TE Vwgh Erkenntnis 1998/3/10 96/08/0317

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Veröffentlicht am 10.03.1998
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Index

L92109 Behindertenhilfe Pflegegeld Rehabilitation Wien;
L92709 Jugendwohlfahrt Kinderheim Wien;
20/01 Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch (ABGB);

Norm

ABGB §140;
ABGB §143;
JWG Wr 1990 §39 Abs1;
PGG Wr 1993 §3 Abs4;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Knell und die Hofräte Dr. Müller, Dr. Novak, Dr. Sulyok und Dr. Nowakowski als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Winkler, über die Beschwerde der DA in Wien, vertreten durch die Mutter und gesetzliche Vertreterin Sneza Andjelkovic, diese vertreten durch Dr. Inge Fucik, Rechtsanwalt in 1020 Wien, Untere Augartenstraße 26/27, gegen den Bescheid der Wiener Landesregierung vom 27. Juni 1996, Zl. MD-VfR - A 9/96, betreffend Nachsicht von der Voraussetzung der österreichischen Staatsbürgerschaft gemäß § 3 Wiener Pflegegeldgesetz, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Die Beschwerdeführerin hat dem Land Wien Aufwendungen in der Höhe von S 4.565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die Beschwerdeführerin, eine jugoslawische Staatsangehörige, wurde am 6. Juli 1991 in Wien mit schwersten Behinderungen geboren. Nach der Geburt verblieb sie in stationärer Behandlung im Krankenhaus und wurde mit 17. Juni 1992 in volle Erziehung der Stadt Wien übernommen. Sie wurde im Säuglingsheim des Zentral-Krippenvereines in Wien, Lainzer Straße, aufgenommen. Die Kosten der vollen Erziehung von zuletzt monatlich S 25.080,--, werden vom Land Wien zur Gänze getragen.

Mit Schreiben vom 20. April 1995 beantragte die Mutter der Beschwerdeführerin für diese die Gewährung des Pflegegeldes nach dem Wiener Pflegegeldgesetz. Der Magistrat der Stadt Wien, Magistratsabteilung 11, Amt für Jugend und Familie, 10. Bezirk, teilte mit Schreiben vom 13. Februar 1996 der erstinstanzlichen Behörde mit, daß die Mutter der Beschwerdeführerin ihre Zustimmung zur Vertretung der Beschwerdeführerin für die Einhebung und Verwaltung des Taschengeldes im Falle einer Bewilligung des Pflegegeldes gegeben habe, und ersuchte daher, das Taschengeld an das Amt für Jugend und Familie, 10. Bezirk, zu überweisen. Der das Taschengeld übersteigende Teil des Pflegegeldes solle an den Erbringer der Pflegeleistung direkt übermittelt werden.

Mit Bescheid vom 26. April 1996 sprach der Magistrat der Stadt Wien, Magistratsabteilung 12, aus, daß die Voraussetzung des Besitzes der österreichischen Staatsbürgerschaft durch die Beschwerdeführerin nicht nachgesehen werden könne. Zur Begründung wurde ausgeführt, daß aufgrund der Übernahme der Unterbringungskosten im Zentral-Krippenverein durch die öffentliche Hand nicht davon auszugehen sei, daß die Nachsicht von der Voraussetzung der österreichischen Staatsbürgerschaft aufgrund der persönlichen, familiären oder wirtschaftlichen Verhältnisse der minderjährigen Beschwerdeführerin zur Vermeidung einer sozialen Härte geboten erscheine.

Die Beschwerdeführerin erhob Berufung. Darin führte sie aus, daß weder sie noch die unterhaltspflichtige Mutter wirtschaftlich in der Lage sei, die notwendige Betreuung und Hilfe zu sichern. Die Beschwerdeführerin sei ohne Einkommen und Vermögen, die Mutter beziehe (derzeit) Karenzurlaubsgeld inklusive fünf Familienzuschlägen. Die Vaterschaft zur Beschwerdeführerin sei nicht festgestellt worden. Bei Bewilligung des Pflegegeldes wäre die Beschwerdeführerin in der Lage, ihre Betreuung möglicherweise auch ohne Hilfe von dritter Seite zu sichern sowie eine Verbesserung der pflegebedingten Mehraufwendungen zu erzielen. Die Nachsicht von den Voraussetzungen der österreichischen Staatsbürgerschaft erscheine auch deswegen notwendig, um ihr trotz ihrer Behinderung ein selbstbestimmtes, bedürfnisorientiertes Leben zu ermöglichen. Wenn eine Übernahme der Unterbringungskosten im Zentral-Krippenverein durch die öffentliche Hand nicht mehr gegeben wäre, wäre die Beschwerdeführerin und ihre Mutter nicht in der Lage, die Versorgung zu gewährleisten.

Mit dem nunmehr vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde der Berufung keine Folge und bestätigte den angefochtenen Bescheid.

In der Begründung führte sie nach Darstellung des Verwaltungsgeschehens (ergänzend zu dem eingangs wiedergegebenen Sachverhalt) aus, daß die Minderjährige im Säuglingsheim ständig überwacht werden müsse. Seit der Aufnahme im Heim habe sie mehrere Spitalsaufenthalte gehabt. Die Besuche der Mutter der Beschwerdeführerin seien äußerst selten und zwar bis nun am 6. Juli 1992, am 29. Juni 1993 sowie am 5. und 6. Juli 1993 und am 30. Jänner 1996. Seitens des Heimes werde eine sehr aufwendige, viel Zeit und Erfahrung erfordernde Betreuung gewährleistet. Ein Besuchsdienst einmal wöchentlich von einer Caritas-Organisation werde eingesetzt. Die intensive Betreuung der Beschwerdeführerin erfolge unabhängig von der Gewährung eines Pflegegeldes, die Kosten würden durch die Magistratsabteilung 11 durch Gewährung von Tagessätzen erbracht.

Die Mutter der Beschwerdeführerin sei im Rahmen des Berufungsverfahrens einvernommen worden. Sie sei Analphabetin und beherrsche die deutsche Sprache nur mangelhaft. Bei der Einvernahme habe sie angegeben, daß sie selbst nicht wüßte, wer das Pflegegeld verlange, sie selbst verlange es nicht. Sie habe das Jugendamt ermächtigt, das Pflegegeld-Taschengeld anzusparen und zu verwalten. Es sei ihr keinesfalls möglich, die minderjährige Beschwerdeführerin zu Hause zu betreuen. Die Mutter der Beschwerdeführerin habe keinen pflegebedingten Mehraufwand, der für sie zu einer Belastung geführt hätte, angegeben. In welcher Weise eine Gewährung des Pflegegeldes bei Nachsicht von der Voraussetzung der österreichischen Staatsbürgerschaft die Beschwerdeführerin befähigen würde, ein selbstbestimmtes bedürfnisorientiertes Leben zu führen, sei nicht dargestellt worden.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde mit dem Begehren, ihn kostenpflichtig aufzuheben.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde als unbegründet beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Nach § 1 des Wiener Pflegegeldgesetzes - WPGG, LGBl. für Wien Nr. 42/1993, hat das Pflegegeld den Zweck, in Form eines Beitrages pflegebedingte Mehraufwendungen pauschaliert abzugelten, um pflegebedürftigen Personen soweit wie möglich die notwendige Betreuung und Hilfe zu sichern sowie die Möglichkeit zu verbessern, ein selbstbestimmtes bedürfnisorientiertes Leben zu führen. Voraussetzung für die Leistung eines Pflegegeldes nach Maßgabe der Bestimmungen dieses Gesetzes ist unter anderem, daß der Anspruchswerber die österreichische Staatsbürgerschaft besitzt (§ 3 Abs. 1 Z. 1 WPGG). Die Voraussetzung des § 3 Abs. 1 Z. 1 kann nach § 3 Abs. 4 leg. cit. nachgesehen werden, wenn das aufgrund der persönlichen, familiären oder wirtschaftlichen Verhältnisse des Fremden zur Vermeidung einer sozialen Härte geboten erscheint.

Die minderjährige Beschwerdeführerin wird in einem Heim im Rahmen der vollen Erziehung gemäß § 34 Wiener Jugendwohlfahrtsgesetz, LGBl. Nr. 36/1990, erzogen. Die gesamten Kosten dieser Unterbringung werden durch das Land Wien als Jugendwohlfahrtsträger vorläufig getragen (§ 38 Wr. JWG 1990). Die Heranziehung der minderjährigen Beschwerdeführerin zur Tragung dieser Kosten hat gemäß § 39 Abs. 1 leg. cit. jedoch nicht zu erfolgen, wenn die Belastung mit den Kosten für sie eine Härte bedeuten würde. Die Nachsichtserteilung gemäß § 3 Abs. 4 Wiener Pflegegeldgesetz ist sohin zur Vermeidung einer sozialen Härte im Sinne einer unverhältnismäßigen finanziellen Belastung der Anspruchswerberin nicht geboten.

Selbst wenn der Antrag auf Nachsichtserteilung die Abwendung einer sozialen Härte von der Mutter der Beschwerdeführerin bezweckte, ist damit nichts gewonnen. Die Mutter der Beschwerdeführerin ist gemäß § 39 Abs. 1 Wr. JWG 1990 im Rahmen ihrer Unterhaltspflicht nach bürgerlichem Recht zum Kostenersatz der Maßnahme der öffentlichen Jugendwohlfahrt, gegebenenfalls rückwirkend für drei Jahre, soweit sie nach ihren Lebensverhältnissen dazu imstande ist, verpflichtet. Sie hat daher für die gesamten Kosten der Betreuung und Pflege der Beschwerdeführerin nur im Rahmen ihrer Unterhaltspflicht aufzukommen. In der Erfüllung ihrer Unterhaltspflicht nach bürgerlichem Recht kann jedoch keine soziale Härte im Sinne des § 3 Abs. 4 Wiener Pflegegeldgesetz erblickt werden. Dazu kommt, daß in der Beschwerde die Sachverhaltsannahme der belangten Behörde, daß der Beschwerdeführerin bzw. ihrer unterhaltspflichtigen Mutter kein pflegebedingter Mehraufwand entsteht, nicht bestritten wird.

Soweit in der Beschwerde gerügt wird, die belangte Behörde habe nicht hinreichend geklärt, ob die Mutter der Beschwerdeführerin als nächste Verwandte bereit wäre, die schwerstbehinderte Beschwerdeführerin in ihre Haushaltsgemeinschaft aufzunehmen und ihr persönlich Pflege und Obsorge zukommen zu lassen, kann sie keine Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzeigen. Die belangte Behörde hat im Rahmen des Berufungsverfahrens die Mutter der Beschwerdeführerin am 12. Juni 1996, also rund zwei Wochen vor Bescheiderlassung, einvernommen. Hiebei hat die Mutter der Beschwerdeführerin (Blatt 94/95 des Verwaltungsaktes) wörtlich angegeben:

"Die Ausführungen der Berufung des Jugendamtes werden mir vorgelesen, es ist nicht richtig, daß ich mein Kind jemals nach Hause nehmen könnte. Ich besuche Daniela selten, ich habe drei Kinder zu Hause, es ist mir zu kompliziert."

Wenn die belangte Behörde aufgrund dieser Angabe die Feststellung traf, daß es der Mutter der Beschwerdeführerin keinesfalls möglich sei, die minderjährige Beschwerdeführerin zu Hause zu betreuen, so konnte diese Feststellung ohne Verletzung von Verfahrensvorschriften getroffen werden. Ob in dem Umstand, daß die Beschwerdeführerin Pflege und Betreuung außerhalb ihrer Familie entgegennehmen muß, eine soziale Härte im Sinne des § 3 Abs. 4 WPGG zu erblicken ist, braucht daher im vorliegenden Fall ebensowenig beantwortet zu werden wie die Frage, ob und auf welche Weise bei Beurteilung des Begriffs "soziale Härte" auch auf mögliche wirtschaftliche Folgen Bedacht zu nehmen ist, die sich nur für die Eltern des Behinderten, nicht aber für diesen selbst ergeben können.

Da sich sohin die Beschwerde als unbegründet erweist, war sie gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG i.V.m. der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1998:1996080317.X00

Im RIS seit

20.11.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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