TE Vwgh Erkenntnis 1997/2/21 95/18/0297

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Veröffentlicht am 21.02.1997
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
19/05 Menschenrechte;
24/01 Strafgesetzbuch;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;
82/02 Gesundheitsrecht allgemein;

Norm

FrG 1993 §10 Abs1 Z4;
FrG 1993 §11;
MRK Art8 Abs1;
SGG §16 Abs1;
StGB §127;
StGB §129;
VwGG §42 Abs2 Z3 lita;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. W. Pesendorfer und die Hofräte Dr. Zeizinger, Dr. Robl, Dr. Rigler und Dr. Handstanger als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Neumair, über die Beschwerde des A in W, vertreten durch Dr. J, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid der Bundespolizeidirektion Wien vom 12. Jänner 1995, Zl. IV-433.481-FrB/95, betreffend Ungültigerklärung eines Sichtvermerkes, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.890,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

I.

1. Mit Bescheid vom 12. Jänner 1995 erklärte die Bundespolizeidirektion Wien (die belangte Behörde) gemäß §§ 11 Abs. 1 iVm 10 Abs. 1 Z. 4 Fremdengesetz - FrG, BGBl. Nr. 838/1992, den von ihr dem Beschwerdeführer, einem türkischen Staatsangehörigen, am 14. April 1982 erteilten Sichtvermerk für ungültig.

Der Beschwerdeführer befinde sich seit 1971 durchgehend in Österreich, habe hier die Schule besucht und übe den Beruf eines Installateurs aus. Der unbefristete Sichtvermerk sei erteilt worden, weil sich seine Eltern und Geschwister im Bundesgebiet befänden. Der Beschwerdeführer beabsichtige, demnächst eine österreichische Staatsbürgerin zu heiraten, und berufe sich auf seine "wirtschaftliche und soziale volle Integration".

Dem stehe gegenüber, daß der Beschwerdeführer bereits am 24. April 1985 bei der Staatsanwaltschaft beim Jugendgerichtshof Wien wegen einer Entwendung zur Anzeige gebracht worden sei. Am 11. Mai 1987 sei der Beschwerdeführer vom Jugendgerichtshof Wien wegen des Verbrechens des Einbruchsdiebstahles zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe in der Dauer von sechs Wochen rechtskräftig verurteilt worden. Am 29. November 1992 sei der Beschwerdeführer in Besitz von "11,5 kg" Kokain betreten worden. Er sei geständig gewesen, in den Monaten zuvor insgesamt 50 g auf Kommissionsbasis übernommen und 40 g davon an unbekannte Konsumenten weiterveräußert zu haben. 10 g hätte er selbst konsumiert. Am 11. März 1993 sei er vom Strafbezirksgericht Wien gemäß § 16 Abs. 1 Suchtgiftgesetz zu einer Geldstrafe von S 18.000,-- (90 Tagessätze zu je S 200,--) rechtskräftig verurteilt worden. (Nach dem Inhalt des von der belangten Behörde vorgelegten bezughabenden gerichtlichen Strafaktes liegt dieser Verurteilung zugrunde, daß der Beschwerdeführer vor dem 28. November 1992 30 bis 40 g Kokain anderen Personen überlassen hat.) Am 15. Dezember 1993 seien beim Beschwerdeführer 1,4 g Haschisch sichergestellt worden.

Dieser Sachverhalt sei "bei weitem ausreichend", um eine Gefährdung der öffentlichen Ruhe, Ordnung oder Sicherheit annehmen zu können. Die Gefahr einer Wiederholung gehöre zum Wesen eines solchen deliktischen Verhaltens. Der Handel mit Suchtgift stelle in Anbetracht des um sich greifenden Mißbrauchs von Suchtgift eine Gefährdung des Lebens und der Gesundheit von Menschen in besonders großem Ausmaß, somit eine Gefährdung der Allgemeinheit und damit zugleich eine Bedrohung der inneren Sicherheit der Republik Österreich dar. Bemerkt werde, daß auch jene österreichische Staatsbürgerin, welche der Beschwerdeführer zu heiraten gedenke, wegen des Vergehens nach § 36 Waffengesetz zur Anzeige gebracht worden sei.

Zweifellos werde durch die Ungültigerklärung des Sichtvermerkes "schwer in Ihre persönlichen Verhältnisse" eingegriffen und dadurch das berufliche und persönliche Fortkommen stark beeinträchtigt. Aus den genannten Gründen sei jedoch erkennbar, daß sich der Beschwerdeführer "in Suchtgiftkreisen" bewege. Es bestehe ein besonders hohes Interesse der Republik Österreich, solche Verhaltensweisen zu unterbinden.

Der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes stehe zwar § 20 Abs. 2 FrG entgegen, dennoch sei es notwendig, den Beschwerdeführer für die Dauer des Bestehens des Sichtvermerksversagungsgrundes vom Weiterverbleib im Bundesgebiet auszuschließen. Der Sichtvermerk sei aus Gründen der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ruhe, Ordnung und Sicherheit für ungültig zu erklären gewesen.

2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

3. Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten unter Abstandnahme von der Erstattung einer Gegenschrift mit dem Begehren vor, die Beschwerde abzuweisen.

II.

1. Gemäß § 11 Abs. 1 FrG ist ein Sichtvermerk ungültig zu erklären, wenn nachträglich Tatsachen bekannt werden oder eintreten, welche die Versagung des Sichtvermerkes (§ 10 Abs. 1 und 2 FrG) rechtfertigen.

Nach § 10 Abs. 1 Z. 4 FrG ist die Erteilung eines Sichtvermerkes zu versagen, wenn der Aufenthalt des Sichtvermerkswerbers die öffentliche Ruhe, Ordnung oder Sicherheit gefährden würde.

2. Soweit der Beschwerdeführer die Feststellung, er sei im Besitz von 11,5 kg Kokain betreten worden, als aktenwidrig rügt, ist ihm zu entgegnen, daß sich sowohl aus dem Kontext des angefochtenen Bescheides ("... in den Monaten zuvor ingesamt 50 g Kokain auf Kommissionsbasis übernommen ...") als auch aus der bei den Verwaltungsakten erliegenden Anzeige und dem von der belangten Behörde vorgelegten gerichtlichen Strafakt eindeutig ergibt, daß es sich bei der Mengenangabe "11,5 kg" um einen Schreibfehler handelt und es tatsächlich "11,5 g" heißen sollte. Eine zur Aufhebung des Bescheides führende Aktenwidrigkeit liegt jedoch bei einem bloßen Schreibfehler nicht vor (vgl. die bei Dolp, die Verwaltungsgerichtsbarkeit3, Seite 593, zitierte hg. Rechtsprechung). Die ebenfalls als aktenwidrig gerügte Feststellung, der Beschwerdeführer habe gestanden, 40 g Kokain an unbekannte Konsumenten weiterveräußert zu haben, steht mit der Aktenlage, nämlich der bei den Verwaltungsakten befindlichen Anzeige an die Staatsanwaltschaft Wien und dem Inhalt des Aktes des Strafbezirksgerichtes Wien, im Einklang. Wenn der Beschwerdeführer in diesem Zusammenhang erkennbar die Meinung vertritt, aus der Verurteilung (nur) wegen des Vergehens nach § 16 Abs. 1 Suchtgiftgesetz ergebe sich, daß er niemals mit Suchtgift gehandelt habe, ist ihm zu entgegnen, daß auch das (entgeltliche, aber nicht im Sinne des § 70 StGB gewerbsmäßige) Überlassen von Suchtgift an andere den Tatbestand des § 16 Abs. 1 Suchtgiftgesetz erfüllt.

3. Weiters rügt der Beschwerdeführer, es sei ihm zu den Feststellungen betreffend seinen Handel mit und Besitz von Suchtgift kein Parteiengehör eingeräumt worden. Dazu hat er allerdings nicht ausgeführt, was er bei entsprechender Gelegenheit vorgebracht hätte, und somit die Relevanz des geltend gemachten Verfahrensmangels nicht dargetan.

4. Auf der Grundlage der somit auf einem mängelfreien Verfahren basierenden Feststellungen im angefochtenen Bescheid ist die Ansicht der belangten Behörde, daß der Aufenthalt des Beschwerdeführers auf Grund seines Fehlverhaltens die maßgeblichen öffentlichen Interessen gefährden würde, angesicht der besonderen Gefährlichkeit der Suchtgiftkriminalität rechtlich unbedenklich (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 29. Juni 1995, Zl. 95/18/1026).

5. Soweit der Beschwerdeführer rügt, die belangte Behörde habe "§ 20 (2) des FremdenG völlig denkunmöglich" angewendet, ist ihm zu entgegnen, daß die genannte Bestimmung nach ihrem eindeutigen Wortlaut nur bestimmte Voraussetzungen für die Unzulässigkeit eines Aufenthaltsverbotes regelt und daher bei der Ungültigerklärung eines Sichtvermerkes nicht anzuwenden ist. Es sei jedoch hinzugefügt, daß ein (nach § 10 Abs. 1 Z. 1 StbG das maßgebliche Kriterium für die Verleihung der Staatsbürgerschaft darstellender) mindestens 10-jähriger inländischer (Haupt-)Wohnsitz im Rahmen der Interessenabwägung (siehe dazu unten 6.1.) zugunsten des Fremden zu berücksichtigen ist.

6.1. Zu Recht verweist der Beschwerdeführer indes darauf, daß die Behörde bei Anwendung des § 10 Abs. 1 Z. 4 FrG auf die privaten und familiären Interessen des Fremden im Hinblick darauf Bedacht zu nehmen hat, ob ein Aufenthalt des Fremden im Bundesgebiet die öffentliche Ruhe, Ordnung oder Sicherheit derart gefährden würde, daß die im Art. 8 Abs. 2 MRK genannten öffentlichen Interessen einen Eingriff in sein Privat- und Familienleben rechtfertigen (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 19. Mai 1994, Zl. 93/18/0380). Die demnach erforderliche Interessenabwägung hat die belangte Behörde durchgeführt, indem sie die durch das Fehlverhalten des Beschwerdeführers bewirkte Beeinträchtigung öffentlicher Interessen den privaten und familiären Interessen des Beschwerdeführers gegenüberstellte.

Dabei gelangte sie allerdings aus nachstehenden Gründen zu einem unrichtigen Ergebnis.

6.2. Der Beschwerdeführer hat durch seine Straftaten, insbesondere jene, die zur Verurteilung nach dem Suchtgiftgesetz führten, die maßgeblichen öffentlichen Interessen zweifellos in einem nicht unerheblichen Ausmaß beeinträchtigt. Der vom damals noch jugendlichen Beschwerdeführer begangene Einbruchsdiebstahl fällt demgegenüber nur wenig ins Gewicht, weil diese Tat bereits 8 Jahre zurückliegt und der Beschwerdeführer seither nicht mehr einschlägig verurteilt wurde. Weiters ist zu berücksichtigen, daß der Beschwerdeführer nicht eine solche Menge Suchtgift weitergegeben hat, die geeignet wäre, in großem Ausmaß eine Gefahr für das Leben oder die Gesundheit von Menschen entstehen zu lassen (vgl. § 12 Abs. 1 Suchtgiftgesetz), weshalb auch nur eine relativ geringe Geldstrafe verhängt wurde. Der - vom Beschwerdeführer nicht bestrittene - Besitz von 1,4 g Haschisch, der nach Ausweis der Akten nicht zur Einleitung eines gerichtlichen Verfahrens geführt hat, zeigt zwar, daß der Beschwerdeführer auch noch nach seiner einschlägigen Verurteilung Kontakte zur "Suchtgiftszene" hatte, kann aber wegen der geringen Menge die öffentlichen Interessen an der Ungültigerklärung des Sichtvermerkes nicht entscheidend erhöhen.

6.3. Der Beschwerdeführer befindet sich nach den Feststellungen der belangte Behörde seit seinem 4. Lebensjahr - sohin seit über 23 Jahren - durchgehend in Österreich. Er hat im Inland die Schule besucht und übt den Beruf eines Installateurs aus. Er beabsichtigt, demnächst eine österreichische Staatsbürgerin zu heiraten. (Dem Umstand, daß diese - nach Ausweis der vorgelegten Strafakten wegen unbefugten Besitzes eines Tränengassprays - nach dem Waffengesetz zur Anzeige gebracht und verurteilt worden ist, kommt - entgegen der Ansicht der belangten Behörde - im gegebenen Zusammenhang keine Relevanz zu). Die Eltern und Geschwister des Beschwerdeführers befinden sich im Inland.

Auch ohne Berücksichtigung der vom Beschwerdeführer durch Urkunden belegten, erst nach Erlassung des angefochtenen Bescheides eingetretenen Umstände, daß der Beschwerdeführer mit einer österreichischen Staatsbürgerin verheiratet und Vater eines Sohnes ist, sind diese privaten und familiären Interessen so stark ausgeprägt, daß sie nach Ansicht des Verwaltungsgerichtshofes die - wie dargestellt beträchtlichen - öffentlichen Interessen an der Ungültigerklärung des Sichtvermerks überwiegen.

6.4. Da die belangte Behörde in Verkennung dieser Rechtslage zu dem Ergebnis kam, daß die öffentlichen Interessen an der Ungültigerklärung des Sichtvermerkes überwiegen, belastete sie ihren Bescheid mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit, weshalb dieser gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben war.

7. Die vom Beschwerdeführer geäußerten verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die Bestimmung des § 70 (Abs. 2) FrG, wonach gegen die Versagung oder die Ungültigerklärung eines Sichtvermerkes eine Berufung nicht zulässig ist, werden vom Verwaltungsgerichtshof nicht geteilt (vgl. dazu etwa Walter-Mayer, Grundriß des österreichischen Verwaltungsverfahrensrechts6, Rz 505 ff, mit ausführlichen Hinweisen auf die Judikatur der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts).

8. Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994. Das Mehrbegehren war abzuweisen, weil zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung Stempelgebühren lediglich in der Höhe von S 390,-- (drei Beschwerdeausfertigungen zu je

S 120,--, eine Ausfetigung des angefochtenen Bescheides

S 30,--) zu entrichten waren.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1997:1995180297.X00

Im RIS seit

20.11.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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