Index
StVONorm
AVG §38Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Leibrecht und die Hofräte Dr. Pichler, Dr. Baumgartner, Dr. Weiss und Dr. Leukauf als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Varga, über die Beschwerde des TP in N, vertreten durch Dr. Helmuth Hackl, Rechtsanwalt in Linz, Hauptplatz 23/11, gegen den Bescheid der Oberösterreichischen Landesregierung vom 22. Februar 1982, Zl. VerkR-17.323/1-1982-II/Ed, betreffend Aussetzung des Verfahrens über einen Antrag auf Wiederaufnahme eines Verwaltungsstrafverfahrens nach der Straßenverkehrsordnung, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Das Land Oberösterreich hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 8.385,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der belangten Behörde vom 1. Juni 1981 wurde der Beschwerdeführer schuldig erkannt, er habe am 19. August 1979 gegen 10.15 Uhr nach Verursachung eines Verkehrsunfalles auf der Hauser Bezirksstraße bei der Johannesstatue im Markte Neukirchen als Lenker eines dem Kennzeichen nach bestimmten Pkw 1.) die Fahrt nach dem Verkehrsunfall, ohne etwas Geeignetes zu unternehmen, fortgesetzt und 2.) es unterlassen, diesen Verkehrsunfall, bei dem eine Person verletzt worden sei, sofort der nächsten Gendarmeriedienststelle anzuzeigen, und dadurch nachstehende Verwaltungsübertretungen, nämlich zu 1.) nach § 4 Abs. 1 lit. a StVO und zu 2.) nach § 4 Abs. 2 StVO begangen. Gemäß § 99 Abs. 2 lit. a StVO wurden über ihn Geldstrafen in der Hohe von S 1.000,-- und S 500,-- (Ersatzarreststrafen von 3 Tagen und 60 Stunden) verhängt. Aus der von der belangten Behörde übernommenen Begründung des erstinstanzlichen Straferkenntnisses und den weiteren Ausführungen der belangten Behörde ergibt sich, daß die Verwaltungsübertretungen insbesondere auf Grund der Zeugenaussagen des verletzten Fußgängers, der am Tatort als Zuschauer einer Hochzeitsfeier mit der rechten Vorderseite des vorbeifahrenden Fahrzeuges des Beschwerdeführers in Kontakt gekommen und zu Boden gestürzt war, wobei er schwere Knieverletzungen erlitt, sowie einer weiteren Passantin als erwiesen angenommen wurden. (In der Begründung wurde des weiteren darauf verwiesen, daß der Beschwerdeführer auch bereits mit Urteil des Kreisgerichtes Wels vom 10. April 1980, bestätigt mit Urteil des Oberlandesgerichtes Linz vom 12. Dezember 1980, rechtskräftig wegen Vergehens des Imstichlassens eines Verletzten nach § 94 Abs. 1 StGB schuldig erkannt worden ist, weil er es vorsätzlich unterlassen habe, dem Passanten, dessen schwere Körperverletzung er durch Niederstoßen mit seinem Pkw verursacht habe, die erforderliche Hilfe zu leisten.) Dieser Bescheid wurde vom Beschwerdeführer weder beim Verfassungs- noch beim Verwaltungsgerichtshof bekämpft.
Mit Bescheid der belangten Behörde vom 11. November 1981 wurde ein Wiederaufnahmeantrag des Beschwerdeführers vom 8. September 1981 als verspätet eingebracht zurückgewiesen. Die dagegen erhobene Beschwerde wurde mit hg. Erkenntnis vom 24. Februar 1982, Zl. 81/03/0304, als unbegründet abgewiesen.
Am 25. Jänner 1982 langte bei der erstinstanzlichen Behörde ein mit 22. Jänner 1982 datierter weiterer Wiederaufnahmeantrag ein, mit dem der Wiederaufnahmegrund des § 69 Abs. 1 lit. b AVG geltend gemacht wurde. Es seien in dem wegen des gegenständlichen Verkehrsunfalles beim Kreisgericht Wels anhängigen Zivilprozeß am 20. Janner 1982 zwei Zeugen vernommen worden, aus deren Aussagen zu schließen sei, daß die Verletzung des Fußgängers nicht von dem gegenständlichen Vorfall herrühre, also kein vom Beschwerdeführer verursachter Verkehrsunfall, bei dem eine Person verletzt worden sei, vorgelegen sei. Diese Zeugen seien auch in dem (bereits zitierten) wiederaufgenommenen Strafverfahren des Kreisgerichtes Wels im Rechtshilfeweg vernommen worden, weshalb die Beischaffung dieser Akten erforderlich sei.
Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid der belangten Behörde vom 22. Februar 1982 wurde das Verfahren über den Wiederaufnahmeantrag vom 22. Jänner 1982 gemäß § 38 AVG ausgesetzt. Die an den Beschwerdeführer zu Handen seines ausgewiesenen Vertreters gerichtete Erledigung hat folgenden Wortlaut:
„Mit Eingabe vom 22. 1. 1982 haben Sie neuerlich durch Ihre ausgewiesenen Rechtsvertreter,...... , die Wiederaufnahme des mit ha. Bescheid vom 1. 6. 1981, ......., rechtskräftig abgeschlossenen Verwaltungsstrafverfahrens beantragt. In der Begründung wird unter anderem ausgeführt, daß auch beim Kreisgericht Wels das bereits rechtskräftig abgeschlossene Strafverfahren wieder aufgenommen worden ist.
Für die ha. Entscheidung war das rechtskräftig abgeschlossene gerichtliche Strafverfahren ausschlaggebend. Da der Ausgang des beim KG. Wels wieder aufgenommenen Verfahrens von wesentlicher Bedeutung für die ha. Entscheidung über den anhängigen Wiederaufnahmeantrag ist, wird das Verfahren gemäß § 38 AVG 1950 bis zum rechtskräftigen Abschluß des gerichtlichen Strafverfahrens ausgesetzt.
Gleichzeitig werden Sie eingeladen, dem hiesigen Amte binnen 14 Tagen nach rechtskräftigem Abschluß über den Ausgang des gerichtlichen Strafverfahrens zu berichten.
Mit freundlichen Grüßen zeichnet
für die o.ö. Landesregierung:
Im Auftrage
Dr. …....“
Gegen diesen (am 23. Februar 1982 zugestellten) Bescheid erhob der Beschwerdeführer zunächst Berufung. Diese wurde mit Bescheid der belangten Behörde vom 15. April 1982 als unzulässig mit der Begründung abgewiesen, daß in Angelegenheiten der Landesverwaltung (Angelegenheiten der Straßenpolizei seien in der Vollziehung Landessache) die Landesregierung letzte Instanz sei. Die dagegen vom Beschwerdeführer erhobene Berufung wurde mit Bescheid des Bundesministers für Verkehr vom 21. Juni 1982 aus diesem Grund ebenfalls als unzulässig zurückgewiesen, wobei der Bundesminister die Auffassung vertrat, das Schreiben der belangten Behörde vom 22. Februar 1982 trage alle Merkmale eines Bescheides und sei (im Hinblick auf die damit erfolgte Aussetzung des Verfahrens über den Wiederaufnahmeantrag) als verfahrensrechtlicher Bescheid anzusehen.
Des weiteren ist einem auf dem Wiederaufnahmeantrag des Beschwerdeführers vom 22. Jänner 1982 angebrachten handschriftlichen Aktenvermerk (offensichtlich der belangten Behörde) vom 23. April 1982 zu entnehmen, daß laut Auskunft des Kreisgerichtes Wels zum damaligen Zeitpunkt vom Gericht über eine Wiederaufnahme des gerichtlichen Strafverfahrens noch nicht entschieden worden ist.
Gegen den Bescheid der belangten Behörde vom 22. Februar 1982 richtet sich die vorliegende Beschwerde, mit der Rechtswidrigkeit des Inhaltes geltend gemacht wird. Der Beschwerdeführer erachtet sich nach dem Inhalt seines Beschwerdevorbringens insbesondere durch die gemäß § 38 AVG erfolgte Aussetzung des Verfahrens über seinen Wiederaufnahmeantrag vom 22. Jänner 1982 in seinen Rechten verletzt.
Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsstrafverfahrens vorgelegt und in der von ihr erstatteten Gegenschrift beantragt, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Die belangte Behörde führt u. a. in ihrer Gegenschrift auch aus, das „in Beschwerde gezogene Schreiben vom 22. 2. 1982“ stelle eigentlich nur eine Information an den Einschreiter dar - womit sie offensichtlich zum Ausdruck bringt, es liege gar keine bescheidmäßige Erledigung vor, räumt aber zugleich ein, daß in Fall einer bloßen Information die Zitierung des § 38 AVG besser unterblieben wäre.
Der Verwaltungsgerichtshof vermag sich der Ansicht der belangten Behörde, der gegenständlich angefochtenen Erledigung vom 22. Februar 1982 fehle der Bescheidcharakter, nicht anzuschließen. Mag auch die ausdrückliche Bezeichnung „Bescheid“ in der getroffenen Erledigung vom 22. Februar 1982 fehlen, so ergibt sich aus dem bereits in der Sachverhaltsdarstellung wiedergegebenen Inhalt eindeutig, daß damit eine normative Entscheidung (in verfahrensrechtlicher Hinsicht) getroffen, nämlich das Verfahren über die Wiederaufnahme des Verwaltungsstrafverfahrens gemäß § 38 AVG bis zum rechtskräftigen Abschluß des gerichtlichen Strafverfahrens über die dort beantragte Wiederaufnahme ausgesetzt wurde. (Vgl. hiezu das hg. Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 15. Dezember 1977, Slg. Nr. 9458/A, in dem sich der Verwaltungsgerichtshof ausführlich mit dem Bescheidbegriff auseinandergesetzt hat.) Damit wurde bindend festgelegt, daß die Entscheidung über die Einleitung des Wiederaufnahmeverfahrens in der Verwaltungsstrafsache erst nach Abschluß des gerichtlichen Strafverfahrens (über die Wiederaufnahme) erfolgen werde. Dafür spricht nicht nur die von der belangten Behörde gegebene Begründung, sondern auch der Umstand, daß der Beschwerdeführer eingeladen wurde, der belangten Behörde über den Ausgang des gerichtlichen Wiederaufnahmeverfahrens nach dessen rechtskräftigem Abschluß zu berichten. Der Verwaltungsgerichtshof teilt die schon in dem oben zitierten Bescheid des Bundesministers für Verkehr vom 21. Juni 1980 von diesem vertretene Ansicht, daß die gegenständliche Erledigung, die - abgesehen vom Fehlen des Wortes Bescheid -alle Merkmale eines Bescheides beinhaltet (Bezeichnung der Behörde, Spruch, Begründung, Beglaubigungsvermerk), als verfahrensrechtlicher Bescheid zu qualifizieren ist.
Damit bedarf es aber der Prüfung, ob die von der belangten Behörde verfügte Aussetzung des Verfahrens mit den gesetzlichen Vorschriften in Einklang zu bringen ist.
Gemäß § 38 AVG (§ 24 VStG) ist die Behörde, sofern die Gesetze nicht anderes bestimmen -das ist gegenständlich nicht der Fall -, berechtigt, im Ermittlungsverfahren auftauchende Vorfragen, die als Hauptfragen von anderen Verwaltungsbehörden oder von den Gerichten zu entscheiden wären, nach der über die maßgebenden Verhältnisse gewonnenen eigenen Anschauung zu beurteilen und diese Beurteilung ihrem Bescheide zugrundezulegen. Sie kann aber auch das Verfahren bis zur rechtskräftigen Entscheidung der Vorfrage aussetzen, wenn die Vorfrage schon den Gegenstand eines anhängigen Verfahrens bei der zuständigen Behörde bildet oder ein solches Verfahren gleichzeitig anhängig gemacht wird.
Unter einer Vorfrage ist im Sinne des § 38 AVG eine für die Entscheidung der Verwaltungsbehörde präjudizielle Rechtsfrage zu verstehen, über die als Hauptfrage von anderen Verwaltungsbehörden oder von den Gerichten oder auch von derselben Behörde, jedoch in einem anderen Verfahren, zu entscheiden ist. (Vgl. z. B. das hg. Erkenntnis vom 24. November 1981, Zl. 81/11/0059, auf welches wie hinsichtlich der weiteren zitierten, nichtveröffentlichten Entscheidungen unter Erinnerung an Art. 14 Abs. 4 der Geschäftsordnung des Verwaltungsgerichtshofes, BGBl. Nr. 45/1965, verwiesen wird.)
Voraussetzung für die Strafbarkeit der gegenständlichen relevanten Verwaltungsübertretungen ist, daß die Verletzung des Fußgängers von dem vorliegenden Verkehrsunfall herrührt, also überhaupt ein Verkehrsunfall mit Personenverletzung gegeben ist. Die belangte Behörde vermeint, weil es zur Klärung der Frage, ob die vom Beschwerdeführer geltend gemachten neuen Beweismittel bzw. Tatsachen geeignet seien, einen im Hauptinhalt des Spruches anderslautenden Bescheid herbeizuführen, eines Ermittlungsverfahrens bedürfe, welches auch vom Gericht durchgeführt werde, für das diese Frage auch relevant sei, wäre es zulässig, den Ausgang des gerichtlichen Wiederaufnahmeverfahrens abzuwarten. Dem kann jedoch nicht gefolgt werden. Die Prüfung des Vorliegens eines Verkehrsunfalles mit Personenverletzung beinhaltet für die Verwaltungsstrafbehörde hier eine Tatfrage, welche unabhängig von den Gerichten zu lösen ist. (Vgl. das zu dem im wesentlichen gleichgelagerten Problem der Alkoholbeeinträchtigung im Sinne des § 5 Abs. 1 StVO ergangene hg. Erkenntnis vom 24. Mai 1973, Zl. 352/73.)
Da die belangte Behörde dies verkannte, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 lit. a VwGG 1965 wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47, 48 Abs. 1 lit. a und b VwGG 1965 in Verbindung mit Art. I A Z. 1 der Verordnung des Bundeskanzlers BGBl. Nr. 221/1981. Da die Beschwerde nur in zweifacher Ausfertigung vorzulegen war, ist das Mehrbegehren an Stempelgebühren gemäß § 58 VwGG 1965 abzuweisen.
Wien, am 11. Mai 1983
Schlagworte
Beschränkungen der Abänderungsbefugnis Beschränkung durch die Sache MeldepflichtEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1983:1982030075.X00Im RIS seit
02.10.2020Zuletzt aktualisiert am
02.10.2020