TE Vwgh Erkenntnis 2021/5/11 Ra 2020/21/0526

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Veröffentlicht am 11.05.2021
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof
41/02 Asylrecht
41/02 Passrecht Fremdenrecht

Norm

BFA-VG 2014 §22a Abs3
FrPolG 2005 §76 Abs2 Z2
VwGG §42 Abs2 Z1
VwGG §42 Abs3

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pelant sowie die Hofräte Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Eraslan, über die Revision des O U, vertreten durch Dr. Gregor Klammer, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Jordangasse 7/4, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 2. November 2020, W180 2233021-3/8E, betreffend Schubhaft (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von € 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1        Der Revisionswerber, ein nigerianischer Staatsangehöriger, stellte nach seiner Einreise in das Bundesgebiet Mitte Juli 2015 einen erfolglos gebliebenen Antrag auf internationalen Schutz, in dessen Rahmen gegen ihn eine rechtskräftige Rückkehrentscheidung erlassen wurde.

2        Mit rechtskräftig gewordenem Mandatsbescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom 25. Mai 2020 wurde dem Revisionswerber gemäß § 57 Abs. 1 FPG aufgetragen, bis zu seiner Ausreise durchgängig Unterkunft in einer näher bezeichneten Betreuungsstelle in Tirol (Fieberbrunn) zu nehmen. Der dorthin am 8. Juni 2020 überstellte Revisionswerber entfernte sich am 14. Juni 2020 aus dieser Betreuungseinrichtung und hielt sich in der Folge unangemeldet an unbekannten Orten auf.

3        Am 29. Juni 2020 wurde der Revisionswerber in Innsbruck einer Personenkontrolle unterzogen, anschließend festgenommen und in das Polizeianhaltezentrum in Wien überstellt. Nach seiner Vernehmung wurde über ihn mit Mandatsbescheid des BFA vom 1. Juli 2020 gemäß § 76 Abs. 2 Z 2 FPG die Schubhaft (insbesondere) zum Zweck der Sicherung der Abschiebung verhängt.

4        Die gegen die Festnahme und die anschließende Anhaltung sowie gegen den Schubhaftbescheid und die darauf gegründete Anhaltung in Schubhaft erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit Erkenntnis vom 22. Juli 2020 gemäß § 22a Abs. 1 BFA-VG iVm § 76 Abs. 2 Z 2 FPG als unbegründet ab. Unter einem stellte es gemäß § 22a Abs. 3 BFA-VG iVm § 76 Abs. 2 Z 2 FPG fest, dass zum Zeitpunkt seiner Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft gegen den Revisionswerber maßgeblichen Voraussetzungen vorlägen.

5        Diese Entscheidung hob der Verwaltungsgerichtshof mit dem Erkenntnis VwGH 11.5.2021, Ra 2020/21/0361, zur Gänze wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften auf.

6        Der Revisionswerber hatte mit Schriftsatz vom 26. Oktober 2020 eine weitere Beschwerde erhoben, mit der er die „laufende Schubhaft“ ab dem Zeitpunkt der Zustellung des Erkenntnisses des BVwG vom 22. Juli 2020 bekämpfte und beantragte, seine Anhaltung in Schubhaft in diesem Umfang für rechtswidrig zu erklären. Unter anderem bezweifelte der Revisionswerber die Effektuierbarkeit seiner Abschiebung innerhalb der Schubhafthöchstdauer von sechs Monaten, weil schon bisher die Abschiebung zu den geplanten Terminen am 1. August 2020 und am 22. Oktober 2020 aufgrund der Corona-Pandemie und wegen aktueller Unruhen in Nigeria nicht möglich gewesen sei. Es sei „völlig lebensfremd“ anzunehmen, dass bei der derzeitigen „verheerenden Lage“ in Nigeria deren Behörden gewillt seien, „einen Abschiebeflug aufzunehmen“.

7        Das BFA nahm aus Anlass der Beschwerdevorlage mit Note vom 28. Oktober 2020 zum bisherigen Verfahrensgang und über entsprechende Aufforderung des BVwG zum Beschwerdevorbringen, insbesondere auch zu den in Rn. 6 wiedergegebenen Einwänden, mit Schreiben vom 30. Oktober 2020 ausführlich Stellung.

8        Hierauf wies das BVwG die Beschwerde mit dem nunmehr angefochtenen Erkenntnis vom 2. November 2020 gemäß § 76 Abs. 2 Z 2 FPG iVm § 22a [Abs. 1] BFA-VG als unbegründet ab. Des Weiteren stellte es gemäß § 22a Abs. 3 BFA-VG iVm § 76 Abs. 2 Z 2 FPG fest, dass zum Zeitpunkt seiner Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorlägen. Demzufolge wies es den Kostenersatzantrag des Revisionswerbers ab und verpflichtete ihn zum Aufwandersatz an den Bund. Schließlich sprach das BVwG gemäß § 25a Abs. 1 VwGG aus, dass eine Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

9        Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage und Durchführung eines Vorverfahrens - eine Revisionsbeantwortung wurde nicht erstattet - erwogen hat:

10       Die Revision erweist sich - wie die nachstehenden Ausführungen zeigen - entgegen dem gemäß § 34 Abs. 1a erster Satz VwGG nicht bindenden Ausspruch des BVwG unter dem Gesichtspunkt des Art. 133 Abs. 4 B-VG als zulässig; sie ist auch berechtigt.

11       Titel für die Anhaltung des Revisionswerbers in Schubhaft für den - hier mit Beschwerde bekämpften - Zeitraum nach der Erlassung des Erkenntnisses des BVwG vom 22. Juli 2020 bis zur Erlassung des gegenständlich angefochtenen Erkenntnisses vom 2. November 2020 war der im erstgenannten Erkenntnis gemäß § 22a Abs. 3 BFA-VG getroffene positive Fortsetzungsausspruch. Durch dessen rückwirkende Aufhebung mit dem erwähnten Erkenntnis VwGH 11.5.2021, Ra 2020/21/0361, fehlt allerdings für den genannten Zeitraum eine Rechtsgrundlage. Schon deshalb erweist sich die Schubhaft in diesem Umfang als rechtswidrig (vgl. dazu des Näheren VwGH 5.10.2017, Ra 2017/21/0161, 0162, Rn. 10, mit dem Hinweis auf VwGH 20.2.2014, 2013/21/0184).

12       In Bezug auf die strittige Frage der Realisierbarkeit einer zeitnahen Abschiebung des Revisionswerbers in seinen Herkunftsstaat (zu deren Relevanz siehe etwa VwGH 12.1.2021, Ra 2020/21/0378, Rn. 14, mwN) legte das BVwG seiner Entscheidung, insbesondere auch dem verbleibend zu beurteilenden, gemäß § 22a Abs. 3 BFA-VG getroffenen positiven Fortsetzungsausspruch, den Inhalt der Stellungnahmen des BFA vom 28. Oktober 2020 und vom 30. Oktober 2020 zugrunde. Davon ausgehend kam es zum Ergebnis, zum gegenwärtigen Zeitpunkt sei eine Abschiebung des Revisionswerbers noch in diesem Jahr und damit innerhalb der höchstzulässigen Schubhaftdauer möglich und trotz Unsicherheiten auch realistisch. Dabei verwertete das BVwG aber neues Tatsachenvorbringen des BFA einerseits in Bezug auf das Ergebnis des Verfahrens zur Erlangung eines Heimreisezertifikates sowie andererseits zu den näheren Umständen für das Scheitern bisheriger Abschiebemaßnahmen und zu der geplanten weiteren Vorgangsweise zur Realisierung der Abschiebung des Revisionswerbers nach Nigeria. Diesbezüglich wird in der Revision somit zu Recht bemängelt, dass das BVwG den Stellungnahmen des BFA nicht ohne Einräumung von rechtlichem Gehör hätte folgen und insoweit auch nicht von einem geklärten Sachverhalt im Sinne des § 21 Abs. 7 BFA-VG hätte ausgehen dürfen (vgl. VwGH 11.3.2021, Ra 2020/21/0503, Rn. 16; siehe auch VwGH 23.2.2017, Ra 2016/21/0152, Rn. 12/13). Das wurde vom BVwG verkannt.

13       Das angefochtene Erkenntnis war somit schon aus den angeführten Gründen zur Gänze - in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Dreiersenat - gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

14       Von der in der Revision beantragten Durchführung einer mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 4 und 5 VwGG abgesehen werden.

15       Der Kostenzuspruch gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 11. Mai 2021

Schlagworte

Besondere Rechtsgebiete

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2021:RA2020210526.L00

Im RIS seit

09.06.2021

Zuletzt aktualisiert am

06.07.2021
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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