TE Vfgh Beschluss 2020/6/8 A17/2019

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Veröffentlicht am 08.06.2020
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Index

16/02 Rundfunk
32/04 Steuern vom Umsatz

Norm

B-VG Art137
UStG 1994 §1, §10
ORF-G §31
RundfunkgebührenG §4 Abs1
VfGG §7 Abs2

Leitsatz

Zurückweisung einer unionsrechtlichen Staatshaftungsklage gegen den Bund betreffend die Einhebung der Umsatzsteuer auf das ORF-Programmentgelt mangels unmittelbaren Verstoßes des Gesetzgebers gegen das Unionsrecht

Spruch

Die Klage wird zurückgewiesen.

Begründung

Begründung

I. Klage und Vorverfahren

1. Gestützt auf Art137 B-VG begehrt die Klägerin, den Bund schuldig zu erkennen, den Betrag von € 99,80 samt 4 % Zinsen p.a. seit dem 14. März 2019 sowie den Ersatz der Prozesskosten zuhanden ihrer Rechtsvertreterin binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu bezahlen.

Begründend wird dazu Folgendes ausgeführt (Hervorhebungen wie im Original):

"Die klagende Partei begehrt gegenständlich die Erstattung von Abgaben, die der Bund unter Verstoß gegen das Unionsrecht erhoben hat.

Die klagende Partei ist Verbraucher und besitzt zumindest eine Rundfunkempfangseinrichtung und wird an ihrem Wohnsitz mit den Programmen des Österreichischen Rundfunks (analog oder DVB-T) versorgt. Für diese Versorgung hat die klagende Partei gemäß §31 Abs2 ORF-G ein Programmentgelt inklusive 10% Umsatzsteuer zu zahlen. Seit dem 01.04.2017 ist ein Programmentgelt für Radio und Fernsehen iHv (netto) EUR 17,21 zzgl. EUR 1,72 (10%) USt zu zahlen; zuvor iHv (netto) EUR 16,16 zzgl. EUR 1,62 (10%) USt; dies jeweils monatlich.

Die klagende Partei hat daher in den letzten fünf Jahren ca. EUR 99,80 an Umsatzsteuer für das ORF-Programmentgelt bezahlt.

[…]

Nach ständiger Rechtsprechung [des Europäischen Gerichtshofes] stellt das Recht auf Erstattung von Abgaben, die ein Mitgliedstaat unter Verstoß gegen das Unionsrecht erhoben hat, eine Folge und eine Ergänzung der Rechte dar, die den Einzelnen aus dem Unionsrecht in seiner Auslegung durch den Gerichtshof erwachsen (vgl u. a. Urteile vom 9. November 1983, San Giorgio, 199/82, Slg. 1983, 3595, Randnr. 12, und vom 8. März 2001, Metallgesellschaft u. a., C-397/98 und C-410/98, Slg. 2001, I-1727, Randnr. 84). Die Mitgliedstaaten sind also grundsätzlich verpflichtet, unter Verstoß gegen das Unionsrecht erhobene Abgaben zu erstatten (Urteile vom 14. Januar 1997, Comateb u. a., C-192/95 bis C-218/95, Slg. 1997, I-165, Randnr. 20, Metallgesellschaft u. a., Randnr. 84, vom 2. Oktober 2003, Weber’s Wine World u. a., C-147/01, Slg. 2003, I-11365, Randnr. 93, und vom 12. Dezember 2006, Test Claimants in the FII Group Litigation, C-446/04, Slg. 2006, I-11753, Randnr. 202).

Die Einhebung der Umsatzsteuer auf das ORF-Programmentgelt verletzt das Gemeinschaftsrecht:

Gemäß Urteil des europäischen Gerichtshofs vom 22.06.2016 (Cesky rozhlas, C-11/15) ist Art2 Nr 1 der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG dahin auszulegen, dass eine Tätigkeit des öffentlichen Rundfunks wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende, die durch eine gesetzlich vorgesehene obligatorische Gebühr finanziert wird, die von Personen gezahlt wird, die Eigentümer oder Besitzer eines Rundfunkempfangsgeräts sind, und die durch eine durch Gesetz geschaffene Rundfunkgesellschaft ausgeübt wird, keine Dienstleistung 'gegen Entgelt' im Sinne dieser Bestimmung darstellt und somit nicht in den Anwendungsbereich dieser Richtlinie fällt.

?eský rozhlas ist eine per Gesetz errichtete Rundfunkeinrichtung mit Sitz in Prag. Per Gesetz ist eine Gebühr vorgesehen[,] die dazu dient, den von der Rundfunkeinrichtung erbrachten öffentlichen Dienst zu finanzieren. Die Gebührenpflicht knüpft an den Besitz bzw die Nutzung eines Empfangsgeräts an. Der Gerichtshof hat zu diesem Sachverhalt gefolgert, dass die Tätigkeit keine steuerbare Leistung darstellt und daher eine Umsatzsteuer nicht erhoben werden darf. Dem steht auch die grundsätzliche Steuerbefreiung in Art13 Teil A Abs1 litq der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG nicht entgegen, weil diese Bestimmung zwar die Steuerbefreiung von 'Tätigkeiten der öffentlichen Rundfunk- und Fernsehanstalten, ausgenommen Tätigkeiten mit gewerblichem Charakter', vorsieht, jedoch nur unter der Bedingung anwendbar ist, dass diese Tätigkeiten im Sinne von Art2 der Sechsten Richtlinie 'der Mehrwertsteuer unterliegen', und zum anderen, dass sie nicht so ausgelegt werden kann, dass der Anwendungsbereich dieser Richtlinie, wie er in diesem Art2 definiert ist, erweitert würde.

Die Umsatzsteuer auf die Rundfunkgebühr [gemeint wohl: auf das Programmentgelt] wurde daher unter Verstoß gegen das Unionsrecht erhoben.

Der Europäische Gerichtshof hat – in Fortentwicklung des primären Gemeinschaftsrechts – unter bestimmten Voraussetzungen das Entstehen von gemeinschaftsrechtlich grundgelegten Staatshaftungsansprüchen angenommen; seiner Auffassung zufolge sind die Mitgliedstaaten zum Ersatz jener Schäden verpflichtet, die den [E]inzelnen durch solche Verstöße gegen das Gemeinschaftsrecht entstehen, die den Staaten zuzurechnen sind (vgl VfSlg 16.107). Gewährung, Umfang und Verfahren solcher Ansprüche richten sich nach den jeweiligen innerstaatlichen Vorschriften, wobei die im Schadenersatzrecht der einzelnen Mitgliedstaaten festgelegten materiellen und formellen Voraussetzungen nicht ungünstiger sein dürfen, als bei ähnlichen Klagen, die nur nationales Recht betreffen, und sie dürfen nicht so ausgestaltet sein, da[ss] sie es praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren, die Entschädigung zu erlangen[…] (vgl VfSlg 16.107).

Der zitierten Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs lag das Entgelt für die Benützung der Brenner Autobahn zu Grunde, das vom Bundesminister für wirtschaftliche Angelegenheiten im Einvernehmen mit dem Bundesminister für Finanzen festzusetzen war. Dabei trat der Bundesminister bei Ausübung dieses Ingerenzrechtes nicht als Träger von hoheitlichen Funktionen in Erscheinung, soda[ss] die im Gesetz genannten 'allgemeinen Richtlinien' als privatrechtliche Willenserklärungen mit der Intention pflichtenbegründender Wirkung gegenüber den Sondergesellschaften anzusehen sind. Demnach handelte es sich bei der Einhebung der Mautgebühren um einen Fall der Privatwirtschaftsverwaltung.

Gegenständlich ist der Sachverhalt aber anders gelegen:

Das Programmentgelt wird gemäß §31 Abs2 ORF-G geleistet. Die Höhe des Programmentgelts wird auf Antrag des Generaldirektors vom Stiftungsrat festgelegt (Abs1 S 2). Die Höhe des Programmentgelts ist so festzulegen, dass unter Zugrundelegung einer sparsamen, wirtschaftlichen und zweckmäßigen Verwaltung der öffentlich-rechtliche Auftrag erfüllt werden kann; hierbei ist auf die gesamtwirtschaftliche Entwicklung Bedacht zu nehmen (Abs2 S 1). Das Verfahren ist nach den Abs7 f wie folgt gestaltet:

[…]

Im Gegensatz zur Einhebung der Mautgebühr als Akt der Privatwirtschaftsverwaltung ist gegenständlich hoheitliches Handeln gegeben. Dies besonders deswegen, weil die Festsetzung der Gebühr letztlich der Regulierungsbehörde im Verwaltungsverfahren unterliegt.

Die zu Unrecht erhobene Abgabe kann auf keine sonstige Weise erstattet
werden:

Schuldnerin der Umsatzsteuer[…] sowie zu deren Abfuhr verpflichtet, ist immer nur ein Unternehmen. Lediglich zum Tragen kommt die Steuer bei der klagenden Partei als Verbraucher. Dementsprechend sieht das UStG lediglich eine Möglichkeit für den Unternehmer vor, eine Vergütung und Erstattung der Umsatzsteuer zu erlangen. Für die klagende Partei als Verbraucher ist diese Möglichkeit nicht vorgesehen.

Auch nach der BAO gibt es für die klagende Partei keine Möglichkeit, die Steuererstattung zu erla[n]gen: Da der Verbraucher weder Abgabe-, noch Abfuhrpflichtiger ist, scheidet die Erstattung nach §240 BAO aus. Auch die Abgabenfestsetzung nach §201 BAO scheidet deswegen aus, weil die klagende Partei nicht [a]bgabenpflichtig ist. §240a BAO beschränkt die Rückzahlung beschränkt Steuerpflichtiger auf taxativ genannte Steuern, nennt die Umsatzsteuer aber nicht. Bei all diesen Bestimmungen wäre eine Erstattung nur contra legem möglich und ist daher auch im Wege der unionsrechtskonformen Interpretation keine Rückforderung für die klagende Partei als Verbraucher möglich.

Der ordentliche Rechtsweg (arg. Privatwirtschaftsverwaltung) scheidet aus, da die Einhebung und Festsetzung der Rundfunkgebühr [gemeint wohl: des Programmentgeltes] hoheitliches Handeln darstellt.

Die Erstattung von Abgaben, die ein Mitgliedstaat unter Verstoß gegen das Unionsrecht erhoben hat[,] ist auch nicht vom AHG umfasst. Dafür wäre – entgegen der Vorgaben des EuGH – zwingend ein Verschulden des Rechtsträgers notwendig. Sohin scheidet auch dieser Weg kategorisch aus.

Nachdem für den gegenständlichen Anspruch weder der ordentliche, noch der verwaltungsbehördliche Rechtsweg zur Verfügung steht, ist die gegenständliche Erstattung von Abgaben, die ein Mitgliedstaat unter Verstoß gegen das Unionsrecht erhoben hat[,] im Wege der Staatshaftung zulässig.

Dazu braucht es nach Ansicht der klagenden Partei keiner weiteren Voraussetzungen, weil der EuGH in seiner stRspr davon ausgeht, dass jeder [Mitgliedstaat] ein Regime vorzusehen hat, das die Erstattung von Abgaben, die unter Verstoß gegen das Unionsrecht erhoben wurden, vorsieht. Würde man auch für diesen Fall als weitere Voraussetzungen zwingend legislatives Unrecht und/oder einen offenkundigen Verstoß gegen das Unionsrecht fordern, stünde dies dem Äquivalenz- bzw Effektivitätsgebot entgegen, da die materiellen und formellen Voraussetzungen nicht ungünstiger sein dürfen, als bei ähnlichen Klagen, die nur nationales Recht betreffen, und die Voraussetzungen nicht so ausgestaltet sein dürfen, dass sie es praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren, die Entschädigung zu erlangen[…] (vgl VfSlg 16.107). Insbesondere wäre bei Notwendigkeit zumindest einer dieser Voraussetzungen die Erstattung von Abgaben, die unter Verstoß gegen das Unionsrecht erhoben wurden, wesentlich schwieriger als die rein nationale Rückforderung von zu Unrecht geleistete[n] Abgaben, weil das nationale Recht im Wesentlichen außer der Verjährung keine derartigen Kriterien vorsieht.

Selbst wenn man aber davon ausgeht, dass legislatives Unrecht und ein offenkundiger Verstoß notwendige Voraussetzungen darstellen[,] ändert dies an der Berechtigung zur Klagsführung nichts:

Die RL (EWG) 77/388 regelt die Harmonisierung und Anpassung der Mehrwertsteuerregelungen in den Vertragsstaaten. Gemäß Art13 Teil A (1) litq der RL (EWG) 77/388 sind Tätigkeiten der öffentlichen Rundfunk- und Fernsehanstalten, ausgenommen Tätigkeiten mit gewerblichem Charakter[,] von der Mehrwertsteuer zu befreien. Österreich hat sich gemäß Art151 des Beitrittsvertrages, kundgemacht im Amtsblatt ABl. C 241 vom 29.08.1994 und beschlossen im Nationalrat (vgl BGBl III 45/1995), ausverhandelt, die Umsatzbesteuerung von Tätigkeiten der öffentlichen Rundfunk- und Fernsehanstalten für die Dauer der Übergangszeit (Art28 RL (EWG) 77/388) beizubehalten. Spätestens 5 Jahre ab Beitritt, somit zum 01.01.2000[,] wäre die Umsatzsteuerbefreiung lt. RL (EWG) 77/388 vorzusehen gewesen. In Art378 Abs1 RL (EG) 2006/112 wurde für Österreich diese Ausnahme prolongiert und erneut festgeschrieben. Die in Österreich praktizierte Ausnahme ist sohin auf das legislative Handeln zurückzuführen. Dies wird auch evident in Zusammenschau mit den weiteren Bestimmungen: Nach §31 Abs3 ORF-G entsprechen die Nettokosten des öffentlich-rechtlichen Auftrags den Kosten, die zur Erbringung des öffentlich-rechtlichen Auftrags anfallen, unter Abzug der erwirtschafteten Nettoerlöse aus kommerzieller Tätigkeit im Zusammenhang mit öffentlich-rechtlicher Tätigkeit, sonstiger öffentlicher Zuwendungen, insbesondere der Zuwendung nach Abs11, sowie der in der Widmungsrücklage (§39 Abs2) gebundenen Mittel sowie unter Berücksichtigung allfälliger Konzernbewertungen. Verluste aus kommerziellen Tätigkeiten dürfen nicht eingerechnet werden. Zusätzlich kann nach Abs4 neben den Nettokosten im Sinne von Abs3 […] bei der Festlegung des Programmentgelts ausnahmsweise ein allfälliger Finanzbedarf für Zuweisungen zum ungebundenen Eigenkapital unter den Voraussetzungen des §39b berücksichtigt werden. Gemäß §4 Abs1 RGG obliegt die Einbringung der Gebühren und sonstiger damit verbundener Abgaben und Entgelte einschließlich der Entscheidung über Befreiungsanträge der GIS Gebühren Info Service GmbH.

Es liegt daher legislatives Unrecht vor.

Spätestens seit dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs in der Sache ?eský rozhlas vom 22.06.2016 (Rs C-11/15) ist – nach der ausdrücklichen Auseinandersetzung des Gerichtshofes auch mit dem Faktum der Steuerbefreiung – klar, dass eine Tätigkeit des öffentlichen Rundfunks, die durch eine gesetzlich vorgesehene obligatorische Gebühr finanziert wird, die von Personen gezahlt wird, die Eigentümer oder Besitzer eines Rundfunkempfangsgeräts sind, und die durch eine durch Gesetz geschaffene Rundfunkgesellschaft ausgeübt wird, keine Dienstleistung 'gegen Entgelt' im Sinne dieser Bestimmung darstellt und somit nicht in den Anwendungsbereich dieser Richtlinie fällt. Zumindest seit dem 22.06.2016 verstößt die Einhebung der Umsatzsteuer auf Rundfunkgebühren [gemeint wohl: Programmentgelte] offensichtlich gegen Unionsrecht."

2. Das zur Erstattung einer Gegenschrift zuständige Organ der beklagten Partei hat keine Gegenschrift erstattet.

II. Rechtslage

Die im vorliegenden Fall maßgebliche Rechtslage stellt sich wie folgt dar:

1. §31 des Bundesgesetzes über den Österreichischen Rundfunk (ORF-G), BGBl 379/1984, idF BGBl I 55/2014 lautet:

"6. Abschnitt

Programmentgelt

§31. (1) Jedermann ist zum Empfang der Hörfunk- bzw Fernsehsendungen des Österreichischen Rundfunks gegen ein fortlaufendes Programmentgelt (Radioentgelt, Fernsehentgelt) berechtigt. Die Höhe des Programmentgelts wird auf Antrag des Generaldirektors vom Stiftungsrat festgelegt. Der Generaldirektor hat einen Antrag auf Neufestlegung des Programmentgelts nach Maßgabe der wirtschaftlichen Erfordernisse zu stellen, spätestens jedoch nach Ablauf von fünf Jahren ab dem letzten Antrag.

[…]

(10) Das Programmentgelt ist unabhängig von der Häufigkeit und der Güte der Sendungen oder ihres Empfanges zu zahlen, jedenfalls aber dann, wenn der Rundfunkteilnehmer (§2 Abs1 RGG) an seinem Standort mit den Programmen des Österreichischen Rundfunks gemäß §3 Abs1 terrestrisch (analog oder DVB-T) versorgt wird. Der Beginn und das Ende der Pflicht zur Entrichtung des Programmentgeltes sowie die Befreiung von dieser Pflicht richten sich nach den für die Rundfunkgebühren geltenden bundesgesetzlichen Vorschriften.

[…]

(17) Das Programmentgelt ist gleichzeitig mit den Rundfunkgebühren und in gleicher Weise wie diese einzuheben; eine andere Art der Zahlung tilgt die Schuld nicht.

[…]

(18) Rückständige Programmentgelte können zu Gunsten des Österreichischen Rundfunks von dem mit der Einbringung der Rundfunkgebühren beauftragten Rechtsträger in gleicher Weise wie rückständige Rundfunkgebühren im Verwaltungsweg hereingebracht werden.

[…]"

2. §4 des Bundesgesetzes betreffend die Einhebung von Rundfunkgebühren (Rundfunkgebührengesetz – RGG), BGBl I 159/1999, idF BGBl I 71/2003 lautet:

"Einbringung der Gebühren

§4. (1) Die Einbringung der Gebühren und sonstiger damit verbundener Abgaben und Entgelte einschließlich der Entscheidung über Befreiungsanträge (§3 Abs5) obliegt der 'GIS Gebühren Info Service GmbH' (Gesellschaft).

[…]"

3. §6 RGG idF BGBl I 70/2016 lautet:

"Verfahren

§6. (1) Die Wahrnehmung der behördlichen Aufgaben nach §4 Abs1 obliegt der Gesellschaft; gegen von der Gesellschaft erlassene Bescheide ist Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht zulässig. Das AVG ist anzuwenden.

[…]"

4. §1 des Bundesgesetzes über die Besteuerung der Umsätze (Umsatzsteuergesetz 1994 – UStG 1994), BGBl 663/1994, idF BGBl I 34/2010 lautet:

"Steuerbare Umsätze

§1. (1) Der Umsatzsteuer unterliegen die folgenden Umsätze:

1. Die Lieferungen und sonstigen Leistungen, die ein Unternehmer im Inland gegen Entgelt im Rahmen seines Unternehmens ausführt. Die Steuerbarkeit wird nicht dadurch ausgeschlossen, daß der Umsatz auf Grund gesetzlicher oder behördlicher Anordnung bewirkt wird oder kraft gesetzlicher Vorschrift als bewirkt gilt;

[…]"

5. §10 UStG 1994 idF BGBl I 118/2015 (entspricht BGBl I 117/2016 und BGBl I 12/2018) lautet:

"Steuersätze

§10. (1) Die Steuer beträgt für jeden steuerpflichtigen Umsatz 20% der Bemessungsgrundlage (§§4 und 5).

(2) Die Steuer ermäßigt sich auf 10% für

[…]

5. die Leistungen der Rundfunkunternehmen, soweit hiefür Rundfunk- und Fernsehrundfunkentgelte entrichtet werden, sowie die sonstigen Leistungen von Kabelfernsehunternehmen, soweit sie in der zeitgleichen, vollständigen und unveränderten Verbreitung von in- und ausländischen Rundfunk- und Fernsehrundfunksendungen, die der Allgemeinheit mit Hilfe von Leitungen gegen ein fortlaufend zu entrichtendes Entgelt wahrnehmbar gemacht werden, bestehen;

[…]"

III. Erwägungen

1. Gemäß Art137 B-VG erkennt der Verfassungsgerichtshof über vermögensrechtliche Ansprüche gegen den Bund, ein Land, eine Gemeinde oder einen Gemeindeverband, die weder im ordentlichen Rechtsweg auszutragen noch durch Bescheid einer Verwaltungsbehörde zu erledigen sind.

2. Die Klägerin bringt vor, dass die Einhebung von Umsatzsteuer auf das ihr nach §31 ORF-G vorgeschriebene Programmentgelt gegen Unionsrecht verstoße, weist diesbezüglich auf das Urteil des Gerichtshofes der Europäischen Union vom 22. Juni 2016, Rs C-11/15, ?eský rozhlas, hin und begehrt die Erstattung der Umsatzsteuer für die letzten fünf Jahre "im Wege der Staatshaftung".

3. Der Verfassungsgerichthof ist zur Entscheidung über Staatshaftungsansprüche wegen Verletzung des Unionsrechtes zuständig, sofern die behauptete Verletzung durch eine Entscheidung eines Höchstgerichtes oder unmittelbar durch den Gesetzgeber erfolgte .

4. Dass gegenüber der Klägerin eine Entscheidung des Obersten Gerichtshofes, des Verwaltungsgerichtshofes oder des Verfassungsgerichtshofes ergangen sei, die (offenkundig) gegen Unionsrecht verstoße, wurde nicht behauptet.

5. Der Verfassungsgerichtshof ist zur Entscheidung über Staatshaftungsansprüche nicht bereits dann zuständig, wenn der Gesetzgeber gegen Unionsrecht verstoßen hat. Die Zuständigkeit des Verfassungsgerichtshofes kommt vielmehr nur in Betracht, wenn der Akt, der die unionsrechtliche Staatshaftung auslöst, unmittelbar dem Gesetzgeber zuzurechnen ist (VfSlg 16.107/2001, 17.002/2003 ua).

Knüpft der behauptete Schaden an ein – wenn auch durch ein Fehlverhalten des Gesetzgebers vorherbestimmtes – verwaltungsbehördliches oder gerichtliches Handeln an, bleibt es bei der Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte auch für eine unionsrechtliche Staatshaftung (vgl VfSlg 17.611/2005, 18.020/2006 ua). Eine auf Unionsrecht gestützte Staatshaftungsklage fällt somit auch dann in die Zuständigkeit der Amtshaftungsgerichte, wenn die für den Eintritt des behaupteten Schadens kausale Handlung der Vollziehung durch ein unionsrechtswidriges Gesetz zwingend "vorherbestimmt" sein sollte (vgl VfGH 23.11.2012, A15/11).

6. Ein unmittelbar dem Gesetzgeber zuzurechnendes Fehlverhalten liegt nicht vor:

Nach §4 RGG ist für die Einbringung der Gebühren und sonstiger damit verbundener Abgaben und Entgelte die GIS Gebühren Info Service GmbH zuständig, nach §6 RGG ist gegen von der Gesellschaft erlassene Bescheide Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht zulässig. Die GIS Gebühren Info Service GmbH ist Abgabenschuldner der Umsatzsteuer. Zur Vollziehung des Umsatzsteuergesetzes gegenüber der GIS Gebühren Info Service GmbH sind die Behörden der Finanzverwaltung zuständig.

Daraus folgt, dass der behauptete Schaden letztlich auf Handlungen und Unterlassungen von Verwaltungsbehörden bzw Verwaltungsgerichten zurückzuführen ist. Diese haben in Anwendung der Bestimmungen des UStG 1994 Umsatzsteuer auf das Programmentgelt vorgeschrieben.

7. Der geltend gemachte Schaden ist somit nicht unmittelbar auf – behauptete – Fehlleistungen des Gesetzgebers zurückzuführen, sondern durch Verwaltungsbehörden verursacht und wäre somit aus dem Titel der Amtshaftung geltend zu machen; für dieses Verfahren sind gemäß §1 JN die ordentlichen Gerichte zuständig.

IV. Ergebnis

1. Die Klage ist daher zurückzuweisen.

2. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs3 Z2 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

Schlagworte

Rundfunkgebühren, Umsatzsteuer, Staatshaftung, EU-Recht, VfGH / Klagen, Rundfunk

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2020:A17.2019

Zuletzt aktualisiert am

23.09.2020
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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