TE Vfgh Beschluss 2019/6/11 G42/2019

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Veröffentlicht am 11.06.2019
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Index

20/06 Konsumentenschutz

Norm

B-VG Art140 Abs1 Z1 litc
KSchG §27d Abs1

Leitsatz

Zurückweisung eines Individualantrags auf Aufhebung einer Bestimmung des KSchG mangels Legitimation; Möglichkeit zur Anregung eines Gerichtsantrags sowie Stellung eines Parteiantrags

Spruch

Der Antrag wird zurückgewiesen.

Begründung

Begründung

I.       Antrag

Mit dem vorliegenden, auf Art140 Abs1 Z1 litc B-VG gestützten Antrag begehrt der antragstellende Verein, der Verfassungsgerichtshof möge "die Wortfolge 'sowie die vom Träger der Sozial- oder Behindertenhilfe gedeckten Leistungen' in §27d Abs1 Z6 KSchG, kundgemacht mit Bundesgesetzblatt Nr I 92/2006 in der Fassung Bundesgesetzblatt I Nr 58/2018" als verfassungswidrig aufheben.

II.      Rechtslage

§27d Abs1 des Bundesgesetzes vom 8. März 1979, mit dem Bestimmungen zum Schutz der Verbraucher getroffen werden (Konsumentenschutzgesetz – KSchG), BGBl 140/1979, idF BGBl I 58/2018 lautet (die im Antrag angefochtene Wortfolge ist hervorgehoben):

"Inhalt und Form des Heimvertrags

§27d. (1) Der Heimvertrag hat zumindest Angaben zu enthalten über

1. den Namen (die Firma) und die Anschrift der Vertragsteile;

2. die Dauer des Vertragsverhältnisses;

3. die Räumlichkeiten (Wohnräume, in denen der Bewohner untergebracht wird, sowie Gemeinschaftsräume und -einrichtungen), deren Ausstattung, die Wäscheversorgung und die Reinigung der Wohnräume;

4. die allgemeine Verpflegung der Heimbewohner;

5. die Leistungen im Rahmen der Grundbetreuung, wie etwa die Pflege bei kurzen Erkrankungen, die Einrichtung eines Bereitschaftsdienstes und die Unterstützung des Bewohners in persönlichen Angelegenheiten;

6. die Fälligkeit und die Höhe des Entgelts, eine Aufschlüsselung des Entgelts jeweils für Unterkunft, Verpflegung, Grundbetreuung, besondere Pflegeleistungen und zusätzliche Leistungen sowie die vom Träger der Sozial- oder Behindertenhilfe gedeckten Leistungen und

7. die Vorgangsweise des Heimträgers bei Beendigung des Vertragsverhältnisses. […]"

III.    Antragsvorbringen und Sachverhalt

1.       Mit Antrag vom 21. Februar 2019 begehrt der antragstellende Verein, die Wortfolge "sowie die vom Träger der Sozial- oder Behindertenhilfe gedeckten Leistungen" in §27d Abs1 Z6 KSchG als verfassungswidrig aufzuheben.

2.       Diesem Antrag liegt folgender vom antragstellenden Verein vorgebrachter Sachverhalt zugrunde:

2.1.    Der antragstellende gemeinnützige Verein bietet Assistenz und Begleitung für Menschen mit intellektueller oder mehrfacher Behinderung in Wohngemeinschaften, Trainingswohnungen und in der eigenen Wohnung an. In verschiedenen Werkstattprojekten werden darüber hinaus Beschäftigungstherapiemöglichkeiten und geschützte Arbeitsplätze zur Verfügung gestellt. Der antragstellende Verein betreibt außerdem Wohngemeinschaften und schließt daher in seiner geschäftlichen Tätigkeit laufend Heimverträge iSd §§27b ff. KSchG mit seinen Klienten ab. Auf Grund von §27d Abs1 Z6 KSchG ist der antragstellende Verein unter anderem verpflichtet, in seinen Heimverträgen die vom Träger der Sozial- oder Behindertenhilfe gedeckten Leistungen anzugeben.

2.2.    Der antragstellende Verein bringt vor, dass die Verpflichtung zur Angabe der vom Träger der Sozial- oder Behindertenhilfe gedeckten Leistungen in Heimverträgen gemäß §27d Abs1 Z6 letzter Halbsatz KSchG bei jedem Heimvertrag unmittelbar wirke und für den Normunterworfenen de facto undurchführbar sei. Sämtliche Versuche, darzulegen, dass vom Fördergeber ein Zuschuss bezahlt werde und mangels vertraglicher Regelung bzw mangels Vorliegens eines gesetzlichen Leistungskataloges nicht dargelegt werden könne, welche Leistungen vom Träger übernommen werden, seien von der Judikatur bislang als gesetzwidrig angesehen worden. Das Handelsgericht Wien habe beispielsweise mit Urteil vom 27. September 2018, Z 53 Cg 37/17p, einer Klage des Vereines für Konsumenteninformation auf Unterlassung der Verwendung mehrerer Klauseln in den Heimverträgen des antragstellenden Vereines stattgegeben, da diese nach Ansicht des Handelsgerichtes Wien gegen §27d Abs1 Z6 KSchG verstießen. Der antragstellende Verein könne daher dem Gebot, in seinen Heimverträgen die vom Träger der Sozial- oder Behindertenhilfe gedeckten Leistungen anzugeben, nur zuwider handeln, was ihm jedoch nicht zumutbar sei. Angesichts der unterschiedlichen landesgesetzlichen Förderbestimmungen sei es dem antragstellenden Verein nur möglich, die konkrete Tarifhöhe bzw den konkreten Tagsatz in den Heimverträgen anzugeben und diesem seine Gesamtkosten gegenüberzustellen. Einer weiteren Kostentransparenz werde dadurch entsprochen, dass in den Heimverträgen die Aufgliederung der gesamten Leistungen des antragstellenden Vereines umfangreich erfolge.

3.       Der antragstellende Verein begründet den Antrag mit der Behauptung, die angefochtene Bestimmung verstoße gegen die verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf Freiheit der Erwerbsbetätigung gemäß Art6 StGG, auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz gemäß Art7 B-VG bzw Art2 StGG sowie auf Unversehrtheit des Eigentumes gemäß Art5 StGG bzw Art1 1. ZPEMRK. Die Bestimmung sei außerdem kompetenzwidrig und verstoße gegen das Bestimmtheitsgebot gemäß Art18 B-VG.

4.       Zur Antragslegitimation bringt der antragstellende Verein das Folgende vor:

4.1.    Der antragstellende Verein sei durch die Verfassungswidrigkeit der angefochtenen Wortfolge in §27d Abs1 Z6 KSchG unmittelbar und nachteilig in seinen Rechten verletzt. Der Eingriff sei durch die angefochtene Bestimmung nach Art und Ausmaß eindeutig bestimmt. Die Bestimmung verletze den antragstellenden Verein aktuell und nicht bloß potentiell in seiner Rechtsposition, da er mit weiteren Verbandsverfahren zu rechnen habe, da es ihm weiterhin nicht möglich sei, sich dem Gebot des §27d Abs1 Z6 KSchG entsprechend rechtskonform zu verhalten. §27b iVm §27d KSchG richteten sich unter anderem unmittelbar an soziale Vereine im Bereich der Unterbringung, Pflege und Betreuung von Personen und gälten für Verträge über die dauernde oder vorübergehende Unterkunft, Betreuung und Pflege in solchen Einrichtungen. Als Heimträger sei der antragstellende Verein Adressat des §27d KSchG. Die §§27b ff. KSchG fänden nur Anwendung, wenn der Heimträger vertraglich verpflichtet sei, dem Heimbewohner Unterkunft zu gewähren und für ihn Betreuungs- und Pflegeleistungen zu erbringen, was beim antragstellenden Verein der Fall sei.

4.2.    Ein zumutbarer Weg zur Abwehr des durch die angefochtene Bestimmung bewirkten Eingriffes in die Rechtssphäre des antragstellenden Vereines stehe diesem nicht zur Verfügung. Der antragstellende Verein müsste sich rechtswidrig verhalten, indem er den Leistungskatalog des jeweiligen Bundeslandes, mit dem dieses Bundesland die Leistungen des von ihm angebotenen Heimvertrages abdecken würde, nicht angebe und damit gegen §27d Abs1 Z6 KSchG verstoße. Ein Zuwiderhandeln sei dem antragstellenden Verein darüber hinaus vor allem wegen weiterer möglicher Verbandsklagen gemäß §28a iVm §29 KSchG unzumutbar. Darüber hinaus begründeten auch die erheblichen wirtschaftlichen Folgen durch den möglichen Verlust der Entgeltansprüche für die Dienstleistung, die der antragstellende Verein auf sich nehmen müsste, um in einem Zivilverfahren gegen den Verbraucher vorzugehen, die "Unzumutbarkeit" dieses Weges.

IV.      Zulässigkeit

1.       Der Antrag ist unzulässig.

2.       Gemäß Art140 Abs1 Z1 litc B-VG erkennt der Verfassungsgerichtshof über die Verfassungswidrigkeit von Gesetzen auf Antrag einer Person, die unmittelbar durch diese Verfassungswidrigkeit in ihren Rechten verletzt zu sein behauptet, wenn das Gesetz ohne Fällung einer gerichtlichen Entscheidung oder ohne Erlassung eines Bescheides für diese Person wirksam geworden ist.

3.       Voraussetzung der Antragslegitimation gemäß Art140 Abs1 Z1 litc B-VG ist einerseits, dass der Antragsteller behauptet, unmittelbar durch das angefochtene Gesetz – im Hinblick auf dessen Verfassungswidrigkeit – in seinen Rechten verletzt worden zu sein, dann aber auch, dass das Gesetz für den Antragsteller tatsächlich, und zwar ohne Fällung einer gerichtlichen Entscheidung oder ohne Erlassung eines Bescheides wirksam geworden ist. Grundlegende Voraussetzung der Antragslegitimation ist, dass das Gesetz in die Rechtssphäre des Antragstellers nachteilig eingreift und diese – im Falle seiner Verfassungswidrigkeit – verletzt.

4.       Nicht jedem Normadressaten kommt die Anfechtungsbefugnis zu. Es ist darüber hinaus erforderlich, dass das Gesetz selbst tatsächlich in die Rechtssphäre des Antragstellers unmittelbar eingreift. Ein derartiger Eingriff ist jedenfalls nur dann anzunehmen, wenn dieser nach Art und Ausmaß durch das Gesetz selbst eindeutig bestimmt ist, wenn er die (rechtlich geschützten) Interessen des Antragstellers nicht bloß potentiell, sondern aktuell beeinträchtigt und wenn dem Antragsteller kein anderer zumutbarer Weg zur Abwehr des – behaupteterweise – rechtswidrigen Eingriffes zur Verfügung steht (VfSlg 11.868/1988, 15.632/1999, 16.616/2002, 16.891/2003).

4.1.    Ein solcher zumutbarer Weg ist nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes ua dann eröffnet, wenn bereits ein gerichtliches Verfahren anhängig ist (oder anhängig war), das dem Betroffenen Gelegenheit bietet (bzw bot), eine amtswegige Antragstellung an den Verfassungsgerichtshof anzuregen (zB VfSlg 13.871/1994 mwN, 15.786/2000, 17.110/2004, 17.276/2004, 18.370/2008).

4.2.    Wie der Verfassungsgerichtshof in diesem Zusammenhang bereits wiederholt ausgesprochen hat, ist der Partei in einem solchen Fall nur bei Vorliegen besonderer außergewöhnlicher Umstände das Recht zur Einbringung eines Gesetzesprüfungsantrages eingeräumt (vgl VfGH 12.10.2016, G269/2016 ua). Andernfalls gelangte man zu einer Doppelgleisigkeit des Rechtsschutzes, die mit dem Grundprinzip des Individualantrages als eines bloß subsidiären Rechtsbehelfes nicht im Einklang stünde (zB VfSlg 8312/1978, 19.674/2012; vgl auch VfGH 19.2.2016, V150/2015 ua; 12.10.2016, G269/2016 ua).

4.3.    Seit dem Inkrafttreten der B-VG-Novelle BGBl I 114/2013 mit 1. Jänner 2015 hat gemäß Art89 Abs2 B-VG jedes ordentliche Gericht (und damit auch das Gericht erster Instanz) bei Bedenken ob der Verfassungsmäßigkeit des anzuwendenden Gesetzes einen Gesetzesprüfungsantrag beim Verfassungsgerichtshof zu stellen. Damit steht es einer Partei eines gerichtlichen Verfahrens (auch schon) vor einem ordentlichen Gericht erster Instanz zu, ihre verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die vom Gericht anzuwendenden Gesetzesbestimmungen vorzutragen und das gemäß Art140 Abs1 Z1 lita B-VG antragsberechtigte ordentliche Gericht zur Antragstellung an den Verfassungsgerichtshof zu veranlassen. Der Beklagte im Zivilprozess hat daher – vorausgesetzt, die Klage wurde nicht zurückgezogen – bereits zum Zeitpunkt des Abschlusses des erstinstanzlichen Verfahrens die Möglichkeit der Anregung des Gesetzesprüfungsverfahrens gehabt (VfGH 8.3.2017, G425/2016). Außerdem erkennt der Verfassungsgerichtshof gemäß Art140 Abs1 Z1 litd B-VG über die Verfassungswidrigkeit von Gesetzen auf Antrag einer Person, die als Partei einer von einem ordentlichen Gericht in erster Instanz entschiedenen Rechtssache wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in ihren Rechten verletzt zu sein behauptet, aus Anlass eines gegen diese Entscheidung erhobenen Rechtsmittels.

5.       Vor diesem Hintergrund erweist sich der Antrag als unzulässig:

5.1.    Soweit der antragstellende Verein vorbringt, es bestünde für ihn kein zumutbarer Weg, seine Bedenken an den Verfassungsgerichtshof heranzutragen, da er sich hiefür rechtswidrig verhalten und gegen §27d Abs1 Z6 KSchG verstoßen müsse und zudem weitere mögliche Verbandsklagen befürchte, übersieht er, dass er die Möglichkeit gehabt hat, das gemäß Art140 Abs1 Z1 lita B-VG antragsberechtigte Handelsgericht Wien zur Antragstellung an den Verfassungsgerichtshof anzuregen (vgl VfGH 8.3.2017, G425/2016). Überdies konnte der antragstellende Verein auch aus Anlass eines gegen die Entscheidung des Handelsgerichtes Wien erhobenen Rechtsmittels im Wege eines Antrages gemäß Art140 Abs1 Z1 litd B-VG seine Normbedenken an den Verfassungsgerichtshof herantragen (vgl VfGH 14.6.2017, G16/2017). Damit standen dem antragstellenden Verein andere zumutbare Wege zur Geltendmachung seiner Bedenken offen.

5.2.    Bei dieser prozessualen Situation würde eine Doppelgleisigkeit des Rechtsschutzes eintreten, welche mit dem Grundsatz der Subsidiarität von Individualanträgen nach Art140 B-VG im Sinne der oben angeführten Judikatur nicht in Einklang stünde (VfGH 14.6.2017, G16/2017).

5.3.    Sonstige besondere außergewöhnliche Umstände, die die Einbringung eines Individualantrages ausnahmsweise zulässig machen könnten, liegen nicht vor.

6.       Der (Individual-)Antrag ist daher schon aus diesem Grund unzulässig.

V.       Ergebnis

1.       Der Antrag wird als unzulässig zurückgewiesen.

2.       Dies konnte gemäß §19 Abs3 Z2 lite VfGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.

Schlagworte

VfGH / Individualantrag, VfGH / Weg zumutbarer, Konsumentenschutz

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2019:G42.2019

Zuletzt aktualisiert am

12.06.2020
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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