TE Vwgh Erkenntnis 1998/6/30 98/11/0078

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 30.06.1998
beobachten
merken

Index

40/01 Verwaltungsverfahren;
90/02 Kraftfahrgesetz;

Norm

AVG §57 Abs1;
KFG 1967 §73 Abs2a;
KFG 1967 §74 Abs1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Leukauf und die Hofräte Dr. Waldner, Dr. Bernard, Dr. Graf und Dr. Gall als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Lenhart, über die Beschwerde des R in W, vertreten durch Dr. Andreas Bauer, Rechtsanwalt in Wien I, Gonzagagasse 9, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 27. Jänner 1998, Zl. MA 65 - 8/527/97, betreffend Nachschulung, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 15.000,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Mandatsbescheid der Erstbehörde (der Bundespolizeidirektion Wien) vom 23. September 1997 wurde dem Beschwerdeführer die Lenkerberechtigung für Kraftfahrzeuge der Gruppe B gemäß § 74 Abs. 1 KFG 1967 vorübergehend für neun Monate entzogen. Dem lag die Annahme zugrunde, der Beschwerdeführer habe am 11. September 1997 ein Kraftfahrzeug in einem durch Alkohol beeinträchtigten Zustand gelenkt und hiebei einen Verkehrsunfall mit Sachschaden verschuldet.

Mit einem weiteren, nicht auf § 57 Abs. 1 AVG gestützten, zugleich mit dem obgenannten Bescheid zugestellten Bescheid vom 23. September 1997 ordnete die Erstbehörde gemäß § 73 Abs. 2a KFG 1967 eine Nachschulung des Beschwerdeführers an.

Der Beschwerdeführer erhob gegen den erstgenannten Bescheid Vorstellung und gegen den zweitgenannten Bescheid Berufung. Er bestritt, eine Übertretung im Sinne des § 66 Abs. 2 lit. e KFG 1967 begangen zu haben und bot Beweise an. Mit dem angefochtenen Bescheid wurde die Berufung gegen die Nachschulungsanordnung abgewiesen. Nach der Aktenlage waren bei Erlassung des angefochtenen Bescheides weder das Entziehungsverfahren noch das gegen den Beschwerdeführer eingeleitete Strafverfahren abgeschlossen.

In seiner Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof macht der Beschwerdeführer Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften und Rechtswidrigkeit des Inhaltes des angefochtenen Bescheides geltend; er beantragt dessen kostenpflichtige Aufhebung. Die belangte Behörde hat den Verwaltungsakt vorgelegt und eine Gegenschrift mit dem Antrag auf kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde erstattet.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Nach § 73 Abs. 2a KFG 1967 in der Fassung der 19. KFG-Novelle (BGBl. I Nr. 103/1997) kann die Behörde bei der Entziehung auch begleitende Maßnahmen (Nachschulung u. dgl.) anordnen. Wird eine solche Anordnung nicht befolgt oder die Mitarbeit bei der Nachschulung unterlassen, so ist die Entziehungszeit um drei Monate zu verlängern. Die Behörde hat begleitende Maßnahmen anzuordnen, wenn die Entziehung in der Probezeit (§ 64a Abs. 1) erfolgt oder die Entziehung wegen einer Übertretung im Sinne des § 66 Abs. 2 lit. e erfolgt und der Alkoholgehalt des Blutes 1,2 g/l oder mehr oder der Alkoholgehalt der Atemluft 0,6 mg/l oder mehr betragen hat.

Die belangte Behörde begründete die bekämpfte Nachschulungsanordnung damit, beim Beschwerdeführer sei unbestrittenermaßen ein Alkoholgehalt der Atemluft von 0,67 mg/l festgestellt worden. Da weiters die Entziehung der Lenkerberechtigung des Beschwerdeführers wegen einer Übertretung im Sinne des § 66 Abs. 2 lit. e KFG 1967 ausgesprochen worden sei, seien die Voraussetzungen für die Nachschulungsanordnung vorgelegen. Die Begehung einer solchen Übertretung stelle lediglich im Entziehungsverfahren eine Vorfrage im Sinne des § 38 AVG dar, nicht aber im Verfahren zur Anordnung einer Nachschulung. Die Behörde sei daher nicht verpflichtet, über diese Frage ein Verfahren abzuführen bzw. die Entscheidung der zuständigen Strafbehörde abzuwarten. Im übrigen stünden der Bestreitung der Tat vom 11. September 1997 durch den Beschwerdeführer die in der Strafanzeige vom 12. September 1997 enthaltenen übereinstimmenden Angaben des Aufforderers und einer namentlich genannten Zeugin entgegen.

Der Beschwerdeführer bestreitet, eine Übertretung im Sinne des § 66 Abs. 2 lit. e KFG 1967 begangen zu haben; er habe das betreffende Kraftfahrzeug weder gelenkt noch in Betrieb genommen. In dieser Frage seien keinerlei Ermittlungen vorgenommen worden. Im übrigen sei unerklärlich, weshalb die Nachschulungsanordnung, die sachlich und rechtlich einen Entziehungsbescheid voraussetze, vor der Entscheidung in der Entziehungssache ergangen sei.

Die aufgezeigte Diskrepanz (rechtskräftige Entscheidung über die Nachschulungsanordnung vor rechtskräftiger Entscheidung in der Entziehungssache) ist offensichtlich die Folge der von der Erstbehörde gewählten Vorgangsweise, nämlich der Anordnung der Entziehungsmaßnahme durch Mandatsbescheid einerseits und der Anordnung der Nachschulung durch einen nicht auf § 57 Abs. 1 AVG gestützten Bescheid andererseits. Dies bewirkte ein Auseinanderfallen der Rechtsmittelzüge mit der Konsequenz, daß eine letztinstanzliche Entscheidung in der Nachschulungssache vor einer letztinstanzlichen Entscheidung in der Entziehungssache erging.

Die von der Erstbehörde gewählte Vorgangsweise ist in Anbetracht des akzessorischen Charakters einer Nachschulungsanordnung nach § 73 Abs. 2a KFG 1967 (siehe dazu das hg. Erkenntnis vom 20. Jänner 1998, Zl. 97/11/0069) verfehlt. Sie führt, wie der vorliegende Fall zeigt, in aller Regel dazu, daß über die akzessorische Maßnahme in letzter Instanz vor der letztinstanzlichen Entscheidung in der Entziehungssache abgesprochen wird. Dies ist aus Gründen des Rechtsschutzes abzulehnen. Es kann in weiterer Folge dazu führen, daß eine Nachschulungsanordnung unanfechtbar dem Rechtsbestand angehört, obwohl die nach dem Gesetz dafür notwendige Voraussetzung fehlt, weil - aus welchen Gründen immer - die zunächst rechtswirksam angeordnete Entziehungsmaßnahme in der Folge aufgehoben wurde. Im übrigen sprechen auch Gründe der Verfahrensökonomie gegen die von der Erstbehörde gewählte Vorgangsweise der Anordnung einer Entziehungsnahme durch Mandatsbescheid und der Anordnung einer Nachschulungsanordnung nicht durch Mandatsbescheid (bei gleichem Ermittlungsstand). Denn damit ist die Rechtsmittelbehörde gezwungen, in der Nachschulungssache das auch für die Zulässigkeit einer solchen Maßnahme notwendige Vorliegen einer Verwaltungsübertretung im Sinne des § 66 Abs. 2 lit. e KFG 1967 (siehe den letzten Satz dieser Gesetzesstelle in der Fassung der 19. KFG-Novelle) und den Alkoholisierungsgrad zu klären, obwohl diese Frage notwendig - und vorrangig - auch von der Erstbehörde im Rahmen ihrer Entscheidung über die Vorstellung in der Entziehungssache zu prüfen ist. Nur bei der hier vertretenen Auffassung erscheint hinreichend gewährleistet, daß es - so wie bei gleichzeitiger Anfechtung einer Entziehungsmaßnahme und einer Nachschulungsanordnung - im Fall der Aufhebung der Entziehungsmaßnahme auch zur Aufhebung der sie voraussetzenden Nachschulungsanordnung durch den Verwaltungsgerichtshof kommt.

Die belangte Behörde hätte die erstinstanzliche Nachschulungsanordnung ersatzlos als rechtswidrig beheben müssen, um so den Weg für eine Entscheidung durch die Erstbehörde gleichzeitig mit der Entscheidung über die Vorstellung gegen den Entziehungsbescheid freizumachen. Die statt dessen getroffene Bestätigung des erstinstanzlichen Bescheides erfolgte zu Unrecht.

Der angefochtene Bescheid war somit gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung

BGBl. Nr. 416/1994.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1998:1998110078.X00

Im RIS seit

09.07.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten