1 erster und zweiter Fall, Abs. 2 SMG sowie der Vorbereitung von Suchtgifthandel nach § 28 Abs. 1 erster und zweiter Fall, Abs. 4 erster Fall SMG zu einer Freiheitsstrafe von neun Monaten verurteilt. Der Revisionswerber habe zu näher genannten Zeitpunkten bzw. in den näher genannten Zeiträumen anderen Personen Heroin teils entgeltlich überlassen, wobei er ab der dritten entgeltlichen Tathandlung gewerbsmäßig gehandelt habe. Zudem habe er zu näher genannten Zeitpunkten Suchtgift in einer die Grenzmenge (§ 28b) mehrfach übersteigenden Menge (69 Gramm Heroin) mit dem Vorsatz, dass es in Verkehr gesetzt werde, erworben und besessen. Der Revisionswerber sei an Heroin gewöhnt und habe die strafbaren Handlungen vorwiegend begangen, um sich Suchtmittel für seinen persönlichen Gebrauch oder die Mittel zu deren Erwerb zu verschaffen. Von Ende November 2015 bis zum 8. November 2016 habe der Revisionswerber wiederholt Heroin zum persönlichen Gebrauch erworben und besessen.

9        1.3.6. Mit Beschluss des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 10. März 2017 wurde dem Revisionswerber u.a. unter der Voraussetzung einer Entzugs- und Substitutionsbehandlung Strafaufschub gemäß § 39 Abs. 1 SMG bis zum 22. Februar 2019 gewährt und aufgrund eines positiven Abschlussberichtes einer näher genannten Therapieeinrichtung vom 25. Mai 2018 die Freiheitsstrafe mit Beschluss vom 10. Juli 2018 gemäß § 40 Abs. 1 SMG bedingt nachgesehen.

10       1.3.7. Zuletzt wurde der Revisionswerber mit rechtskräftigem Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 12. Februar 2020 wegen der Vergehen der schweren Sachbeschädigung nach §§ 125, 126 Abs. 1 Z 7 StGB, der Urkundenfälschung nach § 223 Abs. 1 und 2 StGB, der Vortäuschung einer mit Strafe bedrohten Handlung nach § 298 Abs. 1 StGB, eines Vergehens nach § 50 Abs. 1 Z 3 Waffengesetz sowie des Vergehens des Betruges nach § 146 StGB zu einer Freiheitsstrafe von zehn Monaten verurteilt. Unter anderem habe der Revisionswerber am 16. Oktober 2018 Reifen von drei fremden PKW mit einem Küchenmesser aufgestochen, bei einem dieser PKW eine Scheibe mit einem Baseballschläger eingeschlagen, eine unbekannte Flüssigkeit in den Kofferraum geschüttet und diese angezündet sowie am 16. Jänner 2019 das Küchenfenster der an seine Ehefrau vermieteten Wohnung eingeschlagen.

11       1.4. Mit Bescheid vom 25. August 2020 erteilte die belangte Behörde dem Revisionswerber keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.), erließ gemäß § 10 Abs. 2 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 1 Z 1 FPG (Spruchpunkt II.), stellte gemäß § 52 Abs. 9 FPG fest, dass seine Abschiebung gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt III.), gewährte gemäß § 55 Abs. 4 FPG keine Frist für die freiwillige Ausreise, erkannte einer Beschwerde gegen die Rückkehrentscheidung gemäß § 18 Abs. 2 Z 1 BFA-VG die aufschiebende Wirkung ab (Spruchpunkt IV.) und erließ gegen ihn gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 1 FPG ein auf die Dauer von zehn Jahren befristetes Einreiseverbot (Spruchpunkt V.).

12       2.1. Mit Teilerkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes (BVwG) vom 6. Oktober 2020 wurde der Antrag des Revisionswerbers, der gegen diesen Bescheid erhobenen Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, als unzulässig zurückgewiesen und der Beschwerde in Abänderung des Spruchpunktes IV. des angefochtenen Bescheides die aufschiebende Wirkung zuerkannt.

13       2.2. Die gegen Spruchpunkte I. bis III. des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 25. August 2020 erhobene Beschwerde wies das BVwG mit dem nunmehr angefochtenen Erkenntnis nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung mit der Maßgabe als unbegründet ab, dass die Rückkehrentscheidung - neben § 52 Abs. 1 Z 1 - auch auf § 52 Abs. 5 FPG gestützt werde und der Spruchpunkt III. um die Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung des Revisionswerbers in die „Republik Türkei“ zu ergänzen sei. Der Beschwerde gegen Spruchpunkt IV. gab das BVwG Folge und legte eine Frist für die freiwillige Ausreise von zwei Wochen ab Rechtskraft der Entscheidung fest. Weiters wies das BVwG die Beschwerde gegen Spruchpunkt V. unter Herabsetzung der Dauer des Einreiseverbotes auf vier Jahre und sechs Monate als unbegründet ab und erklärte die Revision an den Verwaltungsgerichtshof gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig.

14       3. Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision.

15       4. Die Revision erweist sich als unzulässig:

16       4.1. Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

17       Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.

18       Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision - gesondert - vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

19       4.2.1. Die vorliegende Revision wendet sich gegen die Erlassung der Rückkehrentscheidung und des Einreiseverbotes und macht zu ihrer Zulässigkeit zunächst geltend, dass die Bestimmungen des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrates vom 19. September 1980 über die Entwicklung der Assoziation (ARB 1/80) zu berücksichtigen gewesen wären.

20       Das BVwG führte hierzu im Rahmen seiner rechtlichen Beurteilung u.a. aus, der Revisionswerber habe keine geschützte Rechtsposition nach dem ARB 1/80 erlangt und verfüge somit auch über kein daraus erwachsenes Aufenthaltsrecht: Die Beschäftigungsverhältnisse des Revisionswerbers hätten nicht (ununterbrochen) mehr als ein Jahr angedauert, eine selbstständige Beschäftigung sei nicht von Art. 6 ARB 1/80 umfasst (vgl. VwGH 19.4.2012, 2010/18/0426, sowie VwGH 23.6.2015, Ro 2014/22/0038). Eine Beschäftigung als Strafgefangener im Sinne des § 44 Abs. 1 Strafvollzugsgesetz sei nicht als ordnungsgemäße Beschäftigung am regulären Arbeitsmarkt im Sinne des Art. 6 ARB 1/80 anzusehen (vgl. VwGH 17.5.2006, 2004/08/0271). Der Anwendung des Art. 7 ARB 1/80 stehe entgegen, dass die Ehefrau des Revisionswerbers bereits vor der ersten Eheschließung österreichische Staatsbürgerin gewesen sei (vgl. VwGH 6.9.2012, 2012/18/0061). Der Revisionswerber sei seiner Verpflichtung zur Ausreise nicht nachgekommen, sodass er sich auch nicht auf die Stillhalteklausel des Art. 13 ARB 1/80 berufen könne (vgl. VwGH 26.1.2012, 2008/21/0304, wonach sich auf die Stillhalteklausel nur berufen könne, wer die Vorschriften des Aufnahmemitgliedstaats auf dem Gebiet der Einreise, des Aufenthaltes und gegebenenfalls der Beschäftigung beachtet habe). Auch erschloss sich dem BVwG nicht, inwiefern die Anwendung der Stillhalteklausel eine Verbesserung der Rechtsposition des Revisionswerbers bewirken würde, habe doch bereits die § 10 Abs. 1 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) entsprechende Bestimmung des § 16 Abs. 2 FrG vorgesehen, dass Aufenthaltstitel ungültig würden, wenn gegen Fremde ein Aufenthaltsverbot durchsetzbar werde. Im Übrigen sei nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes - anders als nach der bis 31. Dezember 2012 geltenden Rechtslage - auch gegen türkische Staatsangehörige, die über eine Aufenthaltsberechtigung nach dem ARB 1/80 verfügen würden und deren Aufenthalt in Übereinstimmung mit Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 beendet werden solle, nicht mehr ein Aufenthaltsverbot, sondern bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 52 Abs. 5 iVm § 53 Abs. 3 FPG eine Rückkehrentscheidung samt Einreiseverbot zu erlassen (vgl. VwGH 4.4.2019, Ra 2019/21/0009).

21       Vor dem Hintergrund der Tatsache, dass der Verwaltungsgerichtshof bereits bei der Abweisung der Beschwerde des nunmehrigen Revisionswerbers gegen das Aufenthaltsverbot seine fehlende Berechtigung nach Art. 6 ARB 1/80 bezogen auf Oktober 2010 mit näherer Begründung verneint hat (VwGH 19.4.2012, 2010/18/0426) und dass daran anschließend mangels „ordnungsgemäßer“ Beschäftigung während des unrechtmäßigen Aufenthaltes trotz gültigen Aufenthaltsverbotes von vorneherein keine ARB-Berechtigung erlangt werden konnte (vgl. VwGH 24.3.2015, Ro 2014/09/0057; VwGH 13.8.2013, 2013/08/0151), legt die Revision in der allein maßgeblichen Zulässigkeitsbegründung nicht dar, welche Bestimmungen des ARB 1/80 konkret unberücksichtigt geblieben bzw. nicht ausreichend berücksichtigt worden wären. Dass das BVwG mit seiner Rechtsansicht in Bezug auf die Frage der Anwendung der Bestimmungen des ARB 1/80 auf den vorliegenden Fall von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen wäre, wird vom Revisionswerber nicht behauptet.

22       4.2.2. Sofern der Revisionswerber zudem auf das noch anhängige Verfahren betreffend seinen Antrag vom 24. Februar 2011 (auf Verlängerung seines Aufenthaltstitels) verweist, ist dem entgegenzuhalten, dass dem Revisionswerber aus jenem Antrag kein Aufenthaltsrecht erwächst, das der Erlassung einer Rückkehrentscheidung entgegenstünde.

23       Ein mit der dortigen Antragstellung angestrebtes Wiederaufleben des Aufenthaltstitels, der infolge Erlassung eines rechtskräftigen Aufenthaltsverbotes untergegangen ist, kommt im Sinne des § 10 Abs. 1 NAG nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nur im Fall der Aufhebung der aufenthaltsbeendenden Maßnahme durch ein Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes oder des Verwaltungsgerichtshofes in Frage (vgl. VwGH 9.8.2018, Ra 2018/22/0045, mwN).

24       Auch eine Fortsetzung jenes Verfahrens - mit dem damit gemäß § 24 Abs. 1 NAG einhergehenden rechtmäßigen Aufenthalt des Antragsstellers im Bundesgebiet bis zur rechtskräftigen Entscheidung über den Antrag - kommt nicht in Betracht, weil Verfahren über Verlängerungsanträge auf Erteilung von Aufenthaltstiteln gemäß § 25 Abs. 2 NAG formlos einzustellen sind, wenn eine Aufenthaltsbeendigung in Rechtskraft erwächst, und eine Fortsetzung des Verfahrens - im Gleichklang mit § 10 Abs. 1 NAG - nur im Fall einer ex tunc wirkenden Aufhebung vorgesehen ist (vgl. VwGH 30.9.2014, Ro 2014/22/0035).

25       Zuletzt ist darauf hinzuweisen, dass dem Revisionswerber auch aus der Stellung eines Erstantrages kein Aufenthaltsrecht erwachsen konnte, zumal das Verfahren selbst bei rechtmäßiger Inlandsantragsstellung von hierzu berechtigten Familienangehörigen von österreichischen Staatsbürgern im Sinne des § 21 Abs. 2 Z 1 NAG nach Ablauf der erlaubten visumfreien oder visumpflichtigen Aufenthaltsdauer im Ausland abzuwarten ist (vgl. § 21 Abs. 1 und 6 NAG sowie VwGH 28.5.2019, Ro 2016/22/0016).

26       4.2.3. Des Weiteren wird in der Revision vorgebracht, die Frage, ob die vom Revisionswerber ausgehende Gefahr das in § 52 Abs. 5 FPG angesprochene Niveau erreiche und somit eine Rückkehrentscheidung zu erlassen sei oder die familiären und privaten Bindungen im Bundesgebiet einer solchen entgegenstünden, sei unrichtig gelöst worden. Die in Österreich aufhältigen Kinder und die Ehefrau hätten sich für den weiteren Aufenthalt des Revisionswerbers ausgesprochen. Der Revisionswerber habe sich zuletzt bis 4. September 2020 in Strafhaft befunden, während der Anhaltung eine „gute Führung gezeigt“ und in der Schlosserei gearbeitet. Die bestehende ungünstige Gefährdungsprognose ließe sich durch eine Abstinenz von Suchtmitteln nach einer Therapie entsprechend mindern, jedoch habe eine solche aufgrund der „Covid-19-Situation“ nicht durchgeführt werden können. Der Revisionswerber habe glaubwürdig seine Bereitschaft bekundet, eine Therapie in Anspruch zu nehmen. Aufgrund seiner Suchtmittelabhängigkeit sei er in ein Substitutionsprogramm aufgenommen worden. Schließlich sei bei der zu Lasten des Revisionswerbers angenommenen Gefährdungsprognose nicht berücksichtigt worden, dass jede verhängte Strafe zu einer Besserung des Betroffenen führen solle.

27       Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist die bei der Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung vorgenommene Interessenabwägung im Allgemeinen - wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgte und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde - nicht revisibel. Das gilt sinngemäß auch für die einzelfallbezogene Erstellung einer Gefährdungsprognose (vgl. VwGH 29.6.2017, Ra 2017/21/0075, mwN).

28       Auch hat der Verwaltungsgerichtshof in Bezug auf Suchtgiftdelinquenz bereits wiederholt festgehalten, dass diese ein besonders verpöntes Fehlverhalten darstellt, bei dem erfahrungsgemäß eine hohe Wiederholungsgefahr gegeben ist und an dessen Verhinderung ein besonders großes öffentliches Interesse besteht (vgl. VwGH 5.10.2020, Ra 2020/19/0314, mwN), und dass die durch eine aufenthaltsbeendende Maßnahme sowie u.a. durch die Erlassung eines Einreiseverbotes bewirkte Trennung von Familienangehörigen im großen öffentlichen Interesse an der Verhinderung von Suchtgiftkriminalität in Kauf zu nehmen ist (vgl. VwGH 15.4.2020, Ra 2019/18/0270, mwN).

29       Zur Beurteilung des öffentlichen Interesses im Rahmen der Interessenabwägung nach § 9 BFA-VG bedarf es ebenso wie für das verhängte Einreiseverbot nach § 53 Abs. 3 FPG (bei dem auf eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit abzustellen ist) einer einzelfallbezogenen Einschätzung der vom Fremden aufgrund seiner Straffälligkeit ausgehenden Gefährdung. Bei einer solchen Gefährdungsprognose ist das Gesamtverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen und auf Grund konkreter Feststellungen eine Beurteilung dahingehend vorzunehmen, ob und im Hinblick auf welche Umstände die anzuwendende Gefährdungsannahme gerechtfertigt ist. Dabei ist nicht auf die bloße Tatsache einer Verurteilung bzw. Bestrafung des Fremden, sondern auf die Art und Schwere der zu Grunde liegenden Straftaten und auf das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild abzustellen (vgl. VwGH 5.3.2021, Ra 2020/21/0289, mwN).

30       Das BVwG traf nach Abhaltung mehrerer Tagsatzungen unter Einvernahme des Revisionswerbers, seiner Ehefrau und Kinder sowie weiterer Zeugen Feststellungen zum Privat- und Familienleben des Revisionswerbers, zu seinen Bindungen zum Herkunftsstaat und zur Lage in diesem, zu den von ihm begangenen Straftaten unter Berücksichtigung der konkreten Tatumstände sowie unter auszugsweiser Wiedergabe der Sachverständigengutachten aus den Gebieten der Psychologie und Psychiatrie vom 6. März 2017 und vom 5. November 2019 Feststellungen zur Persönlichkeitsstruktur des Revisionswerbers. Im Rahmen seiner rechtlichen Beurteilung gelangte es schließlich nach umfassender Würdigung zu dem Ergebnis, dass der Revisionswerber eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit darstelle und das öffentliche Interesse an der Aufenthaltsbeendigung des Revisionswerbers dessen Interesse am Verbleib im Bundesgebiet überwiege.

31       Der Revisionswerber habe - wie das BVwG näher ausführte - seit dem Jahr 2005 regelmäßig strafbare Handlungen gesetzt und es seien mit Ausnahme der Zeit nach der Verurteilung im Jahr 2012 [gemeint ist wohl 2013] keine längeren Phasen des Wohlverhaltens zu verzeichnen. Er habe im Jahr 2008 mit der Konsumation von Cannabis begonnen und zumindest ab dem Jahr 2016 Heroin konsumiert. Die wirtschaftlichen Schwierigkeiten des Revisionswerbers, dem es nicht gelungen sei, sich auf dem Arbeitsmarkt nachhaltig zu integrieren, die Zeiten der Arbeitslosigkeit und die Ehe- bzw. Beziehungsprobleme hätten sich wiederholt destabilisierend ausgewirkt, wobei sich die Lage mit der Verhängung des Aufenthaltsverbotes im Jahr 2010 und dem damit einhergehenden unrechtmäßigen Aufenthalt im Bundesgebiet weiter verschlechtert habe und im neuerlichen Abgleiten in den Suchtgiftkonsum und in die Kriminalität gemündet sei. Weder das verhängte Aufenthaltsverbot noch das dem Revisionswerber drohende Haftübel (bei Begehung von Straftaten innerhalb der offenen Probezeit) oder die ihm wiederholt gewährte Rechtswohltat der bedingten Strafnachsicht habe den Revisionswerber von der Begehung eines Verbrechens abhalten können. Obwohl im Jahr 2012 noch keine gravierende Suchtgiftabhängigkeit bestanden habe, habe der Revisionswerber innerhalb eines Zeitraumes von nicht einmal drei Monaten große Mengen unterschiedlicher Suchtgifte entgeltlich in Verkehr gesetzt und somit nicht nur sich selbst geschadet, sondern Dritten den Zugang zu Suchtmitteln eröffnet. Trotz Vollzug einer langen Freiheitsstrafe habe der Revisionswerber erneut und innerhalb offener Probezeiten entgeltlich Suchtgifte in Verkehr gesetzt und Heroin zum Weiterverkauf in einer mehrfach die Grenzmenge des § 28b SMG übersteigenden Menge besessen. Sein Suchtgiftkonsum habe jedoch nicht nur zu zwei einschlägigen Verurteilungen geführt, sondern auch zu den der Verurteilung vom 12. Februar 2020 zugrunde liegenden, willkürlich anmutenden Aggressionen gegen das Eigentum unbeteiligter Dritter, wobei es sich um fünf unterschiedliche und in zeitlicher Nähe zueinander begangene Straftaten gehandelt habe. Es sei klar erkennbar, dass sich der letzte Gewaltausbruch als Folge (neuerlichen) Drogenmissbrauches aufgrund der tristen wirtschaftlichen Lage des Revisionswerbers darstelle. Der Suchtmitteleinfluss fördere die künftige Begehung äquivalenter Delikte durch den Revisionswerber sowie familiäre Auseinandersetzungen und tätliche Übergriffe auf seine Ehefrau.

32       Die ungünstige Gefährdungsprognose ließe sich zwar durch eine Abstinenz von Suchtmitteln mindern, jedoch hätten erst die Verurteilung im Jahr 2017 und die in Aussicht gestellte Rechtswohltat des § 39 Abs. 1 SMG den Revisionswerber, der bereits ab dem Jahr 2008 Suchtgift konsumiert und in der Folge damit zu handeln begonnen habe, zur Inanspruchnahme einer Therapie bewegen können. In der Folge habe die Therapieeinrichtung am 25. Mai 2018 einen positiven Abschlussbericht übermittelt, jedoch sei der Revisionswerber aufgrund des Verlustes eines Arbeitsplatzes umgehend rückfällig geworden, zumal sich in seiner Harnprobe vom 18. Oktober 2018 Spuren von Kokain, Benzodiazepinen, Cannabis und Methadon befunden hätten.

33       Die Beziehung des Revisionswerbers sei durch häusliche Gewalt überschattet. Gegen den Revisionswerber seien - nach den Feststellungen des BVwG ab dem Jahr 2004 - wiederholt Betretungsverbote erlassen worden. Nachdem der Revisionswerber im Jahr 2011 wegen Nötigung und Körperverletzung verurteilt worden sei, sei nach einer Auseinandersetzung in der ehelichen Wohnung zunächst im Jänner 2019 erneut ein Betretungsverbot verhängt und im Februar 2019 eine einstweilige Verfügung gegen den Revisionswerber erlassen worden (wobei zwischen dem 22. Juni 2019 und dem 30. Juli 2019 vier Verstöße dokumentiert seien). Dass sich die familiären Gegebenheiten stabilisierend auf den Revisionswerber auswirken würden, sei nicht zu erkennen, zumal die Stabilisierung der familiären Situation nach der neuerlichen Verehelichung im Jahr 2015 keinen Gesinnungswandel bewirkt habe. Vielmehr habe der Revisionswerber sein Konsumverhalten gesteigert und mit dem Konsum von Heroin begonnen, wobei dies rasch in eine Abhängigkeit und einen stetigen täglichen Konsum zur Vermeidung von Entzugserscheinungen übergegangen sei und in dem bislang massivsten Einbruch in den Jahren 2018 und 2019 gemündet habe. Die Verantwortung für seine Familie, insbesondere jene gegenüber dem jüngsten Sohn, der nach den Feststellungen des BVwG an einer spastischen beinbetonten bilateralen Cerebralparese sowie einer pathologisch niedrigen Wachstumsrate leide und zur Fortbewegung einen Rollstuhl benötige, habe den Revisionswerber nicht davon abgehalten, Heroin zu konsumieren, bzw. diesen nicht angehalten, sich umgehend einer Therapie zu unterziehen.

34       Es sei von einer hohen Wiederholungsgefahr auszugehen, zumal sich die vom Revisionswerber in Anspruch genommene Therapie als wirkungslos erwiesen habe und die Therapiefähigkeit des Revisionswerbers von einer Sachverständigen als eher gering eingeschätzt worden sei. Weder habe der Revisionswerber erneut eine Therapie in Anspruch genommen, noch sich mit den in seiner Persönlichkeitsstruktur gelegenen Ursachen auseinandergesetzt. Vielmehr suche er die Auslöser seines eigenen Fehlverhaltens in äußeren Umständen und neige zu hoher Irritabilität und Affektlabilität. Seine Kritikfähigkeit sei herabgesetzt bzw. kaum vorhanden und er wisse sich nur in positiven Zügen zu beschreiben, nicht aber in negativen Zügen und in eigenen Schwächen. Vor dem Hintergrund der fehlenden kritischen Auseinandersetzung des Revisionswerbers mit seinem Heroinkonsum und den von ihm begangenen Straftaten sowie der bereits fehlgeschlagenen Therapie sei ernsthaft zu befürchten, dass er sich auch weiterhin bei beruflichen oder privaten Rückschlägen anfällig für Suchtgiftkonsum zeige und mangels entsprechend hoher verfügbarer finanzieller Mittel strafbare Handlungen zur Finanzierung seines Konsums begehe. Ein Wohlverhalten in Freiheit von maßgeblicher Dauer liege nicht vor. Der Revisionswerber sei im September 2020 aus der Strafhaft entlassen worden und habe noch einige Wochen bis zum 16. Oktober 2020 im Verwaltungsarrest (der Revisionswerber sei auch wiederholt verwaltungsstrafrechtlich in Erscheinung getreten) verbracht. Bereits im Dezember 2020 sei er erneut mit Suchtgift betreten worden, wobei er selbst den Erwerb und Konsum von Kokain eingestanden habe und die spätere, leugnende Verantwortung als nicht glaubwürdig erachtet worden sei. Der Revisionswerber befinde sich nach wie vor in einer instabilen Phase und verfüge über Kontakte zu Personen aus der Suchtgiftszene, von der er sich - selbst nach erneutem Strafvollzug und während des beim BVwG anhängigen Verfahrens - nicht distanzieren habe können, sodass die Annahme eines nachhaltigen Gesinnungswandels samt einer positiven Zukunftsprognose derzeit nicht möglich sei.

35       Dem gegenüber stünden der langjährige, zum Teil rechtmäßige Aufenthalt des Revisionswerbers in Österreich sowie dessen - für den Alltagsgebrauch ausreichende - Kenntnisse der deutschen Sprache. Das BVwG verkenne auch nicht, dass die Erlassung einer Rückkehrentscheidung zu einer Trennung des Revisionswerbers von seiner Ehefrau und seinen drei Söhnen, die österreichische Staatsbürger seien und in Österreich leben würden, führe und somit einen Eingriff in das durch Art. 8 EMRK geschützte Familienleben darstelle. Es erachte jedoch diesen Eingriff vor dem Hintergrund der rezenten und wiederholten Straffälligkeit des Revisionswerbers und dessen anhaltender Nähe zum Suchtgiftmilieu für notwendig und vertretbar. Dem stehe auch nicht das Kindeswohl entgegen. Der Revisionswerber habe von seiner Ehefrau zeitweise getrennt gelebt und es habe sich eine Trennung von der Familie infolge freiheitsentziehender Maßnahmen ergeben, wobei die Ehefrau des Revisionswerbers während dieser Zeiten in der Lage gewesen sei, die Betreuung ihrer Söhne auch alleine zu bewerkstelligen. Auch könne hierbei - wie bereits in der Vergangenheit - Unterstützung im Rahmen der mobilen Arbeit der Stadt Wien in Anspruch genommen werden. Das Auskommen der Familie sei durch das Erwerbseinkommen der Mutter der drei Kinder und den Bezug von Sozialleistungen - auch in Ansehung der medizinischen Bedürfnisse des jüngsten Sohnes des Revisionswerbers - ausreichend gesichert, es sei auch der notwendige Wohnraum vorhanden. Vor dem Hintergrund des fortgeschrittenen Lebensalters der Söhne könne der Kontakt anderweitig, etwa telefonisch, elektronisch oder durch Urlaubsaufenthalte in der Türkei, aufrechterhalten werden. Auch sei es dem Revisionswerber nicht verwehrt, nach Ablauf des Einreiseverbotes bei Erfüllung der allgemeinen aufenthaltsrechtlichen Regelungen in das Bundesgebiet zurückzukehren.

36       Vor dem Hintergrund der zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes und der - wiedergegebenen - umfassenden Auseinandersetzung des BVwG mit den persönlichen und familiären Verhältnissen des Revisionswerbers unter Einbeziehung des Kindeswohls sowie mit dessen Straffälligkeit und Persönlichkeitsbild gelingt es der Revision mit dem bloßen Verweis auf die Therapiewilligkeit und die Wichtigkeit seines weiteren Aufenthaltes für ein geregeltes Familienleben nicht darzutun, dass die vom BVwG fallbezogen vorgenommene Beurteilung in Bezug auf die Interessenabwägung oder in Bezug auf die Gefährdungsprognose in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise erfolgt ist. Eine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung wird mit diesem Vorbringen somit nicht aufgezeigt.

37       4.2.4. Wenn der Revisionswerber vorbringt, er sei in ein Substitutionsprogramm aufgenommen worden, unterliegt dieses Vorbringen dem aus § 41 VwGG abgeleiteten Neuerungsverbot, weil er im Rahmen der Tagsatzung am 12. Jänner 2021 noch selbst angegeben hatte, sich derzeit in keiner Therapie zu befinden, und er ein dementsprechendes Vorbringen erstmals in der Revision erstattete.

38       4.2.5. Sofern die Revision zuletzt pauschal auf die gute Führung und Arbeitstätigkeit des Revisionswerbers während des letzten Strafvollzuges sowie auf die durch Strafen zu bewirkenden Besserungen verweist, ist dem entgegenzuhalten, dass der Gesinnungswandel eines Straftäters grundsätzlich daran zu messen ist, ob und wie lange er sich - nach dem Vollzug einer Haftstrafe - in Freiheit wohlverhalten hat; für die Annahme eines Wegfalls der aus dem bisherigen Fehlverhalten ableitbaren Gefährlichkeit eines Fremden ist somit in erster Linie das Verhalten in Freiheit maßgeblich (vgl. VwGH 15.2.2021, Ra 2021/17/0006, mwN).

39       4.3. In der Revision werden somit insgesamt keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme.

40       4.4. Die vorliegende Revision war daher nach § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.

Wien, am 27. September 2021

Schlagworte

Individuelle Normen und Parteienrechte Rechtsanspruch Antragsrecht Anfechtungsrecht VwRallg9/2 Individuelle Normen und Parteienrechte Rechtswirkungen von Bescheiden Rechtskraft VwRallg9/3

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2021:RA2021170106.L00

Im RIS seit

21.10.2021

Zuletzt aktualisiert am

05.11.2021
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten