TE Vwgh Erkenntnis 1968/9/9 1871/67

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Veröffentlicht am 09.09.1968
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Index

StVO
90/01 Straßenverkehrsordnung

Norm

StVO 1960 §4 Abs2 Satz1

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden, Senatspräsidenten Dr. Chamrath, und die Hofräte DDr. Dolp, Dr. Schmid, Dr. Schmelz und Dr. Riedel als Richter, im Beisein des Schriftführers, Administrationsrates Dohnal, über die Beschwerde des O P in L, vertreten durch Dr. Edwin Morent, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Spiegelgasse 19, gegen den Bescheid des Amtes der Wiener Landesregierung vom 2. Mai 1967, Zl. MA 70-IX P 67/67/Str., betreffend Übertretung der Straßenverkehrsordnung, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Land Wien Aufwendungen in der Höhe von S 390,-- binnen zwei Wochen zu ersetzen.

Begründung

Mit Straferkenntnis der Bundespolizeidirektion Wien (Bezirkspolizeikommissariat Donaustadt) vom 1. März 1967 wurde über den Beschwerdeführer gemäß § 99 Abs. 2 lit. a Straßenverkehrsordnung 1960 (StVO) eine Geldstrafe von S 5.000,-- (Ersatzarreststrafe 7 Tage) verhängt, weil er die Verwaltungsübertretung nach § 99 Abs. 2 lit. a in Verbindung mit § 4 Abs. 2 StVO 1960 dadurch begangen habe, daß er am 25. November 1966 um etwa 13 Uhr in Wien 22., Breitenleerstraße, in der Höhe des Hauses Nr. 180, als Lenker eines Lastkraftwagens während der Fahrt stadtauswärts Fußgänger Johann E. niedergestoßen und verletzt und es unterlassen habe, 1. ärztliche Hilfe herbeizuholen, 2. die nächste Sicherheitsdienststelle vom Unfall zu verständigen. In der Begründung dieses Bescheides wurde festgehalten, daß der Beschwerdeführer an der im Spruch bezeichneten Stelle einen Fußgänger niedergestoßen habe. Der Beschwerdeführer habe sodann seine Fahrt fortgesetzt, um einen Arzt herbeizuholen, jedoch nicht mehr zurückgekommen. Zu seiner Rechtfertigung habe er angegeben, daß er nach Loimersdorf weitergefahren sei, weil er den ihm namhaft gemachten Arzt nicht habe antreffen können. Überdies hätten in Loimersdorf Arbeiter seiner Firma auf das Material gewartet, welches er geladen gehabt habe. Die Unfallsmeldung sei vom Beschwerdeführer erst nahezu acht Stunden später erstattet worden und erst nachdem er erkannt habe, daß er von dem Gastwirt B. als Lenker des am Unfall beteiligten Fahrzeuges wiedererkannt worden sei. Dies ergebe sich sowohl aus der Aussage des Zeugen B. als auch aus der Rechtfertigung des Beschwerdeführers.

In der gegen diesen Bescheid erhobenen Berufung des Beschwerdeführers wurde ausdrücklich zugegeben, daß bei dem in Rede stehenden Verkehrsunfall der Fußgänger Johann E. leicht (geringfügige Rißquetschwunde) verletzt worden sei, der Beschwerdeführer keine ärztliche Hilfe herbeigeholt und auch nicht unverzüglich die nächste Polizeidienststelle verständigt habe. Seines Erachtens bestehe aber nach § 4 Abs. 2 StVO nicht die Pflicht zur Herbeiholung ärztlicher Hilfe, sondern lediglich die Verpflichtung, den verletzten Personen Hilfe zu leisten oder bei Unfähigkeit für fremde Hilfe zu sorgen. Der Beschwerdeführer habe sich nach dem Unfall persönlich um den Verletzten gekümmert und dabei festgestellt, daß der alte Mann lediglich einen Schock sowie eine geringfügige Verletzung erlitten habe, sodaß die Herbeiholung einer ärztlichen Hilfe nicht notwendig gewesen sei. Er habe den niedergestoßenen Fußgänger auf eine Bank in ein Gasthaus geführt und damit diesen Teil seiner gesetzlichen Verpflichtung erfüllt.

Mit dem angefochtenen Bescheid wurde das Straferkenntnis mit der Ergänzung bestätigt, daß bei der im Spruch angeführten Verwaltungsübertretung nach § 99 Abs. 2 lit. a in Verbindung mit § 4 Abs. 2 StVO anzufügen sei, „ad 1. erster und ad 2. zweiter Satz“. Demnach werde gemäß § 99 Abs. 2 lit. a StVOüber den Beschwerdeführer ad 1. eine Geldstrafe von S 2.500,--, ad 2. eine Geldstrafe von S 2.500,-- (Ersatzarreststrafe je 84 Stunden) verhängt. Die belangte Behörde stützte sich hinsichtlich der Schuldfrage auf die Gründe des erstinstanzlichen Straferkenntnisses. Zu den Berufungsausführungen wurde im wesentlichen bemerkt, der Beschwerdeführer habe in seiner Selbstanzeige angegeben, daß sich der Fußgänger nicht um den Verkehr gekümmert und achtlos die Straße übersetzt habe. Dadurch sei es zu dem Verkehrsunfall gekommen, bei dem der Fußgänger gestürzt sei und sich am Hinterkopf verletzt habe. Da der Beschwerdeführer den Verletzten selbst auf eine Bank des Gasthausvorgartens nahe der Unfallstelle gesetzt habe, habe er jedenfalls wahrnehmen müssen, daß es sich um einen mehr als 80jährigen Mann handle, der am Kopf geblutet habe. Da der Beschwerdeführer selbst die Blutung des Fußgängers am Hinterkopf wahrgenommen habe, habe er bei dem Alter des Verletzten annehmen müssen, daß es sich um eine ernstliche Verletzung handle, sodaß eine sofortige ärztliche Hilfeleistung geboten gewesen sei. Offenbar sei sich auch der Beschwerdeführer darüber klar gewesen, da er dem inzwischen hinzugekommenen Gastwirt B. erklärt habe, er werde den Arzt verständigen. Der Beschwerdeführer habe es aber dann doch unterlassen, unverzüglich ärztliche Hilfe herbeizuholen und die nächste Sicherheitsdienststelle von dem Unfall zu verständigen. Es sei ihm wichtiger erschienen, Material zu seiner Firma zu bringen, wo Arbeiter darauf gewartet hätten, als einem von ihm verletzten alten Mann ärztliche Hilfe zu verschaffen. Wenn der Beschwerdeführer meine, daß bei diesen Voraussetzungen eine Verwaltungsübertretung nach § 4 Abs. 2 StVO nicht vorliege und er mit dem Hinsetzen des alten Mannes auf eine Gasthausbank seine Hilfeleistungspflicht erfüllt habe, so irre er. Auch könne es im Hinblick auf die nachträgliche Meldung, nachdem er mehr als zwei Stunden vorher schon als schuldtragender Lenker erkannt und vom Zeugen B. der Polizei zur Anzeige gebracht worden sei, nicht mit Recht behaupten, daß er sich freiwillig gestellt habe.

Die gegen diesen Bescheid wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften erhobene Beschwerde ist nicht begründet.

In der Beschwerde wird zunächst die Feststellung als aktenwidrig gerügt, der Beschwerdeführer habe selbst die Blutung des Fußgängers am Hinterkopf wahrgenommen. Der Beschwerdeführer habe aber bei seiner einzigen Einvernahme am 25. November 1967 mit keinem Wort darüber gesprochen, daß der Fußgänger geblutet habe.

Nun hat jedoch der Beschwerdeführer bei seiner im Polizeiwachzimmer erstatteten Meldung selbst angegeben, daß er den Fußgänger E. mit dem linken Teil der Wagenfront erfaßt habe, wodurch der Genannte zum Sturz gekommen sei und sich am Hinterkopf verletzt habe. Auch der Zeuge B. gab bei seiner polizeilichen Einvernahme an, daß der Fußgänger E. am Kopf leicht geblutet und daß sich der Beschwerdeführer damals mit dem Bemerken entfernt habe, er werde einen Arzt holen und gleich wieder zurückkommen. In der Berufung brachte der Beschwerdeführer ausdrücklich vor, er habe nach dem Unfall festgestellt, daß der niedergestoßene Fußgänger E. einen Schock sowie eine geringfügige Verletzung erlitten habe. Wenn die belangte Behörde bei diesen Beweisergebnissen als erwiesen angenommen hat, daß der Beschwerdeführer nicht nur die Verletzung am Hinterkopf des niedergestoßenen Fußgängers - wie er selbst eingeräumt hat -, sondern auch - ebenso wie der Zeuge B. - ein Bluten dieser Verletzung wahrgenommen habe, dann bestehen gegen eine solche Feststellung weder Bedenken noch ist sie als aktenwidrig zu bezeichnen.

Auch der weitere Einwand, es sei aktenwidrig, daß es sich bei der Verletzung des Fußgängers um eine ernste Verletzung gehandelt habe, ist unstichhältig. Die belangte Behörde hat - und zwar im wesentlichen auf Grund der Verantwortung des Beschwerdeführers - festgestellt, daß der Fußgänger einen Schock davongetragen habe, gar keine Antwort habe geben können und am Hinterkopf eine blutende Verletzung erlitten habe. Mit Rücksicht auf das ersichtlich hohe Alter des verletzten Fußgängers war eine derartige und unter den gegebenen Umständen erfolgte Verletzung als eine ernstliche Verletzung anzusehen, die eine sofortige ärztliche Hilfeleistung als geboten erscheinen ließ. Daran ändert auch der Umstand nichts, daß diese Verletzung nicht als eine schwere Verletzung im Sinne des § 152 StG anzusehen war, weil die Vorschrift des § 4 Abs. 2 erster Satz StVO die erforderliche Hilfe nicht nur bei schweren Verletzungen vorschreibt.

Wenn der Beschwerdeführer ferner als Verfahrensmangel rügt, daß er zu den ihm gegenüber erhobenen Vorwürfen nicht gehört und ihm auch der Akteninhalt nicht zur Kenntnis gebracht worden sei, so ist ihm entgegenzuhalten, daß er nach Durchführung des Ermittlungsverfahrens am 28. Dezember 1966 niederschriftlich bei der Gemeinde Loimersdorf vernommen und dabei mit der Sache vertraut gemacht wurde. Im übrigen hat sich das erstinstanzliche Straferkenntnis, auf welches sich die belangte Behörde in der Schuldfrage ausdrücklich gestützt hat, auf die vom Meldungsleger am Unfallort durchgeführten Erhebungen, die Aussage der Zeugen E. und B. sowie auf das Tatsachengeständnis des Beschwerdeführers im Wachzimmer anläßlich der nachträglichen Unfallmeldung gestützt. Der Beschwerdeführer hat jedoch in seiner Berufung nichts gegen diese Beweise vorgebracht oder auch nicht etwa gerügt, daß ihm diese Beweisergebnisse nicht vorgehalten worden seien. Da das Ermittlungsverfahren auch im Zuge des Berufungsverfahrens nicht ergänzt wurde, konnte der Verwaltungsgerichtshof nicht feststellen, daß im vorliegenden Fall die Vorschriften über das Parteiengehör verletzt wurden.

Der Beschwerdeführer bekämpft als inhaltliche Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides schließlich die Auffassung der belangten Behörde, daß der Beschwerdeführer der ihm nach § 4 Abs. 2 erster Satz StVO obliegenden Hilfeleistungspflicht nicht nachgekommen sei. Nach seiner Ansicht seien wohl die an einem Unfall Beteiligten verpflichtet, den dabei verletzten Personen Hilfe zu leisten; eine Verpflichtung zur Herbeiholung eines Arztes sei aber nach der vorgenannten Gesetzesstelle nicht gegeben. Im vorliegenden Fall habe es genügt, wenn der Beschwerdeführer den gestürzten Fußgänger aufgehoben und in ein Gasthaus gebracht habe; da er feststellen habe können, daß dieser Fußgänger lediglich einen Schock und eine geringfügige Verletzung erlitten habe, sei eine ärztliche Hilfe auch nicht notwendig gewesen.

Auch dieser Einwand ist unstichhältig. Wohl enthält die Bestimmung des § 4 Abs. 2 erster Satz StVO keine ausdrückliche Verpflichtung zur Herbeiholung eines Arztes und es wird auch in manchen Fällen der in der vorgenannten Gesetzesstelle festgelegten Hilfeleistungspflicht in anderer Weise nachzukommen sein als durch Herbeiholung des Arztes. Allein im vorliegenden Fall hat die Behörde festgestellt, daß der vom Beschwerdeführer mit seinem Lastkraftwagen niedergestoßene, über 80 Jahre alte Fußgänger einen Schock davongetragen habe, daß er keine Antwort habe geben können und am Hinterkopf eine blutende Wunde erlitten habe. Da bei derartigen Unfallfolgen nur von einem Arzt beurteilt werden kann, ob und welche Hilfe dem Verletzten zu leisten ist, wäre der Beschwerdeführer bei der gegebenen Sachlage verpflichtet gewesen, unverzüglich für ärztliche Hilfe zu sorgen. Da er dies aber unterlassen hat, wurde er mit Recht der Verwaltungsübertretung nach § 4 Abs. 2 erster Satz StVO schuldig erkannt.

Es erweist sich daher die Beschwerde als unbegründet.

Die Kostenentscheidung stützt sich auf die §§ 47 ff. VwGG 1965.

Wien, am 9. September 1968

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1968:1967001871.X00

Im RIS seit

28.10.2020

Zuletzt aktualisiert am

28.10.2020
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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