TE Lvwg Erkenntnis 2021/2/10 LVwG-2020/15/1787-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 10.02.2021
beobachten
merken

Entscheidungsdatum

10.02.2021

Index

82/02 Gesundheitsrecht allgemein
40/01 Verwaltungsverfahren

Norm

Verordnung des Landeshauptmannes vom 20. März 2020 nach §2 Z2 des COVID-19-Maßnahmengesetzes §4
B-VG Art139 Abs6

Text

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Landesverwaltungsgericht Tirol erkennt durch seinen Richter Mag. Dünser über die Beschwerde von Herrn AA, Adresse 1, **** Z, gegen das Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Y vom 10.06.2020, Zl ***, betreffend Übertretung nach der VO LGBl Nr 35/2020,

zu Recht:

1.       Der Beschwerde wird Folge gegeben, das angefochtene Straferkenntnis behoben und das Verwaltungsstrafverfahren gemäß § 45 Abs 1 Z 1 VStG eingestellt.

2.       Die ordentliche Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e

I.       Verfahrensgang:

Mit dem angefochtenen Straferkenntnis wurde dem Beschwerdeführer spruchgemäß Folgendes zur Last gelegt:

„Herr AA, geb. xx.xx.xxxx, wh. in **** Z, Adresse 1, hat sich als Radfahrer am 02.04.2020 um 14.30 Uhr im Gemeindegebiet von **** X im Bereich der Wiese des Herrn BB direkt neben dem Fahrradweg aufgehalten und somit den eigenen Wohnsitz verlassen und einen öffentlichen Ort betreten, obwohl dies zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 verboten war und keine triftigen Gründe zur Deckung von Grundbedürfnissen wie die Ausübung der beruflichen Tätigkeit, die Inanspruchnahme medizinischer und veterinärmedizinischer Versorgungsleistungen (zB Arztbesuch, medizinische Behandlung, Therapie), sonstige Handlungen zur Versorgung der Grundbedürfnisse (Lebensmitteleinkauf, Gang zur Apotheke oder Geldautomat, Besuch bei Alten, Kranken oder Menschen mit Einschränkungen in ihrem jeweiligen privaten Bereich) und Handlungen zur Versorgung von Tieren vorlagen.

Dadurch hat der Beschuldigte folgende Verwaltungsübertretung begangen:

§ 4 Abs. 1 und Abs. 2 und § 6 der Verordnung des Landeshauptmannes vom 20.03.2020 (nach § 2 Z 2 des COVID-19-Maßnahmengesetzes), LGBI. Nr. 35/2020 idF LGBI. Nr. 41/2020 iVm § 3 Abs. 3 des Bundesgesetzes betreffend vorläufige Maßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 (COVID-19-Maßnahmengesetz), BGBl. I Nr. 12/2020 idF BGBl. I Nr. 16/2020

Aus diesem Grund wurde über den Beschwerdeführer gemäß § 3 Abs 3 COVID-19-Maßnahmengesetz eine Geldstrafe in der Höhe von Euro 180,00 verhängt. Außerdem wurde er zur Bezahlung eines Beitrages zu den Kosten des Verfahrens vor der belangten Behörde verpflichtet.

Dagegen richtet sich das fristgerecht erhobene Rechtsmittel.

Mit Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 10. Dezember 2020, V 512/2020-12, hat dieser festgestellt, dass § 4 Abs 1, 2 und 5 der Verordnung LGBl Nr 35/2020 gesetzeswidrig war sowie dass die als gesetzeswidrig festgestellten Bestimmungen nicht mehr anzuwenden sind.

II.      Erwägungen:

Einleitend ist zu berücksichtigen, dass das in § 1 Abs 2 VStG normierte „Günstigkeitsprinzip“ im vorliegenden Fall nicht anzuwenden ist: Zwar sieht § 1 Abs 2 VStG vor, dass sich die Strafe nach dem zur Zeit der Tat geltenden Recht richtet, es sei denn, dass das zur Zeit der Entscheidung geltende Recht in seiner Gesamtauswirkung für den Täter günstiger wäre. Dieses Günstigkeitsprinzip gilt allerdings nicht für „Zeitgesetze“: Dabei handelt es sich um Gesetze, die von vorn herein nur für einen bestimmten Zeitraum gegolten haben und der Wegfall der Regelung somit nicht auf einem geänderten Unwerturteil des Normgebers basiert (vgl dazu etwa generell VwGH 22.07.2019, Ra 2019/02/0107).

Die Verordnung des Landeshauptmannes von Tirol vom 20. März 2020 wurde mit Verordnung des Landeshauptmannes von Tirol vom 6. April 2020, LGBl Nr 44/2020 aufgehoben, zumal sich die Gesamtsituation betreffend die Verbreitung des SARS-CoV-2 Virus in Tirol zu diesem Zeitpunkt wiederum deutlich verbessert hat. Die Aufhebung der Verordnung ist somit eindeutig auf eine Änderung der für die Anordnung relevante Sachlage zurückzuführen und nicht auf eine nachträglich andere Beurteilung der Gefährlichkeit des Virus.

Insofern war das Günstigkeitsprinzip des § 1 Abs 2 VStG im vorliegenden Fall nicht derart zu verstehen, dass eine Strafbarkeit nach Aufhebung der Verordnung des Landeshauptmannes von vorn herein nicht mehr vorgelegen wäre.

Dem Beschwerdeführer wird im vorliegenden Fall eine Übertretung des § 4 Abs 1 der Verordnung LGBl Nr 35/2020 zur Last gelegt. Der Verfassungsgerichtshof hat in seinem Erkenntnis vom 10.12.2020, V 512/2020, festgestellt, dass diese Bestimmung gesetzwidrig war sowie dass diese Bestimmung nicht mehr anzuwenden ist. Folglich war das Verlassen des eigenen Wohnsitzes entgegen der Feststellung im Spruch des angefochtenen Bescheides zum Tatzeitpunkt nicht verboten. Aus diesem Grund war das angefochtene Straferkenntnis zu beheben und das Verwaltungsstrafverfahren gemäß § 45 Abs 1 Z 1 VStG einzustellen.

Vor diesem Hintergrund konnte gemäß § 44 Abs 2 VwGVG von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung abgesehen werden.

III.     Unzulässigkeit der ordentlichen Revision:

Die ordentliche Revision ist unzulässig, da keine Rechtsfrage iSd Art 133 Abs 4 B-VG zu beurteilen war, der grundsätzliche Bedeutung zukommt.

R e c h t s m i t t e l b e l e h r u n g

Soweit die ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof in Wien für zulässig erklärt worden ist, kann innerhalb von sechs Wochen ab dem Tag der Zustellung dieser Entscheidung eine ordentliche Revision erhoben werden. Im Fall der Nichtzulassung der ordentlichen Revision kann innerhalb dieser Frist nur die außerordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden.

Wenn allerdings in einer Verwaltungsstrafsache oder in einer Finanzstrafsache eine Geldstrafe von bis zu Euro 750,00 und keine Freiheitsstrafe verhängt werden durfte und im Erkenntnis eine Geldstrafe von bis zu Euro 400,00 verhängt wurde, ist eine (ordentliche oder außerordentliche) Revision an den Verwaltungsgerichthof wegen Verletzung in Rechten nicht zulässig.

Jedenfalls kann gegen diese Entscheidung binnen sechs Wochen ab der Zustellung Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, Freyung 8, 1010 Wien, erhoben werden.

Die genannten Rechtsmittel sind von einem bevollmächtigten Rechtsanwalt bzw einer bevollmächtigten Rechtsanwältin abzufassen und einzubringen und es ist eine Eingabegebühr von Euro 240,00 zu entrichten. Die Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof ist direkt bei diesem, die (ordentliche oder außerordentliche) Revision an den Verwaltungsgerichtshof ist beim Verwaltungsgericht einzubringen.

Es besteht die Möglichkeit, für das Beschwerdeverfahren vor dem Verfassungsgerichtshof und für das Revisionsverfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof Verfahrenshilfe zu beantragen. Verfahrenshilfe ist zur Gänze oder zum Teil zu bewilligen, wenn die Partei außerstande ist, die Kosten der Führung des Verfahrens ohne Beeinträchtigung des notwendigen Unterhalts zu bestreiten bzw wenn die zur Führung des Verfahrens erforderlichen Mittel weder von der Partei noch von den an der Führung des Verfahrens wirtschaftlich Beteiligten aufgebracht werden können und die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung nicht als offenbar mutwillig oder aussichtslos erscheint.

Für das Beschwerdeverfahren vor dem Verfassungsgerichtshof ist der Antrag auf Verfahrenshilfe innerhalb der oben angeführten Frist beim Verfassungsgerichtshof einzubringen. Für das Revisionsverfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof ist der Antrag auf Verfahrenshilfe innerhalb der oben angeführten Frist im Fall der Zulassung der ordentlichen Revision beim Verwaltungsgericht einzubringen. Im Fall der Nichtzulassung der ordentlichen Revision ist der Antrag auf Verfahrenshilfe beim Verwaltungsgerichtshof einzubringen; dabei ist im Antrag an den Verwaltungsgerichtshof, soweit dies dem Antragsteller zumutbar ist, kurz zu begründen, warum entgegen dem Ausspruch des Verwaltungsgerichtes die Revision für zulässig erachtet wird.

Zudem besteht die Möglichkeit, auf die Revision beim Verwaltungsgerichtshof und die Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof zu verzichten. Ein solcher Verzicht hat zur Folge, dass eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof und eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof nicht mehr erhoben werden können.

Landesverwaltungsgericht Tirol

Mag. Dünser

(Richter)

Schlagworte

Bestimmung gesetzwidrig;

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:LVWGTI:2021:LVwG.2020.15.1787.1

Zuletzt aktualisiert am

25.02.2021
Quelle: Landesverwaltungsgericht Tirol LVwg Tirol, https://www.lvwg-tirol.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten