Entscheidungsdatum
24.02.2021Norm
AsylG 2005 §54Spruch
W247 1426536-2/20E
W247 1426537-2/19E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. HOFER als Einzelrichter über die Beschwerden von 1.) XXXX , geb. am XXXX , 2.) XXXX , geb. am XXXX , gesetzlich vertreten durch die Mutter XXXX , beide StA. Weißrussland (Belarus) und vertreten durch RA XXXX , gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 03.10.2017, 1.) Zl. XXXX und 2.) Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 14.01.2021, zu Recht:
A)
I.) In Erledigung der Beschwerden wird ausgesprochen, dass eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Fremdenpolizeigesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005, idgF., iVm § 9 Abs. 3 BFA-VG, BGBl. I Nr. 87/2012, idgF., auf Dauer unzulässig ist.
II.) Gemäß §§ 54 und 55 Abs. 1 Z 1 und Abs. 2 iVm 58 Abs. 7 AsylG 2005, BGBl. Nr. 100/2005, idgF., wird sowie XXXX eine „Aufenthaltsberechtigung“ für die Dauer von zwölf Monaten erteilt.
III.) Gemäß §§ 54 und 55 Abs. 1 iVm 58 Abs. 7 AsylG 2005, BGBl. Nr. 100/2005, idgF., sowie § 10 Abs. 2 Z 5 Integrationsgesetz, BGBl. I Nr. 68/2017, idgF., wird XXXX eine „Aufenthaltsberechtigung plus“ für die Dauer von zwölf Monaten erteilt.
IV.) Die Spruchpunkte II. und III. der angefochtenen Bescheide werden ersatzlos aufgehoben.
V.) Der Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe wird gemäß § 8a Abs. 1 VwGVG, BGBl. I Nr. 33/2013, idgF., in Verbindung mit § 52 BFA-VG BGBl. I Nr. 87/2012, idgF., als unzulässig zurückgewiesen.
B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
Die beschwerdeführenden Parteien (BF1-BF2) sind weißrussische Staatsangehörige. Die Erstbeschwerdeführerin (BF1) ist die Mutter und gesetzliche Vertreterin des Zweitbeschwerdeführers (BF2).
I. Verfahrensgang:
1. Antrag auf internationalen Schutz:
1.1. Die beschwerdeführenden Parteien (BF1-BF2) reisten spätestens am 03.12.2011 unrechtmäßig in das österreichische Bundesgebiet ein und stellten am selben Tag Anträge auf internationalen Schutz, die mit Bescheiden des ehemaligen Bundesasylamts vom 18.04.2012, Zl. XXXX und Zl. XXXX als unbegründet abgewiesen wurden. Gleichzeitig wurde die Ausweisung der BF1-BF2 nach Weißrussland verfügt.
1.2. Die gegen diese Bescheide erhobenen Beschwerden wurden mit Erkenntnissen des ehemaligen Asylgerichtshofs vom 24.05.2012, Zl XXXX und Zl. XXXX gemäß §§ 3 Abs. 1, 8 Abs. 1 Z 1 und § 10 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen. Darin wird im Wesentlichen ausgeführt, dass die vorgebrachten Fluchtgründe der BF1-BF2 nicht glaubhaft gewesen seien, weshalb die Voraussetzungen der Asylgewährung nicht vorliegen würden. Ebenso wenig würde die Abschiebung der BF1-BF2 gegen Art. 2 oder Art. 3 EMRK verstoßen, weshalb ihnen der Status von subsidiär Schutzberechtigten nicht zu erteilen wäre.
1.3. In der Folge stellte die BF1 für sich und ihren Sohn am 26.09.2013 Anträge auf Gewährung einer Duldung gemäß § 46a Abs. 1 FPG und Ausstellung einer Duldungskarte gemäß § 46a Abs. 2 FPG, in eventu auf Gewährung eines Durchsetzungsaufschubes gemäß § 67 Abs. 1 FPG, die allesamt mit Bescheiden der Landespolizeidirektion (LPD) Oberösterreich vom 22.10.2013, Zl. XXXX und Zl. XXXX , als unzulässig zurückgewiesen wurden.
2. Gegenständliche Anträge auf Erteilung von Aufenthaltstiteln aus Gründen des Art. 8 EMRK:
2.1. Am 29.07.2014 stellte die BF1 für sich und als gesetzliche Vertreterin für den BF2 Anträge auf Erteilung von Aufenthaltstiteln aus Gründen des Art. 8 EMRK gemäß § 55 Abs. 2 und gemäß § 55 Abs. 1 AsylG.
2.2. Begründend führte die BF1 in der den Anträgen beigefügten Stellungnahme aus, es liege mit der Entscheidung des Asylgerichtshofs vom 24.05.2012 eine rechtskräftige Ausweisung vor, seither seien jedoch über zwei Jahre vergangen, in denen sich der Sachverhalt hinsichtlich ihrer Integration und ihrer familiären Bindungen wesentlich verändert habe. Die BF1 habe sich von Anfang an bemüht die die deutsche Sprache zu lernen. Von März bis August 2012 habe sie einen Deutschkurs beim Sprachintegrationszentrum XXXX besucht, sowie gleichzeitig von 24.04.2012 bis 26.06.2012 einen Alphabetisierungskurs beim Verein XXXX absolviert. Von 15.09.2012 bis 08.07.2013 habe die BF1 erneut einen Deutschkurs beim Sprachintegrationszentrum XXXX besucht und anschließend von 09.09.2012 bis 23.10.2013 den Deutsch-Integrationskurs A2/2 der Volkshochschule absolviert. Sie habe sich für die Sprachprüfung auf Sprachniveau A2 angemeldet, doch sei ihr dort mitgeteilt worden, dass sie nicht antreten dürfe, weil sie keinen gültigen Ausweis vorlegen könne. Ihr Sohn spreche aufgrund seines Schulbesuchs schon sehr gut Deutsch. Er habe die 3. Klasse Volksschule abgeschlossen und komme im Herbst in die 4. Klasse. Mangels Beschäftigungsbewilligung habe die BF1 nicht arbeiten dürfen, sie verfüge jedoch über einen Dienstvertrag für den Fall der Erteilung einer Aufenthaltsberechtigung. Seit 9 Monaten lebe die BF1 mit ihrem Lebensgefährten, einem anerkannten Flüchtling, und dem BF2 im gemeinsamen Haushalt. Die BF1 und der BF2 seien von Anfang an bemüht gewesen sich in Österreich eine Existenz aufzubauen und sich zu integrieren. Die BF1 sei auch als „Rucksackmutter“ im Kindergarten tätig gewesen und habe so wesentlich zur sprachlichen Förderung ihres Kindes beigetragen. Seit Dezember 2012 sei die BF1 regelmäßig in einem Seniorenzentrum und seit Jahren in der Pfarrgemeinde ehrenamtlich aktiv. Der BF2 habe in seiner Freizeit einen Breakdance-Kurs besucht und sind die BF1 und der BF2 in das soziale Leben ihres Wohnortes, sowie der Umgebung hervorragend integriert, was die beigefügten Unterstützungsschreiben zeigen würden. Zu ihrer Heimat habe die BF1 keinerlei Bindung mehr. Ihr Ehemann lebe zwar noch im Herkunftsstaat, doch der Kontakt sei abgebrochen. Auch der BF2 habe keinen Kontakt zu seinem Vater. Strafgerichtlichen seien die BF1 und ihr Sohn unbescholten.
Gleichzeitig stellte die BF1, verbunden mit ihren Anträgen nach § 55 AsylG, einen Antrag auf Heilung von Verfahrensmängeln gemäß § 4 AsylG-DV, weil sie kein gültiges Reisedokument vorlegen könne. Die BF1 habe versucht bei der weißrussischen Botschaft in Wien einen Reisepass zu erhalten. Von der Botschaft sei ihr mitgeteilt worden, dass diese einen solchen nicht ausstellen könnten, weil es in den Karteien der zuständigen Behörden der Republik Belarus keine Informationen über sie und ihren Sohn gebe. Das sei durch das beigelegte Schreiben der Botschaft erwiesen. Aus diesen Gründen sei ihr und ihrem Sohn die Beschaffung eines Reisepasses nicht zumutbar.
2.3. Ihren Anträgen beigefügt wurden folgende Unterlagen/Dokumente:
? Kopie von Aufenthaltsberechtigungskarte von BF1 und BF2, ausgestellt in 2011;
? Teilnahmebestätigung des Vereins XXXX über die Absolvierung eines Alphabetisierungskurses – Stufe 1 vom 26.06.2012 betreffend die BF1;
? Zertifikat der VHS XXXX , ausgestellt im Juni 2012, über das Engagement der BF1 als „Rucksackmutter“ im Kindergarten;
? Kursbesuchsbestätigung vom 18.07.2012 über Absolvierung eines Deutschkurses von März 2012 bis August 2012 betreffend die BF1;
? Mietvertrag vom 22.05.2013 des (ehemaligen) Lebensgefährten der BF1;
? Kursbesuchsbestätigung vom 08.07.2013 über Absolvierung eines Deutschkurses von 15.09.2012 bis 08.07.2013 betreffend die BF1;
? Teilnahmebestätigung am Deutsch-Integrationskurs A2/2, vom 15.10.2013 betreffend die BF1;
? Bestätigung der Meldung vom 31.10.2013 betreffend BF1 und BF2;
? Vier Unterstützungsschreiben, datiert mit Juni/Juli 2014;
? Zeugnis vom 02.07.2014 über die ehrenamtliche Tätigkeit der BF1 im Seniorenzentrum XXXX ;
? Einstellungszusage des Stadt-Pfarramtes XXXX über 10 Stunden/Woche vom 02.07.2014 betreffend die BF1;
? Bestätigung der Anmeldung zur A2-Deutschprüfung vom 03.07.2014 betreffend die BF1;
? 44 Unterstützungsunterschriften für den Verbleib der BF1 im Bundesgebiet;
? Schulbesuchsbestätigung, Schuljahr 2012/13, 2. Klasse VS, betreffend den BF2;
? Schulnachricht, Schuljahr 2013/2014, 3. Klasse VS, betreffend den BF2;
? Unterstützungsschreiben der Klassenlehrerin und des Direktors des BF2;
? Bestätigung vom 09.07.2014 über die Teilnahme an einem Breakdance-Kurs betreffend den BF2;
? Kopie des Schreibens der Botschaft der Republik BELARUS vom 21.11.2013;
2.4. Am 24.03.2015 stellte die BF1 für sich und ihren Sohn, den BF2, einen Antrag auf Heilung von Verfahrensmängeln gemäß § 4 AsylG-DV, weil sie keine gültige Geburtsurkunde vorlegen könne. Die BF1 sei sich nicht sicher, wo sich ihre Geburtsurkunde und die ihres Sohnes befinde. Ein halbes Jahr vor Verlassen ihres Heimatlandes, sei die Polizei in ihrer Wohnung gewesen und habe ihren Mann verhaftet. An diesem Tag habe sie die nötigsten Sachen gepackt und die Wohnung verlassen. Vor mehr als drei Jahren sei sie mit ihrem Sohn nach Österreich gekommen und habe keinerlei Kontakt zu ihren im Herkunftsland lebenden Eltern oder zu ihrem Ehemann, weshalb es ihr nicht möglich sei die Geburtsurkunden zu beschaffen. Die BF1 habe versucht bei der weißrussischen Botschaft in Wien einen Reisepass zu erhalten. Von der Botschaft sei ihr mitgeteilt worden, dass sie einen solchen nicht ausstellen könnten, weil es in den Karteien der zuständigen Behörden der Republik Belarus keine Informationen über sie und ihren Sohn gebe. Das sei durch das beigelegte Schreiben der Botschaft erwiesen. Aus diesen Gründen sei ihr und ihrem Sohn die Beschaffung von Geburtsurkunden nicht zumutbar.
2.5. Begründend führte die BF1 in einer weiteren eingebrachten Stellungnahme im Februar 2017 aus, dass sie am 03.12.2011 gemeinsam mit ihrem Sohn eingereist sei und Anträge auf internationalen Schutz gestellt habe, die am 29.05.2012 in zweiter Instanz rechtskräftig abgewiesen worden und sie aus dem Bundesgebiet ausgewiesen worden seien. Da sie kein gültiges Reisedokument besitze, konnte sie dieser Ausreiseverpflichtung jedoch nicht nachkommen. Die BF1 habe sich im Rahmen aller behördlichen Maßnahmen immer kooperativ gezeigt und habe alles ihr Mögliche zur Beschaffung eines Ersatzreisedokumentes unternommen. Sie habe jedoch von der weißrussischen Botschaft die Mitteilung erhalten, dass über sie und ihren Sohn keine Daten vorhanden wären. Aus diesem Grund könne sie keine Dokumente vorlegen, weil ein diese bisher nicht von der weißrussischen Vertretungsbehörde in Wien erlangt werden konnten, was nicht in ihrer Verantwortung liege.
Die BF1 habe in Österreich intensiv Deutsch gelernt und beherrsche die Sprache sehr gut. Sprachniveau A2 habe sie bereits bei einem Kurs in XXXX vor drei Jahren erlangt. Seit vier Jahren arbeite sie ehrenamtlich in der römisch-katholischen Kirche, in die sie mit ihrem Sohn am 01.11.2016 übergetreten sei. Seit Jahren sei sie Mesnerin in der Pfarre und ihr Sohn Ministrant. Außerdem absolviere sie die Ausbildung zur ehrenamtlichen Altenheim- und Krankenhausseelsorgerin, die im Oktober 2016 begonnen habe. Derzeit mache sie ein Praktikum in einem Altenheim der Caritas. Ihr derzeitiger Partner, der einen positiven Asylbescheid habe und als Friseur in XXXX arbeite, sorge derzeit für ihren Unterhalt und den ihres Sohnes. Ihr früherer Ehemann, von dem sie seit Jahren getrennt lebe, sei politisch Gefangener in Weißrussland und seit über 6 Jahren drohe auch ihr und ihrem Sohn Verfolgung. Die BF1 habe sich sofort in Österreich integriert und sei ehrenamtliche Seniorenbetreuerin in XXXX . Sie sorge für ihren Sohn, den BF2, der das Gymnasium besuche und im vorangegangenen Jahr einen ausgezeichneten Erfolg erreich habe. Sie seien sozialversichert und für ihren Sohn bestehe eine private Krankenversicherung. Der BF2 sei ebenfalls voll integriert. Er besuche in seiner Freizeit einen Schwimm,- sowie einen Fechtkurs und sei ebenfalls in der Pfarre engagiert. Als Auskunftsperson nenne sie Mag. XXXX , Pfarrer der Pfarre XXXX .
Die BF1 habe 10 Jahre die Schule in Weißrussland besucht und eine Ausbildung zur Köchin absolviert. Sie habe in der Schule mehrere Jahre Fremdsprachenunterricht in Englisch gehabt und immer gute Noten erhalten.
2.6. Am 02.05.2017, eingelangt am 05.05.2017 bei der belangten Behörde, stellte die BF1 für sich und als gesetzliche Vertreterin für den BF2 einen Antrag auf Erteilung eines Einreisetitels gemäß § 35 AsylG 2005.
2.7. Mit Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts XXXX vom 07.08.2017 wurde die Beschwerde der BF1 gegen das Straferkenntnis der LPD XXXX vom 9.08.2016, GZ XXXX , womit über die BF1 eine Verwaltungsstrafe wegen einer Übertretung nach § 120 Abs. 1a FPG verhängt wurde, weil sie sich seit 30.05.2012 nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalte, als unbegründet abgewiesen.
2.8. Im weiteren Verfahrensverlauf brachten die Beschwerdeführer folgende Unterlagen in Vorlage:
? Einladung vom 04.02.2015 zu einem Empfang des Bürgermeisters betreffend der BF1;
? Urkunde vom 25.02.2015 über die außerordentlichen Verdienste der BF1 in den XXXX SeniorInnenzentren;
? Bestätigung der Meldung vom 13.05.2016 betreffend BF1 und BF2;
? Information zum Ausbildungslehrgang für ehrenamtliche Seelsorger betreffend die BF1;
? Bestätigung vom 03.01.2017 über den Übertritt der BF1 und des BF2 zur röm.-kath. Kirche;
? Schreiben der BF1 und des BF2 vom 15.02.2017 an das Pfarramt XXXX ;
? Bestätigung der Meldung vom 28.03.2017 betreffend BF1 und BF2;
? Krankenversicherungsbeleg für grundversorgte Personen betreffend BF1 und BF2;
? Kopie des Österreichischen Freiwilligenpasses der BF1;
? Einstellungszusage vom 26.03.2015 eines Friseursalons betreffend die BF1;
? Schreiben der Vizebürgermeisterung vom 19.03.2015 samt Foto betreffend die BF1;
? Bürgschaftserklärung vom 26.12.2016 des Lebensgefährten der BF1 für den BF2;
? Schulnachricht, Schuljahr 2014/15, 4. Klasse VS, betreffend den BF2;
? Ausschnitt der „Bezirksrundschau“, Ausgabe vom 07.12.2015 betreffend den BF2;
? Jahreszeugnis, Schuljahr 2015/16, 1. Klasse Gymnasium betreffend den BF2;
? Unterstützungsschreiben vom 12.01.2017 der Klassenvorständin des BF2;
? Befundkarte der UNIQA Versicherung betreffend den BF2;
2.9. Mit den angefochtenen Bescheiden der belangten Behörde jeweils vom 03.10.2017 wurden die Anträge auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art. 8 EMRK vom 29.07.2014 gemäß § 55 AsylG abgewiesen und gemäß § 10 Abs. 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG gegen die Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 3 FPG erlassen (Spruchpunkt I.). Gemäß § 52 Abs. 9 FPG wurde festgestellt, dass die Abschiebung der Beschwerdeführer gemäß § 46 FPG nach Belarus zulässig sei (Spruchpunkt II.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG wurde die Frist für die freiwillige Ausreise mit 2 Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgelegt.
Begründend wurde zusammenfassend ausgeführt, dass die BF1 verheiratet sei und ihr Sohn, der BF2, bei ihr lebe. Die BF1-BF2 hätten darüber hinaus keine familiären Anknüpfungspunkte im Bundesgebiet, würden seit ihrer illegalen Einreise nach Österreich von Leistungen der Grundversorgung leben und die BF1 gehe keiner Beschäftigung nach. Der BF2 besuche derzeit ein Gymnasium und habe sich dadurch sehr gute Deutschkenntnisse angeeignet. Er habe ein ausgezeichnetes Jahreszeugnis erhalten, betreibe in seiner Freizeit Sport und sei in der Pfarre als Ministrant tätig. Die BF1 habe sie sich bisher Deutschkenntnisse auf Sprachniveau A2 angeeignet, aber keine entsprechende Prüfung abgelegt. Sie habe sich einen kleinen Freundeskreis aufgebaut und sei ehrenamtlich in der Altenpflege, sowie der Kirche, tätig. Außerdem besuche sie Kurse zur Ausbildung als ehrenamtliche Altenheim- und Krankenhausseelsorgerin. Der mittlerweile 6-jähriger Aufenthalt der BF1-BF2 beruhe auf Anträgen auf internationalen Schutz, die negativ entschieden worden seien und die sich letztlich als nicht berechtigt erwiesen hätten. Am 03.05.2012 sei das Asylverfahren der BF1-BF2 rechtskräftig negativ abgeschlossen worden, weshalb ihr Aufenthalt seit nunmehr 5 Jahren nicht rechtmäßig wäre.
Insgesamt komme das BFA zum Ergebnis, dass die Anträge auf Erteilung eines Aufenthaltstitels abzuweisen seien und eine Rückkehrentscheidung nach Belarus im Falle der Beschwerdeführer zulässig sei, zumal auch kein besonders schützenswertes Privat- und Familienleben erkennbar wäre. Zwar würden die beigebrachten Unterstützungserklärungen von einer gewissen sozialen Integration der BF1-BF2 in Österreich zeugen, doch relativiere sich dieser Umstand dadurch, dass diese Kontakte in einem Zeitraum geknüpft worden seien, in welchem der Aufenthalt der BF1-BF2 in Österreich unrechtmäßig gewesen sei und eine Verpflichtung zur Ausreise bestanden habe. Besonders ins Treffen zu führen sei der Umstand, dass die BF1 ihre Identität und die Identität des BF2 verschleiere. Bereits der Asylgerichtshof habe die Unglaubwürdigkeit der BF1 im Asylverfahren hervorgehoben, ebenso wie das Landesverwaltungsgericht. Die BF1-BF2 würden sich seit etwa 5 Jahren unrechtmäßig in Österreich aufhalten, weshalb die öffentliche Ordnung in hohem Maße gefährdet sei.
2.10. Mit Verfahrensanordnung vom 05.10.2017 wurde den Beschwerdeführern gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG ein Rechtsberater amtswegig für ein etwaiges Beschwerdeverfahren zur Seite gestellt.
2.11. Mit für beide Beschwerdeführer gleichlautendem Schriftsatz vom 20.10.2017, erhoben die Beschwerdeführer durch ihren rechtsfreundlichen Vertreter vollumfänglich Beschwerde gegen die oben angeführten Bescheide. Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass die BF1 in der Stadt XXXX in Belarus geboren und weißrussische Staatsangehörige sei. Mit ihrem Ehemann sei sie seit 24.08.2004 verheiratet und ihr gemeinsamer Sohn, der BF2, sei am 02.09.2009 geboren. Zuletzt habe die Familie gemeinsam in der Eigentumswohnung des Ehemannes der BF1 in XXXX gewohnt. Die Eltern der BF1 würden ebenfalls in einer Eigentumswohnung in XXXX wohnen. Am 01.12.2011 sei die BF1 gemeinsam mit dem 6-jährigen BF2 überstürzt, ohne Reisepass, aus ihrem Heimatland illegal nach Österreich geflohen. Ihr Ehemann sei Mitglied der gegen die Diktatur von Präsident XXXX gerichteten XXXX gewesen. Sie selbst und auch ihr Ehemann seien im Dezember 2010 bei einer Demonstration verhaftet worden. Nach Schlägen und Drohungen in Polizeigewahrsam sei die BF1 am nächsten Tag zwar freigelassen, jedoch im Mai 2011 erneut verhaftet worden. Nach weiteren Schlägen, Drohungen und einem Hungerstreik sei die BF1 etwa zwei Wochen später freigelassen worden, mit der Auflage, XXXX nicht zu verlassen. Außerdem sei ihr ihr Reisepass, ihre Geburtsurkunde und ihr Handy abgenommen, sowie ihr gedroht worden - für den Fall der Nichteinhaltung der Auflagen - ihr ihren minderjährigen Sohn zu entziehen. Da im Dezember 2011 eine Gerichtsverhandlung angesetzt worden sei, im Zuge derer die Verurteilung der BF1 zu einer Haftstrafe absehbar gewesen wäre, habe sie den Herkunftsstaat mit ihrem Sohn verlassen. Bei einer Rückkehr nach Weißrussland würde der BF1 der Vollzug dieser Haftstrafe drohen, womit verbunden wäre, dass der BF2 in ein Erziehungsheim eingewiesen würde. Zu ihrem Ehemann habe die BF1 seit Dezember 2010 keinen Kontakt mehr. Sie wisse nicht, ob dieser überhaupt noch am Leben sei. Dasselbe gelte für ihre Eltern.
Bei der Einvernahme im Asylverfahren sei sie der deutschen Sprache in keiner Weise mächtig gewesen, weshalb sie dieser nur bruchstückhaft folgen konnte. Auf Vorhalt, ein „Ermittlungshelfer“ des ehemaligen Bundesasylamtes, habe recherchiert und festgestellt, dass die Angaben der BF1 bezüglich des Wohnsitzes ihres Ehemannes und ihrer Eltern falsch seien, habe die BF1 dies umgehend in Abrede gestellt. Ohne weitere Ermittlungen seien die Asylanträge von BF1-BF2 jedoch abgewiesen und deren Ausweisung verfügt worden. Die dagegen erhobene Beschwerde sei vom ehemaligen Asylgerichtshof abgewiesen worden. Weil die BF1 damals noch nicht durch einen berufsmäßigen Parteienvertreter vertreten gewesen sei, habe sie Tragweite dieser Entscheidung nicht abschätzen können, weshalb eine Beschwerdeführung dagegen unterblieben sei.
In der Folge sei ein Antrag auf Ausstellung eines Heimreisezertifikates für die BF1-BF2 gestellt worden. Das österreichische Honorarkonsulat habe festgestellt, dass die BF1 und deren Ehemann, sowie der BF2 nicht in XXXX registriert seien. Aus einem Aktenvermerk der Polizei gehe hervor, dass laut Auskunft der weißrussischen Botschaft in Wien weder für die BF1 und ihren Ehemann, noch für den BF2 jemals Pässe ausgestellt worden seien. Daher sei die BF1 aufgefordert worden, sich ein Ausreisedokument zu besorgen und unter einem angedroht worden, ihr würden künftig wegen mangelnder Mitwirkung Leistungen aus der Grundversorgung entzogen. Am 29.07.2014 habe die BF1 für sich und ihren Sohn einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 55 AsylG und am 05.05.2017 einen neuerlichen Asylantrag gestellt. Über den neuerlichen Asylantrag sei bislang noch nicht entschieden worden. Der BF1 sei auch von der Pfarre, in der sie tätig sei, bestätigt worden, dass es nicht möglich sei über erfolgte Taufregister Personeneinkünfte einzuholen, weil die meisten Taufen nicht verzeichnet worden seien, da es für die Betroffenen lebensgefährlich gewesen wäre in diesem kommunistischen System zu bestehen. Nunmehr verfüge die BF1 über gute Deutschkenntnisse, einen eigenen Wohnsitz, engagiere sich seit Jahren ehrenamtlich in der Altenpflege, sowie im Bereich der Seelsorge der katholischen Kirche und im Elternverein. Der BF2 besuche mit sehr gutem Erfolg ein Gymnasium.
Mit Straferkenntnis vom 09.08.2016 sei über die BF1 eine Geldstrafe wegen ihres unrechtmäßigen Aufenthalts im Bundesgebiet verhängt worden. Die dagegen erhobene Beschwerde sei vom Landesverwaltungsgericht am 07.08.2017 abgewiesen worden, wogegen die BF1, sowohl eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof als auch eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof erhoben habe.
Sowohl gegen das Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, als auch gegen Art. 6 Abs. 1 EMRK, das Recht auf ein faires Verfahren, seien durch die einseitige Beweiswürdigung des BFA missachtet worden. So werden die von der BF1 vorgelegten Beweismittel zum Beleg ihrer guten Deutschkenntnisse und ihres sozialen Engagements in der Bescheidbegründung lediglich formal aufgezählt, aber in keiner Wiese auch inhaltlich gewürdigt. Die Entscheidung stützte sich außerdem ausschließlich darauf, dass „das Gewicht der aus der Aufenthaltsdauer ableitbaren Integration maßgeblich dadurch gemindert werde, als ihr Aufenthalt während des Asylverfahrens nur aufgrund eines Antrags, welcher sich als unberechtigt erwiesen habe, temporär berechtigt gewesen sei“. Die Behörde laste der BF1 damit ihr vorweggenommenes Verfahrensergebnis an, ohne dass in irgendeiner Form erkennbar wäre, dass die Behörde tatsächlich aufgrund einer nachvollziehbaren Abwägung von Für und Wider zu diesem Ergebnis gelangt sei. Die BF1-BF2 würden unzweifelhaft die Voraussetzungen des § 55 AsylG erfüllen. In § 9 Abs. 2 BFA-VG sei überhaupt keine Rede von einem überwiegenden allgemeinen öffentlichen Interesse an einem geordneten Fremdenwesen. Die Behörde habe entscheidend verkannt, dass es bei einem Antrag auf humanitäres Bleiberecht ausschließlich und nur um die konkrete Situation eines Fremden gehe. Es müsse betont werden, dass die BF1 und der BF2 das Bundesgebiet auf deshalb auf legalem Weg nicht verlassen könnten, weil sich deren Heimatland konsequent weigere für sie ein Heimreisezertifikat auszustellen. Was verständlich sei, weil Weißrussland kein Interesse daran habe, sich eine deklarierte Regimekritikerin zurückzuholen. Die BF1 verschleiere auch nicht ihre Identität, sondern wurde ihr Reisepass von der Miliz abgenommen. Im Übrigen stütze sich dieser Vorwurf lediglich auf einen anonymen Ermittlungshelfer des BFA, wobei es sich nicht um eine zeugenschaftliche, unter Wahrheitspflicht abgelegte, Aussage handle. Die BF1 habe nie die Möglichkeit gehabt an diesen „Ermittlungshelfer“ Fragen zu stellen. Das wäre jedoch unabdingbar gewesen, damit beurteilt werden könne, ob diese Person überhaupt ihre Aufgabe tatsächlich mit entsprechendem Nachdruck erfüllt habe, sowie, ob deren Angaben tatsächlich der Wahrheit entsprechen würden. Unabhängig von einer solchen Verletzung des Parteiengehörs gelte im verwaltungsgerichtlichen Verfahren auch der Unmittelbarkeitsgrundsatz. Daher hätte diese in einem Behörden-, nämlich im Asylverfahren generierte Feststellung von den Verwaltungsgerichten keinesfalls unbesehen übernommen bzw. als feststehende Tatsache zu Grund gelegt werden dürfen. Denke man sich dieses „Ermittlungsergebnis“ weg, würde auch kein Beweisergebnis mehr übrigbleiben, das die Auffassung der Behörde stütze, die BF1 wolle ihre Identität verschleiern. Die Annahme, der weißrussische Staat dürfte ein erhöhtes Interesse daran haben der BF1 habhaft zu werden, sei nicht nur in keiner Weise begründet, sondern eine geradezu abwegige Spekulation. Als essentielles Faktum verleibe, dass die BF1-BF2 mangels entsprechender Reisedokumente, das Bundesgebiet nicht legal verlassen könne.
Hinsichtlich der Länderberichte sei darauf hinzuweisen, dass diese nicht objektiv, sondern gezielt ausgewählt erscheinen, um das von der Behörde intendierte Verfahrensergebnis zu stützen. Andererseits würden die Quellen aus dem Jahr 2014 stammen und seien damit veraltet. Auf die konkreten Umstände der Verhaftung der BF1 und deren Ehemann sei nicht ansatzweise eingegangen worden.
Beantragt wurde von Beschwerdeseite, das Bundesverwaltungsgericht möge 1.) eine mündliche Beschwerdeverhandlung durchführen und 2.) den BF1-BF2 in Stattgabe der Beschwerde eine „Aufenthaltsberechtigung plus“ erteilen, sowie 3.) den BF1-BF2 Verfahrenshilfe für das Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht gewähren.
2.12. Die Beschwerdevorlagen vom 25.10.2017 und die Verwaltungsakte langten beim Bundesverwaltungsgericht am 30.10.2017 ein.
2.13. Mit Schriftsatz vom 05.11.2020 übermittelte das Bundesverwaltungsgericht den Beschwerdeführern aktuelle Feststellungen zur Situation in ihrem Herkunftsstaat (Länderinformationsblatt Weißrussland, Gesamtaktualisierung vom 06.07.2020) und wurde ihnen Gelegenheit eingeräumt, dazu innerhalb von 10 Tagen hg. einlangend Stellung zu nehmen. Gleichzeitig wurde den Beschwerdeführern die Ladung für die am 27.11.2020 anberaumte mündliche Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht übermittelt.
2.14. Mit Schriftsatz vom 19.11.2020 beantragte der rechtsfreundliche Vertreter der Beschwerdeführer die Verhandlung per Videokonferenz durchzuführen. Begründend wurde dazu ausgeführt, dass die Beschwerdeführer in XXXX leben würden und aufgrund der COVID-19-NotMV eine Anreise von XXXX nach Wien nicht zumutbar sei. Darüber hinaus wurden zusätzliche Unterlagen zur Integration der BF1-BF2 vorgelegt:
? Teilnahmebestätigung vom 23.11.2018 am Ökumenischen Studientag betreffend die BF1;
? Teilnahmebestätigung aus Februar 2019 an einem Validationsseminar betreffen die BF1;
? Teilnahmebestätigung des XXXX vom 09.08.2019 am XXXX betreffend den BF2;
? Teilnahmebestätigung des XXXX vom 30.08.2019 am XXXX betreffend den BF2;
? Bestätigung der XXXX vom 29.01.2019, über die Absolvierung des Moduls A des Unternehmensführerscheins betreffend den BF2;
? Jahreszeugnis, Schuljahr 2019/20, 5. Klasse Gymnasium, betreffend den BF2;
? Informationsschreiben zur Teilnahme der XXXX an der XXXX Universität betreffend den BF2;
2.15. Mit Schriftsatz vom 23.11.2020 teilte das Bundesverwaltungsgericht mit, dass die anberaumte, mündliche Verhandlung stattfinden werde und die BF1-BF2 weiterhin aufgefordert seien daran persönlich teilzunehmen. Aus der Aktenlage sei weder ersichtlich, dass die BF1-BF2 einer Risikogruppe für eine COVID-19-Erkrankung angehören, noch sei solches beschwerdeseitig behauptet worden. Die Entfernung XXXX -Wien- XXXX sei im Rahmen einer Tagesreise bewältigbar und zumutbar. Darüber hinaus sei die Wahrnehmung von Gerichtstermin von den zurzeit geltenden Ausgangsbeschränkungen iZm der COVID-19-NotMV nicht umfasst.
2.16. Mit neuerlichem Schriftsatz vom 24.11.2020 wurde zusammenfassend beschwerdeseitig ausgeführt, dass aus dem Schreiben des Bundesverwaltungsgerichts nicht ersichtlich sei, warum die Verhandlung nicht über die Außenstelle XXXX per Videokonferenz geführt werden könne. Ein rechtzeitiges Erscheinen am 27.11.2020 für den Verhandlungsbeginn um 08:15 mit Vorlaufzeit und die Heimreise ab 16:00 Uhr an einem Tag von XXXX nach Wien, sei nicht möglich. Nach der COVID-19-NotMV seien gemäß § 6 Abs. 1 Z 6 nur unaufschiebbare behördliche oder gerichtliche Wege von der Ausgangsbeschränkung ausgenommen und sei dies nicht der Fall. Die Verhandlung könne von der Außenstelle XXXX des BVwG per Videokonferenz durchgeführt werden. In eventu werde der Antrag gestellt die mündliche Verhandlung auf einen nach Beendigung der Ausgangsbeschränkungen gelegenen Zeitpunkt zu verschieben. Die BF1-BF2 könnten die An- und Abreise mit den öffentlichen Verkehrsmitteln ohne Risiko der Missachtung der Ausgangsbeschränkungen nicht bewältigen. Derzeit würden diese auch nur eingeschränkt verkehren, weshalb eine rechtzeitige Anreise am 27.11.2020 nicht möglich sei. Die BF1-BF2 müssten vorsorglich bereits am Vortag anreisen, wobei keine Übernachtungsmöglichkeiten bestünden, dies sei ebenfalls nicht zumutbar. Aufgrund der bereits seit 20.10.2017 anhängigen Beschwerde, sei auch die Verlegung der Verhandlung während der derzeitigen Ausgangsbeschränkungen, wobei diese allenfalls per Videokonferenz durchgeführt werden könne, erforderlich. Im Übrigen wurden weitere Unterlagen zur Integration vorgelegt:
? Unterstützungsschreiben der Klassenvorständin des BF2;
? Unterstützungsschreiben der Englisch-, Mathematik-, Religion-, Chemie,- und InformatiklehrerInnen des BF2;
? Unterstützungsschreiben XXXX , Hautechniker der Pfarre XXXX , vom 19.11.2020;
? Jahresausweis der Landesmusikschule XXXX vom 10.07.2020 betreffend den BF2;
Beantragt werde die Einvernahme des Zeugen Mag. XXXX , Pfarrer der Pfarre XXXX . Die BF1-BF2 würden sich seit 2011 im Bundesgebiet aufhalten und seien voll integriert. Dass deren Einreise nicht auf legalem Weg erfolgt sei, dürfe nach Rechtsprechung des EGMR und des VfGH nicht zum Nachteil gereichen, als das einmalige Vergehen der illegalen Einreise zur Stellung eines Antrages auf internationalen Schutzes keinen Verstoß gegen die öffentliche Ordnung darstelle, weil es keine Möglichkeit mehr gebe, im Ausland einen Asylantrag zu stellen und die meisten Schutzsuchenden gar keine andere Möglichkeit bestünde, als illegal einzureisen. Die BF1-BF2 würden nunmehr seit neun Jahren in Österreich leben und hätten sich hier ein Leben aufgebaut. Insbesondere hätte die BF1 über die Pfarrgemeinschaft viele Freundschaften geknüpft. In ihrem Herkunftsland habe die BF1 keinerlei sozialen Bindungen mehr. Die BF1 sei ehrenamtliche Seelsorgerin im Seniorenzentrum und in der Pfarre. Am freien Arbeitsmarkt könne sie trotz ihrer Ausbildungen erst nach Asylgewährung Fuß fassen und sei ihr Einsatz als Seelsorgerin aufgrund der aktuellen COVID-19-Krise mehr denn je zum Wohle der Gesellschaft. Den Lebensunterhalt bestreite sie für sich und ihren Sohn selbst. Die BF1 sei verwaltungs-, sowie strafrechtlich unbescholten und habe nicht gegen die öffentliche Ordnung verstoßen. Sie habe am Asylverfahren entsprechend mitgewirkt, sei stets polizeilich gemeldet und verfügbar gewesen. Die BF1 habe ihr Privatleben in Österreich nicht zu einem Zeitpunkt begründet, als sie sich ihres unsicheren Aufenthalts in Österreich bewusst gewesen sei. Zwischen ihrer Erstbefragung und der Entscheidung des BFA sei mehr als ein Jahr vergangen. Dass gegen den abweisenden Bescheid so viele Jahre nicht entschieden worden sei, liege nicht in ihrer Sphäre begründet, zumal sie stets am Verfahren mitgewirkt habe. Die BF1 habe bereits mehrere Ausbildungsnachweise vorgelegt. Ihr Sohn besuche derzeit an der XXXX Universität das für begabte Schüler bestehende XXXX Programm. Hinzu komme die COVID-19-Pandemie, die selbstverständlich auch ihr Herkunftsland massiv treffe, was in Hinblick auf die Zulässigkeit der Abschiebung eine Rolle spiele und angemessener hätte berücksichtigt werden müssen. Vom BVwG seien mit der Ladung völlig veraltete und überholte Länderberichte übermittelt worden. Die täglichen in den Medien berichteten Menschenrechtsverletzungen der Diktatur in Weißrussland seien nicht näher dargestellt. Das Länderinformationsblatt verstoße nach ständiger Rechtsprechung des VfGH gegen das Recht auf Gleichbehandlung vom Fremden. Der VfGH habe bereits mehrfach darauf hingewiesen, dass die herangezogenen Länderberichte hinreichend aktuell sein müssten. Schon aus diesem Grund sei der angefochtene Bescheid aufzuheben.
2.17. Mit Schriftsatz vom 25.11.2020 wurde die mündliche Beschwerdeverhandlung auf 17.12.2020 verlegt. Mit Schriftsatz vom 16.12.2020 wurde die mündliche Beschwerdeverhandlung neuerlich auf 14.01.2021 verlegt.
2.18. Mit Schriftsatz vom 14.12.2020 brachte die Beschwerdeseite im Wesentlichen vor, dass in Weißrussland gravierende Menschenrechtsverletzungen bestünden. Jüngst habe das Land seine Grenzen geschlossen. Es würden grundlose Verhaftungen durchgeführt, wovon zahlreiche Medien berichten würden. Dazu werden aktuelle Medienberichte zitiert, ua zu Festnahmen bei Protesten gegen Präsident XXXX und zur Grenzschließung aufgrund der Corona-Krise. Durch das COVID-19-VwBG blieben mündliche Verhandlungen aufrecht. Allenfalls sei die Durchführung der mündlichen Verhandlung gemäß § 3 COVID-19-VwBG mit technischen Kommunikationsmitteln durchzuführen. Darüber hinaus wurde erneut angefragt, ob es möglich sei die mündliche Verhandlung per Videokonferenz durchzuführen.
2.19. Am 14.01.2021 fand vor dem Bundesverwaltungsgericht unter der Beiziehung einer den Beschwerdeführern einwandfrei verständlichen Dolmetscherin für die russische Sprache eine öffentliche mündliche Verhandlung statt, zu welcher die Beschwerdeführer ordnungsgemäß geladen wurden und an welcher diese auch teilnahmen.
Die Niederschrift lautet auszugsweise:
Befragung der BF1
„[…] RI: Nachdem Ihr RV mehrfach darauf hingewiesen hat, dass Sie der deutschen Sprache derart mächtig sind, dass Sie die Befragung gerne in Deutsch hätten, nun meine Frage an Sie: Möchten Sie von mir zum Gegenstand der heutigen Verhandlung gerne in der deutschen Sprache befragt werden?
BF1: Ich habe alles verstanden. Sie haben eine spezielle Sprache. Die juridiktische Sprache kann ich vielleicht in Russisch auch nicht verstehen.
RI: Möchten Sie die Möglichkeit wahrnehmen, die Einvernahme in Deutsch durchzuführen, mit der Möglichkeit, jederzeit auf die D zuzugreifen?
BF1: Ja.
RV: Danke, dafür.
BF1: Ich habe alles verstanden.
RI: Nennen Sie mir wahrheitsgemäß Ihren vollen Namen, Ihr Geburtsdatum, Ihren Geburtsort, Ihre Staatsbürgerschaft, sowie Ihren Wohnort an dem Sie sich vor Ihrer Ausreise zuletzt aufgehalten haben.
BF1: XXXX , bin XXXX geboren, XXXX , Weißrussische Staatsbürgerschaft. XXXX
RI: Welcher ethnischen Gruppe bzw. Volksgruppe- oder Sprachgruppe gehören Sie an?
BF1: Ich bin in Weißrussland, in XXXX geboren. Früher war alles Sowjetunion.
RI: Gehören Sie einer Religionsgemeinschaft an? Und wenn ja, welcher?
BF1: Gerade katholische Kirche.
RI: Laut Bestätigung des Pfarrers XXXX sind Sie am 01.11.2016 in die röm.-kath. Kirche übergetreten. Welche Konfession hatten Sie davor?
BF1: Orthodox.
RI: Haben Sie Dokumente oder Unterlagen aus Weißrussland, welche Ihre Identität zweifelsfrei beweisen?
BF1: Nein.
RI: Verfügten Sie oder Ihr Sohn jemals über einen Reisepass, welcher Ihre Identität beweist? Wenn ja, was ist damit geschehen?
BF1: Ich haben gar nichts. Na, das ist … früher wir haben Dokumente gehabt in unserem Vaterland.
RI wiederholt die Frage.
BF1: Ich habe einen ganz normalen Reisepass, der ist jetzt bei Polizei in Reisepass.
RI: War das ein Inlands- oder Auslandsreisepass?
BF1: Ich habe einen Reisepass gehabt, das war von Weißrussland. Mit dem weißrussischen Pass darf man auch in andere Land fahren, hat man gesagt. Ich weiß nicht, ob das stimmt oder stimmt nicht.
RI: Aus welchem Grunde wurden Ihre beiden Pässe in Weißrussland einbehalten?
BF1: (Übersetzung der Frage durch D): Zuerst ich wollte sagen, mein Sohn hat nie einen Pass gehabt und nur eine Geburtsurkunde. Ich war im Gefängnis und sie haben das einfach genommen.
RI: Haben Sie sich nach negativem Abschluss Ihres Asylverfahrens im Jahr 2012 zwecks Rückkehr in Ihren Herkunftsstaat bei der Vertretung Ihres Herkunftsstaates um die Ausstellung neuer Reisedokumente bemüht?
RV: Schaltet sich ein. Wir haben uns um Reisedokumente bemüht. Im Akt ist auch vermerkt, dass man sich um Dokumente bemüht hat und keine Auskunft erhalten hat. Es hat sich auch der Pfarrer, der heute Zeuge ist bemüht, über seine kirchliche Organisation irgendwelche Dokumente zu bekommen und das ist auch nicht gelungen. Das haben wir vorgelegt. Ich will nur aufklären.
RI: Wie oft haben Sie es bisher versucht bei der Vertretung Ihres Herkunftsstaates neue Reisedokumente zu erhalten und wann war der letzte derartige Versuch?
BF1: Was meinen Sie in Österreich?
RV: Es war so, dass im Akt keine Unterlagen zur Person XXXX vorlegen. Es ist völlig widersinnig, wenn über die Person keine Unterlagen vorliegen, sich nochmals an die weißrussischen Behörden zu wenden.
BF1: Ich weiß es nicht wie oft.
RI: Wieso konnte Ihnen bis zum heutigen Datum kein neuer Reisepass ausgestellt werden? Worin – glauben Sie – liegt der Grund?
BF1: Sie möchte nicht.
RI: Welche Sprachen sprechen Sie?
BF1: Deutsch, Russisch, Englisch habe ich schon fast vergessen.
RI: Bitte schildern Sie Ihren Lebenslauf. Welche Schulausbildung haben Sie abgeschlossen? Welchen Beruf haben Sie gelernt und welchen Beruf haben Sie ausgeübt? Gemeint ist, sowohl im Herkunftsstaat als auch im Bundesgebiet.
BF1: Schule war ganz normal, 10 Jahre bei uns. Dann habe ich Kochkurs gehabt, für zwei bis drei Monate. Das war 1999 sowas. Dann so habe ich Ausbildung in Österreich gemacht als Seelsorgerin im Altersheim, vor zwei Jahren schon, drei Jahre. So kleine Kurse habe ich auch gemacht, zB Teilnahme Theologische Kurse. Es waren verschiedene Workshop mit seelsorgerischen Gründen. Jetzt mache ich auch eine Ausbildung zur Predigerin.
RI: Wann haben Sie damit begonnen und wie lange dauert sie?
BF1: Begonnen hat es im Sept/Oktober, aber jetzt ist es unterbrochen wegen Corona. Normalerweise müsste im Juni/Juli der letzte Termin sein, aber mit der jetzigen Situation weiß man es nicht.
RV: Vielen Dank.
RI: Wie ist Ihr derzeitiger Familienstand? Sind Sie ledig, verheiratet, geschieden? Sind Sie derzeit in einer Lebenspartnerschaft?
BF1: Sie können alles schreiben. Offiziell bin ich verheiratet, aber ich habe meinen Mann 2010, 19. Dezember zum letzten Mal gesehen, cirka. Offiziell bin ich noch verheiratet mit XXXX .
RI: Wann und wo haben Sie XXXX geheiratet, sind Sie mit diesem noch verheiratet und wo befindet sich dieser zur Zeit?
BF1: In XXXX haben wir geheiratet. Ich wollte an sich nicht heiraten, er wollte es offiziell machen. Es war eine standesamtliche Hochzeit. Mir ist es egal.
RI: Sind Sie noch in Kontakt mit Ihrem Ehegatten?
BF1: Nein.
RI: Wann hatten Sie zuletzt Kontakt zu Ihrem Ehegatten und wie hatten Sie Kontakt?
BF1: Er war ein Mitglied bei XXXX Ich habe das zuerst nicht gewusst, dann hat er mir das gesagt. Ich habe gesagt, ich will das nicht. Er hat gesagt, das war ein Wahltag Präsident und er hat gesagt, XXXX ist kein guter Präsident, er ist ein Tyrann. Wir müssen etwas gegen ihn tun. Ich habe gesagt, es ist sinnlos und er hat gesagt, wir gehen gemeinsam demonstrieren gegen XXXX . Ich habe gesagt, ich will das nicht. Er hat mir vielmal Bitte gesagt und ich habe gesagt, ich gehe mit. Das war der letzte Kontakt, wir sind zusammen demonstrieren gegangen gegen XXXX , dann ist viel Polizei gekommen und wir sind getrennt verhaftet worden. Seither haben wir keinen Kontakt mehr. Auch mein Sohn hat keinen Kontakt mehr zum Vater.
RI: Was ist mit der Eigentumswohnung Ihres Ehegatten in XXXX geschehen. Wird diese noch bewohnt?
BF1: Ich weiß es nicht, keine Ahnung.
RI: Wie und wann haben Sie Ihren Lebenspartner XXXX kennengelernt?
BF1: Das war da in Österreich. Wir haben in einem Asylheim gewohnt.
RI: Seit wann sind Sie mit Ihrem Lebenspartner XXXX zusammen?
BF1: Ungefähr seit 2013.
RI: Leben Sie mit Ihrem Lebenspartner in einem gemeinsamen Haushalt und wenn ja, seit wann?
BF1: Wir sind schon lange nicht mehr zusammen.
RI: Seit wann sind Sie nicht mehr zusammen?
BF1: Ich kann nachschauen. Schon lange nicht mehr. 28. März 2017, das steht auf dem Meldezettel. Derzeit bin ich in keiner Lebensgemeinschaft, ich wohne nur mit meinem Sohn zusammen.
RI: Gingen Sie in Österreich je einer entgeltlichen Beschäftigung nach?
RV: Wenn Sie das verstehen….
BF1: Nein.
RI: Wovon bestreiten Sie und Ihr Kind, der BF2, in Österreich zur Zeit den Lebensunterhalt?
BF1: Was ist mit BF2.
RV: Davon ist Ihr Sohn gemeint. Wovon leben Sie.
RI wiederholt die Frage.
BF1: Wie soll ich sagen, ich arbeite als freiwillig in der Kirche schon seit ca. 2012. Viele Leute kommen in die Kirche und sie helfen mir.
RI: Das heißt, Sie leben von Zuwendungen von Dritten?
BF1: Ja.
RI: Wieviel Geld steht Ihnen und Ihrem Kind im Monat zur Verfügung?
BF1: Keine Ahnung.
RV: Keine Ahnung…. (lacht).
BF1: Ich bekomme keine 500 Euro zB monatlich. Ich bekomme heute von jemandem einen Betrag oder eine Sachspende.
RI: Wer kommt für Miete, Betriebskosten, Anschaffungen des täglichen Lebens auf?
BF1: Das muss der RV sagen.
RV: Die Miete und Betriebskosten zahlt privat der Pfarrer aus Eigenem, der heutige Zeuge. Anschaffungen des täglichen Lebens, weiß ich nicht, was gemeint ist.
RI: Lebensmittel, Handy, .. ?
BF1: Breitet die Hände aus und lacht.
RI: Verfügen Sie in Österreich über Ersparnisse, Wertgegenstände oder sonstige Vermögenswerte?
BF1: Nein.
RI: Haben Sie Schulden in Österreich?
BF1: Schulden? Nein.
RI: Welche Verwandten von Ihnen leben zurzeit in Weißrussland und in welcher Stadt?
BF1: Bfffff…. Ich sage so. Ich habe nur in XXXX einen Mann gehabt und meine Eltern. Sonst nichts. Leben meine Eltern noch oder nicht, ich weiß es nicht. Ich habe keinen Kontakt. Ebenso wenig habe ich keinen Kontakt zu meinem Ehemann.
RI: Seit wann haben Sie keinen Kontakt mehr zu Ihren Eltern?
BF1: Seit ca. 1.12.2011, da haben wir unsere Reise angetreten, das war das letzte Mal, dass ich meine Eltern gesehen habe, vielleicht auch früher. Seither haben wir keinen Kontakt.
RI: Haben Sie Verwandte, die außerhalb Weißrusslands leben und haben Sie Kontakt zu diesen?
BF1: Nein.
RI: Wie viele Anträge auf internationalen Schutz haben Sie seit Ihrer Einreise im Jahr 2011 nach Österreich im Bundesgebiet gestellt?
BF1: Nur so in Österreich.
RV: Wenn Sie es wissen, Sie werden es ja nicht wissen. Herr Rat, man sieht es im Akt oder man sieht es nicht.
BF1: Wir haben am 1.12.2011 unsere Reise angetreten….
RV: Das wissen Sie nicht, Sie haben mehrere Anträge gestellt.
RI: VORHALTUNG: Im Rahmen der Beschwerdeschrift vom 20.10.2017 auf Seite 4 wird angeführt, dass die BF1 nach ihrem Asylantrag im Bundesgebiet vom 13.11.2011, welcher rechtskräftig abgewiesen worden ist, am 29.07.2014 den gegenständlichen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 55 AsylG als auch am 05.05.2017 einen neuerlichen Asylantrag für sich und ihren Sohn gestellt hat. Entspricht dies nun den Tatsachen und wie ist der Stand dieses zweiten Asylverfahrens für Sie und den BF2?
RV spricht immer wieder dazwischen. Nur, wenn Sie es wissen, ansonsten sagen Sie, das sagt Ihr Anwalt. Also Sie wissen es nicht. Sagen Sie das dem Rat, ich weiß es auch nicht. Es steht im Akt. Ich habe mich auf den konkreten Vorhalt nicht vorbereitet. Ich kann daher auch als Vertreter keine ad hoc Antwort geben. Es ist drei Jahre her, ich kann nur auf die Beschwerde verweisen. Der Vorhalt ist unrichtig, bei meiner Beschwerde gibt es nur 9 Seiten, das war am 20.10.2017. Nach Korrektur des Rates, dass es auf Seite 4 steht, bejahe ich, dass es stimmt, dass am 05.05.2017 ein neuerlicher Asylantrag gestellt wurde. Das ist ein Asylantrag gestützt auf humanitäre Gründe, aufgrund des langjährigen Aufenthaltes. Da haben wir nie wieder etwas gehört davon.
RI: Sie haben Asylantrag gestellt, gemeint war aber Antrag auf einen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen. Ein solcher Antrag ist auch dem BFA nicht bekannt, daher meine Nachfrage.
BF1: Das habe ich jetzt nicht verstanden.
RV: Das ist jetzt egal. Wenn das für den Herrn Rat wichtig ist, kann ich das innerhalb von ein paar Tagen recherchieren. Wenn der Antrag angeblich nicht bekannt war.
RI an RV: Ich ersuche Sie binnen 14 Tagen zu erklären, wie es hier zur Erwähnung eines neuerlichen Asylantrags vom 05.05.2017 gekommen ist.
RI: Sind Sie oder Ihr Sohn, der BF2, seit Ihrer Ausreise aus Weißrussland im Dezember 2011 wieder einmal in Weißrussland gewesen, sei es auf Besuch oder auf Urlaub?
BF1: Nein, sicher nicht.
RI: Was befürchten Sie konkret im Fall einer Rückkehr nach Weißrussland für sich und den BF2?
RV: Würden Sie verhaftet werden oder nicht? Befürchten Sie die Todesstrafe?
RI: Ich will meine Fragen nicht interpretiert haben.
RV: Haft, Folter, etc.
BF1: Zuerst ich war schon zwei Mal im Gefängnis wegen der Demonstrationen gegen XXXX . Was jetzt mit Leuten geschieht, die gegen XXXX sind, kann man im Gefängnis sehen. Es ist gefährlich. Sie unterscheiden nicht zwischen jungen Menschen und älteren Menschen.
RI: Wie stellen Sie sich Ihre Zukunft in Österreich vor?
BF1: Zuerst bekomme ich Papier. Dann kann ich Arbeit suchen und finden.
RI: Was möchten Sie in Österreich arbeiten?
BF1: Es gibt verschiedene Möglichkeiten, mir gefällt es zB als Seelsorgerin zu arbeiten. Das ist ein bisschen kompliziert, weil da gibt es nur Freiwillige. Für später braucht man eine Ausbildung, zB als Pastoralassistentin. Diese Ausbildung kenne ich nicht genau, ich kann es nicht genau sagen. Ich arbeite freiwillig als Seelsorgerin im Altersheim, seit ca. acht Jahren. Das gefällt mir. Dann kann ich eine Ausbildung als Pflegerin im Altersheim machen oder Helferin, dann kann ich im Altersheim arbeiten.
RI: Sind Sie Mitglied in einem Verein oder einem Klub in Österreich?
BF1: Nein.
RI: Haben Sie österreichische Freunde?
BF1: Naja.
RI: Haben Sie in Österreich Sprachkurse besucht?
BF1: Ja.
RI: Welches Sprachniveau haben Sie bisher abgeschlossen?
BF1: Gar nichts, weil ohne Papiere darf man keine Prüfung machen.
RI: Zählen Sie bitte auf welche ehrenamtliche Tätigkeiten Sie bisher in Österreich verrichtet haben?
BF1: Zuerst im Altersheim, ich habe einfach geholfen als Freiwillige. Am Dienstag gibt es eine Messe im Altersheim und ich soll die Leute, die nicht selber gehen können und auch zurückbegleiten. Es war auch noch eine Gymnastikrunde, da habe ich auch geholfen. Ich habe dann die Ausbildung als Seelsorgerin gemacht und seitdem arbeite ich freiwillig als Seelsorgerin.
RI: Haben Sie einen Nachweis des Integrationsfonds über das Ablegen der Integrationsprüfung gemäß § 11 oder § 12 IntegrationsG?
BF1: Keine Ahnung. Ich habe keine Prüfung ohne Papiere.
RV: Das geht ohne Papiere nicht, haben Sie das so gemeint?
RI: Was gefällt Ihnen an Österreich?
BF1: Menschen. Mir gefällt es, ich arbeite als freiwillig in der Christkönigkirche, dort habe ich so viele verschiedene Kontakte. Jeder Mensch ist ganz anders und ich habe Glück, dass ich die alle kennengelernt habe. Alle sind ganz lieb und nett. Es ist schön, dass ich Kontakt habe mit diesen netten Leuten.
RI: Was machen Sie in Ihrer freien Zeit? Was sind Ihre Hobbies?
BF1: Keine Ahnung. Ich rede immer mit meinem Sohn, er hat es schwierig. Wegen diesem Lockdown. Ich mag mich gerne mit meinen Lieblingsmenschen treffen, wenn es ganz gemütlich ist. Ab und zu besuche ich auch Leute, wenn sie etwas brauchen sie etwas, sie rufen mich an.
RI: Was haben Sie vergangenes Wochenende unternommen?
BF1: Was war für ein Datum? Wir waren zu Hause, dann sind wir ein bisschen spazieren gegangen. Ich habe mit ein paar Leuten telefoniert, die sind auch schon alt und wir haben telefonisch gesprochen und wir haben nach oben… gemacht. Ab und zu brauche ich meine Sparen, denn ich gebe meine Energie heraus.
RI: Wohin geht Ihr Kind, der BF2, in die Schule und in welcher Klasse ist er?
BF1: Er ist auf dem Gymnasium in der 6. Klasse.
RI: Wie macht sich Ihr Sohn in der Schule? Hat er irgendwo Schwierigkeiten?
BF1: Alles in Ordnung. Er geht noch in die Musikschule, er spielt Gitarre, seit ca. 4 Jahren. Es gefällt ihm. Er spielt für sich alleine und hat keine Band.
RI: In welcher Sprache sprechen Sie zu Hause mit Ihrem Kind?
BF1: Russisch.
RI: Haben Sie in Österreich viele Freunde mit weißrussischen Wurzeln?
BF1: Gar nichts.
RI: Wie geht es Ihnen gesundheitlich? Sind Sie gesund?
BF1: Das ist falsche Frage. Ich habe keine Versicherung, ich kann nicht zum Arzt gehen, wie kann ich sagen, ob ich gesund bin oder nicht.
RI: Nehmen Sie Medikamente?
BF1: Nein.
RI: Sind Sie in ärztlicher oder therapeutischer Behandlung?
BF1: Sicher nicht, weil ich kann nicht zum Arzt gehen.
RI: Sind Sie arbeitsfähig?
BF1: Sicher.
RI: Wie geht es Ihrem Kind gesundheitlich? Ist er gesund?
BF1: Ja, Gott sei Dank. Er hat ab und zu Neurodermitis. Als wir den Brief bekommen haben, (gemeint die Ladung), hat er einen Ausschlag bekommen.
RI: Nimmt der BF2 irgendwelche Medikamente?
BF1: Nein.
RI: Ist der BF2 in ärztlicher oder therapeutischer Behandlung?
BF1: Nicht mehr.
RI an RV: Haben Sie Fragen an den BF1?
RV: Ist es richtig, dass Sie Deutschkurse absolviert haben und dass Sie aber zur Prüfung nicht antreten durften?
BF1: Ich habe A1 oder A2 gemacht, aber ich durfte die Prüfung wegen dem Papier nicht machen.
RV: Machen Sie noch andere Tätigkeiten? Sie haben erwähnt, ehrenamtliche Seelsorgerin, sind Sie auch in der Kirche als Mesnerin tätig?
BF1: In der Kirche bin ich Mesnerin und mein Sohn ist Ministrant und überall wo Hilfe gebraucht wird, bin ich dabei, zb bei Schmücken der Kirche, oder früher gab es zB einen Schnitzelsonntag, usw. da habe ich auch geholfen. Vor über einem Jahr arbeite ich mit Hausmeister in der Kirche. Ich arbeite zusammen mit dem Hausmeister, ich helfe ihm, zB bin ich beim Putzen dabei.
RV: Wird Ihr Sohn in der Schule von den Lehrern gelobt, fragen Sie nach?
BF1: Sie sind ganz zufrieden mit ihm.
RV: Hat er eine Chance bekommen, einen Kurs auf der Uni zu besuchen?
BF1: Ja. Ich kann nicht genau angeben, welcher Kurs es ist, aber es ist etwas mit Programmieren. In der Schule, im Gymnasium, wenn es keinen Lockdown gibt, gibt es Oxford-Englisch und auch Schach.
RV: Kann es sein, dass Sie heute nervös sind und nicht alles immer angeben können, weil Sie die eine oder andere Tätigkeit, die Sie noch machen nicht erwähnen?
BF1: Sicher bin ich nervös ein bisschen.
RV: Keine weiteren Fragen.
BF1: Ich bin auch Kommunionsspenderin im Altersheim.
RI am BFV: Die BF1 hat am 29.07.2014 für sich einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 Abs. 2 Asylgesetz gestellt, für Ihren Sohn jedoch gemäß § 55 Abs. 1 AsylG, also hier mit dem Ziele einer „Aufenthaltsberechtigung plus“. Mit der schriftlichen Eingabe vom 25.11.2020 wird auf Seite 10 beschwerdeseitig vorgebracht, dass im Falle beider Beschwerdeführer die Erfüllung des Moduls 1 der Integrationsvereinbarung nach § 9 IntG als erfüllt anzusehen sei. Bi erläutern Sie inwieweit Ihrer Meinung nach die BF1 das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 9 IntG erfüllt?
RV: Herr Rat, danke für Ihre genaue Durchsicht und die Fragestellung, die ich vorerst nur dahingehend beantworten kann, dass es der BF1 nicht möglich war, Prüfung abzulegen, wegen fehlender Papiere, sie diese Fähigkeiten jedoch hat und sie daher diese Voraussetzungen erfüllt hat.
Die BF1 verlässt den Saal, der BF2 betritt den Saal.
BF1: Er soll alleine hereinkommen.
RV: Er kann ruhig alleine hereinkommen, ich werde ihm schon helfen und ihm gegebenfalls helfen.
RV an BF1: Sie können Pause machen, die haben Sie sich ohnehin verdient.
___________________________________________________________________________
Befragung des BF2
RI: Wie Ihr RV eingangs mehrfach betont hat, sind Sie der deutschen Sprache hinreichend mächtig, sodass die Befragung auch in deutscher Sprache durchgeführt werden kann. Sind Sie damit einverstanden, dass Ihre Befragung in deutscher Sprache erfolgt? Ich weise Sie darauf hin, dass Sie jederzeit auf die D zurückgreifen können, wenn Unklarheiten entstehen.
BF2: Ja, ich bin damit einverstanden, dass die Befragung in deutsc