TE Bvwg Erkenntnis 2020/1/6 I409 2226945-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 06.01.2020
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Entscheidungsdatum

06.01.2020

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §13 Abs1
AsylG 2005 §13 Abs2 Z1
AsylG 2005 §13 Abs2 Z2
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8
BFA-VG §18 Abs1 Z1
BFA-VG §18 Abs1 Z2
BFA-VG §19
BFA-VG §21 Abs7
BFA-VG §9
B-VG Art. 133 Abs4
EMRK Art. 2
EMRK Art. 3
EMRK Art. 8
FPG §46
FPG §50
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §53 Abs1
FPG §53 Abs3 Z1
FPG §55 Abs1a
StGB §127
StGB §130
VwGVG §24
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch

I409 2226945-1/3E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Dr. Florian Schiffkorn als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX alias XXXX alias XXXX alias XXXX alias XXXX alias XXXX alias XXXX, geboren am XXXX alias XXXX alias XXXX alias XXXX alias XXXX alias XXXX alias XXXX, Staatsangehörigkeit Algerien alias Marokko alias Libyen, vertreten durch die "Diakonie Flüchtlingsdienst gem. GmbH" und durch die "Volkshilfe Flüchtlings- und MigrantInnenbetreuung GmbH" in 1170 Wien, Wattgasse 48/3. Stock, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 22. November 2019, Zl. "629887606-180024036/BMI-BFA_NOE_AST_02", zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang

Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger von Algerien, reiste illegal in das Bundesgebiet ein und stellte am 6. Mai 2013 einen Antrag auf internationalen Schutz, den er im Wesentlichen damit begründete, in Algerien aufgrund seiner Volksgruppenzugehörigkeit zu den Berbern sowie aufgrund seiner christlichen Konfession der Gefahr einer Verfolgung sowie Diskriminierungen ausgesetzt zu sein. Zudem sei sein Vater im Jahr 2008 "von den Arabern" umgebracht worden.

Ein mit Ungarn durchgeführtes Dublin-Konsultationsverfahren ergab, dass der Beschwerdeführer bereits am 29. April 2013 in Ungarn unter einer anderen Identität einen Antrag auf internationalen Schutz eingebracht hatte, sodass sein Antrag auf internationalen Schutz vom 6. Mai 2013 mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 3. Juni 2013 aufgrund der Zuständigkeit Ungarns als unzulässig zurückgewiesen und der Beschwerdeführer aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Ungarn ausgewiesen wurde.

Dieser Bescheid erwuchs unangefochten in Rechtskraft.

Am 18. März 2014 wurde der Beschwerdeführer nach Ungarn überstellt, reiste jedoch abermals illegal in das Bundesgebiet ein.

Am 31. Juli 2014 stellte der Beschwerdeführer während seiner Anhaltung in Strafhaft - abermals unter einer anderen Identität - einen weiteren Antrag auf internationalen Schutz, wobei er angab, dass er keine neuen Fluchtgründe habe und seine alten Fluchtgründe weiterhin bestehen würden.

Dieser Antrag wurde, nach einem neuerlich durchgeführten Dublin-Konsultationsverfahren mit Ungarn, mit Bescheid der belangten Behörde vom 12. September 2014 aufgrund der Zuständigkeit Ungarns als unzulässig zurückgewiesen und die Außerlandesbringung des Beschwerdeführers nach Ungarn angeordnet.

Auch dieser Bescheid erwuchs unangefochten in Rechtskraft.

Am 8. Jänner 2018 stellte der Beschwerdeführer erneut einen Antrag auf internationalen Schutz.

Im Rahmen seiner am selben Tag erfolgten Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes gab er unter der Rubrik "Fluchtgrund" Folgendes an:

"Im Jahre 1995 gab es Unruhen und Auseinandersetzungen zwischen der Minderheit der Berber und den algerischen Sicherheitsbehörden. Ein Polizist hat meine Schwester vor meinen Augen vergewaltigt. Ich nahm ein Messer und attackierte diesen Polizisten und verletzte ihn schwer. Ich flüchtete aus Algerien und lebte in Marokko, Tunesien und auch in Spanien. Ich wurde in Abwesenheit für 20 Jahre Haft verurteilt. Bei meiner Rückkehr nach Algerien würde ich festgenommen werden."

Mit Verfahrensanordnung der belangten Behörde vom 9. Jänner 2018 wurde dem Beschwerdeführer sein Aufenthaltsrecht im Bundesgebiet entzogen.

Am 18. Jänner 2018 wurde das gegenständliche Asylverfahren vorübergehend eingestellt, da der Beschwerdeführer in die Anonymität abtauchte und unbekannten Aufenthaltes war.

Am 16. Februar 2018 stellte der Beschwerdeführer - abermals unter einer anderen Identität - einen Antrag auf internationalen Schutz in den Niederlanden.

Am 22. Juni 2018 stellte der Beschwerdeführer - wieder unter einer anderen Identität - einen Antrag auf internationalen Schutz in Deutschland. Im Rahmen eines durchgeführten Konsultationsverfahrens erklärte sich Österreich zur inhaltlichen Prüfung des Asylantrages zuständig. Einer für den 5. November 2018 angesetzten Überstellung von Deutschland nach Österreich entzog sich der Beschwerdeführer, indem er in die Anonymität abtauchte.

Am 16. Oktober 2019 wurde der Beschwerdeführer im Rahmen einer polizeilichen Personskontrolle in Belgien, im Zuge derer sein illegaler Aufenthalt festgestellt wurde, festgenommen. Nach durchgeführten Konsultationen wurde der Beschwerdeführer von Belgien nach Österreich überstellt und das gegenständliche Asylverfahren am 5. November 2019 zugelassen.

Am 5. November 2019 wurde der Beschwerdeführer niederschriftlich vor der belangten Behörde einvernommen, wobei wiederum abweichende Identitätsangaben tätigte. Zu seinen Fluchtgründen befragt, gab er Folgendes an:

"LA (Leiter der Amtshandlung): Was war Ihrer Meinung nach der fluchtauslösende Moment, dass Sie Algerien verlassen haben? Schildern Sie dies bitte möglichst chronologisch und lebensnah, dh. mit sämtlichen Details und Informationen, sodass die Behörde Ihr Vorbringen nachvollziehen kann. Nehmen Sie sich dafür im Rahmen einer freien Erzählung ruhig Zeit.

VP (Verfahrenspartei): Ich habe nicht so viele Gründe, meinen Grund habe ich zuvor gesagt, der Soldat wollte meine Schwester vergewaltigen und deshalb habe ich ihm mit einem Messer in seinen Oberschenkel gestochen. Ich bereue das nicht, dass ich das mit ihm gemacht habe. Und wenn ich sterbe und mit Gott rede, bin ich stolz, dass ich das mit ihm gemacht habe.

LA: Haben Sie noch weitere Fluchtgründe Algerien betreffend?

VP: Ich habe keine weiteren Fluchtgründe."

Mit dem angefochtenen Bescheid vom 22. November 2019 wies die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten gemäß "§ 3 Absatz 1 iVm § 2 Absatz 1 Ziffer 13 AsylG 2005, BGBl I Nr. 100/2005 (AsylG) idgF" (Spruchpunkt I) und hinsichtlich des Status der subsidiär Schutzberechtigten gemäß "§ 8 Absatz 1 iVm § 2 Absatz 1 Ziffer 13 AsylG" (Spruchpunkt II) als unbegründet ab. Zugleich wurde ihm ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß "§ 57 AsylG" nicht erteilt (Spruchpunkt III). Gemäß "§ 10 Absatz 1 Ziffer 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz, BGBl I Nr. 87/2012 (BFA-VG) idgF" wurde eine Rückkehrentscheidung gemäß "§ 52 Absatz 2 Ziffer 2 Fremdenpolizeigesetz 2005, BGBl I Nr. 100/2005 (FPG) idgF" erlassen (Spruchpunkt IV) und wurde gemäß "§ 52 Absatz 9 FPG" festgestellt, dass seine Abschiebung gemäß "§ 46 FPG" nach Algerien zulässig ist (Spruchpunkt V). Gemäß "§ 13 Absatz 2 Ziffer 2 AsylG" wurde ausgesprochen, dass der Beschwerdeführer sein Recht zum Aufenthalt im Bundesgebiet ab dem 9. Jänner 2018 verloren hat (Spruchpunkt VI). Überdies wurde einer Beschwerde gegen diese Entscheidung gemäß "§ 18 Absatz 1 Ziffer 1 und 2 BFA-VG" die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt VII) und dem Beschwerdeführer gemäß "§ 55 Absatz 1a FPG" keine Frist für eine freiwillige Ausreise gewährt (Spruchpunkt VIII). Letztlich wurde gemäß "§ 53 Absatz 1 iVm Absatz 3 Ziffer 1 FPG" gegen ihn ein auf die Dauer von zehn Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt IX).

Gegen den gegenständlich angefochtenen Bescheid erhob der Beschwerdeführer mit Schriftsatz vom 11. Dezember 2019 Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

Zu A) Entscheidung über die Beschwerde gegen den angefochtenen Bescheid

A) 1. Feststellungen

A) 1.1. Zu den Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers:

Der volljährige Beschwerdeführer ist unverheiratet und kinderlos, Staatsangehöriger von Algerien, Angehöriger der Volksgruppe der Berber und gibt an, sich zum sunnitisch-moslemischen Glauben zu bekennen. Seine Identität steht fest.

Er ist aufgrund von Epilepsie in medikamentöser Behandlung. Epilepsie ist in Algerien behandelbar.

Der Beschwerdeführer stammt aus Algier, wo er siebzehn Jahre lang die Schule besucht und als Büroangestellter gearbeitet hat. In Europa hat er Berufserfahrung als Maler sowie Bauarbeiter gesammelt. Er ist erwerbsfähig.

Der Beschwerdeführer verfügt in Österreich über keine familiären Anknüpfungspunkte und führt auf dem Gebiet der Mitgliedstaaten kein iSd Art. 8 EMRK geschütztes Familienleben. Seine Eltern sowie ein Bruder leben nach wie vor in Algerien. Der Beschwerdeführer steht nach wie vor in Kontakt zu seinen Angehörigen in seinem Herkunftsstaat.

Er ging in Österreich zu keinem Zeitpunkt einer legalen Erwerbstätigkeit nach.

Mit Urteil des Landesgerichts XXXX vom 4. Juli 2013 wurde der Beschwerdeführer wegen des (teils versuchten) gewerbsmäßigen, unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs. 1 Z 1 erster, zweiter und achter Fall, Abs. 2 und Abs. 3 SMG rechtskräftig zu einer bedingten Freiheitsstrafe in der Dauer von vier Monaten verurteilt.

Mit Urteil des Landesgerichts XXXX vom 9. August 2013 wurde der Beschwerdeführer wegen des gewerbsmäßigen, unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs. 1 Z 1 achter Fall und Abs. 3 SMG rechtskräftig zu einer unbedingten Freiheitsstrafe in der Dauer von acht Monaten verurteilt.

Mit Urteil des Landesgerichts XXXX vom 29. Juli 2014 wurde der Beschwerdeführer wegen des gewerbsmäßigen, unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs. 1 Z 1 achter Fall und Abs. 3 SMG rechtskräftig zu einer unbedingten Freiheitsstrafe in der Dauer von zehn Monaten verurteilt.

Mit Urteil des Landesgerichts XXXX vom 13. Oktober 2015 wurde der Beschwerdeführer wegen des versuchten gewerbsmäßigen Diebstahls und Diebstahls im Rahmen einer kriminellen Vereinigung nach § 127 und § 130 erster Fall StGB rechtskräftig zu einer unbedingten Freiheitsstrafe in der Dauer von acht Monaten verurteilt.

Mit Urteil des Landesgerichts XXXX vom 2. August 2016 wurde der Beschwerdeführer wegen des versuchten gewerbsmäßigen Diebstahls und Diebstahls im Rahmen einer kriminellen Vereinigung nach § 127 und § 130 erster Fall StGB rechtskräftig zu einer unbedingten Freiheitsstrafe in der Dauer von achtzehn Monaten verurteilt.

Es wird nicht festgestellt, dass der Beschwerdeführer in Algerien aufgrund seiner Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politischen Gesinnung verfolgt werden würde. Er wird im Fall seiner Rückkehr nach Algerien also mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit keiner asylrelevanten Verfolgung und keiner wie auch immer gearteten existentiellen Bedrohung ausgesetzt sein.

A) 1.2. Zu den Feststellungen zur Lage in Algerien:

Zur Lage in Algerien werden folgende Feststellungen getroffen:

"Politische Lage

Nach der Verfassung von 1996 ist Algerien eine demokratische Volksrepublik. Der Präsident wird für fünf Jahre direkt gewählt, seine Amtszeit ist seit der letzten Verfassungsreform im Jahr 2016 auf zwei Mandate begrenzt. Neben der nach Verhältniswahlrecht (mit Fünfprozent-Klausel) gewählten Nationalen Volksversammlung (Assemblée Populaire Nationale) besteht eine zweite Kammer (Conseil de la Nation oder Sénat), deren Mitglieder zu einem Drittel vom Präsidenten bestimmt und zu zwei Dritteln von den Gemeindevertretern gewählt werden. Die Gewaltenteilung ist durch die algerische Verfassung von 1996 gewährleistet, jedoch initiiert oder hinterfragt das Parlament seither selten Gesetzesvorschläge der Regierung und die Macht hat sich innerhalb der Exekutive zunehmend gefestigt. Präsident Bouteflika regierte weitgehend durch Präsidialdekret (BS 2018). Der Senatspräsident vertritt den Staatspräsidenten (AA 17.4.2019). Präsident Abdelaziz Bouteflika übernahm sein Amt erstmals im April 1999 (AA 17.4.2019). Am 17.4.2014 wurde er mit über 81% für eine vierte Amtszeit wiedergewählt (AA 17.4.2019; vgl. ÖB 13.2.2018).

Algerien, das größte Land Afrikas, gilt als wichtiger Stabilitätsanker in der Region. Die nächsten Präsidentschaftswahlen waren für den 18.4.2019 festgelegt (KAS 27.2.2019). Mehrere Oppositionsparteien wollten einen gemeinsamen Gegenkandidaten aufstellen - konnten sich allerdings nicht einigen (TB 22.2.2019; vgl. TS 26.3.2019).

Seit Februar 2019 kommt es in Algier und vielen anderen Städten zu massiven Protesten, um gegen die erneute Kandidatur des kranken, 81-jährigen Präsidenten Bouteflikazu protestieren. Es wird ein Wechsel des politischen Systems und der Abgang der politischen Führung des Landes gefordert (AA 17.4.2019; vgl. BAMF 18.2.2019).

Die Proteste verliefen meist friedlich (BAMF 25.2.2019), dennoch setzte die Polizei Tränengas, Wasserwerfer und Schlagstöcke ein, um die Menge zu zerstreuen. Einige Menschen wurden vorübergehend festgenommen und nach ein paar Stunden wieder freigelassen (BAMF 25.2.2019; vgl. TB 22.2.2019). Staatliche wie auch regierungstreue Medien wurden in ihrer Berichterstattung eingeschränkt. Am 28.2.2019 demonstrierten rund hundert algerische Medienvertreter in Algier. Mehrere Journalisten wurden festgenommen. Am 1.3.2019 soll es landesweit zu ca. 200 verletzten Demonstranten und Polizisten gekommen sein (BAMF 4.3.2019).

Am 11.3.2019 verkündete Präsident Bouteflika in einer "Botschaft an das Volk", dass die für den 18.4.2019 geplanten Wahlen abgesagt wurden und dass er selbst keine fünfte Amtszeit mehr anstrebe. Außerdem entließ er die bisherige Regierung unter Premierminister Ouyahia und ernannte den bisherigen Innenminister Noureddine Bedoui zum neuen Premierminister. Generalstabschef und Vize-Verteidigungsminister Ahmed Gaid Salah verblieb im Amt. Dieses Angebot von Bouteflika wurde von den Demonstranten abgelehnt (AA 17.4.2019).

Am 26.3.2019 forderte Ahmed Gaid Salah das Verfassungsgericht und das Parlament auf, den Präsidenten gem. Artikel 102 der Verfassung aus gesundheitlichen Gründen für amtsunfähig zu erklären (AA 17.4.2019; vgl. BAMF 1.4.2019; NZZ 26.3.2019). Nachdem auch die Machteliten, die bisher hinter Präsident Bouteflika standen, seinen Rücktritt gefordert hatten, ernannte dieser am 31.3.2019 eine Übergangsregierung. Zu der 27-köpfigen Übergangsregierung gehören sechs alte und 21 neue Minister (BAMF 1.4.2019). Wie das Staatsfernsehen mitteilte, gehörten von den 27 Ministern lediglich acht der vorherigen Regierung an. Neu besetzt wurden unter anderem die Spitzen von Außenministerium, Finanzministerium, Innenministerium und Energieministerium. Der am 11.3.2019 zum Regierungschef ernannte Noureddine Bedoui bleibt im Amt (TS 1.4.2019). Am 3.4.2019 erklärte Bouteflika mit sofortiger Wirkung seinen Rücktritt (TS 3.4.2019).

Die Bestätigung der Regierung durch das Parlament und Beauftragung von Senatspräsident Abdelkader Bensalah als Übergangspräsidenten ist am 9.4.2019 erfolgt. Präsidentschaftswahlen wurden für den 4.7.2019 anberaumt (AA 17.4.2019; BAMF 15.4.2019). Bouteflikas Nachfolger Abdelkader Bensalah unterzeichnete das entsprechende Dekret, wie die algerische Nachrichtenagentur APS meldete (TS 10.4.2019; vgl. ZO 11.4.2019) und das algerische Militär kündigte an, die politische Übergangsphase zu "begleiten", indem sie die Wahlvorbereitungen kritisch überwachen würden (TS 10.4.2019; vgl. ZO 11.4.2019). Salah versprach auch den Kreis um das ehemalige Staatsoberhaupt zu entmachten und die Mitglieder der amtierenden Führung des Landes sollten für mögliche Vergehen wie Korruption zur Verantwortung gezogen werden (ZO 11.4.2019). Die landesweiten Proteste fanden weiterhin statt (AA 17.4.2019). Der 77-jährige Bensalah, einer der engsten Vertrauten Bouteflikas, ist seit mehr als 16 Jahren Präsident der oberen Parlamentskammer (TS 9.4.2019; vgl. ZO 11.4.2019) und ein langjähriger Weggefährte des Ex-Präsidenten (TS 9.4.2019). Bensalah darf bei der Wahl nicht selbst kandidieren (ZO 11.4.2019). Ihm fällt laut Verfassung die Verantwortung für die Übergangsphase zu. Gegen die Parlamentsentscheidung gab es erneut Demonstrationen in mehreren Städten Algeriens. Viele Demonstranten sehen in ihm einen Vertreter der alten Politikelite. Sie forderten einen vollständigen Wechsel an der Staatsspitze (TS 9.4.2019).

Weder der Rücktritt von Präsident Bouteflika noch die Ankündigung von Neuwahlen für den 4.7.2019 konnten weitere Demonstrationen verhindern. Tausende Menschen kamen zusammen, darunter auch erstmals eine einflussreiche Richtervereinigung, die erklärte, die Beaufsichtigung der angekündigten Präsidentschaftswahl boykottieren zu wollen. Die Protestierenden fordern den Rücktritt der gesamten Wirtschafts- und Machtelite ("le pouvoir") um Bouteflika (BAMF 15.4.2019). Am 10.5.2019, richteten sich die Proteste in der Hauptstadt hauptsächlich gegen Übergangspräsident Bensalah (BAMF 13.5.2019) und am 17.5.2019 verlangten die Demonstrierenden die für den 4.7.2019 geplanten Neuwahlen zu verschieben. Es sollen keine ehemaligen Machtinhaber, wie z.B. der Armeechef Ahmed Gaid Salah, an einer neuen Regierung beteiligt sind.

Seit Beginn der Proteste gehen noch mehr Menschen auf die Straßen, aber auch die Sicherheitsmaßnahmen wurden erhöht. Panzerfahrzeuge wurden eingesetzt und Kontrollen an den Einfallstraßen in die Hauptstadt eingerichtet. Meldungen der Nachrichtenagentur AFP zufolge, soll es wieder zu Zusammenstößen zwischen Demonstranten und Sicherheitskräften und zum Einsatz von Tränengas gekommen sein. Über Verletzte wurde nichts bekannt. Am 19.5.2019 haben auch tausende Studenten in Algier gegen die Fortsetzung einer Regierung mit alten Machtinhabern demonstriert (BAMF 20.5.2019).

Nachdem sich lediglich zwei Kandidaten für die Wahl am 4.7.2019 gemeldet hatten, jedoch nicht die geforderten Voraussetzungen erfüllten, hat der Verfassungsrat den Termin erneut verschoben. Interimspräsident Bensalah muss jetzt innerhalb seiner Amtszeit, die am 9.7.2019 endet, einen neuen Termin festsetzen (BAMF 3.6.2019).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (17.4.2019): Algerien - Innenpolitik, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/algerien-node/-/222160, Zugriff 27.5.2019

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BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge Deutschland (3.6.2019): Briefing Notes 3 Juni 2019, Zugriff 4.6.2019

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BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge Deutschland (20.5.2019): Briefing Notes 20 Mai 2019, Zugriff 4.6.2019

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BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge Deutschland (1.4.2019): Briefing Notes 1 April 2019, https://www.ecoi.net/en/file/local/2006127/Deutschland___Bundesamt_f%C3%BCr_Migration_und_Fl%C3%BCchtlinge%2C_Briefing_Notes%2C_01.04.2019_%28deutsch%29.pdf, Zugriff 4.6.2019

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BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge Deutschland (25.2.2019): Briefing Notes 25 Februar 2019, https://www.ecoi.net/en/file/local/2003661/Deutschland___Bundesamt_f%C3%BCr_Migration_und_Fl%C3%BCchtlinge%2C_Briefing_Notes%2C_25.02.2019_%28deutsch%29.pdf, Zugriff 4.6.2019

-

BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge Deutschland (18.2.2019): Briefing Notes 18 Februar 2019, https://www.ecoi.net/en/file/local/2003659/Deutschland___Bundesamt_f%C3%BCr_Migration_und_Fl%C3%BCchtlinge%2C_Briefing_Notes%2C_18.02.2019_%28deutsch%29.pdf, Zugriff 4.6.2019

-

BBC - BBC News Africa (12.4.2019): Algeria protests: Police arrest 108 in Friday clashes,

https://www.bbc.com/news/world-africa-47915798, Zugriff 28.5.2019

-

BS - Bertelsmann Stiftung (2018): BTI 2018 - Algeria Country Report,

https://www.bti-project.org/de/berichte/laenderberichte/detail/itc/DZA/, Zugriff 28.5.2019

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KAS - Konrad-Adenauer-Stiftung (27.2.2019): Algerien vor der Präsidentschaftswahl,

https://www.kas.de/laenderberichte/detail/-/content/algerien-vor-der-praesidentschaftswahl, Zugriff 28.5.2019

-

NZZ - Neue Zürcher Zeitung (26.3.2019): Die algerische Armee lässt Präsident Bouteflika fallen,

https://www.nzz.ch/international/militaer-fordert-absetzung-von-praesident-bouteflika-ld.1470236, Zugriff 28.5.2019

-

ÖB - Österreichische Botschaft Algier (13.12.2018):

Asylländerbericht Algerien,

https://www.ecoi.net/en/file/local/1454442/5818_1544771170_alge-ob-bericht-2018-12-13.docx, Zugriff 29.5.2019

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TB - Tagesblatt (22.2.2019): Tausende protestieren in Algerien:

Polizei löst Demonstration auf, https://www.tagblatt.ch/newsticker/international/tausende-protestieren-in-algerien-polizei-lost-demonstration-auf-ld.1096496, Zugriff 28.2.2019

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TS - Tagesscshau (3.4.2019): Rücktritt von Präsident Bouteflika -

Ein historischer Moment in Algerien, https://www.tagesschau.de/ausland/bouteflika-ruecktritt-107.html, Zugriff 13.6.2019

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TS - Tagesschau (9.4.2019): Nach Bouteflika-Rücktritt Neuer Übergangspräsident für Algerien, https://www.tagesschau.de/ausland/algerien-bouteflika-bensaleh-101.html, Zugriff 28.5.2019

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TS - Tagesschau.de (26.3.2019): Protest gegen Bouteflikas fünfte Kandidatur,

https://www.tagesschau.de/ausland/algerien-proteste-101.html, Zugriff 28.5.2019

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ZO - Zeit Online (11.4.2019): Algerien: Präsidentschaftswahl soll im Juli stattfinden,

https://www.zeit.de/politik/ausland/2019-04/algerien-wahl-praesident-abdelaziz-bouteflika-proteste, Zugriff 28.5.2019

Sicherheitslage

Demonstrationen finden seit Mitte Februar 2019 fast täglich in allen größeren Städten statt, die größten Protestmärsche nach den Freitagsgebeten. Auch wenn diese bisher weitgehend friedlich verlaufen sind, können gewaltsame Auseinandersetzungen nicht ausgeschlossen werden (AA 29.5.2019). Die Sicherheitslage in gewissen Teilen Algeriens ist weiterhin gespannt. Es gibt immer noch terroristische Strukturen, wenn auch reduziert (ÖB 13.12.2018). Das Risiko von Terroranschlägen islamistischer Gruppen und Entführungen mit kriminellem oder terroristischem Hintergrund ist besonders hoch (BMEIA 29.5.2019; vgl. AA 29.5.2019). Landesweit kann es zu Behinderungen durch Demonstrationen und Streiks kommen (BMEIA 29.5.2019). Da jedoch Algerien in den 1990er Jahren ein Jahrzehnt des Terrorismus erlebt hat, bevorzugt die große Mehrheit der Algerier Frieden und lehnt Instabilität ab (BS 2018). Algerien steht auch aufgrund seines riesigen Staatsgebietes vor Herausforderungen. Dies erschwert den Kampf gegen den Terrorismus noch mehr. Die Überreste von terroristischen Gruppen aus den 90er Jahren in der Sahara und einigen nördlichen Regionen stellen immer noch eine massive Einschränkung der Regierungsführung dar (BS 2018).

Der djihadistische Terrorismus in Algerien ist stark reduziert worden; Terroristen wurden Großteils entweder ausgeschaltet, festgenommen oder haben oft das Land verlassen, was zur Verlagerung von Problemen in die Nachbarstaaten z.B. Mali führte. Gewisse Restbestände oder Rückzugsgebiete sind jedoch v.a. in der südlichen Sahara (so z.B. angeblich Iyad ag Ghali) vorhanden. Gruppen, wie die groupe salafiste pour la prédication et le combat (GSPC), die den 1997 geschlossenen Waffenstillstand zwischen dem algerischen Militär und der AIS nicht anerkannte, sich in die Saharagebiete zurückzog und 2005 mit Al Qaida zur AQIM verband sind auf kleine Reste reduziert und in Algerien praktisch handlungsunfähig. Inzwischen hat sich diese Gruppe wieder mehrmals geteilt, 2013 u.a. in die Mouvement d'unité pour je jihad en Afrique occidentale (MUJAO). Ableger dieser Gruppen haben den Terroranschlag in In Amenas/Tigentourine im Jänner 2013 zu verantworten. 2014 haben sich mit dem Aufkommen des "Islamischen Staates" (IS) Veränderungen in der algerischen Terrorismusszene ergeben. AQIM hat sich aufgespalten und mindestens eine Teilgruppe, Jund al-Khilafa, hat sich zum IS bekannt. Diese Gruppe hat die Verantwortung für die Entführung und Enthauptung des französischen Bergführers Hervé Gourdel am 24.9.2014 übernommen. Dies war 2014 der einzige Anschlag, der auf einen Nicht-Algerier zielte. Ansonsten richteten sich die terroristischen Aktivitäten ausschließlich auf militärische Ziele (ÖB 13.12.2018).

Islamistischer Terrorismus und grenzübergreifende Kriminalität in der Sahelregion stellen weiterhin Bedrohungen für die Stabilität Algeriens dar. Algerien ist massiv in der Bekämpfung des Terrorismus engagiert und hat sein Verteidigungsbudget auf mehr als 10 Mrd. EUR erhöht (somit das höchste in Afrika). Eine kleine Anzahl islamistischer Extremisten operiert vor allem in der Sahara und den Berberregionen. Unsicherheit in der Region und die Aktivitäten des IS in einigen Nachbarländern machen diese jedoch zu einer potenziellen Bedrohung (BS 2018).

Die Sicherheitssituation betreffend terroristische Vorfälle hat sich jedoch inzwischen weiter verbessert, die Sicherheitskräfte haben auch bislang unsichere Regionen wie die Kabylei oder den Süden besser unter Kontrolle, am relativ exponiertesten ist in dieser Hinsicht noch das unmittelbare Grenzgebiet zu Tunesien und zu Mali. Es kommt jedoch mehrmals wöchentlich zu Razzien und Aktionen gegen Terroristen oder deren Unterstützer (ÖB 13.12.2019).

Spezifische regionale Risiken

Von Terroranschlägen und Entführungen besonders betroffen ist die algerische Sahararegion, aber auch der Norden und Nordosten des Landes (v.a. Kabylei). Die Gefahr durch den Terrorismus, der sich in erster Linie gegen die staatlichen Sicherheitskräfte richtet, besteht fort (AA 29.5.2019). 2017 gab es (mindestens) vier Anschläge mit eindeutig islamistischem Hintergrund, und zwar in Blida, Constantine, Oued Djemaa (Wilaya Blida), Ferkane (Wilaya Tebessa) und Tiaret (ÖB 13.12.2019).

Vor Reisen in die Grenzgebiete zu Libyen, Niger, Mali, Mauretanien, Tunesien und Marokko sowie in die sonstigen Saharagebiete, in ländliche Gebiete, Bergregionen (insbesondere Kabylei) und Gebirgsausläufer (Nord-Westen von Algier und Wilaya de Batna) wird gewarnt (BMEIA 29.5.2019; vgl. AA 29.5.2019, FD 29.5.2019; ÖB 13.12.2018). Ausgenommen davon sind nur die Städte Algier, Annaba, Constantine, Tlemcen und Oran (BMEIA 29.5.2019; ). Im Rest des Landes besteht weiterhin hohes Sicherheitsrisiko (BMEIA 29.5.2019). Praktisch nicht mehr existent sind die früher häufigen Entführungen, besonders in der Region Kabylei von wohlhabenden Einheimischen mit kriminellem Hintergrund (Lösegeldforderung). In den südlichen Grenzregionen zu Niger und Mali und jenseits der Grenzen gehen terroristische Aktivitäten, Schmuggel und Drogenhandel ineinander über. Es wird angenommen, dass AQIM in Nordmali, aber auch andernorts vereinzelt mit der lokalen Bevölkerung für Schmuggel aller Art zusammenarbeitet (ÖB 13.12.2019).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (29.5.2019): Algerien: Reise- und Sicherheitshinweise (Teilreisewarnung), https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/algerien-node/algeriensicherheit/219044#content_0, Zugriff 29.5.2019

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BMEIA - Bundesministerium für Europa, Integration und Äußeres (29.5.2019): Reiseinformationen Algerien, Sicherheit & Kriminalität, https://www.bmeia.gv.at/reise-aufenthalt/reiseinformation/land/algerien/, Zugriff 29.5.2019

-

BS - Bertelsmann Stiftung (2018): BTI 2018 - Algeria Country Report,

https://www.bti-project.org/de/berichte/laenderberichte/detail/itc/DZA/, Zugriff 29.5.2019

-

FD - France Diplomatie (29.5.2019): Conseils aux Voyageurs - Algérie - Sécurité,

http://www.diplomatie.gouv.fr/fr/conseils-aux-voyageurs/conseils-par-pays/algerie/, Zugriff 29.5.2019

-

ÖB - Österreichische Botschaft Algier (13.12.2018):

Asylländerbericht Algerien,

https://www.ecoi.net/en/file/local/1454442/5818_1544771170_alge-ob-bericht-2018-12-13.docx, Zugriff 29.5.2019

Rechtsschutz / Justizwesen

Obwohl die Verfassung eine unabhängige Justiz vorsieht, beschränkt die Exekutive die Unabhängigkeit der Justiz (USDOS 13.3.2019; vgl. GIZ 12.2016a; BS 2018). Der Präsident hat den Vorsitz im Obersten Justizrat, der für die Ernennung aller Richter (USDOS 13.3.2019;

vgl. BS 2018), sowie Staatsanwälte zuständig ist (USDOS 13.3.2019). Der Oberste Justizrat ist für die richterliche Disziplin und die Ernennung und Entlassung aller Richter zuständig (USDOS 13.3.2019;

vgl. BS 2018). Die in der Verfassung garantierte Unabhängigkeit von Gerichten und Richtern wird in der Praxis nicht gänzlich gewährleistet (BS 2018), sie ist häufig äußerer Einflussnahme und Korruption ausgesetzt (USDOS 13.3.2019). Die Justizreform wird zudem nur äußerst schleppend umgesetzt. Algerische Richter sehen sich häufig einer außerordentlich hohen Arbeitsbelastung ausgesetzt, was insbesondere in Revisions- und Berufungsphasen zu überlangen Verfahren führt. Ein berufsständisches Gesetz zu Status und Rolle der Anwaltschaft existiert nicht (AA 4.4.2018; vgl. BS 2018), der jedoch unter dem Einfluss der Exekutive steht (BS 2018).

Praktische Entscheidungen über richterliche Kompetenzen werden vom Obersten Justizrat getroffen (BS 2018). Die Richter werden für eine Dauer von zehn Jahren ernannt und können u.a. im Fall von Rechtsbeugung abgelöst werden (AA 4.4.2018). Im Straf- und Zivilrecht entscheiden Justizministerium und der Präsident der Republik mittels weisungsabhängiger Beratungsgremien über das Fortkommen von Richtern und Staatsanwälten. Das Rechtswesen kann so unter Druck gesetzt werden, besonders in Fällen, in denen politische Entscheidungsträger betroffen sind. Es ist der Exekutive de facto nachgeordnet. Im Handelsrecht führt die Abhängigkeit von der Politik zur inkohärenten Anwendung der Anti-Korruptionsgesetzgebung, da auch hier die Justiz unter Druck gesetzt werden kann (GIZ 12.2016a).

Das algerische Strafrecht sieht explizit keine Strafverfolgung aus politischen Gründen vor. Es existiert allerdings eine Reihe von Strafvorschriften, die aufgrund ihrer weiten Fassung eine politisch motivierte Strafverfolgung ermöglichen. Dies betrifft bisher insbesondere die Meinungs- und Pressefreiheit, die durch Straftatbestände wie Verunglimpfung von Staatsorganen oder Aufruf zum Terrorismus eingeschränkt werden. Rechtsquellen sind dabei sowohl das algerische Strafgesetzbuch als auch eine spezielle Anti-Terrorverordnung aus dem Jahre 1992. Das Strafmaß für die Diffamierung staatlicher Organe und Institutionen durch Presseorgane bzw. Journalisten soll allerdings grundsätzlich auf Geldbußen beschränkt sein (AA 4.4.2018). Der Straftatbestand der "Diffamation" führt zu zahlreichen Anklagen durch die staatlichen Anklagebehörden und schwebt als Drohung über Journalisten und allen, die sich öffentlich äußern (GIZ 12.2016a).

Die Verfassung gewährleistet das Recht auf einen fairen Prozess (USDOS 13.3.2019), aber in der Praxis respektieren die Behörden nicht immer die rechtlichen Bestimmungen, welche die Rechte des Angeklagten wahren sollen (USDOS 13.3.2019; vgl. AA 4.4.2018). Für Angeklagte gilt die Unschuldsvermutung und sie haben das Recht auf einen Verteidiger, dieser wird falls nötig auf Staatskosten zur Verfügung gestellt. Die meisten Verhandlungen sind öffentlich. Angeklagten und ihren Anwälten wird gelegentlich der Zugang zu von der Regierung gehaltenen Beweismitteln gegen sie verwehrt. Angeklagte haben das Recht auf Berufung. Die Aussage von Frauen und Männern wiegt vor dem Gesetz gleich (USDOS 13.3.2019). Den Bürgerinnen und Bürgern fehlt nach wie vor das Vertrauen in die Justiz, und sie sehen vor allem in politisch relevanten Strafverfahren Handlungsbedarf. Nach belastbarer Einschätzung von Menschenrechtsorganisationen und kritischen Journalisten nimmt die Exekutive in solchen Fällen unmittelbar Einfluss auf die Entscheidungen des Gerichts (AA 4.4.2018).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (4.4.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Demokratischen Volksrepublik Algerien,

https://www.ecoi.net/en/file/local/1432978/4598_1526980677_auswaertiges-amt-bericht-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-demokratischen-volksrepublik-algerien-stand-februar-2018-04-04-2018.pdf, Zugriff 29.5.2019

-

BS - Bertelsmann Stiftung (2018): BTI 2018 - Algeria Country Report,

https://www.bti-project.org/de/berichte/laenderberichte/detail/itc/DZA/, Zugriff 15.2.2018

-

GIZ - Deutsche Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (12.2016a): Algerien - Geschichte & Staat, https://www.liportal.de/algerien/geschichte-staat/, Zugriff 29.5.2019

-

USDOS - US Department of State (13.3.2019): Country Report on Human Rights Practices 2018 - Algeria, https://www.ecoi.net/de/dokument/2004261.html, Zugriff 29.5.2019

Sicherheitsbehörden

Die staatlichen Sicherheitskräfte lassen sich unterteilen in nationale Polizei, Gendarmerie, Armee und Zoll (GIZ 12.2016a). Die dem Innenministerium unterstehende nationale Polizei DGSN wurde in den 90er Jahren von ihrem damaligen Präsidenten, Ali Tounsi, stark ausgebaut und personell erweitert, und zwar von 100.000 auf 200.000 Personen, darunter zahlreiche Frauen (GIZ 12.2016a). Ihre Aufgaben liegen in der Gewährleistung der örtlichen Sicherheit (GIZ 12.2016a; vgl. USDOS 13.3.2019). Sie ist in den blauen Uniformen sehr präsent und in den Städten überall wahrnehmbar (GIZ 12.2016a). Der Gendarmerie Nationale gehören ca. 180.000 [Anm. GIZ: 180.000; USDOS:

130.000] Personen an, die die Sicherheit auf überregionaler (außerstädtischer) Ebene gewährleisten sollen (GIZ 12.2016a; vgl. USDOS 13.3.2019). Sie untersteht dem Verteidigungsministerium und verfügt über zahlreiche spezielle Kompetenzen und Ressourcen, wie Hubschrauber, Spezialisten gegen Cyberkriminalität, Sprengstoffspezialisten usw. Mit ihren schwarzen Uniformen sind sie besonders außerhalb der Städte präsent, z.B. bei den häufigen Straßensperren auf den Autobahnen um Algier (GIZ 12.2016a).

Die Gendarmerie Locale wurde in den 90er Jahre als eine Art Bürgerwehr eingerichtet, um den Kampf gegen den Terrorismus in den ländlichen Gebieten lokal zielgerichteter führen zu können. Sie umfasst etwa 60.000 Personen. Die Armee ANP (Armée Nationale Populaire) hat seit der Unabhängigkeit eine dominante Stellung inne und besetzt in Staat und Gesellschaft Schlüsselpositionen. Sie zählt allein an Bodentruppen ca. 120.000 Personen und wurde und wird im Kampf gegen den Terrorismus eingesetzt. Die Armee verfügt über besondere Ressourcen, wie hochqualifizierte Militärkrankenhäuser und soziale Einrichtungen. Die Zollbehörden nehmen in einem außenhandelsorientierten Land wie Algerien eine wichtige Funktion wahr. Da in Algerien gewaltige Import- und Exportvolumina umgesetzt werden, ist die Anfälligkeit für Korruption hoch (GIZ 12.2016a).

Straffreiheit bleibt ein Problem (USDOS 13.3.2019). Übergriffe und Rechtsverletzungen der Sicherheitsbehörden werden entweder nicht verfolgt oder werden nicht Gegenstand öffentlich gemachter Verfahren (ÖB 13.12.2018). Das Strafgesetz enthält Bestimmungen zur Untersuchung von Missbrauch und Korruption, aber die Regierung veröffentlicht keine Informationen bzgl. disziplinärer oder rechtlicher Maßnahmen gegen Mitglieder der Sicherheitskräfte (USDOS 13.3.2019).

Quellen:

-

GIZ - Deutsche Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (12.2016a): Algerien - Geschichte & Staat, https://www.liportal.de/algerien/geschichte-staat/, Zugriff 29.5.2019

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ÖB - Österreichische Botschaft Algier (13.12.2018):

Asylländerbericht Algerien,

https://www.ecoi.net/en/file/local/1454442/5818_1544771170_alge-ob-bericht-2018-12-13.docx, Zugriff 29.5.2019

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USDOS - US Department of State (13.3.2019): Country Report on Human Rights Practices 2018 - Algeria, https://www.ecoi.net/de/dokument/2004261.html, Zugriff 29.5.2019

Folter und unmenschliche Behandlung

Folter ist gesetzlich verboten (USDOS 13.3.2019; vgl. ÖB 13.12.2018). Unmenschliche oder erniedrigende Strafen werden gesetzlich nicht angedroht. Die Verfassung verbietet Folter und unmenschliche Behandlung (AA 4.4.2018). Das traditionelle islamische Strafrecht (Scharia) wird in Algerien nicht angewendet. Im algerischen Strafgesetz ist Folter seit 2004 ein Verbrechen (AA 4.4.2018). In den neuesten Berichten von Menschenrechtsorganisationen werden Fälle bis 2015 aufgeführt, in denen Übergriffe gegen Personen in Gewahrsam bis hin zu Folter durch die Sicherheitsdienste beklagt werden. Auf neuere Fälle gibt es keine Hinweise (AA 4.4.2018; vgl. USDOS 13.3.2019)

Das Strafmaß für Folter liegt zwischen 10 und 20 Jahren. Nach Angaben des Justizministeriums gab es im Laufe des Jahres sechs Strafverfolgungsmaßnahmen gegen Strafverfolgungsbeamte wegen Folter. Menschenrechtsaktivisten gaben an, dass die Polizei manchmal übermäßige Gewalt gegen Verdächtige einschließlich Demonstranten angewendet hat (USDOS 13.3.2019).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (4.4.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Demokratischen Volksrepublik Algerien,

https://www.ecoi.net/en/file/local/1432978/4598_1526980677_auswaertiges-amt-bericht-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-demokratischen-volksrepublik-algerien-stand-februar-2018-04-04-2018.pdf, Zugriff 29.5.2019

-

ÖB - Österreichische Botschaft Algier (13.12.2018):

Asylländerbericht Algerien,

https://www.ecoi.net/en/file/local/1454442/5818_1544771170_alge-ob-bericht-2018-12-13.docx, Zugriff 29.5.2019

-

USDOS - US Department of State (13.3.2019): Country Report on Human Rights Practices 2018 - Algeria, https://www.ecoi.net/de/dokument/2004261.html, Zugriff 29.5.2019

Korruption

Gesetzlich sind zwar bis zu zehn Jahre Haft für behördliche Korruption vorgesehen, jedoch wird das Gesetz von der Regierung nicht effektiv durchgesetzt. Korruption bleibt ein Problem. Manchmal üben Beamte straflos korrupte Praktiken aus (USDOS 13.3.2019). Das dem Justizministerium unterstellte Zentralbüro zur Bekämpfung der Korruption ist das hauptverantwortliche Regierungsorgan (GIZ 12.2016a). Korruption in der Regierung beruht hauptsächlich auf einer überbordenden Bürokratie und mangelnden transparenten Strukturen (USDOS 13.3.2019). Auf dem Corruption Perceptions Index für 2018 liegt Algerien auf Platz 105 von 180 (TI 2018).

Quellen:

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GIZ - Deutsche Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (12.2016a): Algerien -Geschichte & Staat, https://www.liportal.de/algerien/geschichte-staat/, Zugriff 29.5.2019

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Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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