TE Vfgh Erkenntnis 2020/7/14 G202/2020 ua, V408/2020 ua

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Veröffentlicht am 14.07.2020
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Index

82/02 Gesundheitsrecht allgemein

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Gesetz
B-VG Art139 Abs1 Z3
B-VG Art139 Abs4
B-VG Art140 Abs1 Z1 litc
StGG Art2
StGG Art5
EMRK 1. ZP Art1
COVID-19-MaßnahmenG §2 Abs4, §4
COVID-19-MaßnahmenV BGBl II 96/2020 idF BGBl II 151/2020 §1, §2
EpidemieG 1950 §20, §32
VfGG §7 Abs1

Leitsatz

Kein Verstoß gegen das Recht auf Unversehrtheit des Eigentums durch das nach dem COVID-19-MaßnahmenG erlassene Betretungsverbot für Betriebsstätten; Verhältnismäßigkeit dieser Eigentumsbeschränkung infolge Einbettung des Betretungsverbots in ein umfangreiches Maßnahmen- und Rettungspaket zur Abfederung der wirtschaftlichen Auswirkungen des Betretungsverbots; Zuerkennung einer darüber hinausgehenden Entschädigung für den Verdienstentgang verfassungsrechtlich nicht geboten; kein Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz; rechtspolitischer Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers bei der Bekämpfung der Folgen der COVID-19-Pandemie nicht überschritten; keine Verletzung des Vertrauensschutzes; Anspruch auf Vergütung für den Verdienstentgang nach dem Epidemiegesetz 1950 begründet keine wohlerworbenen Rechte; Zulässigkeit des Individualantrags trotz Außerkrafttretens der angefochtenen Bestimmung im Zeitpunkt der Entscheidung des VfGH

Spruch

I. 1. Die Wortfolge ", wenn der Kundenbereich im Inneren maximal 400 m2 beträgt" sowie der vierte Satz – "Veränderungen der Größe des Kundenbereichs, die nach dem 7. April 2020 vorgenommen wurden, haben bei der Ermittlung der Größe des Kundenbereichs außer Betracht zu bleiben." – in §2 Abs4 der Verordnung des Bundesministers für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz betreffend vorläufige Maßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19, BGBl II Nr 96/2020, idF BGBl II Nr 151/2020 waren gesetzwidrig.

2. Die als gesetzwidrig festgestellten Bestimmungen sind nicht mehr anzuwenden.

II. Die Anträge auf Aufhebung des §4 Abs2 des Bundesgesetzes betreffend vorläufige Maßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19, BGBl I Nr 12/2020, idF BGBl I Nr 16/2020 sowie auf Feststellung, dass §1 sowie §2 Abs4 dritter Satz der Verordnung des Bundesministers für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz betreffend vorläufige Maßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19, BGBl II Nr 96/2020, idF BGBl II Nr 151/2020 gesetzwidrig waren, werden abgewiesen.

III. Im Übrigen werden die Anträge zurückgewiesen.

IV. Der Bund (Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz) ist schuldig, den antragstellenden Parteien zu Handen ihrer Rechtsvertreterin die mit € 1.744,20 bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe

I. Anträge und Vorverfahren

1. Mit ihren auf Art139 Abs1 Z3 B-VG sowie Art140 Abs1 Z1 litc B-VG gestützten Anträgen begehren die antragstellenden Parteien, der Verfassungsgerichtshof möge

"1. die Wortfolge in §2 Abs4 der Verordnung des Bundesministers für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz betreffend vorläufige Maßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19, BGBl II Nr 96/2020 in der geltenden Fassung, eingefügt mit Verordnung BGBl II Nr 151/2020, ', wenn der Kundenbereich im Inneren maximal 400 m² beträgt' sowie 'Veränderungen der Größe des Kundenbereichs, die nach dem 7. April 2020 vorgenommen wurden, haben bei der Ermittlung der Größe des Kundenbereichs außer Betracht zu bleiben.'

in eventu

die Wortfolge in §2 Abs4 der Verordnung des Bundesministers für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz betreffend vorläufige Maßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19, BGBl II Nr 96/2020 in der geltenden Fassung, eingefügt mit Verordnung BGBl II Nr 151/2020, ', wenn der Kundenbereich im Inneren maximal 400 m² beträgt' sowie 'Sind sonstige Betriebsstätten baulich verbunden (z. B. Einkaufszentren), ist der Kundenbereich der Betriebsstätten zusammenzuzählen, wenn der Kundenbereich über das Verbindungsbauwerk betreten wird. Veränderungen der Größe des Kundenbereichs, die nach dem 7. April 2020 vorgenommen wurden, haben bei der Ermittlung der Größe des Kundenbereichs außer Betracht zu bleiben.'

in eventu

den in §2 Abs4 der Verordnung des Bundesministers für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz betreffend vorläufige Maßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19, BGBl II Nr 96/2020 in der geltenden Fassung, mit Verordnung BGBl II Nr 151/2020 eingefügten Satz 'Veränderungen der Größe des Kundenbereichs, die nach dem 7. April 2020 vorgenommen wurden, haben bei der Ermittlung der Größe des Kundenbereichs außer Betracht zu bleiben' als gesetzwidrig aufheben;

in eventu

die Gesetzwidrigkeit der durch Verordnung BGBl II Nr 151/2020 in §2 Abs4 der Verordnung des Bundesministers für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz betreffend vorläufige Maßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19, BGBl II Nr 96/2020 in der geltenden Fassung, eingefügten Wortfolge ', wenn der Kundenbereich im Inneren maximal 400 m² beträgt' sowie 'Veränderungen der Größe des Kundenbereichs, die nach dem 7. April 2020 vorgenommen wurden, haben bei der Ermittlung der Größe des Kundenbereichs außer Betracht zu bleiben.' feststellen;

in eventu

die Gesetzwidrigkeit der durch Verordnung BGBl II Nr 151/2020 in §2 Abs4 der Verordnung des Bundesministers für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz betreffend vorläufige Maßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19, BGBl II Nr 96/2020 in der geltenden Fassung, eingefügten Wortfolge ', wenn der Kundenbereich im Inneren maximal 400 m² beträgt' sowie 'Sind sonstige Betriebsstätten baulich verbunden (z. B. Einkaufszentren), ist der Kundenbereich der Betriebsstätten zusammenzuzählen, wenn der Kundenbereich über das Verbindungsbauwerk betreten wird. Veränderungen der Größe des Kundenbereichs, die nach dem 7. April 2020 vorgenommen wurden, haben bei der Ermittlung der Größe des Kundenbereichs außer Betracht zu bleiben.' feststellen;

in eventu

die Gesetzwidrigkeit des durch Verordnung BGBl II Nr 151/2020 in §2 Abs4 der Verordnung des Bundesministers für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz betreffend vorläufige Maßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19, BGBl II Nr 96/2020 in der geltenden Fassung, eingefügten Satzes 'Veränderungen der Größe des Kundenbereichs, die nach dem 7. April 2020 vorgenommen wurden, haben bei der Ermittlung der Größe des Kundenbereichs außer Betracht zu bleiben' feststellen;

2. die Wortteile in §2 Abs1 Z2 der Verordnung des Bundesministers für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz betreffend vorläufige Maßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19, BGBl II Nr 96/2020 in der geltenden Fassung, zuletzt geändert durch die Verordnung BGBl II Nr 162/2020, 'handel' sowie 'produzenten'

in eventu

die Wortfolge in §1 der Verordnung des Bundesministers für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz betreffend vorläufige Maßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19, BGBl II Nr 96/2020 in der geltenden Fassung, zuletzt geändert durch die Verordnung BGBl II Nr 162/2020, 'des Handels und' sowie 'des Erwerbs von Waren oder'

in eventu

§1 der Verordnung des Bundesministers für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz betreffend vorläufige Maßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19, BGBl II Nr 96/2020 in der geltenden Fassung, zuletzt geändert durch die Verordnung BGBl II Nr 162/2020, als gesetzwidrig aufheben;

in eventu

die Gesetzwidrigkeit der Wortteile 'handel' sowie 'produzenten' in §2 Abs1 Z2 der Verordnung des Bundesministers für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz betreffend vorläufige Maßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19, BGBl II Nr 96/2020 in der geltenden Fassung, zuletzt geändert durch die Verordnung BGBl II Nr 162/2020, feststellen;

in eventu

die Gesetzwidrigkeit der Wortfolge 'des Handels und' sowie 'des Erwerbs von Waren oder' in §1 der Verordnung des Bundesministers für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz betreffend vorläufige Maßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19, BGBl II Nr 96/2020 in der geltenden Fassung, zuletzt geändert durch die Verordnung BGBl II Nr 162/2020, feststellen;

in eventu

die Gesetzwidrigkeit von §1 der Verordnung des Bundesministers für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz betreffend vorläufige Maßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19, BGBl II Nr 96/2020 in der geltenden Fassung, zuletzt geändert durch die Verordnung BGBl II Nr 162/2020, feststellen".

2. Darüber hinaus begehren die antragstellenden Parteien, der Verfassungsgerichtshof möge

"1. §4 Abs2 des Bundesgesetzes betreffend vorläufige Maßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 (COVID-19-Maßnahmengesetz), BGBl I Nr 12/2020 idF BGBl I Nr 23/2020 mit der Wortfolge 'Hat der Bundesminister gemäß §1 eine Verordnung erlassen, gelangen die Bestimmungen des Epidemiegesetzes 1950, BGBl Nr 186/1950, betreffend die Schließung von Betriebsstätten im Rahmen des Anwendungsbereichs dieser Verordnung nicht zur Anwendung.' als verfassungswidrig aufheben;

in eventu

die Verfassungswidrigkeit des §4 Abs2 des Bundesgesetzes betreffend vorläufige Maßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 (COVID-19-Maßnahmengesetz), BGBl I Nr 12/2020 idF BGBl I Nr 23/2020 mit der Wortfolge 'Hat der Bundesminister gemäß §1 eine Verordnung erlassen, gelangen die Bestimmungen des Epidemiegesetzes 1950, BGBl Nr 186/1950, betreffend die Schließung von Betriebsstätten im Rahmen des Anwendungsbereichs dieser Verordnung nicht zur Anwendung.', feststellen".

3. Begründend bringen die antragstellenden Parteien zunächst zur Zulässigkeit ihrer Anträge vor, dass sie österreichische Handelsunternehmen seien und in Österreich Filialen betrieben. Sie fielen als Handelsunternehmen unter §1 der Verordnung des Bundesministers für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz betreffend vorläufige Maßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 (im Folgenden: "COVID-19-Maßnahmenverordnung-96"), BGBl II 96/2020. Seit dem Inkrafttreten dieser Verordnung sei das Betreten des Kundenbereiches in Filialen der antragstellenden Parteien verboten. Die antragstellenden Parteien fielen unter keine der in §2 Abs1 COVID-19-Maßnahmenverordnung-96 genannten Ausnahmen.

3.1. Im Zuge der Lockerungen der COVID-19-Maßnahmen habe der Verordnungsgeber eine weitere Ausnahme normiert, und zwar für Handelsunternehmen, deren Kundenbereich im Inneren maximal 400 m² betrage (§2 Abs4 COVID-19-Maßnahmenverordnung-96). Diese Ausnahmebestimmung sei mit 13. April 2020 in Kraft getreten. Da der Kundenbereich bestimmter Filialen der antragstellenden Parteien jeweils mehr als 400 m² betrage und ausschließlich im Innenbereich angesiedelt sei, gelte das Betretungsverbot für sie weiter. Darüber hinaus habe der Verordnungsgeber festgehalten, dass Veränderungen der Größe des Kundenbereiches, die nach dem 7. April 2020 vorgenommen worden seien, bei der Ermittlung der Größe des Kundenbereiches außer Betracht zu bleiben hätten (sogenanntes "Zonierungsverbot").

Weiters seien in §2 COVID-19-Maßnahmenverordnung-96 diverse Ausnahmen für Handels- und Dienstleistungsunternehmen normiert worden, wobei in §2 Abs1 Z2 COVID-19-Maßnahmenverordnung-96 in gleichheitswidriger Weise nur das Betreten der Geschäftsräumlichkeiten des Lebensmittelhandels, von Lebensmittelproduzenten sowie bäuerlichen Direktvermarktern gestattet worden sei. Den antragstellenden Parteien sei somit der Verkauf von Lebensmitteln und anderen Produkten weiterhin verboten, wohingegen die von der Ausnahmebestimmung des §2 Abs1 Z2 COVID-19-Maßnahmenverordnung-96 erfassten Unternehmen sowohl Lebensmittel als auch sonstige Produkte verkaufen dürften.

3.2. Die genannten Regelungen seien unmittelbar auf die antragstellenden Parteien anwendbar und griffen aktuell und nachteilig in ihre Rechtssphäre ein, und zwar in die verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz, auf Freiheit der Erwerbsausübung gemäß Art6 StGG sowie auf Unversehrtheit des Eigentums gemäß Art5 StGG und Art1 1. ZPEMRK. Die bekämpften Bestimmungen seien zwar bei Einbringung des Antrages noch in Kraft, sollten aber gemäß §5 COVID-19-Maßnahmenverordnung-96 mit Ablauf des 30. April 2020 außer Kraft treten. Die Bestimmungen entfalteten auf während ihres Geltungszeitraumes verwirklichte Sachverhalte weiterhin Wirksamkeit. Auch nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes sei es nicht unmöglich, dass außer Kraft getretene Bestimmungen die Rechtssphäre des Antragstellers aktuell berührten. Den antragstellenden Parteien sei es aktuell verboten, ihre Geschäftslokale betreten zu lassen und Waren zu veräußern, soweit der Kundenbereich mehr als 400 m² betrage. Dieser Zustand könne nach dem Außerkrafttreten der Bestimmungen nicht mehr beseitigt werden und wirke insoweit fort. Die antragstellenden Parteien könnten derzeit keine Kaufverträge in diesen Filialen abschließen; der Onlineshop sei für sie keine adäquate Alternative.

Nach der Judikatur des Verfassungsgerichtshofes sei ein Antragsteller insofern von einer außer Kraft getretenen Verordnung in seiner Rechtssphäre berührt, als die angefochtene Bestimmung auf die Vertragsabschlüsse im Zeitraum ihrer Geltung zur Anwendung komme. Dasselbe müsse gelten, wenn Verträge auf Grund der angefochtenen Bestimmung gar nicht abschlossen werden könnten. Darüber hinaus müsse die kurze zeitliche Geltungsdauer der COVID-19-Maßnahmenverordnung-96 berücksichtigt werden; würde der Verfassungsgerichtshof die Unmittelbarkeit des Eingriffes verneinen, wäre die bekämpfte Verordnung nicht überprüfbar. Es sei den antragstellenden Parteien nicht zumutbar, die Bedenken auf anderem Weg an den Verfassungsgerichtshof heranzutragen.

3.3. In der Sache meinen die antragstellenden Parteien, dass die angefochtenen Wortteile und Wortfolgen der COVID-19-Maßnahmenverordnung-96 gegen den Gleichheitsgrundsatz nach Art2 StGG sowie Art7 Abs1 B-VG, das Recht auf Freiheit der Erwerbsausübung gemäß Art6 StGG sowie auf Unversehrtheit des Eigentums gemäß Art5 StGG sowie Art1 1. ZPEMRK verstießen.

Die Regelung des §2 Abs4 COVID-19-Maßnahmenverordnung-96, wonach Handelsunternehmen mit einer Kundenfläche von mehr als 400 m² nicht von der vorzeitigen Lockerung erfasst seien, sei willkürlich und entbehre jeder sachlichen Rechtfertigung. Es sei kein Grund ersichtlich, warum das Infektionsrisiko in Kundenbereichen über 400 m² höher sein sollte. Die Maßnahmen zur Ansteckungsprävention könnten in großflächigen Handelsunternehmen ebenso gut, wenn nicht sogar besser umgesetzt werden; vor allem könne die physische Distanzierung besser gewährleistet werden. Die Gefahr einer Ansteckung sei in kleinflächigen Handelsbetrieben größer. Die Größe eines Kundenbereiches sei auch deshalb kein geeignetes Unterscheidungskriterium, weil sich die Ansteckungsgefahr je nach der räumlichen Gestaltung des Kundenbereiches stark unterscheide. Darüber hinaus gebe es keine sachliche Rechtfertigung für die Differenzierung zwischen jenen Handelsunternehmen, die nur 400 m² Verkaufsfläche aufwiesen, und jenen, die ihre Kundenfläche nachträglich verkleinert hätten. Der Ansteckungsschutz könne in nachträglich zonierten Kundenbereichen gleichermaßen erfüllt werden. Eine nachträgliche Verkleinerung der Verkaufsfläche erhöhe die Ansteckungsgefahr nicht. Darüber hinaus sei es unsachlich, dass der Verordnungsgeber Lebensmittelhändlern, die auch andere Produkte vertrieben, uneingeschränkt erlaube, Produkte an Kunden zu verkaufen, während Unternehmen, die neben anderen Produkten auch Lebensmittel anböten, die Veräußerung sämtlicher Produkte verboten sei. Es bestünden keine nachvollziehbaren Gründe, warum nur bestimmte Unternehmen weiterhin Lebensmittel verkaufen dürften.

Ein Eingriff in die Erwerbsfreiheit sei nur zulässig, wenn dies durch ein öffentliches Interesse geboten, zur Zielerreichung geeignet, adäquat und auch sonst sachlich gerechtfertigt sei. Es sei zwar grundsätzlich nachvollziehbar, dass die Lockerungen schrittweise gesetzt würden; die gewählte Differenzierung nach der Größe der Handelsunternehmen sei aber – wie bei den Bedenken zum Gleichheitsgrundsatz dargestellt – nicht geeignet, dieses Ziel zu erreichen. Größere Handelsunternehmen könnten den Infektionsschutz zumindest gleich gut, wenn nicht sogar besser gewährleisten. Die Differenzierung sei auch nicht erforderlich, weil gelindere Mittel vorhanden seien, etwa eine Begrenzung der Kundenanzahl sowie die Verpflichtung zum Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes. Es bestehe zwischen dem öffentlichen Interesse und den Einschränkungen der Grundrechte der antragstellenden Parteien keine angemessene Relation. Es bestehe darüber hinaus kein öffentliches Interesse daran, dass nur bestimmte Unternehmen Lebensmittel verkaufen könnten. Ferner sei eine Ausnahmeregelung, wonach nur einzelne Unternehmer Lebensmittel verkaufen dürften, nicht erforderlich, um das vom Verordnungsgeber verfolgte Ziel zu erreichen.

Die bewirkte Beschränkung des Eigentumsgrundrechtes sei auch unverhältnismäßig, weil einerseits die Unterscheidung nach der Größe des Handelsunternehmens sowie das Verbot der Zonierung keine geeigneten Kriterien seien und andererseits nur bestimmte Unternehmen Lebensmittel verkaufen dürften.

3.4. §4 Abs2 COVID-19-Maßnahmengesetz iVm §1 COVID-19-Maßnahmenverordnung-96 verstoße gegen das Recht auf Unversehrtheit des Eigentums gemäß Art5 StGG sowie Art1 1. ZPEMRK sowie den Gleichheitsgrundsatz gemäß Art2 StGG sowie Art7 B-VG.

§4 Abs2 COVID-19-Maßnahmengesetz regle, dass die Bestimmungen des Epidemiegesetzes 1950 nicht zur Anwendung gelangen, soweit der Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz eine Verordnung nach §1 COVID-19-Maßnahmengesetz erlasse. Der Bundesminister habe von dieser Verordnungsermächtigung mehrfach Gebrauch gemacht, insbesondere durch die COVID-19-Maßnahmenverordnung-96. Das COVID-19-Maßnahmengesetz greife unmittelbar und nachteilig in die Rechtssphäre der antragstellenden Parteien ein, und zwar hinsichtlich der genannten Grundrechte.

Die antragstellenden Parteien seien Normadressaten des COVID-19-Maßnahmengesetzes; die Bestimmungen des Epidemiegesetzes 1950 seien auf Grund des §4 Abs2 COVID-19-Maßnahmengesetz (iVm §1 COVID-19-Maßnahmenverordnung-96) nicht mehr auf die antragstellenden Parteien anzuwenden; insbesondere könnten sie keine Vergütung nach §32 Epidemiegesetz 1950 beanspruchen, obwohl sie ihrer Erwerbstätigkeit nicht mehr nachgehen könnten. Zwischen Betretungsverboten und Schließungen nach dem Epidemiegesetz 1950 bestehe kein Unterschied, zumal in beiden Fällen Kunden die Verkaufsfläche nicht mehr aufsuchen könnten. §4 Abs2 COVID-19-Maßnahmengesetz (iVm §1 COVID-19-Maßnahmenverordnung-96) greife sohin nachteilig in die Rechtssphäre der antragstellenden Parteien ein. Es gebe für sie auch keinen zumutbaren Rechtsweg, die Bedenken an den Verfassungsgerichtshof heranzutragen. Insbesondere sei es ihnen nicht zumutbar, ein Verwaltungsstrafverfahren nach §3 COVID-19-Maßnahmengesetz zu provozieren.

3.5. Hinsichtlich des vorgebrachten Verstoßes gegen das Recht auf Unversehrtheit des Eigentums gemäß Art5 StGG sowie Art1 1. ZPEMRK bringen die antragstellenden Parteien zusammengefasst vor, dass die Ausnahme der Anwendbarkeit der Regelungen des Epidemiegesetzes 1950 nicht geeignet sei, das verfolgte öffentliche Ziel an der Eindämmung der Verbreitung von COVID-19 zu erreichen. Nach den Materialien zum COVID-19-Maßnahmengesetz habe sich herausgestellt, dass die Regelungen im Epidemiegesetz 1950 nicht ausreichend bzw zu kleinteilig seien. Es sollten daher jene Maßnahmen ermöglicht werden, die unbedingt erforderlich seien, um die Ausbreitung der Krankheit zu verhindern. Das Ziel des COVID-19-Maßnahmengesetzes sei sohin die Schaffung zusätzlicher Schutzmechanismen gewesen. Dieses Ziel wäre allerdings auch ohne die einschränkende Anordnung des §4 Abs2 COVID-19-Maßnahmengesetz möglich gewesen. Auch nach dem Epidemiegesetz 1950 hätten Betriebsstätten geschlossen werden können; diesfalls hätte jedoch §32 Abs1 Z5 Epidemiegesetz 1950 eine Vergütung vorgesehen, die nach dem vergleichbaren fortgeschriebenen wirtschaftlichen Einkommen zu bemessen gewesen wäre. Darüber hinaus wären die Entgeltfortzahlungen an die Arbeitnehmer vom Bund zu ersetzen gewesen.

Durch die explizite Ausnahme der Anwendbarkeit der Bestimmungen des Epidemiegesetzes 1950 würden die antragstellenden Parteien ihre Ansprüche auf Entschädigung nach §32 Epidemiegesetz 1950 zur Gänze verlieren. Gleichwertige alternative Ansprüche würden ihnen nicht gewährt. Es sei denkunmöglich, dass der Wegfall des Entschädigungsanspruches geeignet sei, die Verbreitung von COVID-19 in irgendeiner Weise einzudämmen. §4 Abs2 COVID-19-Maßnahmengesetz verfolge nur den Zweck, Entschädigungsansprüche zu beschneiden, wodurch in das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Unversehrtheit des Eigentums eingegriffen werde. Der aus dem Betretungsverbot resultierende Vermögensnachteil sei zur Gänze von den antragstellenden Parteien zu tragen.

3.6. §4 Abs2 COVID-19-Maßnahmengesetz verstoße auch gegen den Gleichheitsgrundsatz, weil zunächst zahlreiche Betriebe unter Bezugnahme auf das Epidemiegesetz 1950 behördlich geschlossen worden seien. Erst Ende März habe der Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz eine Verordnung nach §1 COVID-19-Maßnahmengesetz erlassen, in Bezug auf welche die Entschädigungsansprüche nach dem Epidemiegesetz 1950 ausgeschlossen seien. Jenen Betrieben, die nach den Bestimmungen des Epidemiegesetzes 1950 geschlossen worden seien, stehe die volle Entschädigung zu, während die antragstellenden Parteien keinen Entschädigungsanspruch hätten. Eine derartige Ungleichbehandlung sei sachlich nicht gerechtfertigt, weil die Betriebsschließungen nach dem Epidemiegesetz 1950 mit den Betretungsverboten nach dem COVID-19-Maßnahmengesetz gleichzusetzen seien. Die antragstellenden Parteien hätten darauf vertrauen dürfen, dass sie Entschädigungen nach dem Epidemiegesetz 1950 erhalten würden. Es sei in keiner Weise nachvollziehbar, warum bestimmte Betriebe in diesem Zusammenhang bessergestellt sein sollten. Eine sachliche Rechtfertigung sei nicht zu erkennen. In §1 Abs1 Epidemiegesetz 1950 seien unter anderem MERS-CoV und SARS genannt. Es sei nicht ersichtlich, warum COVID-19 anders als jene Infektionen zu behandeln sei. Es handle sich um eine unsachliche Differenzierung.

4. Die Bundesregierung erstattete in dem zu G202/2020, V408/2020 protokollierten Verfahren eine Äußerung, in der sie die Zulässigkeit der gestellten Eventualanträge bestreitet, soweit diese auf die Feststellung der Gesetzes- bzw Verfassungswidrigkeit gerichtet sind. In den zu G212/2020, V414/2020 und G213/2020, V415/2020 protokollierten Verfahren erstattete die Bundesregierung ebenfalls Äußerungen, in denen sie auf ihre Äußerung in dem zu G202/2020, V408/2020 protokollierten Verfahren verwies.

4.1. In der Sache führt die Bundesregierung aus, dass die antragstellenden Parteien eine unsachliche Ungleichbehandlung von COVID-19 mit sonstigen nach dem Epidemiegesetz 1950 anzeigepflichtigen Krankheiten behaupteten. Die Bundesregierung verweise in diesem Zusammenhang darauf, dass COVID-19 mit Verordnung des Bundesministers für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Konsumentenschutz betreffend anzeigepflichtige übertragbare Krankheiten 2020, BGBl II 15/2020, in die Liste der anzeigepflichtigen Krankheiten gemäß §1 Epidemiegesetz 1950 aufgenommen worden sei. Vorbehaltlich des §4 Abs2 COVID-19-Maßnahmengesetz seien daher auch die Bestimmungen des Epidemiegesetzes 1950 auf COVID-19 anwendbar.

Darüber hinaus sei die unterschiedliche Behandlung der von den antragstellenden Parteien behaupteten Krankheiten durch Unterschiede und Besonderheiten der jeweiligen Erreger begründet. Zwar scheine die Letalität von COVID-19 deutlich geringer zu sein als bei MERS, jedoch sei die Übertragbarkeit deutlich höher. COVID-19 sei auch stärker verbreitet als SARS; darüber hinaus seien auch bereits weit mehr Menschen an COVID-19 gestorben. Bereits aus diesen Gründen sei die Bundesregierung der Auffassung, dass es im Rahmen ihres Gestaltungsspielraumes liege, COVID-19 anders zu behandeln und sachadäquate Regelungen zur Beherrschung der neuen Gefahrenlage zu erlassen. Darüber hinaus verweist die Bundesregierung auf ihre Äußerungen in den beim Verfassungsgerichtshof zu G180/2020 ua und G195/2020 protokollierten Verfahren, welche sie ihrer Äußerung anschloss.

4.2. In ihren Äußerungen in den beim Verfassungsgerichtshof zu G180/2020 ua und G195/2020 protokollierten Verfahren führt die Bundesregierung – soweit für das vorliegende Verfahren von Belang – zusammengefasst das Folgende aus:

4.2.1. Die Nichtanwendbarkeit der Bestimmungen des Epidemigesetzes 1950 über die Vergütung für den Verdienstentgang ergebe sich nicht aus §1 und §2 des COVID-19-Maßnahmengesetzes, sondern aus §4 Abs2 des COVID-19-Maßnahmengesetzes. Die Bestimmungen seien nach Auffassung der Bundesregierung nicht unsachlich.

4.2.2. Bei COVID-19 handle es sich um eine Erkrankung, die leicht und vor allem unbemerkt vor Beginn der Symptome von Mensch zu Mensch übertragen werden könne und für die es noch keine ausreichende Immunität in der Bevölkerung gebe. Zu den häufigsten Symptomen zählten Fieber, trockener Husten, Halsschmerzen und Abgeschlagenheit. Die Krankheitsverläufe variierten sehr stark, von symptomlosen Verläufen bis hin zu schweren Lungenentzündungen mit Lungenversagen und Todesfolge.

Nach dem erstmaligen Auftreten von COVID-19 in Österreich am 25. Februar 2020 sei es zu einem rasanten Anstieg der Krankheitsfälle gekommen: Während in der 10. Kalenderwoche (2. bis 8. März 2020) die Zahl der nachgewiesenen Neuerkrankungen mit durchschnittlich 17 pro Tag (in Summe 119 in dieser Woche) angestiegen sei, seien es in der 11. Kalenderwoche (9. bis 15. März 2020) durchschnittlich 140 pro Tag (in Summe 982) gewesen, wobei alle Bundesländer betroffen und COVID-19 nicht mehr lokal eingrenzbar gewesen sei. Die Gesamtzahl der Erkrankten habe somit in dieser Woche täglich im Durchschnitt um 25 % zugenommen. Eine derartige Zunahme bedeute ein exponentielles Wachstum, bei dem sich die Fallzahlen in etwas mehr als drei Tagen verdoppelten. Auch weltweit gesehen seien die Wachstumsraten zu diesem Zeitpunkt in der Europäischen Union am höchsten gewesen. Am 11. März 2020 sei der Ausbruch von COVID-19 durch die Weltgesundheitsorganisation (WHO) als Pandemie eingestuft worden.

In die Risikobewertung des European Centre for Disease Prevention and Control (ECDC) vom 12. März 2020 seien insbesondere Daten und Erfahrungen aus anderen betroffenen Ländern eingeflossen. In China seien damals in 80 % der Fälle milde bis moderate Verläufe registriert worden. In fast 14 % der Fälle sei es zu schweren Verläufen gekommen und 6 % aller Fälle seien in einem kritischen Zustand gemündet. Die Fallsterblichkeit sei für China bei 2,3 % und für Italien bei 2,8 % gelegen. Die höchste Fallsterblichkeit sei bei älteren Personen, insbesondere in der Altersgruppe von über 80 Jahren, aufgetreten. Besonders bei Personen mit Vorerkrankungen (Bluthochduck, Diabetes, Krebs etc.) seien schwere Verläufe beobachtet worden. Kinder seien genauso gefährdet wie Erwachsene gewesen, sich anzustecken. Bei diesen seien überwiegend milde Verläufe beobachtet worden. Das Risiko einer schweren Erkrankung im Zusammenhang mit einer COVID-19-Infektion für Menschen in der EU/im EWR und im Vereinigten Königreich sei von dem ECDC für die allgemeine Bevölkerung als moderat und für ältere Erwachsene und Personen mit chronischen Grunderkrankungen als hoch angesehen worden. Darüber hinaus sei das Risiko einer Überlastung der nationalen Gesundheitssysteme und das mit der Übertragung von COVID-19 verbundene Risiko in Gesundheits- und Sozialeinrichtungen mit großen gefährdeten Bevölkerungsgruppen als hoch eingestuft worden.

Das Robert Koch-Institut (Berlin) nehme – ausgehend von mehreren verschiedenen Studien – bei einer ungehinderten Verbreitung von COVID-19 eine Basisreproduktionszahl von zwischen 2,4 und 3,3 an. Das bedeute, dass von einem Fall durchschnittlich 2,4 bis 3,3 Zweitinfektionen ausgingen. Das bedeute aber auch, dass bei einer Basisreproduktionszahl von ca. 3 ungefähr zwei Drittel aller Übertragungen verhindert werden müssten, um die Epidemie unter Kontrolle zu bringen.

Angesichts dieser Datenlage und der Risikoabschätzung der damaligen epidemiologischen Situation und Risikobewertung sowie der erwarteten Entwicklungen seien durch das ECDC sowie die Experten im Beraterstab der Taskforce Corona beim Bundesministerium für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz insbesondere Maßnahmen im Bereich des "social distancing" (Minimierung körperlicher Kontakte, zeitlich später auch als "physical distancing" bezeichnet; zB durch Absagen von Veranstaltungen, Schließen von Schulen, Einstellen nicht notwendiger zwischenmenschlicher Kontakte und von Reisetätigkeiten) als erforderlich angesehen worden, um das exponentielle Fortschreiten der Pandemie einzubremsen und die reale Gefahr einer Überlastung des österreichischen Gesundheitssystemes auf Grund der großen Anzahl der Erkrankten einerseits und der Infizierung des medizinischen und krankenpflegerischen Personals andererseits zu verhindern.

Um der schnellen Ausbreitung der Erkrankung effektiv entgegenzuwirken, sei daher die Verbreitung des Virus durch eine deutliche Reduzierung der Anzahl der zwischenmenschlichen Kontakte und die Einhaltung eines Abstandes von mindestens einem Meter bei nicht vermeidbaren Kontakten notwendig gewesen, wobei dies auf Grund der bestehenden Ausbreitung von COVID-19 rasch, gleichzeitig und in ganz Österreich geschehen habe müssen. Die Wirksamkeit von "social distancing" sei nämlich am größten, wenn gleich zu Beginn der Pandemie eine deutliche Verminderung der Kontakte erfolge.

4.2.3. Für eine rasche und bundesweite Umsetzung von "social distancing" seien die Maßnahmen des Epidemiegesetzes 1950, wie in den Erläuterungen zum entsprechenden Initiativantrag des COVID-19-Maßnahmengesetzes (IA 396/A 27. GP, 11) dargelegt, "nicht ausreichend bzw zu kleinteilig". Die rechtlichen Vorkehrungen, die im Epidemiegesetz 1950 vorgesehen seien, wären auch gar nicht darauf ausgelegt, österreichweit zwischenmenschliche Kontakte schlagartig zu reduzieren. Insbesondere gehe von den meisten Betriebsstätten gar keine besondere Gefahr für die Ausbreitung von COVID-19 aus, die eine Betriebsbeschränkung oder -schließung gemäß §20 Epidemiegesetz 1950 rechtfertigen würde. Auch Verkehrsbeschränkungen gemäß §24 Epidemiegesetz 1950 könnten nur verfügt werden, wenn sich in einem bestimmten Gebiet eine Häufung von Infizierungen ergebe. Diese Bestimmung könnte jedoch nicht als ausreichende gesetzliche Grundlage für die erforderliche bundesweite, generelle Reduzierung der Anzahl der Kontakte zwischen Menschen angesehen werden.

Vor diesem Hintergrund sei es nach Auffassung der Bundesregierung geboten gewesen, die in Rede stehenden Maßnahmen zur Bekämpfung der Verbreitung von COVID-19 zu ergreifen, um den soeben dargestellten spezifischen Herausforderungen bei der Bekämpfung von COVID-19 bestmöglich begegnen zu können. In diesem Zusammenhang werde darauf hingewiesen, dass diese Maßnahmen sowohl in ihrem sachlichen als auch zeitlichen Anwendungsbereich auf das unbedingt Notwendige begrenzt seien, indem sie nur insoweit anwendbar seien, als dies zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 erforderlich sei, und lediglich befristete Geltung bis Ende des Jahres 2020 hätten.

4.2.4. Die Erforderlichkeit der zur Eindämmung der Pandemie ergriffenen Maßnahmen spiegle sich auch in ihrem Erfolg wider, wie sich aus der Datenlage ergebe: Nachdem am Tag des Inkrafttretens des COVID-19-Maßnahmengesetzes (16. März 2020) über 200 Neuerkrankungen pro Tag bei einer geschätzten effektiven Reproduktionszahl von über 2,5 zu verzeichnen gewesen seien, liege die Anzahl der Neuerkrankungen pro Tag, die am 26. März 2020 mit über 1.000 Neuerkrankungen ihren Höhepunkt erreicht hätte, seit dem 17. April 2020 bei unter hundert Personen; die Reproduktionszahl liege seit 5. April 2020 zwischen 1 und 0,5. Auch ein internationaler Vergleich der Fallzahlen zeige, dass durch die auf Grund des COVID-19-Maßnahmengesetzes getroffenen Maßnahmen eine ungebremste Verbreitung des Virus verhindert werden habe können, sodass das Gesundheitssystem zu keinem Zeitpunkt an seine Belastungsgrenzen gestoßen sei.

Daneben seien mit dem "Corona-Hilfspaket" zahlreiche Unterstützungsmaßnahmen getroffen worden, um die negativen wirtschaftlichen Folgen der Pandemie bei den betroffenen Unternehmen auszugleichen, wie etwa die Ausweitung der Kurzarbeit, finanzielle Maßnahmen zur Erhaltung der Zahlungsfähigkeit und Überbrückung von Liquiditätsschwierigkeiten von Unternehmen, Zuschüsse aus dem Härtefallfonds sowie Entlastungen und Erleichterungen für Unternehmen aus abgabenrechtlicher Sicht. Nach Auffassung der Bundesregierung erwiesen sich daher die angefochtenen Bestimmungen insgesamt als sachlich gerechtfertigt.

4.2.5. Auch eine Verletzung des Vertrauensschutzes liege nach Auffassung der Bundesregierung nicht vor.

Der Verfassungsgerichtshof habe jüngst in seinem Erkenntnis vom 18. Juni 2019, G150/2018 ua, seine Auffassung bestätigt, wonach das bloße Vertrauen auf den unveränderten Fortbestand der gegebenen Rechtslage als solches keinen besonderen verfassungsrechtlichen Schutz genieße. Vielmehr bleibe es der Gesetzgebung auf Grund des ihr zukommenden rechtspolitischen Gestaltungsspielraumes unbenommen, die Rechtslage auch zu Lasten des Betroffenen zu verändern. Nur unter besonderen Umständen setze der Vertrauensschutz der Gesetzgebung verfassungsrechtliche Grenzen, so insbesondere wenn dem Betroffenen zur Vermeidung unsachlicher Ergebnisse die Gelegenheit gegeben werden müsse, sich rechtzeitig auf die neue Rechtslage einzustellen. Vertrauensschutz begründende Umstände könnten nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes darin liegen, dass rückwirkend an in der Vergangenheit liegende Sachverhalte geänderte (für die Normunterworfenen nachteilige) Rechtsfolgen geknüpft würden (VfSlg 13.020/1992, 16.850/2003) oder dass die Gesetzgebung in Rechtsansprüche, auf die sich die Normunterworfenen nach ihrer Zweckbestimmung rechtens einstellen durften (wie auf Pensionsleistungen bestimmter Höhe), plötzlich und intensiv nachteilig eingreife (VfSlg 11.288/1987, 16.764/2002, 17.254/2004) oder dass die Gesetzgebung die Normunterworfenen zu Dispositionen veranlasst habe, durch eine spätere Maßnahme diese im Vertrauen auf die Rechtslage vorgenommenen Dispositionen frustriert bzw ihrer Wirkung beraubt hätten (VfSlg 12.944/1991, 13.655/1993, 16.452/2002). In den Erkenntnissen VfSlg 12.944/1991 und 13.655/1993 seien es jeweils besondere Umstände gewesen, die zu einer Gleichheitswidrigkeit der in Prüfung gezogenen generellen Normen geführt hätten: Nicht schon der bloße Anreiz zu Dispositionen vermöge ein vertrauensbildendes Moment zu sein, sondern erst der Anreiz zu konkreten Investitionen, wie etwa zur Anschaffung lärmarmer LKW (VfSlg 12.944/1991) oder zur Bildung von Rücklagen (VfSlg 13.655/1993).

Ein vergleichbarer Anreiz sei mit dem Epidemiegesetz 1950, dessen Nichtanwendbarkeit die antragstellenden Unternehmen monierten, nicht geschaffen worden. Nach Auffassung der Bundesregierung erscheine es geradezu undenkbar, die Anordnungen des Epidemiegesetzes 1950 dahingehend zu verstehen: Der "Anreiz", der damit geschaffen worden wäre, wäre nämlich jener, einen Gewerbebetrieb zu führen, der eine besondere Gefahr für die Ausbreitung einer Krankheit mit sich bringe, und sich dabei in Sicherheit zu wiegen, dass im Fall der Betriebsschließung der Verdienstentgang vergütet werde. Dies zeige deutlich, dass in Bezug auf solche Regelungen von vornherein kein Vertrauen bestehe, wie im Allgemeinen hinsichtlich Regelungen, die sich auf unvorhersehbare Ereignisse bezögen, kein verfassungsrechtlich geschütztes Vertrauen bestehe.

Durch die angefochtenen Bestimmungen würden außerdem keine nachteiligen Folgen rückwirkend angeordnet, sondern lediglich klargestellt, dass die Nichtanwendbarkeit der Bestimmungen des Epidemiegesetzes 1950 betreffend die Schließung von Betriebsstätten bereits seit dem 16. März 2020 lediglich im Anwendungsbereich der Verordnung gemäß §1 COVID-19-Maßnahmengesetz gegolten habe (vgl in diesem Sinne die Erläuterungen zum IA 397/A 27. GP, 41). Diese Klarstellung habe zur Folge, dass der Anwendungsbereich des Epidemiegesetzes 1950 (einschließlich der Anordnung betreffend den Verdienstentgang) weit sei.

4.2.6. Nach Ansicht der Bundesregierung liege auch keine Gleichheitswidrigkeit vor, weil die Regelung des §4 Abs2 COVID-19-Maßnahmengesetz dem Abs3 dieser Bestimmung widerspräche. §4 Abs3 COVID-19-Maßnahmengesetz bestimme, dass durch das COVID-19-Maßnahmengesetz dem Epidemiegesetz 1950 nicht derogiert werde. Durch §4 Abs2 COVID-19-Maßnahmengesetz werde dagegen geregelt, dass die Bestimmungen des Epidemiegesetzes 1950 betreffend die Schließung von Betriebsstätten nicht zur Anwendung gelangten, wenn der zuständige Bundesminister eine Verordnung gemäß §1 COVID-19-Maßnahmengesetz erlassen habe. Dies bedeute, dass das Epidemiegesetz 1950 auch im Geltungszeitraum des COVID-19-Maßnahmengesetzes grundsätzlich weiterhin in Geltung stehe; jedoch jene Bestimmungen des Epidemiegesetzes 1950, welche die Schließung von Betriebsstätten beträfen, seien im Rahmen des Anwendungsbereiches der Verordnung gemäß §1 COVID-19-Maßnahmengesetz (vorübergehend) nicht anzuwenden. Außerhalb des Anwendungsbereiches dieser Verordnung seien diese Bestimmungen regulär anzuwenden, was im Übrigen auch durch die Erläuterungen zum entsprechenden Initiativantrag (IA 397/A 27. GP, 41) klargestellt werde. Auch nach Außerkrafttreten der Verordnung gemäß §1 COVID-19-Maßnahmengesetz bzw des COVID-19-Maßnahmengesetzes mit Ablauf des 31. Dezember 2020 seien die genannten Bestimmungen des Epidemiegesetzes 1950 – wieder – anwendbar. Es bestehe somit kein Widerspruch zwischen §4 Abs2 und §4 Abs3 COVID-19-Maßnahmengesetz. Bereits aus diesem Grund liege die behauptete Gleichheitswidrigkeit nicht vor.

Auch ansonsten liege keine Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes gemäß Art2 StGG und Art7 B-VG vor. Betretungsverbote nach §1 COVID-19-Maßnahmengesetz seien mit Betriebsschließungen nach §20 Epidemiegesetz 1950 nicht vergleichbar. Auch liege kein entschädigungspflichtiges "Sonderopfer" im Sinne der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes vor. Ein solches setze eine unsachliche Ungleichbehandlung voraus, deren Last nur einem Einzelnen oder einer (kleinen) Gruppe von Personen auferlegt werde. Durch die angefochtenen Bestimmungen seien aber alle Betriebsstätten gleichermaßen betroffen.

4.2.7. Nach Auffassung der Bundesregierung liege auch keine Verletzung des Grundrechtes auf Unversehrtheit des Eigentums gemäß Art5 StGG vor. Die durch die angefochtenen Bestimmungen bewirkten Eigentumsbeschränkungen dienten dem Ziel der Verhinderung von COVID-19 und lägen damit im öffentlichen Interesse des Gesundheitsschutzes. Im Gegensatz zu Enteignungen bestehe bei Eigentumsbeschränkungen nur bei besonders gravierenden Eingriffen eine Verpflichtung zur Entschädigung. Im vorliegenden Fall liege weder eine formelle noch eine materielle Enteignung vor, weil die Betretungsverbote die Nutzung der Betriebe nicht vollständig unterbinden würden und auch auf das zeitlich absolut notwendige Ausmaß beschränkt seien. Darüber hinaus liege auch kein "Sonderopfer" im Sinne der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes vor.

5. Der Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz erstattete Äußerungen, in denen er die vorgebrachten Gesetzwidrigkeiten bestreitet.

Zur Zulässigkeit bringt der Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz vor, dass die angefochtenen Verordnungsbestimmungen nicht aktuell und unmittelbar in die Rechtssphäre der antragstellenden Parteien eingriffen, weil diese bereits außer Kraft getreten seien. Die darin vorgesehenen Betretungsverbote seien daher bereits weggefallen. Darüber hinaus äußerten die antragstellenden Parteien in ihren Anträgen lediglich pauschale Bedenken gegen die angefochtenen Bestimmungen der Verordnung, ordneten diese jedoch nicht den jeweiligen Anträgen zu. Die Eventualanträge betreffend §1 COVID-19-Maßnahmenverordnung-96 seien zu eng, weil §2 COVID-19-Maßnahmenverordnung-96 im Falle einer Aufhebung einen weitgehend sinnentleerten Inhalt erhielte.

In der Sache ist der Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz der Ansicht, dass die vorgetragenen Bedenken nicht zuträfen. Es sei im Sinne des Schutzes der Gesundheit erforderlich gewesen, flächendeckende Maßnahmen zur größtmöglichen Reduktion der sozialen Kontakte zu ergreifen. Vom allgemeinen Betretungsverbot seien lediglich jene Bereiche ausgenommen gewesen, die zur Aufrechterhaltung der Grundversorgung dienten. Durch die zeitliche Befristung sei die Erforderlichkeit der Maßnahmen kontinuierlich überprüft worden.

Das Abstellen auf die Größe des Kundenbereiches sei auch ein taugliches Differenzierungsmerkmal. Gemeinsam mit der Beschränkung auf einen Kunden pro 20 m² sei gewährleistet, dass die Ausbreitung von COVID-19 verhindert werden könne. Die Festsetzung der 400 m²-Grenze liege im Wertungsspielraum des Verordnungsgebers und finde sich auch in anderen Bestimmungen der Rechtsordnung. Die Differenzierung nach der Größe der Kundenbereiche sei deshalb zur Zielerreichung geeignet gewesen, weil es darum gegangen sei, die Zahl der sozialen Kontakte zu beschränken. Dabei sei weniger die Problematik des ausreichenden Abstandes als vielmehr die damit bewirkte Erhöhung der Mobilität im Vordergrund gestanden. Es sei auch sachlich gerechtfertigt, dass nachträgliche bauliche Veränderungen nicht zu berücksichtigen seien, weil größere Betriebsstätten mehr Kunden anzögen, sodass es zu einer "Nadelöhrsituation" in den Eingangsbereichen kommen könne.

II. Rechtslage

1. Das Bundesgesetz betreffend vorläufige Maßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 (COVID-19-Maßnahmengesetz), BGBl I 12/2020, idF BGBl I 16/2020 lautete:

"Betreten von Betriebsstätten zum Zweck des Erwerbs von Waren und Dienstleistungen sowie Arbeitsorte

§1. Beim Auftreten von COVID-19 kann der Bundesminister

für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz

durch Verordnung das Betreten von Betriebsstätten oder nur bestimmten Betriebsstätten zum Zweck des Erwerbs von Waren und Dienstleistungen oder Arbeitsorte im Sinne des §2 Abs3 ArbeitnehmerInnenschutzgesetz untersagen, soweit dies zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 erforderlich ist. In der Verordnung kann geregelt werden, in welcher Zahl und zu welcher Zeit jene Betriebsstätten betreten werden dürfen, die vom Betretungsverbot ausgenommen sind.

Betreten von bestimmten Orten

§2. Beim Auftreten von COVID-19 kann durch Verordnung das Betreten von bestimmten Orten untersagt werden, soweit dies zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 erforderlich ist. Die Verordnung ist

1. vom Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz zu erlassen, wenn sich ihre Anwendung auf das gesamte Bundesgebiet erstreckt,

2. vom Landeshauptmann zu erlassen, wenn sich ihre Anwendung auf das gesamte Landesgebiet erstreckt, oder

3. von der Bezirksverwaltungsbehörde zu erlassen, wenn sich ihre Anwendung auf den politischen Bezirk oder Teile desselben erstreckt.

Das Betretungsverbot kann sich auf bestimmte Zeiten beschränken.

Mitwirkung von Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes

§2a. (1) Die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes haben die nach diesem Bundesgesetz zuständigen Behörden und Organe über deren Ersuchen bei der Ausübung ihrer beschriebenen Aufgaben bzw zur Durchsetzung der vorgesehenen Maßnahmen erforderlichenfalls unter Anwendung von Zwangsmitteln zu unterstützen.

(2) Sofern nach der fachlichen Beurteilung der nach diesem Bundesgesetz zuständigen Behörden im Rahmen der nach Abs1 vorgesehenen Unterstützung für die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes nach der Art der übertragbaren Krankheit und deren Übertragungsmöglichkeiten eine Gefährdung verbunden ist, der nur durch besondere Schutzmaßnahmen begegnet werden kann, so sind die nach diesem Bundesgesetz zuständigen Behörden verpflichtet, adäquate Schutzmaßnahmen zu treffen.

Strafbestimmungen

§3. (1) Wer eine Betriebsstätte betritt, deren Betreten gemäß §1 untersagt ist, begeht eine Verwaltungsübertretung und ist mit einer Geldstrafe von bis zu 3 600 Euro zu bestrafen.

(2) Wer als Inhaber einer Betriebsstätte nicht dafür Sorge trägt, dass die Betriebsstätte, deren Betreten gemäß §1 untersagt ist, nicht betreten wird, begeht eine Verwaltungsübertretung und ist mit einer Geldstrafe von bis zu 30 000 Euro zu bestrafen. Wer als Inhaber einer Betriebsstätte nicht dafür Sorge trägt, dass die Betriebsstätte höchstens von der in der Verordnung genannten Zahl an Personen betreten wird, begeht eine Verwaltungsübertretung und ist mit einer Geldstrafe von bis zu 3 600 Euro zu bestrafen.

(3) Wer einen Ort betritt, dessen Betreten gemäß §2 untersagt ist, begeht eine Verwaltungsübertretung und ist mit einer Geldstrafe von bis zu 3 600 Euro zu bestrafen.

Inkrafttreten

§4. (1) Dieses Bundesgesetz tritt mit Ablauf des Tages der Kundmachung in Kraft und mit Ablauf des 31. Dezember 2020 außer Kraft.

(1a) Abs2 in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl I Nr 16/2020 tritt rückwirkend mit 16. März 2020 in Kraft.

(2) Hat der Bundesminister gemäß §1 eine Verordnung erlassen, gelangen die Bestimmungen des Epidemiegesetzes 1950, BGBl Nr 186/1950, betreffend die Schließung von Betriebsstätten im R

Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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